Die Unterirdischen zu Blankenese und Herr Rist
Bald nach dem Westphälischen Friedensschlusse erscholl hierorts ein häufiges Gerüchte, als wenn in den Blankeneser Bergen viele Unterirdische und Zwerge spukten, sich den Vorübergehenden, auch Schäfern und Jägern zeigten und sie sehr erschreckten. Es ging zwar schon längst die Sage, daß daselbst, zumal nach der Wedeler Seite zu, in Höhlen und Erdspalten solche „Unnereersche“ ihr heimlich Wesen trieben, was auch bei den dortigen heidnischen Opferstätten und Grabhügeln der Hünen gar wohl gedenkbar, maaßen zu Hütern verborgener Schätze und anderer Dinge gemeiniglich Zwerge bestellt gewesen sind, wie alte Kunden berichten. Es war aber lange Zeit nichts davon vermerkt, weil die Schrecknisse des 30-jährigen Krieges die Unterirdischen nicht minder denn die Ueberirdischen turbiret, und sie genöthigt hatten, in ihren Höhlen der Schätze vor Crobaten und Tatern achtsam zu hüten.
[308] Als nun jenes Gerüchte vielfach erscholl, da hat sich der gelahrte Pastor zu Wedel, Herr Johann Rist (oder Ristius, wie er sich schrieb), bei nachtschlafender Zeit aufgemacht, um solch zwergischem Treiben auf die Spur zu kommen. Mit ihm ging Herr Chrysostomus Köhler, der Vice-Canzler des Herzogs zu Wolfenbüttel, ein beherzter kluger Mann. Als sie nun bei dem Dorfe Rissen in die Berge kommen, und Alles ist still, nur fernher bellen die Hunde, in Wedel schlägt’s Mitternacht und der Mond geht just auf, da haben sie wahrgenommen, wie aus einem Fuchsloch ein Haufe solch unterirdischen Völkleins ist hervorgedrungen, kaum kniehoch, mit großen Köpfen und Gesichtern als die alter Männer, mit großen Nasen und klugen Augen, braun gekleidet, mit Glöcklein an den Mützen, daß es anmuthig geklingelt, wie sie sind auf- und abgesprungen; die haben da ihr Wesen getrieben und getanzt im Ringelreihen und rundem Kreise beim Glockenspiel. Herr Ristius hatte eine schöne Anrede ausgesonnen, mit der er sie bei des Allmächtigen heiligem Namen zu beschwören gedachte, daß sie ihm Red’ und Antwort geben, wer sie wären, und was sie trieben, und wo die großen Schätze lägen, und ob man sie nicht heben könnte; und Herr Ristius will sich eben räuspern, da kommt unversehens Herrn Chrysostomus Köhlern ein so gewaltiges Niesen an, daß er von dem Feldstein im Gebüsch, darauf er mit Herrn Risten gestanden, hinunterfällt mitten in den Ringelreihen der Unterirdischen, die davor billig erschrecken, auseinanderfahren und blitzschnell allesammt durch das Fuchsloch wiederum verschwunden sind, zu beider Herren großem Leidwesen. Herr Ristius ist nachhero noch etliche Male wieder hinausgegangen, aber die Constellation war ihm ungünstig, er hat ihnen so nahe nicht wieder beikommen können. Ist auch erklärlich, daß die Zwerge wohl gemerkt, daß er ein kluger Mann, der sie auszufragen gedächte; [309] und also sich vor ihm mehr denn vor Hirtenbuben und geringem Volke in Obacht genommen. Sie kannten wohl auch Herrn Risten schon, daß er Hünengräber aufdecke, und uralte Urnen, Leichgeschirre und Aschenkrüge daraus nehme, und also fürchteten sie ihn zwiefach vor allen Menschen.
Aber bis zu Zeiten der großen Weltunruhe, die man den nordischen Krieg nennet, sind sie noch oftmalen bei Tage wie bei Nacht von Bauern und andern schlichten Leuten gesehen worden. Darnach haben sie sich verzogen, wiewohl Etliche in Sülldorf, Rissen und da herum sie noch heutiges Tages verspüren wollen, wie auch Greten Dütsch, die Blankeneser Botenfrau, erzählt hat, die selber bei Nacht und Nebel von den Unterirdischen wollte auf Irrwege geführt und geneckt sein. Aber was Greten Dütsch gesagt, dem ist nicht zu trauen, weil ihr Geist fast allezeit in Nacht und Nebel befangen war, sintemal sie mehr als billig dem leidigen Branntwein zusprach, wie männiglich bezeugen wird, der Greten Dütsch gekannt hat, die nun wohl schon längst todt sein mag.
Herr Rist, dessen Voreltern aus dem Reich stammeten, hat noch etliche Jahre in hohem Ansehen und Ehren zu Wedel gelebt. Außer der Gottesgelahrtheit, Predigt und Seelsorge trieb er auch die Poeterei, darinnen er durch herrliche geistliche Gesänge, deren einige wir noch heute zu unsrer Andacht und Erbauung in den Kirchen singen, wie imgleichen durch treffliche weltliche Oden also berühmt geworden, daß Kaiser Ferdinand III. ihn als Poeten gekrönet, in den Adelstand des Reichs und zum kaiserlichen Pfalz- und Hofgrafen erhoben hat; in seinem Wappen steht der dichterische Schwan sammt Stern und Mond (ob letzterer auf die versuchte Erkundschaftung der Unterirdischen sich bezieht, weiß ich nicht); und die Muse der [310] Poesie mit dem Lorbeerkranz in der Hand steht oben auf dem Helm. Und als Herr Ristius am 30. August 1668 verstorben war, da hat ganz Teutschland den seligen Mann betrauert und seine Carmina desto höher geschätzet; und als er am 12. September zu Wedel begraben worden, waren von Hamburg eine Menge vornehmer und geringer Leute in Kutschen und zu Fuße dahinaus, um ihm die letzte Ehre zu erweisen. Von seinen Nachkommen haben manche in Hamburg gelebt, z. B. einer als Lieutenant löblicher Garnison, einer als Organiste, einer als Kaufmann; und als hochbetrauter königlich Dänischer Conferenz-Rath und Resident hat des letztern Bruder lange Jahre hier gewohnt und ein ehrenvolles Gedächtniß hinterlassen.
Der alte Herr Johann Rist aber hat auch bei Lebzeiten dafür gesorgt, daß das uralte Rolands- oder Kaiser-Bild von Stein, so am Markte zu Wedel steht und damals bruchfällig geworden war, von neuem restauriret ist, wie wir es noch sehen können: schön angestrichen mit blauen Augen und rothen Backen, im Rückgrat durch einen Mauerpfeiler gestützet, mit den nachdenklichen Versen Herrn Ristii darunter:
„Als 16hundert und noch 1 und 50 Jahr
Im Wintermonat die bekannte Jahrzahl war,
Ist dieses Kaiserbild auf’s neu hieher gesetzet.
Gott woll es und uns All’ erhalten unverletzet.“
Einer hat dem seligen Risten zu Ehren folgende Verse gefertiget:
„Herr Ristius ist todt! ein Mann von hohen Gaben,
Desgleichen wir nunmehr in Holstein wenig haben,
Ein Prediger, Poët, ein Arzt, ein guter Christ, –
Ei, schade, daß der Mann so bald gestorben ist.“
Anmerkungen
[386] Nach von Hövelen, Hamb. Hoheit, S. 111. 112 und Adelungk, Alterthums-Gedächtniß, 41. 42, woselbst die Inschrift des Rolandsbildes, dessen Hersteller der Amtmann Hans Bremer war.