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Die Wandlungen des Jagdrechts

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Textdaten
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Autor: Fr. Helbig
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Titel: Die Wandlungen des Jagdrechts
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aus: Die Gartenlaube, Heft 39, S. 647–650
Herausgeber: Ernst Ziel
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Erscheinungsdatum: 1881
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Die Wandlungen des Jagdrechts.

Zur Geschichte edlen Waidwerks.

In der geschichtlichen Wandlung und Entwickelung des deutschen Jagdrechts begegnen wir dem uralten Kampfe zwischen der Satzung des Naturrechts und des Menschenrechts, des Rechts, wie es im Bewußtsein des Volkes lebt, und des künstlich gewordenen Rechts, das berufen ist, das Interesse einer einzelnen Classe zu schützen, einer Classe, welche gleichzeitig auch das Privileg der Macht für sich hat. So wird die Geschichte des Jagdrechts gleichzeitig eine Geschichte der Revolution, des Classenhasses, der socialen Bewegung im engeren Sinne.

Mit dramatischer Schärfe und in packender Verkörperung hat der bekannte Historienmaler W. Räuber in seinem, diesem Artikel beigegebenen Bilde eine Phase der Entwicklungsgeschichte dieses Rechts zur Anschauung gebracht, in welcher die Gegensätze in höchster Steigerung neben einander gestellt sind. Die beiden äußersten Stände in der gesellschaftlichen Stufenleiter des späteren Mittelalters, zwischen denen jener Kampf ausgekämpft wird, der Stand des Bauern und der des Adels, treten hier in drastische Berührung, bei welcher die ganze Ohnmacht und Schutzlosigkeit des ersteren und die volle Macht und herrische Willkür des anderen körperlich zur Erscheinung kommen. Gnad- und schonungslos jagt in toller Parforcejagd die wilde Hunde- und Menschenmeute zerstörend über das Eigen des Landmannes dahin, das dieser durch harte Arbeit zu einem zinstragenden Capitale für sich und die Seinen gewandelt hat. Im Gefühle seiner Ohnmacht beugt er nicht nur den Rücken vor den Hufen des Rosses und vor der geschwungenen Reitgerte der vornehmen Herrin, sondern er verstärkt dieses Gefühl auch noch durch den unterthänigen Gruß mit der Mütze, zu dem er sich mitten in der Herbigkeit der Situation anschickt. Die Bäuerin aber hat gegen die gewaltsame Zerstörung ihres mit pflegender Hand großgezogenen Kleinodgärtchens nur Töne der Klage und des Jammers. Es ist, als ob inmitten dieser Flucht der Empfindung und des Mitleids nur Einem aus dieser Gruppe das Gefühl für das begangene Unrecht nicht abhanden gekommen sei: dem sich gegen den Niederritt des Zaunes wild aufbäumenden Rosse des einen der Reiter.

Gerade in jener Zeit nach dem Dreißigjährigen Kriege, auf [648] welchen die Costümirung der Figuren unseres Bildes hinweist, war der geschichtliche Moment eingetreten, wo das Recht der Ausübung des edlen Waidwerks zu einem Hoheitsrechte des Landesherrn gestempelt wurde, zu einem von diesem wieder an den höchsten Stand, den Stand des Adels, verliehenen Privileg. Es hatte lange gedauert, bis es dahin kam; denn das öffentliche Rechtsgefühl kämpfte beständig gegen diese Monpolisirung an. Im Rechtsbewußtsekn des Volkes hat darum auch diese Auffassung nie Platz gegriffen. Dort galt ein anderes Gesetz.

Nach uralten germanischen Rechtsbegriffen war nämlich Wald, Weide und Wasser Gemeingut. „Jagd und Wasser,“ lehrte ein alter Rechtsspruch, „sind gemein.“ Jeder freie Mann, der da Waffen tragen durfte, sollte auch das Recht haben, diese zu gebrauchen im Kriege des Friedens, das heißt in der Jagd gegen alles, was da kreucht und fleucht. Die Jagd war gewissermaßen die Kriegsschule in der Zeit des Friedens. Mit ihr schloß in der germanischen Urzeit neben Spiel, Gelage und dem Rathe der Gemeinde der Kreis der Lebensthätigkeit des Mannes ab. „Es soll jedes Wild in dem Rechte desjenigen sein, in dessen Gewalt es ist – wer die Vögel fängt, deß sind sie.“ So lautete die Norm des alten Rechts.

Mit dem Uebergange von Grund und Boden aus dem Eigenthum der Gesammtgemeinde in das Eigenthum des Einzelnen wuchs die Ausübung und Pflege des Waidwerks naturgemäß zusammen mit dem Besitze des Revieres, auf dem das Wild lebte und sich bewegte. Bald aber begann die Umwandlung des Naturwaldes in den Culturwald, den Forst. Diese forstliche Pflege, welche der Staat in seine Hände nahm, erstreckte sich aber nicht blos auf die Bäume, auf die pflanzlichen Nutzungen des Waldes, sondern auch auf das Wild. Man umgab dasselbe mit einem gesetzlichen Banne, dem Wildbanne, und entzog es damit sowohl dem allgemeinen Angriffe, wie dem des einzelnen Grundbesitzers. So wurde das Jagdrecht aus dem Zusammenhange mit dem Grund und Boden wieder gewaltsam herausgerissen und zu einem besonders verleihbaren Rechte des Königs gestempelt, von dem es dann wieder an die kleineren Territorialherren, an geistliche Stifte, Klöster und Reichsritter vergeben wurde.

Selbst die Aufnahme des römischen Rechts, welches in dem Grundsatze, daß das wilde Thier dem gehöre, der sich seiner zuerst bemächtigt, auf die altgermanische Rechtsanschauung zurückging, vermochte den Gang der geschichtlichen Entwickelung nach jener Richtung hin nicht zu durchbrechen. Weil es nur der hohe Adel war, der mit dem Wildbanne belehnt wurde, so hieß es im Volke nicht ohne ironisirenden Beigeschmack: „Wo Edelleute sind, da sind auch Hasen.“

Mit der Erstarkung der Landeshoheit wurde dagegen die hohe Jagd das alleinige Vorrecht des Landesherrn und damit der Wildbann des Adels wieder eingeschränkt. Man brachte das Recht der Ausübung der hohen Jagd gleichzeitig in Verbindung mit dem allein dem Landesherrn zustehenden Rechte der Ausübung der peinlichen Gerichtsbarkeit („an Hals und Hand“).

„Wohin der Hirsch mit dem Fange,
Dahin gehört der Dieb mit dem Strange.“

So gelangte das Leben des Edelwildes in dieselbe Werthclasse mit dem Leben des Menschen, und im Laufe der Zeit sollte sein Werth sich sogar noch darüber hinaus erhöhen.

Auch bei der niederen Jagd nahm der Landesfürst die Vor- und Mitjagd in Anspruch. So kam in die Rechtsbücher die Lehre von der Existenz eines landesherrlichen Jagdregals; das gemeine Rechtsgefühl des Volkes aber hielt mit altgermanischer Zähigkeit an dem Grundsatze fest, daß Jagd und Wald ein freies Eigen seien. Sobald nun in der Geschichte der socialen Entwickelung ein Druck von unten nach oben stattfand, trat auch der zurückgedrängte Gedanke der Jagdfreiheit wieder in den Vordergrund. Schon im dreizehnten Jahrhundert findet er einen Ausdruck in Freidank’s Bescheidenheit, einem bekannten mittelalterlichen hochdeutschen Spruchgedichte, in dem es heißt:

„Die Fürsten zwingen mit Gewalt
Fels, Stein, Wasser und Wald;
Dazu nehmen sie die Thiere wild und zahm,
Und machten’s auch so mit der Luft gern allsam,
Die muß uns, aber doch gemeinsam sein.
Könnten sie uns auch den Sonnenschein
Verbieten, nicht minder Wind und Regen,
Man müßt ihnen den Zins auf Gold abwägen.“

Als gegen das Ende des fünfzehnten und im Beginne des sechszehnten Jahrhunderts die Bauern sich überall gegen die Herren gewaltsam erhoben, bildete der auf ihnen lastende Jagddruck eines der Hauptmotive ihrer socialen Unzufriedenheit, und in den zwölf Artikeln, in denen sie ihre Forderungen zusammengestellt hatten, stand der Anspruch, daß sie wieder mit den Fürsten Wald und Wasser gemeinsam haben wollten, daß Wild, Vogel, Fisch und Holz frei sein sollten, obenan.

Je erbitterter aber der Kampf geführt wurde, um so mehr bewegte er sich auf beiden Seiten in’s Maßlose. Auf der einen Seite wurde der Wildbann, die Jagdschranke, auf alles Wild, außer den Vögeln und Bienen, ausgedehnt, zuletzt aber auch der Vogelfang, die Anlegung eines Vogelherds, zu einem Vorrechte des Adels gemacht, und nur die Sorge um das lohnendere Wild schloß gemeinschädliche und werthlosere Thiere wie Füchse, Wölfe, Bären von dem Wildbanne aus. Als eine nothwendige Folge des Jagdrechts erschien dann auch das Recht des Hegens, der jagdmäßigen Pflege des Wilds. „Wer darf jagen, der darf auch hagen.“

Damit aber gesellte sich zu dem verletzten Rechtsgefühle für den Bauer, den Proletarier des Mittelalters, noch die Zufügung eines materiellen Schadens. Man verbot ihm nicht blos die Vernichtung, die Abwehr des Wildes von und auf seinem Eigen; man verpflichtete ihn auch noch, sein Wirthschaftssystem zu Gunsten der Wildpflege einzurichten, verbot ihm z. B., um das Gedeihen der jungen Hasen- und Hühnerbrut nicht zu stören, das Jäten und Aufhacken des Ackers, das Heuen und Stoppeln, ja, damit der Wohlgeschmack der Rebhühner nicht leide, das Düngen der Aecker mit gemeinem Dünger; man zwang ihn endlich zu Frohndiensten bei der Hetze und Suche des Wildes.

In Folge dieser Hegung nahm auch der Wildstand eine ungewöhnliche Ausdehnung an. Man hat nachgezählt, daß unter der Regierung des Kurfürsten Johann Friedrich von Sachsen unter Einrechnung der Bären und Wölfe allein 800,000 Stück Wild im Lande Sachsen erlegt worden sind, und nach den eigenen Jagdtagebüchern des Kurfürsten Johann Georg des Ersten von Sachsen wurden in den Jahren 1611 bis 1653 in Summa 113,629 Stück Wild erlegt, unter denen sich allein 28,000 wilde Schweine befunden haben. Gerade die Wildsau war aber das dem bestellten Felde gefährlichste Thier; denn der Einbruch eines einzigen Rudels in ein Saatfeld konnte in einer Nacht die Resultate der mühevollen Arbeit eines ganzen Sommers vernichten.

Unter solchen Umständen bildeten auch beim seligen Reichskammergericht die Processe wegen Wildschadens eine stehende Rubrik.

„Der Wohlstand des Wildes,“ heißt es in Weber’s „Demokrit“, „wurde höher geachtet, als der Wohlstand des Volkes. Menschen hatten,“ fährt der rücksichtslose Satiriker fort, „durch den fleißigen Anbau ihrer Erde Hirsche und Schweine verscheucht, den Ur, Eber, Bär und Wolf nach dem hohen Norden getrieben; jetzt vertreiben Hirsche und Schweine den Menschen in die freien Wälder Amerikas.“

In der That, war gerade im achtzehnten Jahrhlmdert zu Zeiten jener Versailler Hofwirthschaft, wie sie auch an den kleinen deutschen Höfen nachgeäfft wurde, der Jagdsport, um ein modernes Wort zu gebrauchen, am stärksten in Uebung. Er wurde, wie aus der Schilderung der damaligen Jagdfeste hervorgeht, mit dem größten Luxus und oft mit einem Raffinement betrieben, von dem wir heute kaum noch eine Vorstellung haben. An jenem Feste, das der Herzog Karl von Württemberg im Jahre 1782 zu Ehren seines Gastes, des russischen Thronfolgers, Großfürst Paul, gab und das dem Regimentsmedicus Friedrich Schiller die Gelegenheit bot, den bedrückenden Banden der Karls-Schule und des Gamaschendienstes zu entfliehen – an diesem Feste wurden aus allen Forstrevieren des Landes gegen 6000 Hirsche nach dem herzoglichen Lustschloß Solitüde getrieben, wo ein lebendiger Zaun aufgebotener Bauern ihren Durchbruch verhinderte. Dort sollten sie, nach dem Festprogramm, alle auf eine Anhöhe getrieben und von da gezwungen werden, sich in einen See zu stürzen. Ein im See aufgebauter Pavillon aber bildete den Schießstand der fürstlichen Schützen.

So wurde das arme gehetzte Wild zwischen die Alternative des Feuer- oder des Wassertodes gestellt. Selbst russischen Nerven schien das zuviel; denn man sagt, der Großfürst habe sich unwillig abgewandt und keinen Schuß gethan.

Gegen diesen Druck von oben, in der maßlosen Ausbeutung des Jagdrechts, erfolgte nun ein Druck von unten. Da der in

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Eine Herrenjagd im siebenzehnten Jahrhundert.
Nach dem Oelgemälde von W. Räuber.

[650] seinem Eigenrechte gekränkte Landmann keinen gesetzlichen Schutz fand, so griff er zur Selbsthülfe und begann den Vernichtungskampf wider die Feinde und Schädiger seines Eigenthums auf eigene Faust. Er griff nach dem Gewehre und wurde unter dem Schutze des Waldes und der Nacht zum Wilderer.

Im Rechtsgefühl des Volkes hat das Verbrecherische der Wilddieberei nie Anerkennung gefunden. Ihm galt das Wildern immer nur als die Ausübung eines ureigenen, unrechtmäßiger Weise verkümmerten Rechts, als ein Act der Nothwehr wider einen rechtlosen Eingriff in die Sphäre des eigenen Rechts. Am schlagendsten wird dies documentirt durch die Geschichte des Meisters aller Wilddiebe, jenes zu einer historischen Berühmtheit aufgebauschten baierischen Hiesel (Matthias Klostermaier); denn er konnte nur deshalb allen Anstrengungen der Forst- und Polizeibehörden, seiner habhaft zu werden, Jahrzehnte lang trotzen, weil er im Schooße der Landbevölkerung die lebhafteste Unterstützung fand. Er galt als der heldenhafte Vollstrecker eines dem Volke selbst versagten Rechts; das Volk nahm auch keinen Anstand, diesen Wilderer in Wort und Lied zu feiern und ihm einen wahren Cultus der Verehrung zu weihen. Ein in ganz Altbaiern zu jener Zeit gesungenes Lied preist ihn als den „Fürst der Wälder, dessen Reich so weit gehe, als der Himmel blau ist“; denn das Wild „auf weiter Erde sei freies Eigenthum“; das Lied läßt ihn von sich sagen:

„Die Bauern geb’n mir z’ essen,
Und wenn ich’s brauch, noch Geld;
Drum thu ich d’ Felder schützen
Mit meinen tapfern Leut.“

Dieser gewaltthätige, auch hier in’s Maßlose sich steigernde Widerstand rief nun wieder eine um so stärkere Reaction der staatlichen Macht hervor. Es entstanden die Strafgesetze gegen die Wilddieberei, aber längere Zeit hinderte noch die Scheu vor dem tiefgewurzelten Rechtsbegriffe im Volke ein peinliches Einschreiten. „Da Gott den Menschen schuf, da gab er ihm Gewalt über Fische und Vögel und alle wilde Thiere. Darum haben wir es von Gott beurkundet, daß Niemand seinen Leib und seine Gesundheit um dieser Dinge willen verwirken mag,“ hieß es noch im Rechtsbuche des Sachsenspiegels, und es erging dort noch ausdrücklich das Verbot, daß „Jemand während des Kornes Reife die Saat durch Jagen oder Hetzen betrete.“

Auch die peinliche Halsgerichtsordnung Karl’s des Fünften zählt den Wilddiebstahl nicht unter die Verbrechen. War es doch für den Rechtsgelehrten überhaupt schwierig, den Begriff des gemeinen Diebstahls auf das Wildern zu übertragen, da, solange das Wild frei im Walde lebte, ein Besitz oder Gewahrsam desselben juristisch nicht festzustellen war. Man mußte deshalb zu besondern Ausnahmegesetzen greifen, und daran ließen es die Herren der Particularstaaten nicht fehlen. Ja, sie griffen, z. B. wenn sie ertappte Wilderer auf Hirsche binden und den furchtbaren Todesritt reiten ließen, zu eigenmächtiger Selbsthülfe. Auch sonst ging durch diese Wilddiebgesetze der Zug erbitterter Grausamkeit.

So gebot Herzog Ulrich von Württemberg 1517, daß den Wilddieben beide Augen ausgestochen werden sollten. Von einem Erzbischof Michael in Salzburg heißt es ferner, daß er 1517 einen Bauern, der einen seinen Aeckern verderblichen Hirsch erlegt hatte, in die Haut des Thieres einnähen und auf offenem Markte von den Hunden habe zerreißen lassen, und noch im Jahre 1772 wurde in diesem vom geistlichen Jagdsport besonders heimgesuchten Ländchen das alte Gesetz erneuert: „Wer einen Steinbock tödtet oder verwundet, kommt zehn Jahre auf die Veste und erhält am Jahrestage der That fünfzig Prügel; im Wiederholungsfalle verliert er die rechte Hand und kommt Zeitlebens um die Freiheit.“ Der im Waldreviere auf offener That ertappte Wilderer hatte vor dem Schusse des angestellten Jägers keinen größeren Schutz als das Wild selbst. Er war vogelfrei. So herrschte im Reviere des deutschen Waldes das Standrecht.

In anderer Weise nahm die Phantasie des Volkes, da dieses keinen irdischen Richter für den ihm nach seinem Rechtsgefühle zugefügten Schaden fand, gleichsam Zuflucht zur überirdischen Gerechtigkeit. Sie heftete an den Leib des tollen unersättlichen Nimrod den Fluch des Ahasver, die peinvolle Strafe ewiger Ruhelosigkeit und versetzte den Peiniger des armen Bauern nach seinem Tode unter die finstere Schaar des wüthenden Heeres, der wilden Jagd, welche noch von Wuotan’s Zeiten her rastlos mit furchtbarem Rüdenlärm durch die Wälder dahinbraust. Als der hervorragendsten Einer in der wilden Rotte galt der Oberjägermeister des Herzogs von Braunschweig, jener Hans von Hackelberg, von dem das Volk sich erzählte, er wäre der Lust des edlen Waidwerks so tief ergeben gewesen, daß er, von einem wüthenden Eber zu Tode getroffen, dem Priester, der ihn zu Gebet und Buße ermahnte, geantwortet habe:

„Wenn mir die Jagd nur bliebe, möchte unser Herrgott seinen Himmel schon behalten, wonach der fromme Mann sich entsetzt von ihm gewandt und ihm zugerufen habe:

„So jage denn, jage bis zum jüngsten Tage!“

Von einem Anderen, dem Wild- und Rauhgrafen, ging die Sage, er habe selbst am Sonntage, als die Glocken zur Kirche riefen, mit seinem wilden Trosse und der kläffenden Meute einen Hirsch gehetzt, habe in der tollen Hatz die Halme des Feldes, den Hirt und die Heerde und zuletzt selbst die Hütte des frommen Waldklausners zerstampft, bis ihm die Donnerstimme des Himmels ein mächtiges Halt geboten und ihn den Mächten der Hölle zur ewigen Pein überliefert habe. Nun rauscht ihm, wie es in Bürger’s Ballade heißt, durch die ganze weite Welt bellend die Hölle nach:

„Bei Tag tief durch der Erde Klüfte,
Und Mitternachts hoch durch die Lüfte.“

Es ist bekannt, wie in dem achtundvierziger Revolutionsjahre das alte Rechtsbewußtsein von der Freiheit des Waldes und der Jagd wieder zum gewaltsamen Durchbruche kam und dabei zu jener grausamen, planlosen Verwüstung des Wildstandes führte, von deren Folgen dieser sich nie wieder erholte. Es war dies eben nichts weiter, als der alte „Krieg um den Wald“, wie ihn Riehl nennt, „der sich in allen Jahrhunderten unserer Geschichte wiederholt“.

Diese gewaltsame Selbsthülfe führte indeß dahin, daß das Hoheitsrecht der Jagd verschwand und der alte erbitterte Streit insoweit eine naturgemäße Lösung fand, als das Jagdrecht nun wieder in Zusammenhang mit dem Eigenthumsrecht am Grund und Boden gebracht wurde; denn eine Rückkehr zu dem altgermanischen kommunistischen Gedanken des Gesammteigenthums an Wald, Wasser und Weide wäre heutzutage nicht durchzuführen; es setzt dies so einfache Verhältnisse voraus, wie sie heute nicht mehr bestehen.

Aber eine heilsame Wirkung hatte dennoch die Aufhebung des alten Rechts, durch welche der Mitgenuß des Einzelnen an Wald, Weide und Wasser geschmälert wurde; die neueste Regelung des Jagdrechts ließ den Gedanken der Besitzlosigkeit nicht aufkommen, und dieser ist es vor Allem, der unsern heutigen Socialismus erzeugt hat und ihm fort und fort neue Nahrung gab.

Fr. Helbig.