Die Weltgeschichte in Schuhen und Stiefeln
Geht man der Geschichte etwas naher auf den Leib, so bemerkt man zu nicht geringer Ueberraschung, daß wir die schlagendsten Kommentare der Weltgeschichte an den Beinen an uns herumtragen, denn die großen Perioden der Weltgeschichte haben ihren sicht- und fühlbaren Ausdruck in der Fußbekleidung gefunden. Man muß hierbei unter Weltgeschichte nicht den Wechsel, der Dynastien, Reiche, Schlachten und dergleichen Zufälligkeiten verstehen, sondern die Umwandelung der Gesinnung, Denk- und Lebensweise der Völker, die sich ihr Recht trotz Aechtungen, Bannflüchen, Scheiterhaufen und Bastillen verschafft. Um dies an einem Beispiele nachzuweisen, verfolgen wir die Geschichte der Fußbekleidung. Siehe da, die drei großen Perioden des weltgeschichtlichen Lebens finden wir in Schuhen und Stiefeln wieder; denn die Völker des Alterthums gingen auf Sandalen, das Mittelalter hat Schuhe, seit dem dreißigjährigen Kriege tauchen Versuche im Stiefeltragen auf, und seit der französischen Revolution trägt man Lederstiefeln.
Soll dies Zufall sein? Gewiß nicht. Burmeister hat in seinem geistreichen Aufsatze „über den menschlichen Fuß“ nachgewiesen, wie der Fuß den Menschen im Gegensatz zum Thiere charakterisirt, wie er aber auch den einzelnen Menschen individualisirt, und der Charakter des Einzelnen angedeutet wird in der Art, wie er für sein Schuhwerk sorgt. Es muß in der Schuhmacherei ein welthistorischer Zug liegen, denn der Schuster Simon in Athen war ein intimer Freund des Sokrates und Perikles, welcher letztere ihn gar zu seinem Privat-Geheimerath zu machen strebte, doch Simon wollte „seine Freiheit nicht verkaufen.“ Ein andrer gelehrter Schuster wurde Bürgermeister zu Rom und der erste Rechtsgelehrte seiner Zeit, der Schuster L. Balduin wurde die Zierde und der Mitgründer der Universität Florenz; unser poetischer Landsmann Hans Sachs ist der erfindungsreichste aller deutschen Dichter und war Streitgenosse Luther’s; Jac. Böhme aus Görlitz gehört zu den tiefsten Denkern unseres Volkes; G. Fox gründete die Religionssekte der Quäker oder Kinder des Lichts, die auch in Danzig durch Schuster Eingang fand, und Ronge hatte die Stützen seiner Gemeinden vorzugsweise unter den Schustern.
Kein anderes Gewerk kann sich solcher welthistorischen Mitglieder rühmen, keines berechtigt uns so sehr zu dem Glauben, daß wir auf welthistorischem Boden stehen, wenn wir Schuhe oder Stiefeln angezogen haben, daß in der veränderten Fußbekleidung wir Errungenschaften an uns tragen, die man nicht wegrevidiren wird. Es ist kein Zufall, daß die Völker des heidnischen Alterthums in Sandalen, ohne Rock und Hosen umherliefen, wogegen die germanischen Völker mit Hosen und Schuhen auf der Schaubühne der Weltgeschichte erscheinen, die Revolution aber lange Hosen, Stiefeln und Rock zur gleichmachenden Kleidung macht. Doch wir wollen uns nicht in Redensarten ergehen, sondern die Sache selbst reden lassen, damit sich Jedermann überzeuge, wie viel Humor in der Situation steckt, wenn Jemand gegen die Revolution eifert, und ihre Errungenschaften und Abzeichen doch am Leibe mit sich herumträgt.
Die Völker des Alterthums standen noch auf der Stufe der Natürlichkeit und Sinnlichkeit, daher ihre sinnliche Naturreligion, ihre gesellschaftliche Ordnung nach Familien und Stämmen. In Folge hiervon nahmen sie am Nackten keinen Anstoß, sondern trugen Arme und Beine mehr oder minder unverdeckt vom Mantel oder hemdartigem Kleid. Sie wollten den Fuß nicht verhüllen, sondern ihn nur schützen und schmücken. Königinnen und Fürstinnen gingen bis auf die Fußsohle barfuß, nicht minder Herzöge, Marschälle, Großhändler, Bürgermeister, Tagelöhner und Kuhhirten. Erforderte es die Jahreszeit, so waren Lappen an der Sandale angebracht, um den Fuß zu umwickeln, aber einen eigentlichen Schuh trug man nicht. Reich und Arm unterschied sich blos durch das Material der Sohle, die aus Binsen, Bast, Holz, Leinewand oder Leder verfertigt wurde, und durch den Schmuck der farbigen Bänder, mit denen man die Sohle am Fuße befestigte. Diese Bänder waren ähnlich wie bei uns die Schlittschuhriemen an der Sohle angebracht; das Hauptband wurde zwischen den beiden ersten Zehen hindurchgezogen, ging durch die Oehre der andern Bandstücken und schnürte sie fest, oder man wand die verschiedenen Bänder am Knöchel bis zur Wade hinauf. Ein Schmuck war es, diese Bänder mit Geschmack um den Fuß zu winden, kostbare Stoffe und prächtige Farben dazu zu wählen oder sie gar mit Perlen und Edelsteinen zu sticken. Solchen Luxus und solche Unterschiede dulden die demokratischen Stiefeln nicht; denn ein blanker Stiefel ist so viel als ein anderer, und Wichse so billig, daß der Proletarier mit dem Millionär hierin konkurirren kann. Dies ist das Egalisirungsprincip der Stiefeln, die nur einen Unterschied netterer Formen und echterer Waare zulassen, was aber wenig in die Augen fällt, da der Verwalter einen eben so netten Stiefel tragen kann, als der Herr Graf; aber mit Perlen und Gold könnte er das Oberleder nicht sticken lassen.
Sehen wir uns die alte Geschichte im Sonntagsstaate an, so zeigt sie uns mit stolzem Behagen die Pyramiden und riesigen Königspaläste Egyptens, die meilengroßen Palaststädte Babylon und Ninive, die säulenreichen Tempel und Statuen Griechenlands, die luxuriösen Landhäuser und Kaiserpaläste Roms; aber überraschen wir sie im Negligée, so sieht sie ziemlich ärmlich aus, denn sie hat nur Sohlen und ein wollenes oder baumwollenes Hemd den Völkern gebracht. Nur auf Reisen oder Feldzügen trug man eine Kopfbedeckung. Wie anders erscheint uns ein Achill, ein Alexander, eine Themistokles ohne Hut, Hosen, Rock und Stiefeln! Welche unserer Damen würde es wagen, diese Ideale anzusehn! Der viel bewunderte Staatsmann Perikles ging oft sogar barfuß auf dem Markte spazieren; Demosthenes wie Cicero deklamirten ihre Reden mit nackten Armen, sprangen mit nackten Beinen auf der Rednerbühne hin und her und aßen statt mit Messer und Gabeln mit der Hand aus dem Bratenteller, daß ihnen das Fett die Finger entlang lief. Welcher Minister, welcher Parlamentsredner wagt es, hierin sein Vorbild nachzuahmen! So haben sich die Zeiten verändert! Nicht einmal die Philologen, die das Alterthum so unübertrefflich klassisch, die nur im Alterthum Geschmack und Schönheitssinn finden, wollen in bloßem Kopfe und barfuß gehen, wie Plato und Sokrates, Herodot und Sophokles, Livius und Cornelius Nepos es thaten. Ja sie sind so sehr von ihrem Princip, am Alterthum Alles zu bewundern, abgefallen, daß sie den Anstand verletzt glauben, wenn bei ihren Schülern etwa durch eine Spalte in den Hosen oder Stiefeln ein Stück Antike, ein Viertelzoll Mensch oder Humanität durchschaut. Freilich mochte auch kein Weiser des Alterthums ahnen, daß das Hosenstraffziehen ein vielvermögendes Erziehungsmittel und das Hosenankleben eine amtliche Bierprobe werden könnten. Bekanntlich wurde im gewissenhaften Nachmittelalter von Rechtswegen das Bier auf die Art erprobt, daß mit ihm eine Bank begossen wurde, auf welche sich die Commission der Rathsherren setzte. Klebten die Hosen an, so war das Bier gut; doch mag das Kleben- und Sitzenbleiben wohl noch einen andern Grund gehabt haben, da es Vielen noch in unseren Zeiten da passirt, wo es schmeckt.
Wir wollen indeß nicht ungerecht gegen das ungestiefelte Alterthum sein, denn es wußte mit seinen Sohlen doch viel Koketterie zu treiben, wußte sie zum Abzeichen der menschlichen Lebensordnung zu machen. Wir haben Sonntags- und Alltagskleider, der Hebräer hatte Sonntags- und Alltagsschuhsohlen; der Modenarr heftete Schellen an dieselben, um sich bemerklich zu machen, der zärtliche Liebhaber heftete das Portrait seiner Angebeteten in Metall gravirt unter die Sohle, um die Erde mit dem Abbilde der Dame feines Herzens zu bedecken, Diener mußten der Herrschaft oder dem vornehmen Gaste die Schuhriemen auflösen, ein Schuh ward als Unterpfand bei Kaufkontrakten abgegeben, gewissermaßen als Stempelbogen, bei Trauer und an heiligen Orten legte man die Sohlen ab und ging barfuß, wie David, als er vor Absolon floh, und wen man für ehrlos erklärte von Rechtswegen, dem verbot man, Sandalen zu tragen. Wer Jemandem die Sohlen nachtrug, stellte sich unter dessen Botmäßigkeit. Im bürgerlichen, im Rechts- und Kirchenleben spielte die Schuhsohle [574] bei den Juden eine bedeutungsvolle Rolle, weshalb der bibelfeste Yankee seine persönliche Unabhängigkeit auf orientalische Weise mit den Worten ausdrückt: in eignen Schuhen stehen, womit er aber jedenfalls geborgte nicht ausschließen will, denn seine kaufmännische Existenz ist ja Kredit.
Der Persische Reiter konnte mit den bequemen Sohlen nicht auskommen, sondern befestigte größere Lederlappen daran, um diese wie eine Art Schnürstiefelchen am Fuße bis zur halben Wade hinauf zu befestigen. Wie in China aber die Geister in die Formen des Althergebrachten eingeschnürt wurden, wie eine altkluge Beamtenherrschaft das ganze Volksleben bis zur Verkümmerung einknebelte, so ward in diesem Lande auch jener pferdehufartige derbe Schuh Sitte, der das Wachsthum des Fußes hemmte und ihn zu einem Klumpfuß umgestaltete. Nichts ist bezeichnender für den chinesischen Beamtenmechanismus als der Klumpfuß, der zum Gehen ohne stützende Diener unfähig macht, der den Körper verstümmelt und das Gesetz der lebendigen Bewegung entstellt.
Was sich dagegen aus einer Sohle machen läßt, haben die Griechen gezeigt, die nur im Kriege und auf der Jagd das untere Bein mit Leder umwickelten und somit Stiefeln improvisirten. Wie die Noth den Menschen erfinderisch macht, so tauchte auch bei schlechtem Wetter und Schmutz in den griechischen Köpfen die Ahnung auf, daß das Fußwerk einer praktischen Verbesserung möglich sei, denn an den Schmutzschuhen brachten sie an der Ferse eine Kappe an, wogegen der übrige Fuß unbeschützt blieb. Wenn der Sklave des menschlichen Anrechtes auf Sandalen Verzicht leisten und barfuß gehen mußte, so hingen Stutzer einen silbernen Halbmond als Zierde an die Sandalen und Frauen trugen gelbe persische Pantoffeln, mit einer aufwärts gerichteten Spitze am runden Vorderende. Andere Damen bekleideten den Fuß mit einem netzartigen Schuh aus Stricken oder schnürten Lederlappen oben bei den Knöcheln zusammen. Auch Versuche zu Absätzen machte das erfindungsreiche Volk. Wenn bei uns Jünglinge zum Soldaten ausgehoben werden, zum Beweis, daß sie für wehrhaft erklärt werden, so erhielten die spartanischen Jünglinge ein paar Sohlen. Auch im Theater, welches bei den Griechen das war, was uns die Kirche ist, spielte die Schuhsohle eine wichtige Rolle. Da man noch keine Theaterzettel hatte, so trugen die Schauspieler Charaktermasken und Charaktersohlen. Sobald Helden und Götter auf den Brettern auftraten, erforderte es die Sitte, daß sie an Körperhöhe die übrigen Theaterpersonen überragten.
Daher trugen die Helden der Tragödie einen handhohen Stelzenschuh aus übereinandergelegten Korksohlen, den sie Kothurn nannten, und da es bei uns einmal Sitte war, triviale Dinge durch unverstandene Namen zu hochpoetischen zu machen, so sangen unsere Dichter vom Einherschreiten auf hohem Kothurn, wenn sie auf pomphaften Phrasen einherstelzten. Die Komiker und Tänzer der griechischen Theater trugen die niedrige Schuhsohle des an bunten Bändern reichen Soccus, die man zierlich um den Fuß schlang.
Die Römer als praktisch verständiges Volk wußten aus der Schuhsohle auch ein brauchbares Ding zu machen, denn die griechische Sohle war trotz der schönen Verzierungen eine ziemlich unbequeme Fußbekleidung bei schlechtem Wetter und auf schlechtem Wege, denn die Straßen der Städte waren ungepflastert.
Die Römer bilden in der Geschichte den Uebergang zu den germanischen Völkern, daher findet man bei ihnen nebenbei mancherlei Einrichtungen und Gewohnheiten, welche bei den Germanen volksthümlicher Gebrauch waren, welche auch umgekehrt Manches von den Römern annahmen und in nationaler Weise weiter entwickelten. Daher dürfen wir uns gar nicht wundern, wenn wir neben der Sohle bei den Römern eine Art Schuh und Halbstiefel in Gebrauch finden, obschon sie von unserem Schuh und Halbstiefel noch sehr verschieden sind, da ihnen die Kappe an der Hacke u. a. fehlt und sie eigentlich nur lederne und eiserne Gamaschen blieben. Der Bauer und Tagelöhner trug hölzerne Pantoffeln, deren er sich bei Kirmeßvergnügen statt der bei uns gebräuchlichen Stuhlbeine und Bierflaschen bediente, der Soldat schnallte, wenn er Lanzenwerfer war, vor den linken vorgesetzten Fuß einen eisernen Schienbeinpanzer, focht er dagegen mit dem Schwert, so schirmte er den rechten Fuß, wie Aehnliches bei einigen griechischen Stämmen Sitte war. Fuhrleute, Bauern und Bergbewohner steckten ihre Füße in ein halbstiefelartiges Futteral von ungegerbtem Leder; dagegen war der Mulleus der Nationalschuh, denn diese schuhartige Fußbekleidung diente als Abzeichen der Stände und Würden und wurde bei großen Feierlichkeiten getragen. Die beiden Präsidenten, Oberrichter und höchste Polizei der Republik schritt zwar ohne Hosen einher, hatte die Füße dagegen mit Pantoffeln von rothem Leder geschmückt, hinter ihnen sah man die Senatoren mit Halbstiefeln, Priester in weißen Schuhen, worauf die Plebejer auf Schuhsohlen oder Holzpantoffeln nachklapperten. Auch durfte nur der Adel mit vier Riemen die Sohle befestigen, der Plebejer mußte mit einem Riemen auszureichen wissen.
Gebräuchlicher als jene Festschuhe waren Sohlen mit zierlich geschlungenen Riemen und eingeschlagenen Nägeln, ja diese Riemen und Bänder gingen oft bis an die Schenkel hinauf, und ersetzten die Hosen. Männer trugen schwarze oder rothe Schuhe und Sohlen, Frauen zogen leichte Sohlen und bunte Bänder vor, stickten diese mit Gold und Edelsteinen, und ließen sie weiß oder bunt färben. Solche Damensohlen waren mitunter der Gegenstand ritterlicher Galanterie, denn Kaiser Vitellius – übrigens ein Schlemmer erster Art – trug die Schuhsohle seiner Frau stets auf der Brust, um sie in jedem müßigen Augenblicke hervorzuholen und zu küssen, wie es Kavaliere des minniglichen Mittelalters mit den Handschuhen der Damen machten.
Die Deutschen, welche nach den Römern die Weltherrschaft übernahmen, waren ein dem Sinnlichen und Natürlichen abgewandtes Volk, deshalb verhüllten sie keusch und züchtig das Nackte, deshalb gelobten Mönchs- und Ritterorden Ehelosigkeit, und da sie nur dem Geistigen sich zuwandten, sich eine gewaltige geistige Welt aus dogmatischen Abstraktionen, ritterlichen Ehrbegriffen und gesellschaftlicher Gliederung aufbauten, so wurde das Mittelalter das Zeitalter der Phantastik, die endlich in platte Nüchternheit umschlug. Zu der enganliegenden Hose, die bis an die Knöchel reichte, fügte man die Sohle und den römischen Schuh, den man richtiger Socke nennen könnte, da er ohne Sohle, Absatz und nicht von Leder war. Auf diese Weise ging Karl der Große gekleidet, der nach fränkischer Art den Fuß vom Knöchel bis zur Wade mit breiten Bändern umwickelte, so daß die Socke wie ein Halbstiefel aussah. Diese Socke wurde mit Perlen, Gold und Silber gestickt, wenn sie die Füße der Kaiser und Fürsten bedecken sollte, doch sehr bald wird sie in eine nationale Fußbekleidung umgewandelt, in den Schlapp- oder Schnabelschuh. Das Streben des Deutschen ging von dem irdischen Jammerthal hinüber zum himmlischen Freudensaal, daher entspricht dieser Richtung der Spitzbogen, die spitzen Kirchenfenster und Kirchenthüren, die hochsteigenden zugespitzten Thürme, die spitze Kriegshaube, der in Spitzen auslaufende Schild. Natürlich konnten sich die Schuhe diesem allgemeinen Drange nach Oben nicht entziehen, sie wurden krallenartig ausgebogene Schnabelschuhe.
Anfangs erschienen diese aufwärts gekrümmten Schuhspitzen in bescheidener Länge, aber nach und nach wuchsen sie gerade aus bis auf einen halben, ja bei vornehmen Herren bis auf zwei Fuß, so daß sie eine wahre Karrikatur auf den Menschenfuß waren. Ein solcher Schnabelbeschuhter konnte nun freilich nicht gehen, wie ein antiker Sohlengänger, es ging ihm vielmehr ähnlich, wie dem klumpfüßigen Chinesen, denn die weichledrigen Fußspitzen schlappten ihm bei jedem Fußaufheben unter die Sohlen; eine Treppe hinauf konnte er gar nicht kommen, und im Volksgedränge lief er Gefahr, daß ihm die kostbaren Schlappspitzen abgetreten [575] wurden. Die unpoetische Phantastik des Mittelalters zeigt sich am schlagendsten in den Schnabelschuhen. Hier konnte man der Natur denn doch nicht widerstreben, eben so wenig Mönche und Nonnen die Ordensregeln zu halten vermochten, und wie die Ehelosigkeit gelobenden Ritter schlimme Krankheiten aus den Kreuzzügen mit heimbrachten. Man heftete an die Thurmspitzen der Schuhe silberne oder goldene Kettchen, und band die umgeklappte Spitze mit ihnen unterm Knie fest. Damit diese Schuhthürme aber nicht ohne Geläut blieben, befestigte man an sie Glöckchen und klingende Schellen, so daß man die Stutzer kommen hörte, ehe man sie sah. Sobald man einmal Geschmack an solcher Geschmacklosigkeit gefunden hatte, legte man sich um den Leib und an die Rockschleppen Schellen und Glöckchen, bedeckte den Schuhschnabel mit angemalten oder eingestickten Figuren, trug an dem einen Bein einen rothen Schuh und dazu ein blaues Hosenbein, am andern Fuß einen blauen Schuh und dazu ein rothes Hosenbein, und verband endlich Schuhe und Hosen zu einem Stück.
Ein feiner Herr des 13. und 14. Jahrhunderts ging wie ein Hanswurst, sein Aeußeres war die bis zur Spitze getriebene Phantastik. Neben der Komik dieses ritterlichen Staates fehlt es auch nicht an tragikomischen Scenen. Denn als Leopold von Oesterreich 1386 zu Fuß gegen die Schweizer bei Sempach kämpfen wollte, hieben sich die Ritter die hemmenden Schuhschnabel ab, Einer aber hieb sich aus Ungeschick in’s Bein, hackte sich einige Fußzehen ab, fing darob an „bitterlich zu greinen, steckte sein Schwert in die Scheide und kehrte heim.“
Der Luxus der Schnabelschuhe rief aber auch eine heftige Reaktion hervor; Reichstage erließen strenge Verbote, Magistrate schritten mit polizeilichen Kleiderordnungen ein und setzten hohe Strafen darauf, wenn Jemand über seinen Stand hinaus sich kleidete, vor Allem aber donnerten die Geistlichen von den Kanzeln, und schleuderten Kirchentage den Bann, denn es stand fest, daß die Schnabelschuhe „vom Teufel stammten, daß sie eine Sünde wider die Natur, eine Beleidigung des Schöpfers, ein Spott Gottes und der Kirche“ wären. Die Vornehmen fügten sich nach und nach, aber die Handwerksburschen rebellirten, als ihnen verboten wurde, einen schwarzen und einen weißen Schuh zu tragen, wie denn die Schustergesellen auch das Recht hatten, im Zweikampf sich zu boxen in Gegenwart von vier Altgesellen und unter Ceremonien, wie sie bei den blutschauenden Paukereien der Studenten noch Sitte geblieben sind, seit selbst „die Schuhknechte“ sich civilisirt haben. Außer diesen Verdrießlichkeiten mit der Polizei und Geistlichkeit, welche sich die Zucht des Volkes in väterlicher Sorglichkeit stets gern zu Herzen nahm, hatten die Schnabelschuhe einen unbarmherzigen Gegner in dem Schmutz der ungepflasterten Straßen. Um diesem zu trotzen, schnallte man hölzerne Sohlen unter die Schuhe, welche dem Holzschuh eines Schlittschuhes ganz ähnlich waren, und konnte nun tapfer durch den Koth waden.
Als die Herrlichkeit des Ritterthums sank, als die ritterlichen Herren zu gemeinen Straßenräubern, ihre Mannen zu einer Räuberbande wurden, da schrumpfte auch der Schnabelschuh zusammen. Kunst, Bildung und Wissenschaft kam in die Hände der Bürger, welche sie mit hausbackner Nüchternheit und nach Nützlichkeitsrücksichten trieben. Da verwandelte sich der ritterliche kühne Schnabelschuh in ein Ochsenmaul oder eine Bärentatze oder einen Entenschnabel, wie man die Schuhe nannte, die vorn mit einem unschönen Wulst, endigten. Dieser Schuh ist das Symbol der Plattheit und Plumpheit des engherzigen Spießbürgers, denn das Ochsenmaul, von Leder, Zeug und Eisen gemacht, mußte hinten ganz eng und spitz, vorn ganz breit sein, wobei man durch Ausstopfen nachhalf, um auf einen, „großen Fuße leben zu können.“ Doch bald ward dieser übermüthig, üppig, luxuriös, brachte die bis zum Knie reichenden Pluderhosen auf, zu denen mitunter 200 Ellen Zeug verwandt wurden, trug einen Wamms mit Puffärmeln
und versah auch die Schuhe mit
Schlitzen und Puffen, Stickerei
und Zierrath, bis auch hiergegen
Polizei und Geistlichkeit sich erhoben,
da man auf die Puffschuhe
oft noch Hörner setzte. Sogar
Frauenpantoffeln mit hoher
schlittschuhartiger Sohle durften
nicht ohne die beliebten Puffen sein.
In Italien trugen die Frauen bei kurzen Röcken spannhohe gestickte Kothurne oder Stolperschuhe oder auch Pantoffeln, die auf einem drei Fuß hohen breiten Stelzenabsatz ruhten, der unter der Mitte der Sohle stand, so daß mancher junger Ehemann seine hochgewachsene Braut sich in eine kleine Frau verwandeln sah. Griechinnen trugen gar zwei schmale Brettchen als Stelzen unter jedem Schuh.
Das phantastische Mittelalter mit seinen spitzen Thürmen und zierlichen Erkern an den Giebeln fand sein Abbild in den Schnabel- und Puffschuhen, die solidere bürgerliche Periode der Innungen schafft den bequemeren Schuh, verfertigt ihn aus Leder und versucht während des dreißigjährigen Krieges den ersten Stiefel, den wallensteiner oder schwedischen Stiefel. Vom Knöchel ab reichte er trichterförmig bis zur halben Wade, indem er kühn und verwegen um den Fuß sich rundete und gewaltige Sporen trug. Stutzer faßten den obern Rand mit Spitzen und Borden ein. Später artete er zum Stülp-, Kanonen- und Wasserstiefel aus. Nach dem dreißigjährigen Kriege kehrte man zum Lederschuh zurück, den man mit einer Schnalle oder Bandrose zierte. Als aber die Zopfperiode des absoluten Königsthums begann, der Rococco- oder Renaissancestyl, der die Natur zur Karrikatur verzerrte, als bei Männern lange, zottige Perrücken, bei Frauen thurmhohe Frisuren, als Reifröcke, Schönpflästerchen, Brocatwesten, gekräuselte Busenstreifen, Schnürbrüste und dergleichen Marterwerkzeuge Mode wurden, machte man auch aus dem Schuh eine Karrikatur, eine Mißhandlung der Natur.
Es wurde der Steckelschuh getragen, auf dessen schmales Oberleder goldene Figuren gepreßt waren, und unter den schwarzen Schuh setzte man einen zollhohen, rothen, hölzernen oder mit Leder überzogenen Absatz, der nicht unter der Hacke, sondern unter der Höhlung des Fußes stand. Dieser Unform mußten sich sogar die Galloschen fügen, die in einem pferdehufartigen Futteral der Zehen bestanden, und durch einen Riemen hinter der Ferse befestigt wurden. Aber nur der vornehmen Welt war es erlaubt, solche unbequeme Schuhe zu Kniehosen und Frack zu tragen, der seinen Ursprung unzüchtiger Geilheit französischer Maitressen verdankt. Der ehrsame Bürger ging in Schnallenschuhen, langem Rock und Kniehosen.
Die Revolution endlich schaffte der Natur wieder ihr Recht, stellte Sitte und Staat auf naturgemäße Grundlagen, beseitigte Puder und Perrücke, ließ das natürliche Haar wachsen, entfernte sinnlose Privilegien, schnitt die Zöpfe ab, hob die Leibeigenschaft auf, erkannte dem Talent und dem Verdienst das Vorrecht vor Geburtsadel an, und machte den Stiefel zur Fußbekleidung des Mannes, wobei sie ihn der Natur des Fußes anpaßte, und Bequemlichkeit neben [576] Zweckmäßigkeit als Gesetz anerkannte. Die Wichse verlieh ihm eine Eleganz, die sich auch der Aermere verschaffen kann.
Auf langen Umwegen kam die Weltgeschichte von der rohen Thierhautsohle zum zierlichen Stiefel, der in mannigfachen Formen dargestellt wird. Die klassischen Alten kennen nur die Sohle und Lappenschuhe, ein Schuhmacherladen unserer Zeit zeigt, wie erfindungsreicher und schöpferischer unsere Völker sind. Da stehen Wasser-, Stülp-, Tanz-, Gehstiefeln, Morgenstiefelchen, Corduan- und lackirte Stiefeln, Stiefeletten, nicht minder eine Reihe verschiedener Schuhe und Pantoffeln. Da uns aber der Stiefel ein Neuling ist, so heißen unsere Fußbekleidungsfabrikanten Schuhmacher, wogegen der Franzose sie Stiefelmacher nennt. Frauen, viel empfänglicher für mittelalterliche Phantastik und zierlichen Rococco, haben den Schuh beibehalten, wogegen der Mann sein Streben nach Fortschritt dadurch bekundet, daß er Stiefeln trägt.
Hiermit glauben wir unsere Überschrift gerechtfertigt zu haben, da sich an scheinbar Gleichgültigem die Umwandlungen der Weltgeschichte nachweisen lassen; denn Sitte und Gewohnheit haben ihre tieferen Gründe. An einer Schuh- und Stiefelsammlung könnte man die Weltgeschichte und die Sinnesart der Völker demonstriren. Daher sollten Alterthumssammler jenen Resten von Fußbekleidung, die nutzlos auf Düngerhaufen zu verkommen pflegen, ihre Aufmerksamkeit zuwenden, weil solche Dinge später lebenden Gelehrten reichen Stoff zu Unterhaltungen, Streitschriften, und akademischen Preisfragen geben können.