Die Telegraphie ohne Draht
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Die Telegraphie ohne Draht.
Den Göttern, aber auch den „zauberkundigen Männern“, welche die geheimnisvollen Naturgewalten beherrschen, hat von jeher der fromme und naive Sinn des Volkes die märchenhafte Eigenschaft beigelegt, ihren Willen durch den leeren Raum hindurch ohne jegliche Vermittelung in die Ferne senden und bethätigen zu können. Was die phantasiereichen Väter dereinst gesponnen, hat die Thatkraft und der reiche Geist der großen Naturforscher und Techniker gar oft in die Wirklichkeit verwandelt. So auch in diesem Falle. Durch die Telegraphie ohne Draht sind wir jetzt befähigt, unsere Wünsche nach allen Richtungen der Windrose, frei durch den Aether hindurch, übertragen zu können.
Die Möglichkeit, zwischen zwei Stationen ohne verbindenden Draht zu telegraphieren, ist allerdings nicht mehr neu. Schon vor etwa vierzehn Jahren hat der Amerikaner Phelps und im Anfange dieses Jahrzehnts haben Preece in England und Rathenau in Berlin mit Hilfe von sogenannten Jnduktionsströmen über mehrere Kilometer hin ihre Botschaften senden können. Ja, es wurde sogar kürzlich ein Bericht aus dem Jahre 1843 veröffentlicht, der uns belehrt, daß Professor L. D. Gale durch den Susquehanna-Fluß hindurch, 1 1/2 km weit, telegraphisch gesprochen habe.
Diese Versuche wurden zumeist angestellt, um die Leuchtschiffe, die fern draußen im Meere liegen, mit den Küstenstationen ohne Kabel in telegraphischen Verkehr zu bringen. Allein sie gelangen nur auf kurze Entfernungen. Erst in der neuesten Zeit war es dank den Forschungen unseres leider so früh gestorbenen Landsmanns Heinrich Hertz möglich, die Telegraphie ohne Draht auch für weitere Entfernungen nutzbar zu machen. Gegen Ende der achtziger Jahre hatte er eine neue elektrische Erscheinungsgruppe ermittelt und sie in theoretischer und praktischer Beziehung vollkommen durchforscht. Es war ihm gelungen, Wellen elektrischer Kraft zu erzeugen und ihre Ausbreitung frei im Raume nachzuweisen. Seine Versuche gipfelten in dem Schlusse, daß Elektricität und Licht Wellenbewegungen des gleichen Stoffes, des Aethers, seien. Die Lichtwellen, die von der Königin des Tages uns zufließen, unterscheiden sich nur der Größe nach von den elektrischen Wellen. Eine Lichtwelle entspricht etwa dem millionsten Teile eines Millimeters; eine elektrische Welle hat zumeist die Länge von vielen Metern. Die elektrischen Wellen, die mit Lichtgeschwindigkeit den weiten Raum durchmessen, tragen jetzt in der neuen Telegraphie ohne Draht, der Wellentelegraphie, unsere Botschaften in die Ferne! – Um willkürlich elektrische Wellen erregen zu können, erfand Hertz auf Grund tiefsinnigster Studien einen Apparat, den er den elektrischen Oscillator nannte. Man bezeichnet ihn jetzt häufig auch als den Transmitter oder Strahlapparat. In ihm wirken die von Faraday entdeckten Jnduktionsströme, die wir schon oben erwähnten.
Versuchen wir nun, an der Hand unserer Abbildungen, eine Beschreibung der Wellentelegraphie zu geben, so müssen wir uns zunächst die Thatsachen in das Gedächtnis zurückrufen, durch welche Jnduktionsströme erzeugt werden. Der Apparat, der sie erzeugt, besteht der Hauptsache nach aus zwei in sich geschlossenen Drahtspulen, die, ohne sich zu berühren, ineinander geschoben sind. Fließt zu der einen Drahtspule, wir wollen sie die primäre nennen, ein elektrischer Strom, dann bilden sich in der zweiten, der sekundären Spule, ohne weiteres elektrische Stromstöße, die nach entgegengesetzten [765] Richtungen wandern. Das sind die Jnduktionsströme!
Der Induktionsapparat, der die Jnduktionsströme erzeugt, steht, wie unsere Figur 1 zeigt, durch zwei Drähte mit dem Hertz’schen Oscillator in Verbindung. Der Oscillator baut sich auf zwei Glasstützen auf, die je einen Metalldraht tragen. Dort, wo die Metalldrähte sich gegenüberstehen, sind kleine blank geputzte Messingkugeln angebracht. Beginnt der Induktionsapparat sein Spiel, dann treten zwischen den Kugeln weiße, zackige Funken hervor, die mit hartem Knall vergehen. Sie stellen den Quell der elektrischen Wellen dar, die sich nach allen Richtungen des Raumes ausbreiten.
Die Wellen der Luft, die den Klang der Musik übertragen, erkennen wir mittels unseres Ohres; die Lichtwellen nimmt unser Auge wahr. Zur Erkennung der elektrischen Wellen hat die Natur dem Menschen kein Organ verliehen; sie verlaufen unsichtbar und unhörbar im Raume. Es bedurfte des höchsten Scharfsinnes und der bewunderungswürdigsten Erfinderkunst, um ein solches Organ, also gleichsam ein elektrisches Auge, künstlich zu schaffen.
Dem elektrischen Organ zur Wahrnehmung der Wellen, welches man in der Wellentelegraphie verwendet, liegt eine merkwürdige Thatsache zu Grunde. Der französische Physiker Branly fand nämlich, daß ein elektrischer Strom nicht fähig ist, ein Metallpulver zu durchdringen, das man in seinen Weg eingeschaltet hat; das Pulver wirkt wie ein Nichtleiter. Treffen aber elektrische Wellen auf das Metallpulver, dann schließen sich sofort die Teilchen aneinander, und der Strom vermag wiederum zu zirkulieren. Der Engländer Oliver Lodge nannte diese Vorrichtung „Kohärer“ (vergl. Fig. 2), weil die Teilchen sich in ihr kohärieren oder anziehen.
Der Oscillator und der Kohärer sind die beiden Hauptapparate, die der Wellentelegraphie zu Grunde liegen. Der Oscillator erzeugt die Wellensignale; der Kohärer zeigt ihre Gegenwart an. Mit ihrer Hilfe kann man in der That Depeschen befördern und sie mit den bekannten Punkt- und Strichzeichen des Morsealphabets niederschreiben.
Wir wollen an der Hand unserer Abbildungen die Anordnung der Wellentelegraphie hier wiedergeben. Beim Studium solcher Uebersichten befindet man sich etwa in der gleichen Lage wie der Hörer eines musikalischen Kunstwerkes, der erst nach genauer Einsicht in die Partitur ganz in die Schönheiten des Werkes einzudringen vermag.
In den Abbildungen Fig. 1 und 2 erblicken wir die Stationen, an denen die Depeschen aufgegeben und empfangen werden.
Drückt man in der Aufgabestation den Telegraphenschlüssel nieder, dann bilden sich zwischen den Kugeln des Oscillators, den wir oben beschrieben, die elektrischen Wellen, die sich nach allen Richtungen hin verzweigen. Gelangen sie auf ihrer Wanderung zur Empfangsstation, so rufen sie, vermöge ihrer eigenartigen Wirkung, die sie auf den Kohärer ausüben, in dem geschlossenen Drahte einen Strom hervor. Dieser erregt einen Elektromagneten und befähigt den Morseapparat, seine Schuldigkeit zu thun. Ein Nebenschluß belebt zugleich einen kleinen Hammer, der sofort wiederum die Metallteilchen des Kohärers durcheinander schüttelt und den Strom unterbricht. Es bedarf neuer Wellen, um von neuem das Spiel einzuleiten.
Schon um die Mitte unseres Jahrzehnts wurde von mehreren Elektrotechnikern mit ähnlichen Vorrichtungen telegraphiert. Wir nennen nur Slaby in Berlin und Lodge. Es gelang ihnen aber ebenfalls nicht, die Signale über weitere Strecken als etwa fünfzig Meter zu senden. Daß man imstande ist, mit Hertz’schen Wellen über viele Kilometer einen wirklichen telegraphischen Verkehr einzurichten, das ist das ausschließliche Verdienst Marconis, über den die „Gartenlaube“ bereits im Jahrgang 1897, S. 580, kurz berichtete. Guglielmo Marconi wurde am 25. April 1874 zu Griffone bei Bologna geboren. Sein Vater ist ein Italiener, seine Mutter eine Engländerin. Schon sehr früh, in seinen Knabenjahren, beschäftigte er sich mit Vorliebe mit physikalischen Experimenten. Er vertiefte seine elektrischen und elektrotechnischen Kenntnisse vorzüglich durch die Vorträge des Professors Righi. Seit 1892 hat er sich dann mit der drahtlosen Telegraphie beschäftigt.
Es war ein äußerst glücklicher Gedanke von Marconi, daß er sich, nachdem seine Versuche eine gewisse Reife erlangt hatten, an Mister Preece, den Chef der englischen Telegraphenverwaltung, wandte; denn seine Versuche mußten mit den größten Mitteln, wenn sie Erfolg haben sollten, durchgeführt werden. Auf die Einladung von Preece kam Marconi nach England; und dort hat sich die Wellentelegraphie zur heutigen Vollkommenheit entwickelt.
Als Marconi den englischen Boden betrat, hatte er zunächst ein sonderbares Abenteuer zu bestehen. Seine Instrumente [766] erweckten den Verdacht der Polizei, und er ward als Anarchist verdächtigt und verhaftet und seine Apparate wurden mit Beschlag belegt.
Schon im Garten seines Vaters, wo Marconi seine ersten Versuche anstellte, hatte er wahrgenommen, daß die Strecke, über welche man zu telegraphieren vermag, sich sehr erweitern läßt, wenn sowohl der Sender wie der Empfangsapparat mit der Erde, beziehentlich mit einem möglichst langen, vertikal aufgerichteten Drahte, verbunden sind.
Dementsprechend muß am Oscillator die eine Kugel mit der Erde, die andere mit einem vertikalen Leiter verknüpft werden. Gleiches geschieht mit den beiden Enden des Kohärers. Je länger die Luftleiter sind, je weiter ist auch die Strecke, über die man telegraphieren kann. Ein 6 m langer Luftleiter z. B. genügt für eine Entfernung von 1,6 km. Bei sehr großen Strecken hat Marconi die Luftleitung an Masten befestigt. Slaby knüpfte sie an Luftballons an und erhielt auch auf diese Weise vorzügliche Ergebnisse.
Das sind die wesentlichsten Einrichtungen, welche in der Wellentelegraphie Verwendung finden. Wir wollen nun die Marconischen großen Versuche selbst vorführen.
Den ersten Anlaß zur praktischen Ausübung der Wellentelegraphie fand Marconi im Sommer vorigen Jahres gelegentlich der Erkrankung des Prinzen von Wales. Der englische Thronfolger befand sich auf der königlichen Jacht „Osborne“. Die Residenz der Königin war in Osborne-House auf der Insel Wight. Die Entfernung der Schiffs- und Landstation betrug 2,8 km und beide waren für einander durch dazwischen liegende Hügel verdeckt. Sechzehn Tage hindurch dauerte der telegraphische Verkehr, während welcher Zeit hundertundfünfzig Depeschen, mit einer mittleren Geschwindigkeit von 15 Wörtern in der Minute, gewechselt wurden. –
Die Hochburg der modernen Wellentelegraphie liegt auf South-Foreland, dem wogenumbrandeten Kap an der Südostküste Englands (vergl. Fig. 4). Es trägt zwei berühmte Leuchttürme von 15 und 21 m Höhe, die ihr schützendes Licht weit über den Kanal werfen. Von South-Foreland aus hat Marconi zuerst das bis dahin vergebens umworbene Problem gelöst, zu einem sehr weit draußen im Meere liegenden Leuchtschiffe zu sprechen. Das Leuchtschiff „East-Goodwin“ befand sich 191/2 km weit von der Küste entfernt. Trotz heftigen Unwetters und gewaltiger Stürme, die einmal sogar die Takelage des Schiffes über Bord warfen, wurde die telegraphische Verbindung niemals gestört. Dabei gestaltete sich der Verkehr so einfach, daß bereits nach zwei Tagen die Seeleute die Uebermittelung der Depeschen selbst ausführen konnten.
Durch solche Erfahrungen angeregt, hat die britische Regierung der westindischen Inseln beschlossen, die Wellentelegraphie zwischen den Inselgruppen in den täglichen Dienst zu stellen.
Die erste größere Strecke, über die Marconi mit Hertz’schen Wellen telegraphierte, beträgt fast 52 km. Es ward hierbei South-Foreland mit Boulogne an der französischen Küste verbunden. Unsere Bilder Fig. 4 und 5 zeigen die Strandpartie vor den Stationen mit den Riesenmasten von fast 50 m Höhe, welche die vertikalen Luftdrähte tragen. Die Abbildung in Fig. 1 gestattet einen Einblick in das Innere der Station zu Boulogne. Sie hält den Augenblick fest, wo ein Gehilfe Marconis am Oscillator arbeitet, um eine Wellendepesche aufzugeben.
Der deutsche Ingenieur Schäfer hatte Marconis Leistung im Sommer dieses Jahres noch übertroffen. Er sandte seine Wellensignale sogar über eine Strecke von 62 km. Statt des Kohärers bediente er sich einer anderen Einrichtung, der sogenannten „Schäferschen Platte“. Sonst gleichen seine Anordnungen den oben geschilderten.
Aber wiederum gelang es Marconi, seinen Rivalen, während der letzten Manöver der englischen Marine an der Südwestspitze von Wales, zu schlagen. Die Kriegsschiffe waren imstande, sich über 80 bis 100 km mit seinen Einrichtungen leicht zu verständigen.
Nach neuesten Berichten konnte Marconi seine Stationen sogar auf 125 km mit gutem Erfolge auseinander rücken.
Auch die Militärbehörden haben sich eingehend mit der Wellentelegraphie beschäftigt und versucht, mit Hilfe von Fesselballons sich die Signale zuzusenden. In künftigen Kriegen dürfte denn auch unzweifelhaft der Wellentelegraphie eine bedeutende Rolle zufallen.
Nach so viel Licht mögen nun auch die Schattenseiten der Wellentelegraphie hervorgehoben werden. Die elektrischen Wellen wandern nach allen Richtungen der Windrose und jedermann kann sie auffangen und ihre Geheimnisse enthüllen. Den einzigen einwurfsfreien Schutz bieten dagegen nur verabredete Ziffernsysteme, wie sie ja auch sonst häufig in der Telegraphie für diplomatische Nachrichten im Gebrauch sind. Vielleicht könnten auch, wie Slaby meint, im Kriege feindliche Oscillatoren dauernde Störungen der Zeichen hervorrufen und die Verständigung unmöglich machen. Das gäbe dann einen interessanten Kampf in den Wellen des Aethers!
Jedenfalls können unsere Ingenieure stolz sein, daß es ihnen gelungen ist, die Technik sogar vom Körperlichen zu befreien und zu ermöglichen, daß die Kräfte sich frei im Aether bethätigen. Wer dürfte einem phantastischen Kopfe z. B. jetzt Einhalt gebieten, der in den elektrischen Wellen die Mittel zu sehen glaubt, welche die enge Erdsphäre sprengen und dem Könige der Schöpfung die Welt der Sterne öffnen?