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Die Vogelwarte Helgoland

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Textdaten
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Autor: Kurt Lampert
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Titel: Die Vogelwarte Helgoland
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 12, S. 191–192
Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1897
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Die Vogelwarte Helgoland.

Die Zeitungen haben vor kurzem den am 1.Januar 1897 erfolgten Tod des Marinemalers und ehemaligen britischen Regierungssekretärs Heinrich Gätke auf Helgoland gemeldet. 1814 in Pritzwalk geboren, kam Gätke als 23jähriger junger Mann nach Helgoland; und der Zauber des einsamen Nordseefelsens gab ihn nicht mehr frei; als 83jähriger Greis hat er hier auch sein Grab gefunden. Viele Besucher der Insel werden sich des prächtigen Kopfes mit langem weißen Barte erinnern und mancher wird gewiß auch hinaufgestiegen sein ins Oberland, um im gemütlichen Atelier mit dem liebenswürdigen alten Herrn eine Stunde zu verplaudern. Besonders Zoologen sah sein gastliches Heim, denn, so ansprechende Marinebilder auch sein Pinsel schuf, weit bekannter ist Gätke als Vogelkenner geworden. Seine Heimat machte ihn zum Gelehrten; ganz einzigartig ist ja in ornithologischer Beziehung der rote Felsen Helgolands.

Nur fünf Vogelarten nisten und brüten auf Helgoland, aber über die kleine Insel geht der Vogelzug, der jährlich die leichtbeschwingten Wanderer der Lüfte vom Norden in das mildere Klima des Südens führt und später wieder zurück in die nördlichere Heimat. Tausende und aber Tausende von Vögeln berühren zu kurzer Rast, die oft nur einige Stunden der Nacht dauert, das kleine Eiland, und zu den Arten, die regelmäßig im Hin- und Rückzug ihren Weg über Helgoland nehmen, gesellt sich manch seltener Fremdling, den ein Zufall, widrige Winde oder Ermattung nach Helgoland verschlugen. Auf dem roten Felsen des deutschen Meeres treffen Vögel zusammen, deren Heimat in verschiedenen Weltteilen liegt, die Hunderte von Seemeilen geflogen sind, bis sie auf ihrer Reise diesen Rast- und Ruhepunkt erreicht haben. Europa und Afrika, Amerika und Asien senden Kinder ihrer Zonen nach dem Felsbrocken der Nordsee. Schon vor Jahrzehnten schrieb Oetker: „Hier sind die Schneeammer aus dem eisigsten Norden und der Jungfernkranich aus dem heißen Numidien, der virginische Regenpfeifer aus Amerika und der Regenpfeifer aus Hinterindien in geringer Nähe bei einander getroffen worden, die kleine schwarzgraue Drossel aus den Urwäldern Amerikas und die große halbmondfleckige Drossel des Himalaya, der prächtige Bienenfresser Afrikas und das reizende Blaukehlchen Sibiriens, die Kappenammer des Orients und die Lapplandsammer des Polarkreises wurden auf einem Raum getroffen, der noch nicht den hundertsten Teil einer Geviertmeile ausmacht; die Seeschwalben des Kaspischen Meeres und der persischen Gewässer hat man auf derselben Stelle gesehen, wo die Eisenten Spitzbergens und die Möwen Grönlands sich tummeln.

Es ist das große Verdienst Gätkes, diese Bedeutung Helgolands als „Vogelwarte“ wissenschaftlich festgelegt zu haben. Tage und Nächte opferte er durch Jahrzehnte hindurch seinen Studien, sein scharfes Auge schweifte beobachtend hinaus über die Klippe zum Meer, und was ihm begehrenswert däuchte unter der Schar der gefiederten Gäste, das erreichte die sichere Büchse, und die kunstgeübte Hand stopfte [192] die erlegte Beute aus und schuf im Lauf der Jahre eine der interessantesten und wissenschaftlich bedeutendsten Vogelsammlungen, die es giebt. Im regen Verkehr Gätkes mit den bedeutendsten Ornithologen der Gegenwart, die oft auch seine Sammlung besichtigten, wurde zugleich die unbedingte Zuverlässigkeit seiner Beobachtungen wissenschaftlich festgestellt. Außer den erwähnten 5 Brutvögeln konnte Gätke nicht weniger als 391 Arten als Gäste seiner Heimat beobachten. Aber nicht nur ihr Vorkommen wies der eifrige Forscher nach, sondern in unermüdlichem systematischen Studium des Vogelzugs machte er die wichtigsten Beobachtungen über die Richtung und Höhe, über die Schnelligkeit und über die meteorologischen Beeinflussungen desselben.

Heinrich Gätke.

So brachte er vielfach Licht in die Erkenntnis dieser merkwürdigen Wanderungen, die jährlich unzählige Vögel Hunderte und Tausende von Meilen über Land und Meer in sicherem Flug in die Ferne führen.

Es war Gätke vergönnt, seine in einem langen Leben gewonnenen Erfahrungen auch von der wissenschaftlichen Welt nach Gebühr anerkannt zu sehen. In den von Professor R. Blasius unter dem Titel „Die Vogelwarte Helgoland“ im Verlage von Joh. Heinr. Meyer in Braunschweig herausgegebenen Aufzeichnungen Gätkes ist der ornithologischen Litteratur ein ganz hervorragendes Werk beschert worden.

Mit dem Uebergang Helgolands an Deutschland erkannte es das Reich als Ehrenpflicht, auch die Sammlung Gätkes sich zu sichern, für deren Ueberführung nach England demselben bereits die Mittel zur Verfügung gestellt waren. Wohl ließen sich anfangs nicht die richtigen Räume zu einer würdigen Ausstellung der Sammlung finden, und den alten Herrn, der mit der Hergabe seiner Sammlung sich von einem Stück seines Lebensinhalts loslöste, beschlich manchmal ein pessimistisches Gefühl über die Zukunft derselben, allein die letzten Wochen haben die Gewißheit gebracht, daß der vom Deutschen Reich geschaffenen, ständig an Bedeutung wachsenden Biologischen Station auf Helgoland sich nunmehr auch dank einer hochherzigen Stiftung und dem Entgegenkommen der Helgoländer, ein Nordsee-Museum angliedern wird.

In ihm wird dann auch die Vogelsammlung Gätkes Aufstellung finden, ein würdiges Denkmal für den Mann, den ein glücklicher Zufall nach Helgoland führte und den dann Liebe zur Natur und scharfe Beobachtungsgabe zu einem einzigartigen Kenner der Vogelwelt seiner Adoptivheimat machte, aber auch ein Zeichen zugleich, daß die dreifarbige Insel nicht nur ein Bollwerk deutscher Kriegsmacht sein soll, sondern auch eine Pflegestätte deutscher Wissenschaft in deutschem Meere!

Dr. Kurt Lampert.