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Die Wunder der Gutta Pertscha

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Textdaten
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Titel: Die Wunder der Gutta Pertscha
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 32, S. 351-353
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1853
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[351]

Aus der Gewerbswelt.

Mitgetheilt von Friedrich Georg Wieck.
Die Wunder der Gutta Pertscha.

Gutta Pertscha, malayisch Gutta Pertsha, englisch „Gutta Percha“ geschrieben, weil die Engländer den Laut „tscha“ nicht anders in Buchstaben zu bezeichnen vermögen, ist der ausgetrocknete Milchsaft eines Baumes in Ostindien, dem der Botaniker Hooker den Namen Isonandra Guttabeigelegt hat. Gutta bedeutet nicht etwa Tropfen, sondern malayisch: Baumsaft. Dieser getrocknete Saft, ein biegsames Harz, in seinen chemischen Eigenschaften dem Kautschuk (Gummi elasticum) sehr verwandt, ist bei uns erst seit etwa 10 Jahren bekannt und kam uns über London zu, wohin er einige Jahre früher von einem Dr. Montgommery aus Singapore gebracht worden war als eine Substanz, deren sich die Malayen zur Anfertigung von Messer- und Dolchgriffen bedienten. Die große Aufmerksamkeit, mit der das neue Harz bei seinem Bekanntwerden in der wissenschaftlichen und gewerblichen Welt aufgenommen wurde, verdankt es seinen merkwürdigen Eigenschaften: in Folge der Einwirkung einer nicht den Siedepunkt übersteigenden Wärme weich und bildsam zu werden, in welchem Zustande es sich bilden und zusammenkleben läßt wie Wachs, ohne daß die Verbindung, wenn die Substanz nach dem Erkalten wieder hart und lederartig biegsam geworden ist, sich wieder trennt, sondern so fest hält, wie je zuvor; und gleicherweise die Form, welche ihr, der Substanz, im erwärmten Zustande gegeben wurde, unveränderlich bleibt nach dem Erkalten. Jedermann sah sofort die hohe Wichtigkeit dieser Eigenschaften für Formgebung und bildnerische Zwecke ein; und da es sich ferner ergab, daß die Gutta Pertscha von Wasser, verdünntem Alkohol, von Säuren und Alkalien gewisser Stärke, von Oelen nicht angegriffen wird, so konnte es nicht fehlen, daß der Gebrauch und die Verwendung jenes Stoffes von Tag zu Tag bis jetzt zunahm, und es zu befürchten steht, daß der Rohstoff endlich mangeln werde, wenn man nicht [352] schonender mit den Bäumen verfährt, welche ihn liefern. Wir können uns hier nicht lange bei den Verfahrungsarten aufhalten: die rohe, holzartig aussehende Gutta Pertscha zu reinigen, was durch mechanische Zertheilung im kalten Zustande, darauf folgendes Auswaschen und Kneten in der Wärme und mit Wasser, und endlich durch Ziehen, Strecken und Auswalzen geschieht. In Folge dieser Behandlung erscheint die Gutta Pertscha rein, glatt, lederartig, geschmeidig, in plattendünnen, papierähnlichen Blättern, Röhren, Fäden, und findet in dieser Gestalt Benutzung, man kann wohl sagen, zu den fast zahllosen Zwecken, wozu man auch Leder und Papier und biegsame wasserdichte Röhren benutzt. Als mehr und minder dicke Platten verwendet man sie u. A. zum Besohlen von allerlei Schuhzeug, um dessen Einführung in unserer Stadt sich Herr Bandagist Schramm viele Verdienste erworben hat. Schon sehr viele Leute verstehen die Kunst und legen sich Sohlen unter, welche namentlich wegen ihrer Haltbarkeit und Wasserdichte in nassem Wetter treffliche Dienste leisten. Ferner preßt und prägt man allerhand

Gutta Pertscha als Schallröhre.

Zierrathen und verzierte Geräthe aus den Platten, welche verschiedenartig gefärbt werden können und unverwüstlich sind, falls man sie nur nicht der Hitze aussetzt. In Rieme zerschnitten treiben die Platten Scheiben an Wellen zum Bewegen von Maschinenwerken und Mühlen. Man benutzt sie zur Anfertigung von Feuereimern, die nicht wie andere, siebartig auslaufen, wenn sie gebraucht werden sollen, und zu Schläuchen und Leitungsröhren für Flüssigkeiten, denen ähnliche von anderem Material kaum an die Seite gestellt werden können. So trefflich wie Flüssigkeiten leiten jene Gutta-Pertscha-Röhren auch den Schall, so daß man sie jetzt allgemein als lange Sprachrohre in Schächten, Schiffen, in Fabriken, Gasthäusern u. s. w. gebraucht. Eine menschenfreundliche Verwendung dieser Art sieht man auf unserem Bilde, wo durch eine Röhrenleitung von Gutta Pertscha von der Kanzel aus bis zum Kirchenstuhl Schwerhörigen das Anhören der Predigt möglich gemacht wird. Die Röhre erweitert sich oben an der Kanzel als Schallloch; im Kirchenstuhl aber theilt sie sich nach Bedürfniß in mehrere Zweige, an deren Enden sich Hörröhren befinden, deren Mündungen in die Ohren gesteckt werden. Als Ueberzug schützen Gutta Pertscha-Röhren Metalldrähte bis zu einem gewissen Grade gegen Einwirkung der Feuchtigkeit; und wenn man sie gegenwärtig weniger als Ueberzug von unter der Erde liegenden Landtelegraphendrähten benutzt, weil diese, als nicht zweckmäßig, aufgegeben worden sind, dort wo man oberirdische Drähte anbringen kann, so ist doch ihre Verwendung als Decke über unter Wasser befindlichen Telegraphendrähten fast unabweislich.

Die dünn ausgewalzte Gutta Pertscha ist zur Verpackung, zum luftdichten Verschluß von Flaschen und Büchsen, zum Buchbinden, zum Druck; in diesem Falle muß sie weiß gebleicht werden; zur Fertigung von feinen Stiefeln und Schuhen, in welchem Falle sie einer Färbung bedarf, trefflich anwendbar.

Mit großem Geschick wird sie, zumal in einigen Werkstätten Englands und Amerika’s, grade wie Kautschukkitt, aufgelöst, als Leim benutzt, um die Bogen der Bücher zu vereinigen, statt des Heftens und Nähens und der weiteren Bearbeitung des Rückens. Man legt die Bogen wie gewöhnlich zusammen, schlägt sie, fährt mit einer Raspel über den Rücken und trägt eine oder mehrere Schichten einer Gutta Pertschalösung auf. Zu mehrerer Sicherheit kann man auch einen, mit jener Lösung bestrichenen Kattunstreifen dem Rücken auflegen. Diese Art Heftung möchte jener deutschen vorzuziehen sein, wozu gar kein Faden, sondern nur Tischlerleim gebraucht wird. In Form von Cylindern und starken Platten, runden Scheiben eignet sich unser bildsames Material ungemein gut, behufs Fertigung von Walzen in Druckmaschinen, von Preßcylindern in Flachsspinnmaschinen, welche den Faden naß ausspinnen, für Kolbenliderungen in Kunstsätzen oder Pumpen u. s. w. Ist dasselbe aber zu stärkeren oder dünneren Fäden ausgezogen, so kann es als Ersatz für Taue und Stricke behufs einer Fülle von Zwecken dienen. Den Hausfrauen sind solche starke Pertschafäden als Wäschleinen zu empfehlen. Nichts Besseres zum Binden für Kunstgärtner als jene dünnen Pertschafäden, deren Schmiegsamkeit und Festigkeit erstaunenerregend ist. Netzwerk daraus ist unverwüstlich, was für Jäger und Fischer von Belang ist.

Die Wundarzneikunst benutzt ferner in vielen Fällen mit großem Vortheil die Gutta Pertscha bei Anfertigung von künstlichen Gliedmaßen und allerlei Binden. Eine Lösung jenes Harzes in Chloroform giebt nach Dr. Rapp in Bamberg ein besseres Wundpflaster als Collodium. Man bereitet es aus 1 Theil Gutta Pertscha und 8–9 Theilen Chloroform und kann die daraus entstehende dickliche Flüssigkeit mit einem Pinsel grade wie Collodium auftragen.

Endlich – um mit unsern Beispielen für Anwendung [353] der Gutta Pertscha zum Abschlusse zu kommen, dient es den Zahnkünstlern zur Herstellung der Basis zu künstlichen Gebissen und eingesetzten Zähnen, wodurch es ihnen gelingt, eben so bequem als täuschend der Natur ähnlich, noch blühenden Lippen durch Kunst jene Perlenreihen wieder zu verschaffen, deren Verlust in zeitiger Jugend so viele Menschen betrauern müssen.

Vor den „Wundern der Gutta Pertscha“ ziehen wir für diesmal den Vorhang; vielleicht finden wir Veranlassung, ihn später wieder einmal aufzurollen.