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Die Vogelberge

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Autor: Alfred Brehm
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Titel: Die Vogelberge
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aus: Die Gartenlaube, Heft 1, S. 12–15
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1861
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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[12]
Aus dem Norden.
Von Brehm.
II. Die Vogelberge.

Der hauptsächlichste Zweck meiner Reise in Norwegen war, einmal mit eigenen Augen das Leben der Seevögel und zwar während der Brutzeit zu beobachten. Mit Ausnahme der Alken waren die übrigen Schwimmwögel, welche ich zu finden hoffen durfte, sämmtlich alte Bekannte von mir. Schon in Afrika und später in Spanien hatte ich sie in ihrer Winterherberge beobachtet und mich ziemlich vertraut mit ihnen gemacht; allein von ihrem Zusammenleben während der Brutzeit wußte ich noch so viel als gar Nichts, trotz aller der trefflichen Schilderungen, welche ich davon gelesen hatte. Denn Derjenige, welcher sich mit einer Sache ausschließlich beschäftigt, verlangt natürlich sie gründlich kennen zu lernen: er verlangt, wenn es irgend angeht, mit eigenen Augen

[13]

Der Vogelberg, mittlere Ryke, in Vesteraalen (Norwegen).
Teisten.       Scharbe.       Lummen.       Lunde.       Möve.       Alk.

[14] zu sehen, mit eigenen Sinnen sich zu überzeugen. Das, was ich sehen wollte, konnte das geschriebene Wort nur unmöglich so treu vor die geistigen Augen bringen, als ich es wünschte, und ebenso wenig werde ich im Stande sein, das, was ich gesehen habe, Anderen deutlich zu beschreiben.

Alle Naturforscher sind Weltbürger und befreunden sich augenblicklich mit anderen Gesinnungsgenossen. So bedurfte auch ich keiner besondern Empfehlung, um bei meiner Ankunft in Norwegen die geeigneten Leute zu finden, welche mir die nöthigen Weisungen geben konnten. Ich erfuhr, daß ich zahlreiche Brutansiedelungen der Alken in Vesteraalen, einem Theile der Lofoten, und zwar unweit der großen Insel Langenö finden werde. Man beschrieb mir Weg und Steg genau, gab mir sogar die nöthigen Dampfschiffhaltestellen, Höfe und Leute mit Namen an, schrieb mir die ausführlichsten Angaben nieder und setzte mich somit in den Stand, ohne vorher lange suchen zu müssen, gleich zur rechten Stelle zu gelangen. So reiste ich denn von Christiania in Begleitung eines jungen, frischen, muntern und sprachkundigen Mannes, des Sohnes meines Freundes Berghaus, ab, steuerte mit kleinen Unterbrechungen gerade auf mein Ziel los und gelangte, da ich mich zeitig genug ausgemacht hatte, auch noch rechtzeitig dort an. Ich muß mir die Beschreibung meiner Reise noch aufsparen und meinen Leser bitten, sich mit mir sogleich auf die Insel Langenö zu versetzen.

Am 22. Juni Morgens verließen wir in einem von drei Männern geruderten Boote den freundlichen Hof Stene und steuerten durch das Gewirr der Schären hindurch in nordöstlicher Richtung längs der Küste unseres Eilandes dahin. Das Wetter war gut, aber wir hatten Gegenwind und dabei Gelegenheit, die Ausdauer von Nordlands Ruderern kennen zu lernen. Sechs Stunden lang arbeiteten unsere Leute ohne jede Unterbrechung stetig fort und bewegten unser Boot mit gleicher Schnelligkeit weiter. Das Meer war heute besonders belebt, da auf einer der Inseln großer Markt gehalten worden war und von dort aus nun die Meilen weit entfernt wohnenden Besucher desselben zurückkehrten. Diese Leute konnten uns jedoch nicht lange beschäftigen, weil wir ganz anders zu thun hatten. Auf allen den tausend Schären, durch welche wir uns hindurchwanden, machte sich ein reges Leben der Seevögel bemerklich, ein Leben, von welchem man sich, so lange man es noch nicht selbst gesehen hat, in der That keinen Begriff machen kann. Einzelne Schären waren weiß übertüncht von dem Kothe der Scharben, welche dort regelmäßig einige Stunden des Tages zubrachten und ließen uns die auf ihnen ruhenden dunklen Vögel schon aus großer Ferne wahrnehmen. Reihenweise geordnet, wie aufgestellte Soldaten, saßen die merkwürdigen Burschen in den allerseltsamsten Stellungen auf ihren Ruhesitzen; die langen Hälse dehnten und reckten sich und die Flügel waren ausgebreitet und wurden bewegt, als ob sich die Thiere gegenseitig Kühlung zufächelten: in Wirklichkeit aber geschah dies blos, um die wohlthuende Wärme der Sonne so recht ausdrücklich genießen zu können. Auf anderen großen Inseln lagen Tausende von Möven und bildeten nun ihrerseits die schimmernde Bedeckung der dunklen Massen; um wieder andere Eilande herum trieben sich Hunderte und andere Hunderte von Eidergänsen, lauter Männchen, denn die Weibchen lagen auf den Inseln über ihren Eiern und die freundlichen Männchen hielten sich so nahe als möglich bei ihren Gattinnen auf. Ab und zu flatterte oder schwamm wohl auch ein Alk vor uns herum; doch waren deren noch immer wenig zu sehen. Einzelne Seeadler zogen über diesem Gewimmel und spähten, ob nicht das Meer hier und dort etwas Genießbares ausgeworfen habe, ohne durch ihr Erscheinen zum Schreckbild für die Brutvögel zu werden, während die herrlichen Jagdedelfalken jedesmal die ganze Vögelwelt in Aufruhr und in die Tiefen des Meeres herabbrachten, sobald sie sich zeigten. Jeder Augenblick brachte eine neue Abwechselung in dasselbe Schauspiel, und immer hatten wir etwas Neues zu beobachten und zu schauen. Ab und zu wurde auch auf die vorüberfliegenden Vögel geschossen, und bald füllte sich unser Boot mit unserer Beute. So entschwand uns die Zeit nur allzu rasch, und wenn uns nicht die Uhr und der Magen daran erinnert hätten, daß wir schon viele Stunden unterwegs waren, würden wir geglaubt haben, nur Minuten auf dem Wasser zugebracht zu haben. Ein vorspringendes Felsenriff von Langenö hatte uns die Nyken – dies ist der Name unserer Vogelberge – bisher verdeckt; wir umfuhren dasselbe und sahen nun drei glockenförmig gestaltete Felseneilande vor uns, welche schroff und steil dem Meere entsteigen und sich bis zu etwa drei- oder vierhundert Fuß über dessen Spiegel erheben. Vom Lande sind sie etwa vier bis fünfhundert Schritte entfernt, ihrerseits aber von einer Menge kleiner Klippen umgeben.

Man kann sich denken, mit welchem Eifer wir auf diese berühmten Berge lossteuerten. Das Fernrohr kam kaum von unsern Augen und doch wollte es uns nicht das Geringste zeigen. Man hatte nicht von Tausenden oder Hunderttausenden von Vögeln gesprochen, welche dort vereinigt sein sollten, sondern mir erzählt, daß die Anzahl der auf zwei jener Berge während einiger Monate hausenden Alken nur nach Millionen zu berechnen sein dürfte, und gleichwohl konnten wir von einer solchen Menge auch in ziemlicher Nähe noch keine Spur entdecken. Ich fing schon an, zweifelhaft zu werden und wurde es immer mehr, je näher ich an den größten der Berge heran kam. Dicht bei jenem sah es allerdings aus, als ob das Meer mit lauter kleinen Pünktchen besät wäre, allein eine ungefähre Schätzung wollte uns gleichwohl nicht von Millionen überzeugen. Schon wollte ich mißmuthig werden, als mir zum Glück noch die Worte meines Rathgebers in Christiania einfielen: „Lassen Sie Sich nicht irre machen, wenn die hinkommen und gar Nichts sehen, denn oft kommt es vor, daß die eine Hälfte der Vögel in ihren Löchern steckt und beinahe die andere im Meere sich auf dem Fischfange befindet.“ Ich vermuthete, daß gerade jetzt eine solche Zeit sein möge, und trieb deshalb zur Eile an. Unser Boot glitt mitten durch die Schaaren der schwimmenden Vögel hindurch, ohne daß wir auch nur einen Versuch gemacht hätten eines einzigen von ihnen habhaft zu wirken. Denn bevor wir jagen durften, mußten wir zunächst Erlaubniß der Besitzer dieser Vogelberge haben. Die betreffenden Leute wohnten in zwei kleinen Gehöften, welche am hintersten Ende einer schmalen und tiefen Bucht gelegen waren, und ertheilten uns, nachdem wir unsere Empfehlungsbriefe abgegeben, diese Erlaubniß sofort.

Das steile Felsengestell der Schären wurde rasch erklettert, obgleich dies eben kein gefahrloses Unternehmen war. Wir befanden uns nun auf dem Brüteplatze. Jetzt lernten wir einsehen, daß man uns nicht getäuscht hatte, daß die Millionen in Wirklichkeit vorhanden waren. Der Felsen war zu zwei Drittel von oben herab mit Torf bedeckt, welcher hier und da dürftig mit Löffelkraut und Gräsern bewachsen war, an den meisten Stellen war die dünne Erdrinde von dem Gestein durchbrochen und dieses bildete wild übereinanderliegende unzählige Höhlen und Löcher, an andern Stellen waren die Felsenwände selbst sehr zerklüftet und zeigten uns Tausende von Ritzen, Spalten und Vertiefungen. Hier wohnten die Vögel und zwar hauptsächlich Lunde oder Meer-Papageien, Alken und Lummen, zu denen sich Scharben und Möven gesellt hatten. Die Torfrinde selbst war überall durchwühlt; es fand sich nicht ein einziges tischgroßes Plätzchen in ihr, welches nicht untergraben gewesen wäre. Unmöglich erscheint es mir, das Schauspiel zu beschreiben, welches sich uns darbot, als das Boot sich nahete und als wir auf dem Berge selbst angekommen waren. Wir hatten es blos mit wenigen Möven zu thun und hörten deshalb kein durchdringendes Geschrei, aber Hundertausende von Augen sahen auf uns nieder. Der ganze Berg wurde lebendig. Aus allen Enden und Ecken, oben, unten, neben, vor, hinter uns, überall wo man die Augen nur hinrichtetete, rutschten und krochen Vögel aus dem Innern der Erde hervor, und einen Augenblick später war der ganze Berg nicht blos mit unzähligen kleinen, weißen Pünktchen betüpfelt sondern auch von einer dunkeln Wolke umgeben, welche, wie die weißen Punkte, aus lauter Vögeln bestand. Jetzt konnte der Berg mit nichts Anderem verglichen werden, als mit einem riesenhaften Bienenstöcke, dem eben ein neuer junger Schwarm entstiegt. Jeder Ritz zeigte einen Bewohner, auf den Seiten, um uns herum, ganz nahe, aus zehn, sechs, vier Schritte saßen sie vor uns paarweise, zu Zehn, zu Hunderten, zu Tausenden. Der Berg war bedeckt mit Vögeln. Man konnte sie sehen in allen Stellungen in nächster Nähe, in der Ferne, im Sitzen, im Liegen, im Laufen; man konnte sie beobachten, studiren, gleichsam sich mit ihnen unterhalten; Tausende kamen, Tausende gingen.

Man begriff nicht, woher sie kamen und wohin sie gingen, obwohl man sah, daß ihre Richtung von oben herab nach dem Meere, oder von dem Meere zu dem Berge ging. Je mehr wir weiter vorwärts kamen, um so mehr wuchs die Anzahl. Das Meer, auf welchem die Menge lag, bedeckte sich, und als wir eben auf [15] dem Gipfel des Berges standen, konnten wir rings um uns herum, von unserer über dreihundert Fuß erhabenen Warte unmöglich entdecken, wo der Schwarm endete, noch wahrnehmen, wo das Meer frei von Vögeln gewesen wäre. Ich versuchte zu spähen und nahm mir ein kleines Quadrat im Meere in das Auge; dasselbe theilte ich wieder in vier andere und begann nun zu zählen. Ich konnte mehr als zweihundert unterscheiden. Das eine Quadrat enthielt also beinahe tausend Vögel; ich hätte aber Tausende solcher Quadrate aneinander setzen können und noch lange nicht mit ihnen den Raum angefüllt, welchen ich von Vögeln bedeckt sah. Es flimmerte, schwirrte, rauschte, schrie, tanzte um uns herum, daß uns fast die Sinne vergingen. Ich schwelgte und verbot zu schießen, aber ich hätte es auch nicht gekonnt, wenn ich nämlich nicht auf die ruhig sitzenden Vögel hätte feuern wollen. Es war ganz unmöglich einen Vogel auf das Korn zu nehmen. Meine lange Lehrzeit als Jäger schien mir heute vergeblich gewesen zu sein. Ich glaubte erst lernen zu müssen. Die ganze Masse war im höchsten Grade aufgeregt, aber nicht scheu; viele ließen uns so nahe an sich heran kommen, daß ich meinte sie mit meinem Stocke erschlagen zu können; – scheu waren nur die Möven und Scharben. So konnte ich denn studiren und sehen, wie steif und kalt auch unsere besten Abbildungen sind. Hier zeigte sich mir die Schönheit, der Reiz des Gebens in jeder Bewegung. Die so steif erscheinenden Alken saßen nicht einen einzigen Augenblick lang ruhig, sondern bewegten wenigstens den Kopf und Hals nach allen Seiten hin ohne Unterlaß und gewannen hierdurch unglaublich, weil ihre Umrisse nun wahrhaft künstlerische Linien bildeten. Namentlich vor- und rückwärts beugten sie sich häufig, gerade als wollten sie wittern oder sichern. Die Lunde saßen ruhig, doch war auch bei ihnen der eigenthümliche Kopf in steter Bewegung. Manchmal trippelten sie auf ihren Wartesitzen lebhaft hin und her. Am spaßhaftesten aber nahmen sie sich dann aus, wenn sie so eben aus ihren Höhlen hervorlugten und neugierig fragend auf uns schauten.

Mir machte es ein unnennbares Bergungen, unter den Millionen herumzuwandern. Bald wurde ich mit großer Ueberraschung, bald mir Furcht betrachtet. Ich hätte Hunderte erlegen können, schoß aber am ersten Tage gar nicht, am zweiten nur einige Mal unter die größten Haufen. Der Erfolg war stets verhältnißmäßig unbedeutend; denn blos die tödtlich Verwundeten fielen mir zur Beute, die übrigen erreichten, selbst wenn sie stark angeschossen waren, regelmäßig das Meer und waren uns dort verloren.

Unsere Wirthe und Besitzer der Berge hatten keinen abgerichteten Hund zum Herausholen der erbeuteten Thiere und deren Eier, wie dies auf anderen Inseln der Fall ist. Deshalb mußten wir uns schon selbst bequemen, das Geschäft jener Hunde zu übernehmen. Und wir fanden genug Eier und auch Brutvögel in den Höhlen. Wie bemerkt, waren die Löcher überall angelegt, wo sich nur ein passendes Plätzchen fand, d. h. mit anderen Worten auf dem ganzen Berge. Die meisten hatten mehrere Ausgänge, andere waren so tief, daß wir ihr Ende trotz alles Grabens und Wühlens nicht erreichen konnten. Bei einigen war der Gang von vorn bis hinten mit trocknen Pflanzen ausgepolstert, bei andern fand sich nur eine Reihe zusammengeschichteter Nester im hintersten Kessel. Wir fanden in den Nestern der Lunde überall nur ein Ei von rein weißer Farbe, wenn es frisch war, von braunrother Farbe aber, wenn es der Torf beschmutzt hatte; die Eier der Lummen und Alken waren grau oder lebendig grün und sehr bunt mit braunen, rothen und schwarzen Punkten gezeichnet. Ganz frisch gelegte Eier waren selten, weil die Bewohner der Höhe schon seit mehreren Wochen hier geerntet hatten. Wie man uns erzählte, schätzt man die Zahl der Eier, welche man von diesem einen Berge nimmt, auf fünf- bis sechstausend jährlich, und das ist schon eine Sache von Bedeutung, denn fünf- bis sechstausend Eier sind fünf bis sechshundert Thaler unseres Geldes werth. Außer den Eiern werden aber noch alle Vögel, welche man in der Höhle ergreift, abgewürgt und verspeist, und die Leute thun daran ganz recht, denn selbst die Alken schmecken keineswegs so schlecht, als gewöhnlich geglaubt wird: sie müssen nur richtig zubereitet werden. Die Zahl der Eier und Vögel übrigens, welche von den Bewohnern dem Berge entnommen werden, hat auf das Gesammtergebniß der Brut kaum einen Einfluß. Man macht es sich bequem, weil man ohnehin keine gute Absatzquelle für seine erbeuteten Schätze hat, und nimmt nur diejenigen Nester aus, zu denen man ohne große Mühe gelangen kann. Das ist aber unstreitig die allergeringste Zahl; eine Zahl, welche mit den übrigen unerreichbaren in keinem Verhältniß steht. Im Hintergrunde jeder Felsspalte sieht man zwei, drei, vier Eier liegen, so bald sich für eben so viel Vögel Platz zum Brüten findet. Diese sind vor den Angriffen des Menschen gesichert, denn der Arm reicht nicht so weit hinein, und was der Vogel in die Tiefe gelegt hat, wird eben nicht weggenommen. Ohne sich der geringsten Uebertreibung schuldig zu machen, darf man dreist behaupten, daß die Zahl der erbeuteten Eier vielleicht noch weniger als ein Hundertstel von allen denen ist, welche gelegt werden und glücklich auskommen.


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Autor: Alfred Brehm
Titel: Die Vogelberge
aus: Die Gartenlaube 1861, Heft 2, S. 30-32

[30] Ich belauschte die brütenden Vögel bei allen ihren Beschäftigungen. Aus einer Höhle sah ich viel Staub herausfliegen und vermuthete natürlich sogleich, daß sich in ihr ein mit Graben beschäftigter Lund befinden möchte. Ich näherte mich mit großer Vorsicht, und konnte auch unseren Vogel arbeiten sehen. Ob er mit dem Schnabel die Höhle ausmeißelte, konnte ich nicht entdecken, daß er aber die Erde aus derselben mit seinen breiten Schaufelfüßen kräftig heraus warf, sah ich deutlich. Beim Brüten saßen die Thiere ganz ruhig, sobald sie sahen, daß ihnen der Ausgang versperrt war, und schauten, ich möchte sagen, ohne eine Miene zu verziehen, still und ernst auf ihre Störer. Wurden sie aber ergriffen, dann wußten sie von ihrem scharfen und schneidenden Schnabel einen ausgedehnten Gebrauch zu machen und bissen und kratzten mit solcher Wuth, wie ich es vorher noch bei keinem Vogel beobachtet hatte. Sie waren höchst gewandt und sicher und verwundeten mich trotz dicker Handschuhe so empfindlich, daß meine Hand erst nach etwa vierzehn Tagen geheilt ward. Ich nahm mehrere Gefangene mit nach Hause, um sie zu beobachten. Der Alk fiel mir auf wegen seines erstaunlichen Luftfüllungsvermögens, er konnte sich zwischen Fleisch und Haut eine dicke Luftschicht einpumpen, so daß die ganze Haut ringsum bis auf einige Stellen von dem innern Körper gelös’t zu sein schien. Die Lummen und Lunde waren dessen nur in geringerem Grade fähig. Ich band dem Alk einen Faden an die Füße und ließ ihn tauchen, um sein [31] Rudern in dem klaren Meere gehörig beobachten zu können. Er stieg augenblicklich senkrecht in die Tiefe hinab und kam erst dann wieder herauf, wenn ich die abgelaufene Schnur nach der Oberfläche zurückzog. Als wir mit dem Boote still hielten, blieb er ziemlich lange unter dem Wasser, doch keineswegs so lange, als gewöhnlich gefabelt wird, und höchstens 2½ Minuten. Den Lund nahm ich mit in unser Haus, band ihm die Flügel und ließ ihn frei. Er suchte sich sogleich einen dunkeln Winkel und flog auch später immer dahin zurück. Wir brachten einen Hund herein, hetzten ihn auf den Vogel und sahen mit Vergnügen, daß dieser dem Vierfüßler gewachsen war. Er biß nach der Nase des Hundes und zwar mit so viel Geschick, Sicherheit und Kraft, daß der Hund laut aufheulend wie toll gegen das Thier rannte und später nie wieder zu bewegen war, sich dem erbosten kleinen Vogel zu nahen. Auch ich sah bald ein, daß mit dem wirklich rasenden Meerbewohner keine sonderlichen Beobachtungen angestellt werden konnten, und beschloß deshalb, ihn wieder frei zu lassen. Ich brachte ihn hinter unser Haus und setzte ihn dort auf eine Wiese nieder, erwartend, daß er dem Meere zueilen würde. Vergeblich, er blieb ruhig sitzen, oder trippelte vielmehr nach einem Verstecke umher, stellte sich aber augenblicklich zur Wehre, sobald wir uns näherten, und seine ungeheuere Wuth zeigte sich dabei im grellsten Lichte. Da er nicht floh, warf ich ihn in die Luft; er flatterte aber sofort wieder auf die Erde herab. Ich wiederholte den Versuch wohl zehn Mal, und erhielt immer dasselbe Ergebniß. Endlich trug ich ihn nach dem Meere und warf ihn nach demselben hin. Er erreichte es, tauchte unter und schwamm auf und unter der Oberfläche weiter und weiter in das hohe Meer hinaus. Ein junger Lund, welchen wir ebenfalls aus einer Höhle gezogen hatten, war übrigens ganz das Gegentheil seines Herrn Vaters. Er war sanft und wirklich liebenswürdig. Wir fütterten ihn mehrere Tage, konnten ihn aber leider nicht durchbringen.

Unsere erste Jagd auf den Bergen hatte bis nach Mitternacht gewährt und konnte so lange währen, weil ja damals kaum ein Unterschied zwischen Tag und Nacht bemerklich wurde. Die Mitternachtssonne stand noch groß und still und ziemlich hoch über den von ihr vergoldeten Fluthen, als wir heimfuhren. Nun hatte man uns aber gesagt, daß wir den Berg am Morgen besuchen müßten, und deshalb brachen wir nach wenigen Stunden der Ruhe wieder auf, um eine zweite Jagd dort zu machen. Als wir den Berg erreichten, hatten wir ein ganz neues Schauspiel vor uns. Das Meer war leer von Vögeln, sie saßen jetzt auf dem Berge, Zehn bei Zehnen, Hundert bei Hunderten, Tausend bei Tausenden, der ganze Berg glich einem über und über weiß betüpfelten Kegel. Von unten bis oben hinauf zeigte sich ein weißer Strich an dem andern. Das waren die Vögel, welche nicht brüteten, also kaum die Hälfte. Ein Schuß, welchen ich abfeuerte, brachte eine ungeheure Wirkung hervor. Hunderttausende stürzten sich mit einem Male zur See hinab. Es schwärmte um uns, daß es fast wie Donner klang, „Arr, Err, Quarr, Querr“ schrien die Alken, „Err“ (leiser) die Lunde, laut aufkreischten die Möven. Tausende saßen und Tausende flogen um uns herum. Wenn sie so zum Meere hinabstürzten, sah es aus, als sei von dem Berge herab eine Dachung zum Meere gelegt worden; denn die fliegenden Massen schienen nur eine ununterbrochene Linie zu bilden. Ich stieg aus, um zu schießen. Man hatte mir gesagt, daß die Alken und Lunde Anfangs fehlen würden, und wirklich Recht gehabt. Drei, vier, sechs, acht Schüsse blieben erfolglos, bis ich doch dahinter kam und nun einen der Burschen nach dem andern herabdonnerte. Ich mußte eine Elle vorhalten, wenn ich treffen wollte. Natürlich lagen wir wieder den ganzen Tag auf den Bergen. Dabei konnte ich nun beobachten, daß die Vögel zu gewissen Zeiten, nämlich Vor- und Nachmittags ohne eine mir erklärliche Ursache zu schwärmen begannen und wohl eine Stunde lang den Berg in eine Wolke hüllten, während sie sonst den übrigen Tag und die Nacht hindurch sich still verhielten. Oft hatten sie wirklich keinen Grund zum Fliegen und waren doch nicht einen Augenblick ruhig. Dann wieder saßen sie wie festgebannt lange Zeit an einer Stelle. Ein Jagdedelfalke hatte sich, wie ich im Voraus vermuthet hatte, irgendwo in der Nähe der Vogelberge angesiedelt. So oft er erschien, verursachte er einen entsetzlichen Schrecken und räumte regelmäßig den ganzen Berg ab; dann sah man eine schwarze, überaus bewegliche Wolke pfeilschnell nach dem Meere schießen und in ihm plötzlich verschwinden. Es waren die Alken und Lunde, welche sich kopfunterst hinabstürzten, um sich vor dem gefährlichen Gegner in den sicheren Fluthen zu verbergen. Er hatte die Vögel so beunruhigt, daß sie selbst durch die Möven in Aufruhr kamen, sobald diese selbst gewisse Flugstellungen annahmen und hierdurch den Falken gewissermaßen ähnlich wurden. Es war leicht einzusehen, daß der gewandte Räuber sich ohne Mühe die für ihn und seine Jungen nöthige Nahrung aus diesen Schwärmen holte.

Von den Besitzern der Berge erfuhr ich, daß die Lunde und Alken im Winter sich nur höchst selten sehen lassen. In den ersten Tagen des April stellen sie sich ein, erst einzeln, später in immer stärkeren und stärkeren Schaaren, und schon eine Woche nach dem Eintreffen der ersten Vorboten ist der Berg bedeckt. Um Pfingsten herum haben sie Eier. Bis Ende August verweilen sie in der Nähe der Brutplätze, dann wird es still und todt auf dem Berge und während des Winters sieht man auf dem beschneiten Kegel kaum einen einzigen Vogel, höchstens dann und wann eine Möve. Man stört die brütenden Vögel niemals durch Schießen, um sie nicht zu vertreiben, ja man glaubt, daß Denjenigen sicherem Unglück treffen würde, welcher mit einem Feuergewehr zur Jagd der Thiere auszieht.

Das wären nun ungefähr die Beobachtungen, welche ich in den zwei Tagen machen konnte. Sie können weiter Nichts als einen oberflächlichen Begriff der Wirklichkeit geben und sind, wie ich am besten selbst einsehe, im höchsten Grade mangel- und lückenhaft.

Unsere Herberge im Bauerhofe ließ Manches zu wünschen übrig. Man hatte uns zwar das gute Häuschen des Hofes eingeräumt und den Fußboden mit Sand bestreut, die Decke aber mit grünen Zweigen geschmückt. Allein die Thüren waren so niedrig, daß wir uns fast regelmäßig beim Durchgehen an den Kopf stießen, weil wir nicht, wie die übrigens riesenhaften Bewohner des Hauses, daran gewöhnt waren, uns vorher jedesmal zu bücken. Zum Schlafraum, dem Boden, führte eine wahre Hühnersteige. Die Betten waren mit Lundfedern, denn hierzu benutzte man die Federn aller Seevögel, die Decken mit Eiderdaunen gefüllt. Die Innelte ließen jedoch so viel von ihrem Inhalte durch, daß wir am Morgen jedesmal Papagenos waren. Schlicht und sehr schmutzig war das Essen. Ich fügte mich, durch Erinnerungen aus Afrika gestählt, mit der Gelassenheit eines Weltweisen in das Unvermeidliche: meinem Gefährten aber ging der erzväterliche Schmutz denn roch zu weit. Dabei hatte man eigenthümliche Ansichten von der Benutzung der Geschirre. Man brachte uns z. B. das Essen im Waschbecken, das Waschwasser aber in Eßschüsseln. Als die gute Hausfrau bemerkte, daß wir von den schönen Eiern weiter Nichts benutzten als die Schale, machte sie uns den ehrlichen Vorschlag, den ausgeblasenen Inhalt, welcher nothwendiger Weise mit Speichel, ja sogar mit dem Speichel unserer tabakskauenden Gefährten und andern nicht eben appetitlichen Sachen vermengt war, doch ja sorgfältig aufzuheben, weil sie uns daraus Eierkuchen bereiten wollte. Diese beiden Angaben mögen genügen, um die Annehmlichkeiten unserer Herberge zu schildern.

Am andern Tage brach Sturm los und brachte Regenwetter mit sich. Das Meer ging sogleich sehr hoch und machte uns jede Landung an den steilen Bergen unmöglich. Auch am folgenden Tage hielt dieses Unwetter an. Da wir jedoch mit Ausbalgen der Vögel und Ausblasen der Eier vollkommen zu thun hatten, hinderte uns dies im Ganzen wenig. Anders war es am dritten Tage. Wir wollten fort, allein es regnete und stürmte, und die Bootsleute erklärten, nicht in See gehen zu können. Endlich schienen sich die Verhältnisse etwas günstiger zu gestalten. Wir gingen in See; aber ich muß gestehen, daß es mir leid that, dies gethan zu haben. Wer niemals das Eismeer bei Sturm und die Menge der Schären an der Küste Norwegens kennen gelernt hat, kann sich unmöglich einen Begriff machen von der Fahrt, welche wir jetzt hatten. Daß das Boot sich in Wellenlinien bewegte, deren größte Höhe etwa um zwanzig Fuß über der tiefsten Tiefe lag, ließ uns ziemlich gleichgültig, denn weder ich noch mein Gefährte wurden seekrank; allein daß wir, wenn wir uns auf der Höhe einer Welle befanden, sehen mußten, wie rings um uns herum die Brandung toste und schäumte, so daß die Furcht rege wurde, im nächsten Augenblicke auf dieser oder jener Klippe zu zerschellen: – das machte doch die Fahrt nicht nur sehr ungemüthlich, sondern wirklich gefährlich. Ein Seehund, welcher ab und zu neben dem Boote sich zeigte, schien auch wirklich Mitleid mit uns, die wir außerdem noch durch den kalten Wind und Regen gepeitscht wurden, [32] zu empfinden, wenigstens sah er uns mit seinen klugen Augen recht treuherzig bedauernd in das Gesicht. Unsere Bootsmänner aber meinten, daß dies doch eigentlich noch gar nichts wäre und sie im Winter noch ganz andere Fahrten ausführen müßten.

Außer der Reise über die Katarakten des Nil hatte ich entschieden niemals eine solch’ gefährliche Fahrt gemacht, und es war deshalb wohl zu entschuldigen, daß wir, nachdem wir uns drei Stunden lang von dem wüthenden Meere hatten herumwerfen lassen, in einer der nächsten Bucht einbogen und von dort aus zu Fuß nach Stene gingen. Zu meiner Schande muß ich noch gestehen, daß die Normänner sich augenblicklich wieder aufmachten und kurz nach uns frisch und wohlbehalten, ja sogar mit gutem Winde in der Bucht von Stene einliefen.