Die Verschwiegenheit
[108] Die Verschwiegenheit.
O Doris! wärst du nur verschwiegen;
So wollt ich dir etwas gestehn;
Ein Glück, ein ungemein Vergnügen …
Doch nein, ich schweige, sprach Tiren.
Du zweifelst noch, ob ich verschwiegen bin?
Du kannst mirs sicher offenbaren:
Ich schwör, es solls kein Mensch erfahren.
Du kennst, versetzt Tiren, die spröde Sylvia,
Ich komme gleich von dieser kleinen Spröden;
Doch ach! ich darf nicht weiter reden.
Nein, Doris, nein, es geht nicht an;
Es wär um ihre Gunst, und um mein Glück gethan,
Daß … Dringe nicht in mich, ich halte meine Schwüre.
So liebt sie dich? fuhr Doris fort.
Ja wohl! Doch, sage ja kein Wort!
Ich hab ihr Herz nun völlig eingenommen,
Tiren, sprach sie zu mir, mein Herz sey ewig dein;
Doch Eines bitt ich dich, du mußt verschwiegen seyn.
Daß wir uns günstig sind, uns treu und zärtlich küssen,
Braucht niemand auf der Flur, als ich und du, zu wissen.
Sonst flieht und haßt mich Sylvia.
Die kleine Doris geht. Doch wird auch Doris schweigen?
Ja, die Verschwiegenheit ist allen Schönen eigen.
Gesetzt, daß Doris auch es dem Damöt vertraut;
Ihr Schäfer, ihr Damöt, kömmt ihr verliebt entgegen,
Drückt ihre weiche Hand, und fragt,
Was ihr sein Freund, Tiren, gesagt?
Damöt! du weist ja wohl, was wir zu reden pflegen,
Es war nichts wichtiges, sonst würd ich dirs gestehn.
Er sagte mir … Verlang es nicht zu wissen;
Ich hab es ihm versprechen müssen,
Daß ich zeitlebens schweigen will.
Umarmt sein Kind, doch nur mit halbem Feuer.
Die Schäferinn erschrickt, daß sie Damötens Kuß
So unvollkommen schmecken muß.
Du zürnest, ruft sie, mein Getreuer?
Die spröde Sylvia ergiebt sich dem Tiren,
Und hat ihm itzt, in ihrem Leben,
Den allerersten Kuß gegeben;
Allein du mußt verschwiegen seyn.«
So fühlt er schon die größte Pein,
Sein neu Geheimniß zu bewahren.
Ja! fängt Damöt zu singen an:
Ich will es keinem offenbaren,
Ihm Küsse nimmt, und Küsse gibt;
Du, stummer Busch, nur sollsts erfahren,
Wen Sylvia verstohlen liebt.
Doch ach! In diesem Busch war unsre Sylvia,
Und eine Heimlichkeit so laut erfahren mußte,
Die, ihrer Meynung nach, nur ihr Geliebter wußte.
Sie läuft, und sucht den Schwätzer, den Tiren.
Ach, Schäfer, ach, wie wird dirs gehn!
Dich, Plaudrer, sollt ich länger lieben?
Und kurz: Tiren verliert die schöne Schäferinn,
Und kömmt, Damöten anzuklagen,
Ja, spricht Damöt, ich muß es selber sagen,
Allein wie kannst du mich den größten Schwätzer nennen?
Du hast ja selbst nicht schweigen können!