Die Veredelung der Getreidearten
Die Veredelung der Getreidearten.
Stellen wir an unsere heutigen Landwirthe die Frage, ob sie sich jemals bemüht haben, aus den bereits vorhandenen und von ihnen cultivirten Getreidevarietäten neue und bessere zu ziehen, so werden sie in den meisten Füllen über ein derartiges gelehrtes Ansinnen bedenklich die Köpfe schütteln. Sie unterlassen es zwar nicht, ihre Pferde und Hunde, ihre Rindvieh- und Schafheerden durch rationelle Zuchtmethoden zu veredeln; sie thun dasselbe mit ihren Obstbäumen und wissen auch zu ihrem Vergnügen aus den alten Rosenstöcken im Blumengarten neue Arten zu ziehen; daß sie aber die wichtigste Frucht, welche sie bauen, züchten, daß sie Getreide veredeln könnten, daran haben sie in der Regel gar nicht gedacht. Und doch ist die Veredelung der Pflanzen eine längst bekannte Thatsache. Wir brauchen nur in eine Kunstgärtnerei zu gehen, um uns zu überzeugen, daß man aus bereits vorhandenen Pflanzenarten neue Varietäten ziehen kann, welche uns durch buntere Farbenpracht, sonderbare Blätter- und Blüthenformen erfreuen.
Schon in der Schule wird uns übrigens gelehrt, daß die Gärtner neue Varietäten der Blumenpflanzen zu bilden vermögen, indem sie den Pollen der einen Varietät auf die Narbe des Blüthenstempels der andern übertragen, den Fruchtknoten hierdurch befruchten und auf diese Weise Samen einer neuen „Bastardpflanze“ erhalten. Dieser Zweig der Kunstgärtnerei ist so bekannt, daß wir Näheres darüber nicht zu berichten brauchen.
Aber wir haben dennoch auf dieses Beispiel hingewiesen, weil die Zucht einer einzigen neuen, für unser Klima besser passenden und reichlicheren Ertrag liefernden Roggen- und Weizenvarietät in der That für die Menschheit von weit bedeutenderem Nutzen wäre, als alle die bis jetzt neu gezogenen, noch so farbenprächtigen Blumen. Leider herrscht in den landwirthschaftlichen Kreisen gegen diese wichtigen Arbeiten eine unerklärliche Abneigung, und so kam es, daß die uralte, für die Völker unentbehrliche Landwirthschaft in dieser Hinsicht von der jüngeren Luxusindustrie der Gärtner weit überflügelt wurde.
Betrachtet man überhaupt die Geschichte der Getreidearten, so kommt man unwillkürlich auf den Gedanken, daß sich auch ihnen gegenüber das alte Sprüchwort von der menschlichen Undankbarkeit bewahrheitet habe. Wissen wir denn genau, weß Landes Kinder die vier Haupternährer der Menschheit, die vier Grasarten, Roggen, Weizen, Hafer und Gerste sind? Nur dunkle Vermuthungen, keinen Aufschluß, giebt hierüber die Wissenschaft. Und würde man den gebildeten Städter nach dem Aussehen der Brodfrüchte, welche er täglich genießt, befragen, wie oft würde man alsdann eine falsche und wie oft gar keine Antwort erhalten!
Unsere städtischen Leser, welche das einst in der Schule gewonnene Bild vom Bau der Getreidepflanzen nunmehr wieder aus dem Gedächtnisse verloren haben, bitten wir daher, zunächst die auf der Rückseite befindliche Abbildung zu betrachten. Die einzelnen Theile unserer Getreidearten werden dort so genau veranschaulicht, daß wir uns ein weiteres Eingehen auf diesen Gegenstand füglich ersparen können. Nur auf den Bau der Grasblüthe müssen wir ganz besonders die Aufmerksamkeit lenken. Die inneren Theile der Blüthe bei den hier in Frage kommenden Getreidearten, die drei Staubgefäße und der Stempel, sind in der Regel von je zwei Klappen oder Spelzen, den Kelch- und den Blüthenspelzen eingeschlossen. Diese öffnen sich nur bei schönem Wetter und nach erfolgter Befruchtung der Stempelnarbe durch den reifgewordenen Pollen, wobei an der Aehre die grüngelben Staubbeutel zum Vorschein kommen. Im gewöhnlichen Leben pflegt man diesen Zustand gerade für die Getreideblüthe zu halten, wiewohl er nur zeitweise eintritt und die Getreidearten blühen und befruchtet werden können, ohne daß die Klappen sich öffnen.
Kehren wir jedoch zu unserm Hauptthema zurück, und betrachten wir die in unserem Jahrhunderte angestellten Versuche über die Veredelung der Getreidearten, welche in der Geschichte des Ackerbaues einen wichtigen Markstein für alle Zeiten bilden werden![1]
Neue Varietäten der Getreidearten können aus zwei Quellen gewonnen werden: man findet sie auf angebauten Feldern unter anderen Pflanzen als sogenannte Naturspiele oder man züchtet sie durch Kreuzung verschiedener Sorten mit einander.
Der vor wenigen Jahren verstorbene, um die Landwirthschaft hochverdiente Schotte Patrick Shirreff hat bei seinen Versuchen zunächst den ersten Weg betreten. Als er im Frühling des Jahres 1819 über ein Weizenfeld der Farm Mungoswells ging, bemerkte er eine sich ausbreitende grüne Pflanze, welche in Folge des strengen Winters sehr gelitten hatte. Shirreff suchte sofort durch Hinzubringung von Dünger ihr Wachsthum zu kräftigen, und die Pflanze ergab schließlich eine Ernte von 63 Aehren mit 2473 Körnern, welche im nächsten Herbste ausgesäet wurden. Das Korn dieses Weizens zeigte im Vergleich zu den anderen bekannten Varietäten besondere Eigenschaften, und nach vier Jahren brachte es Shirreff unter dem Namen „Mungoswells wheat“ in den Handel. Dieser Weizen wird nun bis auf den heutigen Tag in England cultivirt, wiewohl ihm vielfach ein anderer Name beigelegt wurde.
In dieser Weise entdeckte später Shirreff andere Varietäten, und als seine Bemühungen allgemeiner bekannt wurden, sandte man ihm von verschiedenen Orten Englands Aehren, welche sich durch ein ungewöhnliches Aussehen kennzeichneten und aus welchen neue Varietäten von Weizen, Gerste und Hafer gezüchtet wurden.
Shirreff begnügte sich aber nicht mit dem Aufsuchen und Aufziehen dieser zufällig auftretenden Naturspiele, sondern betrat seit 1856 den allein richtigen Weg, indem er zur künstlichen Erzeugung neuer Varietäten überging.
Die Thatsache, daß man die Weizenarten mit einander kreuzen könne, war übrigens schon damals nicht unbekannt. Gegen das Ende des vorigen Jahrhunderts hatte nämlich der durch seine Erbsenkreuzungen berühmte englische Gärtner Knight verschiedene Sorten Weizen unter einander gesäet und dadurch, daß der Blüthenstaub der einen Pflanze durch Wind und durch Insecten auf die Blüthen der anderen übertragen wurde, neue Varietäten erhalten. Knight constatirte jedoch nur die Thatsache, die weder von ihm noch von Anderen praktisch verwerthet wurde. Mit Knight’s Verfahren [576] würde man außerdem nicht weit vorwärts kommen, da in demselben die Kreuzung vom Zufall abhängt.
Anders verhält sich die Sache bei Shirreff, welcher bei seinen Operationen die notwendigen Sicherheitsmaßregeln, unter denen die bestimmt beabsichtigte Kreuzung allein gelingen kann, einführte. Nachdem er die entsprechenden Varietäten gewählt hatte, begann er die Operation mit Verkürzung der Mutterähre, das heißt derjenigen, welche mit den Pollen der andern Varietät befruchtet werden sollte.
Er entfernte von den einzelnen Aehrchen eins um’s andere und ließ nur die beiden an der Außenseite befindlichen Kapseln an einem Knoten stehen. „Eine so präparirte Aehre,“ schreibt er, „dürfte dann aus vier oder sechs Knoten mit acht oder zwölf Kapseln bestehen, und die Verstümmelungen, welche die Aehre erlitten, erleichtern die späteren Manipulationen und hindern die oberen Blüthen am Ausschütten ihres Pollens auf die in Operation befindlichen.
Dann öffne man die Klappen der Mutterähre, und nach Entfernung der Staubbeutel aus der Kapsel ersetze man sie durch der männlichen Aehre entnommene Staubbeutel; endlich schließe man die Klappen durch einen leisen Druck mit den Fingern.“ Selbstverständlich empfiehlt ferner Shirreff, daß man bei der Entfernung der Staubbeutel der Mutterähre dieselben nicht verletze, weil sonst ihr Pollen auf die Narbe fallen und dieselbe befruchten könnte und der gewonnene Samen alsdann keine Bastardpflanze hervorbringen würde. Diese Operation wird am zweckmäßigsten von zwei gemeinschaftlich arbeitenden Personen ausgeführt, von denen die eine die Klappen offen hält, während die andere mit kleinen Zangen die Staubbeutel der Mutterähre entfernt und sie durch die Staubbeutel der Vaterähre ersetzt. Gleich nach der Kreuzung wird die operirte Aehre an einem Pfahl befestigt und vor Wind und Vögeln durch eine Hülle aus Drahtgaze geschützt.
Die auf diese Art gezogenen Samenkörner sehen freilich sehr schwächlich aus, und erst in zweiter oder dritter Generation zeigen sie ihre durch die Kreuzung neugewonnenen Eigenschaften. Dem allgemein bekannten Naturgesetz zufolge können nur Varietäten derselben Art, also Weizen mit Weizen, Roggen mit Roggen etc. gekreuzt werden. Auch wird man stets nur eine gewisse Anzahl von Pflanzen der Operation unterwerfen können, und durch wiederholte Aussaat die nöthige Quantität des Saatguts gewinnen müssen.
Gleichzeitig mit Shirreff versuchte nun ein anderer englischer Saatzüchter, Hallet in Brighton, die bereits vorhandenen Varietäten zu verbessern. Die Grundlage seiner Arbeiten bilden folgende Sätze, welche bisjetzt wenig angefochten wurden.
„1) Jede entwickelte Getreidepflanze zeigt eine Aehre, die eine höhere Productionskraft hat (das heißt stärker und schöner entwickelt ist) als alle anderen an dieser Pflanze. 2) Jede solche Pflanze enthält ein Korn, welches sich productiver erweist als jedes andere von derselben Pflanze und 3) das beste Korn einer Pflanze liegt in der besten Aehre.“
Hallet folgerte nun daraus, daß durch fortgesetzte Auswahl der besten Körner in der Nachzucht die Productionskraft der Pflanze verstärkt werden müsse, bis sie schießlich das Maximum erreiche. Es gelang ihm auch in der That, überraschende Resultate zu erzielen. In vier Jahren erhielt er aus einer Aehre von 43/4 Zoll Länge mit 47 Körnern durch fortgesetzte Aussaat des besten Kornes eine Aehre von 83/4 Zoll mit 123 Körnern.
Zu Shirreff und Hallet gesellte sich in letzterer Zeit noch ein dritter englischer Saatzüchter, Delf, der im Großen und Ganzen die Hallet’schen Principien annahm, aber nicht das größte, sondern das schwerste Korn zur Nachzucht auszuwählen rieth. Er hat auch eine Maschine ersonnen, auf welcher die schweren Körner von den leichteren sortirt werden.
Die neueren Saatzüchter, wie Graf zu Lippe, empfehlen nunmehr eine Vereinigung der beiden Methoden, indem ihrer Ansicht nach bei den Kreuzungsversuchen die obersten und untersten Blüthen einer Aehre entfernt werden und nur die mittelsten zur Befruchtung gelungen müßten.
In den jüngsten Jahren wurden diese englischen Neuerungen auch auf deutschen Boden verpflanzt, und vor Allem verdienen hier die Arbeiten des Herrn Rimpau-Schlanstädt hervorgehoben zu werden, welcher seit dem Jahre 1875 Kreuzungen zwischen dem englischen und deutschen Weizen unternimmt, um eine Art zu erhalten, welche neben der Ertragsfähigkeit der englischen die Winterhärte der einheimischen besäße.
Die große Bedeutung der Bildung neuer Getreidevarietäten je nach den jeweiligen Bedürfnissen des Landwirtes brauchen wir hier wohl nicht ausführlich zu besprechen Manche Getreideart, die eine reiche und schöne Ernte liefert, kann gegenwärtig in unserem Lande nicht gebaut werden, weil sie sich zu rasch entwickelt und durch die Nachtfröste des Frühjahrs geschädigt wird; kreuzen wir aber dieselbe mit den winterharten einheimischen Arten, so ist die Möglichkeit geboten, eine neue Varietät zu schaffen, welche die ursprüngliche Ertragsfähigkeit beibehält und außerdem die unserem Klima entsprechende langsamere Entwicklung annimmt. Solcher Gesichtspunkte giebt es freilich unzählig viele, und von jedem derselben aus bietet sich dem Landwirthe eine verlockende Aussicht. Aber so leicht die Operation der Kreuzung erscheinen mag, ebenso schwierig ist die Wahl der zu kreuzenden Arten. Wie Alles in der Landwirtschaft, so erfordert auch diese Arbeit, wenn sie gelingen soll, viel Mühe und eiserne Energie. Aber die Bahn zur Veredelung der Getreidearten ist gebrochen, und der Unternehmungsgeist unseres Jahrhunderts bürgt uns dafür, daß wir auf derselben zum allgemeinen Nutzen rüstig vorwärts schreiten werden.
- ↑ Vergl. auch: „Die Verbesserung der Getreidearten.“ Von Patrick Shirreff, deutsch von Dr. R. Hesse. (Halle, Hofstetter.)