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Die Testamentseröffnung

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
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Autor: Bn.
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Titel: Die Testamentseröffnung
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 19, S. 324
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1897
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[320]

Die Testamentseröffnung.
Nach dem Gemälde von J. Munsch.

[324] Die Testamentseröffnung. (Zu dem Bilde S. 320 u. 321) Wir sehen in ein aufregendes Drama, obgleich alle Beteiligten ihre äußere Ruhe bewahren. Seit Wochen, so lange der alte Sonderling, der Besitzer der mit Gold und Papieren gefüllten Truhe, seinem Ende zuging, ist die Neugier der Stadt aufs höchste erregt: wem wird die Erbschaft zufallen? Direkte Erben sind nicht vorhanden, seine entfernteren Verwandten aber, den stattlichen Präsidenten mit der hochmütigen Gemahlin, den Minister, der hier den Ehrensitz einnimmt, und den einflußreichen Kammerherrn, der sich auf die Lehne stützt – sie alle, wußte er, trotz vielfach bezeigter Liebe und Teilnahme, stets in höflicher Entfernung zu halten. Auch der gelehrte Magister, der an Neujahrs- und Geburtstagen regelmäßig sein Poem überbrachte und sich dabei so beflissen mach dem Befinden des wertgeschätzten Herrn Onkels erkundigte, auch er vermochte trotz aller angewandten Kunst keine leiseste Andeutung aus dem alten Geizhalse herauszupressen. Einem von ihnen oder allen zusammen mußte aber doch die Erbschaft zufallen, denn daß der Alte einen andern Vetter mit bedenken würde, der seit Jahrzehnten der Familie die Schande anthat, als simpler Tischler hier am Orte zu leben, verheiratet mit einer schlichten Meisterstochter und Vater einer zahlreichen, auch am Handwerk haftenden Familie – das war doch ganz unmöglich! Und siehe da! Eben diese Unmöglichkeit ereignet sich vor ihnen allen. Der Notar liest mit lauter Stimme. „Zum Haupterben ernenne ich meinen Vetter Christian, dem es im Leben nicht so geglückt ist, als seine Rechtschaffenheit verdiente, wie ich wohl weiß, obgleich er mir niemals der Erbschaft wegen um den Bart ging. Das letzte Drittel mögen sich die andern teilen!“

Man betrachtet mit Vergnügen die Wirkung dieser Worte auf sämtliche Personen des lebensvollen Vorgangs, der uns ins 18. Jahrhundert versetzt, die Ueberraschung der glücklichen Erben, die mühsam bewahrte Haltung der übrigen, die wohlwollende Miene des Notars, den anteilvollen Blicken des alten Schreibers und nicht minder den behaglich altertümlichen Raum, welcher dieser Testamentseröffnung zum Schauplatz dient. Bn.     


Inhalt: [ Inhalt von Wochen-Nr. 19/1897 ]



Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von Adolf Kröner in Stuttgart. Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig.
Druck von Julius Klinkhardt in Leipzig.