Die Stedinger
Die Stedinger.
Da, wo sich jetzt die Marschen der Unterweser ausbreiten – ein von den Geest- und Dünenbildungen in weitem Bogen nach Ost und West begrenzter alter Meerbusen – erstreckten sich einst Wüsteneien von Moor, Sumpf und schilfbewachsenen Inseln, kleine und große, welche theils von der in viele Arme sich spaltenden Weser, theils von den die Geest herabkommenden Wasserläufen gebildet wurden. Wie sehr sich das Landschaftsbild aus jener Zeit von dem der Gegenwart unterscheidet, darauf deutet eine Ueberlieferung [804] aus der spätern Zeit der Bebauung, welche erzählt, daß die Weststedinger (ungefähr das jetzige Stedingen) zu den Oststedingern (jetzige Osterstade) ohne Schiffe, unter Benutzung von Brettern und Stegen über die Weser, gelangen konnten.
Wenige Ansiedelungen abgerechnet, auf welche uralte Baulichkeiten und Knüppeldämme hindeuten, führte erst die Völkerbewegung des zwölften Jahrhunderts in Deutschland auch diesem Bruchlande der Weser die Colonisten zu, die es zur Heimath eines tüchtigen thatkräftigen Volkes umgestalten sollten. Es war ein Mischvolk, das sich hier zusammenfand, theils aus eigener Initative heranziehend, theils durch Unternehmer herbeigerufen – Friesen, Holländer, Sachsen, Westfalen, sowie Bewohner der umliegenden Geest – ein kräftiges, freies Bauernelement, welches der jungen Colonie eine gedeihliche Entwickelung versprochen hätte, wären nicht die politischen Verhältnisse der umliegenden Geest gewesen, die sich nicht wie Sumpf und Moor überwinden ließen und der jungen Colonie verhängnißvoll werden sollten.
Auf das neucultivirte oder zu cultivirende Land erhoben nicht nur anwohnende Grafen, namentlich die von Oldenburg, die angrenzenden Klöster und Stifter, sondern vor Allem auch der Erzbischof von Bremen Anspruch, welcher das fragliche Bruchland von dem Grafen Udo dem Zweiten von Stade erworben hatte und, als er die Bebauung vorschreiten sah, der Sicherheit halber sich diesen Erwerb noch vom Kaiser Friedrich dem Ersten bestätigen ließ. In Folge der sich kreuzenden Interessen zeigten auch die grundrechtlichen Verhältnisse ein buntes Gemisch: Hollerbauern, Lehnpflichtige, Meier, Ministerialen, Alles war vertreten, den Kern bildete aber ein freier Bauernstand. Anfänglich hatten diese Rechtsverhältnisse keine sonderliche praktische Bedeutung; das Erzstift erhob einen geringen Zehnten und begann erst Rechte geltend zu machen, als die Macht der Stedinger zu einem Factor herangewachsen war, mit dem es bei seinen auf Macht und Gewinn gerichteten Plänen rechnen mußte.
Die Grafen von Oldenburg waren es zuerst, welche im Anfang des dreizehnten Jahrhunderts[WS 1] die Stedinger zwangen, den Pflug mit dem Schwert zu vertauschen. Diese Grafen besaßen an der Westgrenze Stedingens zwei feste Plätze und wollten dieselben jedenfalls als Operationsbasis für ein allmähliches Vordringen in die Marschen benutzen. Ihre Besatzung benahm sich gegen die Bauern übermüthig und gewaltthätig, raubte Frauen und erpreßte Lösegeld; da hielten die Bauern einen Thing ab und beschlossen, beide Burgen zu gleicher Zeit zu überrumpeln. Der Sturm gelang; die Besatzung wurde niedergemacht; Wälle und Mauern wurden geschleift. Der Erzbischof Hartwig unternahm einen Zug gegen die Stedinger, unterbrach ihn aber sofort, als man ihm die rückständigen Zehnten und Zinsen auszahlte.
Die Stedinger hatten ihre Bedeutung erkennen gelernt, und die nun folgende Zeit sollte das Ihre dazu beitragen, ihre Schlagfertigkeit, ihren Einfluß zu erhöhen und vor Allem auch das Bewußtsein der Zusammengehörigkeit der West- und Ost-Stedinger schärfer auszuprägen. Die Kämpfe zwischen Welf und Waibling nämlich zwangen die Stedinger zum ersten Male, Antheil an den politischen Verhältnissen und Ereignissen im Reiche zu nehmen, und hierbei finden wir dieselben immer auf der Seite, welche das Recht für sich hatte, erst auf Seiten des Königthums, sowohl gegen die Fürsten wie gegen die Hierarchie, dann auf der reichstreuen Seite. Ihr erstes Auftreten war glänzend genug, indem sie dem staufischen Erzbischof Waldemar, der nach der Ermordung Philipp’s durch den Wittelsbacher sogar von den eigenen staufischen Ministerialen im Stiche gelassen wurde, ihre Unterstützung angedeihen ließen, Stade stürmten und die mit den Welfen verbündeten Dänen hinauswarfen. Von da ab finden wir die Stedinger mit wechselndem Kriegsglücke vollständig in die Kämpfe der Parteien verwickelt, bald dem Vertreter ihrer Partei den Rücken deckend, bald selbstthätig vorgehend, bald auch lediglich durch ihre Macht einen Druck ausübend. Denn sie [805] waren in der That eine Macht geworden, mit der Alle, welche in Niederdeutschland Politik trieben, zu rechnen hatten. Der Erzbischof von Bremen, Gerhard, welchem sie schließlich zum Siege verhalfen, war ihnen zu Danke verpflichtet, und so schlossen die Wirren mit einer für die Stedinger günstigen Lage der Dinge, die freilich nur so lange Bestand hatte, wie jener lebte.
Im Jahre 1219 starb er, und sein Nachfolger, der bisherige Probst zu Paderborn, Gerhard, Edelherr von der Lippe, ein energischer, schlauer Prälat, kam rasch genug mit dem bäuerlichen Gemeinwesen in Conflict, welches so dicht vor den Thoren seines Bischofssitzes jedem Schritte, um die kirchliche Macht im niederdeutschen Gebiete auszubreiten und zu festigen, ein Hemmniß war. Ueberdies brauchte er Geld; den Bremern gegenüber war er mit dem Versuche einer Zollerpressung auf der Weser übel angekommen – und gerade in dieser Hinsicht boten die Stedinger ihm eine Handhabe zum Eingreifen.
Hatten die Stedinger Zehnten und Zinsen dem Erzbischof früher schon mit Widerstreben gegeben, so unterblieb dies ganz unter dem Regimente des verstorbenen Bischofs.
Jetzt trat Erzbischof Gerhard mit der Forderung der Zehnten an die Stedinger heran, welche als Antwort darauf seine Boten einfach vor die Thür warfen. Das wollte der Erzbischof nur – er rüstete zum Angriff, zog seine Ministerialen heran und rief seinen Bruder Hermann von der Lippe zu Hülfe. Die Stedinger hatten keine Bundesgenossen; nicht einmal die Friesen, ihre Nachbarn und natürlichen Verbündeten, rührten sich – doch sie sollten auch keine Bundesgenossen nöthig haben. Es war am Weihnachtsabend 1229 – da trafen die Heere auf einander – zum ersten Male hoben die Stedinger im Kampfe um ihre Existenz die Hand gegen die Macht der Kirche auf – und mit aller Schwere sollte der Bischof sie auf sein Haupt niederfallen sehen. Die Stedinger siegten glänzend, nicht nur wurde das Heer vernichtet, sondern auch der Bruder des Erzbischofs, Hermann zu Lippe, lag erschlagen auf dem Schlachtfeld. Die Stedinger hatten den Sieg, zugleich aber einen Kirchenfürsten zum gefährlichen Todfeinde gewonnen.
Doch tritt bei diesem ersten Zuge gegen die Stedinger jener widerliche brutale Mißbrauch kirchlicher Institute noch nicht, wie später, hervor – es ist eben ein Kampf, wie er zwischen Herren und Bauern um diese Zeit allenthalben ausgefochten wurde. [806] Uebrigens schien über dem Geschlechte Derer von der Lippe ein ganz besonderes Verhängniß zu schweben; 1227 wurde Gerhard’s Bruder, Bischof Otto, erschlagen, 1228 wurde sein Bruder Dietrich, welcher Probst in Deventer war, von den Bauern scalpirt, und 1229 fiel sein Bruder Hermann gegen die Stedinger.
Gerhard brütete über Racheplänen – aber er sah ein, daß er noch zu schwach war, sie auszuführen. Er mußte sich nach mächtigerer Hülfe umsehen, und das „Wo“ – nun das war eben Rom. Stehen wir doch hier inmitten jenes Ringens zwischen kaiserlicher und päpstlicher Macht. Das „Wie“ konnte ebenso wenig zweifelhaft sein: es war jene schreckliche Zeit, wo solche Bestien im Priestergewand, wie der (für seine Schandthaten heilig gesprochene) Conrad von Marburg, mit ihrer Rotte Korah in majorem Dei gloriam sengend und brennend, mordend, Weiber schändend und plündernd unser armes Vaterland durchzogen, wo unter Häresie nicht mehr, wie früher, ein wirkliches Abfallen vom Glauben verstanden wurde, vielmehr die bloße Bethätigung des Selbsterhaltungstriebes gegenüber einer Gewaltthat der Kirche genügte, um sofort als verdammter Ketzer mit Feuer und Schwert verfolgt zu werden. Wenn die Bauern, deren Langmuth von der kirchlichen Gewalt auf eine zu harte Probe gestellt wurde, Handlungen begangen hätten, welche man als wirkliche Schändung des Heiligen bezeichnen konnte – nun, so gab das doch immer noch einen scheinbaren Grund für die Kirche ab, sie als Kirchenschänder und Ketzer hinzustellen. Aber gegen die Stedinger lag nichts dergleichen vor; ihre angeblichen Missetaten, wie das Erschlagen eines Priesters durch einen Bauer, weil jener, mit dem Beichtgroschen von dessen Frau unzufrieden, ihr denselben statt der Hostie in den Mund gesteckt habe, oder gar die blödsinnigen Berichte über einen Teufelscultus bei den Stedingern, sind Erfindungen – hatten sie doch noch vor Kurzem sogar das Kreuz genommen und sich mit den Friesen, ihren Nachbarn, an einem Zuge in’s gelobte Land betheiligt. Ihre einzige Ketzerei war – ihr Freiheitssinn.
Der Erzbischof wußte Rath, einen Weg, den Andere schon mit den besten Resultaten beschritten hatten. Waren die Stedinger keine gräulichen Ketzer, nun so machte man sie dazu, damit war die erste Position erreicht – die Erlaubniß des Papstes, das Kreuz zu predigen, war die zweite – als Drittes blieb dann noch immer die Aufgabe, das Kreuzheer in Wirklichkeit zusammenzutrommeln.
Gerhard berief also zunächst im März 1230 eine Diöcesansynode nach Bremen, um durch diese die Verketzerung und den Bannfluch über die Stedinger aussprechen zu lassen. Der Mangel an Kirchen in den Marschen wurde als Beweis mangelnder Religiosität, Aberglaube, wie er noch heute bei uns auf dem Lande zu Hause ist, wurde als heidnische Ketzerei ausgelegt, Zerstörungen von Klöstern und Kirchen und Mißhandlungen von Geistlichen während des Krieges wurden als Sacrilege hingestellt, auch allerhand dazu gelogen, und gestützt hierauf beschloß die Diöcesansynode, eine Versammlung von Ja-Brüdern, welche die verschiedenen Gründe hatten, dem Erzbischof nicht zuwider zu sein, genau das, was er wollte.
Nun galt es weiter vorzugehen und die Intriguen bei der Curie zum Zweck des Kreuzzuges zu beginnen. Zur Vorbereitung gründete der Erzbischof bei Bremen ein Cistercienserinnenkloster, gewann die Dominicaner für sich, die sich in Norddeutschland eines großen Ansehens erfreuten, und wiegelte auch die weltlichen Kreise auf, sodaß einstimmig von allen Seiten Klagen über die Stedinger in Rom ertönten. Nächstdem begann er seine Agitation bei der Curie selbst, allerdings zunächst mit wenig Erfolg. Erst in der Mitte des Jahres 1231 erließ Gregor der Neunte an den Prior der Dominicaner in Bremen eine Bulle, in welcher er, gestützt auf die schon bei der Diöcesansynode vorgebrachten Gründe, den Religionskrieg gegen die Stedinger erlaubte. Obschon die Dominicaner die rechten Leute für die Agitation waren, fand diese doch wenig Anklang bei den hauptsächlich in Frage kommenden Grafen; die einen wollten die Macht des Erzbischofs nicht ausdehnen helfen, die anderen, den Stedingern zunächst wohnenden hatten einen noch triftigeren Grund, nämlich – die Furcht vor diesen.
Die Sache ging nicht recht vom Flecke, und der Papst selbst ordnete noch eine neue Untersuchung über die Ketzerei der Stedinger an. Das Verhalten des sonst die Ketzerverfolgungen begünstigenden Papstes gestattet den Schluß, daß derselbe von der völligen Unhaltbarkeit der Stedinger-Anklage sehr wohl Kenntniß hatte und so lange ziemlich lau vorging, wie der Widerstand der Bauern nicht ein bedenkliches Moment für ihn selbst wurde.
Inzwischen war wieder einmal geschehen, was so oft sich in der Geschichte wiederholt: Macht hatte der Macht die Hand gereicht, und die Schwachen mußten die Kosten tragen – Kaiser und Papst hatten Frieden geschlossen, und als Preis des Bündnisses wurden gemeinsam schauderhafte Ketzergesetze erlassen, mit specieller Nutzanwendung auch auf die Stedinger, welche zugleich in die Reichsacht erklärt wurden. Und so hielt denn auch am 29. October 1232 Gerhard die päpstliche Bulle in der Hand, welche ihm gestattete, das Kreuz gegen die Stedinger zu predigen, „die,“ wie es in jener Bulle heißt, „nicht Gott, nicht Menschen scheuend, die Lehre unserer heiligen Mutter, der Kirche, für Tand achten, der Kirche Freiheit antasten und, ihrer Blutgier fröhnend, wie an wilder Thiere Brüsten genährt, keines Geschlechtes schonen und keines Alters. Mehr noch – Blut wie Wasser vergießend, zerreißen sie, gleich Raubthieren, Priester wie Mönche – verfahren mit dem Leibe des Herrn abscheulicher, als der Mund aussprechen darf, begehren von bösen Geistern Auskunft, bereiten von ihnen wächserne Bilder, erholen sich Raths von wahrsagerischen Frauen in schändlichen Zusammenkünften und treiben andere Werke der Verruchtheit etc.“ – eine Schilderung, die so wenig den armen Stedingern entsprach, wie sie vortrefflich auf die wüste Priesterwirthschaft jener Tage paßte. Der Bulle fehlte jedoch ein wesentliches Ingrediens: der volle Ablaß für die Kreuzträger, ein sehr wichtiger Umstand. Die Kreuzpredigt, namentlich durch die Bettelmönche, begann aber dennoch, und es lief Volks genug zusammen.
Die Stedinger, sobald sie von ihrer Verketzerung erfahren hatten, schritten vor allen Dingen dazu, die wenigen Punkte, welche nicht durch Deiche und Moore vor einem Angriff geschützt waren, zu befestigen; namentlich da, wo die Marsch an die Dünen stieß, lag kein Moor vor; nur der Hemmelskamper Wald bot eine Schutzwehr. Hier wurde eine Befestigung angelegt, ein tiefer Graben gezogen, den die Ochtum mit Wasser speiste, die Brücke über die letztere, auf welche die Heerstraße von Bremen zuführte, wurde verschanzt, und noch anderweite kleinere Deckungen wurden hergestellt. So bietet sich uns jetzt ein dramatisches Bild voll scharfer Contraste – hier die stille friedliche Marsch mit den freundlichen Höfen, den grünen Wiesen und flüsternden Schilfgräben, an der Grenzmark waffenerprobte Männer, in trotziger Ruhe des Angriffs harrend, entschlossen, ihre Heimath und ihre Freiheit bis zum letzten Athemzuge zu vertheidigen – draußen dagegen ringsum im Lande eine wüste Agitation fanatischer Kuttenträger, Lüge und Verleumdung, Haß und Fanatismus, Intrigue und Raublust, von machtgierigen Priestern zu Bundesgenossen erwählt!
Schon war, wie oben gesagt, das Kreuzheer zusammengezogen: da fuhren die Bauern dazwischen, brachen hinter ihren Verschanzungen hervor, zerstörten den halbfertigen Bau des Schlüttenberges, griffen die Oldenburger Veste an und hätten sie genommen, wenn nicht Verrätherei in ihrer Mitte dies gehindert hätte. Die Kreuzzügler richteten nichts aus – der Feldzug war verloren, und die Stedinger blieben die Herren des Augenblicks. Nunmehr aber griff der Papst selbst in die Hetzerei ein, indem er sowohl die zunächst betheiligten Bischöfe zum Handeln trieb, wie ganz besonders die Stadt Bremen auf Seite der Hierarchie zu bringen suchte, denn die Gefahr lag nahe, daß diese schließlich als Bundesgenossin der Stedinger auftreten möchte. Gerhard sah sich genöthigt, den Bremern weitgehende Zugeständnisse zu machen, wodurch die wichtige Bundesgenossenschaft der Stadt für die Stedinger verloren ging.
Die Kreuzpredigt hatte sich über ganz Norddeutschland verbreitet und neue Schaaren dem Kreuzheere zugeführt, das nun zunächst gegen Oststedingen losbrach, und zwar zu Lande und zu Wasser. Das langgestreckte, schmale, zur Vertheidigung höchst ungünstig gelegene Oststedingen, von zwei Seiten angegriffen, konnte nicht lange Widerstand leisten – nicht nur die Männer, sondern auch die Weiber und Kinder wurden niedergemacht; es wurde gesengt und geplündert, und – wie hätten die Priester sich den pikanten Genuß entgehen lassen können! – die Gefangenen wurden lebendig verbrannt. Oststedingen war vernichtet.
Nachdem inzwischen der Papst, dem der Widerstand der verketzerten Stedinger höchst bedenklich zu werden begann, einen vollen Ablaß für alle Kreuzfahrer gespendet hatte, welcher sie mit den Kreuzfahrern in das gelobte Land auf eine Stufe stellte, bereitete [807] man sich – es war im Jahr 1233 – zum dritten Kreuzzuge vor. Graf Burchard von Oldenburg beschloß mit seinen Schaaren den Hasberger Paß anzugreifen; am Hemmelskamper Walde kam es zum Kampfe, und wie einst Hermann von der Lippe, so mußte jetzt Graf Burchard den Zug gegen das brave Bauernvolk mit dem Leben büßen; außer ihm fielen zweihundert Mann unter den Streichen der Stedinger; das Heer wurde in die Flucht geschlagen, und zum dritten Male blieben die Stedinger Sieger.
Dies sollte aber auch ihr letzter Erfolg sein.
Durch einen gewandten Schachzug hatte der Erzbischof den einzigen Bundesgenossen der Stedinger, den Welfen Otto von Lüneburg, mit dem er bisher in Fehde lag, auf einige Zeit matt gesetzt; die Friesen, auf deren Hülfe die Stedinger doch vor Allem rechnen durften, ließen sie in thörichter Kurzsichtigkeit im Stiche; die Ministerial- und Edelleute, welche vordem auf Seiten der Stedinger gestanden, hatten sich nach dem Bannfluch zurückgezogen, ja selbst die Hülfe, welche ihnen aus der Opposition der Fürsten und zum Theil selbst der Cleriker gegen die wahnsinnige Ketzerwirthschaft Gregor’s zu erwachsen schien, zerrann in Nichts – so standen sie da, verlassen von aller Welt, nur auf Gott, ihren starken Arm und ihr gutes Recht vertrauend. Auf der andern Seite aber wuchsen die Kräfte höchst bedrohlich an. Die Aufhetzung gegen die freien Bauern hatte eine immer gewaltigere Ausdehnung genommen; von der Elbe bis zum Rhein wurde von fanatischen Mönchsschaaren das Kreuz gepredigt; von Kloster zu Kloster wanderten aufregende Schreiben; die Marschlande, damals wie heute noch der unbekannteste Theil unseres Vaterlandes, wurden in der Phantasie des Volkes zu einer fremden, mit einer bestialischen Ketzerrasse angefüllten Gegend – von allen Seiten fing die Menge an herbeizuströmen: verblendetes Volk, das sich den Himmel mit Todtschlagen der Ketzer erwerben wollte, raublustige Ritter, alte Kreuzsoldaten, die sich überall unnütz im Lande herumtrieben, abenteuerliches Gesindel, Grafen und Herzoge, z. B. Graf Heinrich von Oldenburg, Graf Ludwig von Ravensberg mit seinen Mannen, Graf Otto der Dritte von Geldern, Graf Florentin von Holland, Herzog Heinrich der Jüngere von Brabant, Adolph der Siebente von Berg, Wilhelm der Vierte von Jülich, Dietrich von Cleve und Andere mehr – eine so noble Räuberbande, wie sie die Geschichte nicht häufig beisammen gesehen.
Im Frühjahr 1243 war das Kreuzheer in Bremen versammelt, und am 27. Mai, am Sonnabend vor Himmelfahrt, brach man gegen die Marsch auf.
Wir stehen vor dem letzten Verzweiflungskampfe dieses vielgeprüften tapferen Bauernvolkes. Man hatte seine Waffen oft genug empfunden, um nicht zu wissen, daß bei einem Sturm auf die Befestigungen des Hasberger Passes die Entscheidung trotz der gewaltigen Uebermacht des Kreuzheeres eine sehr zweifelhafte werden konnte; hatte man doch gerade hier erst eine Niederlage erlitten. Man benutzte daher die vielen vorhandenen Schiffe zur Herstellung einer Schiffsbrücke über die Ochtum und entwickelte somit in freiem Felde die ganze Uebermacht. Bei Altenesch, zwischen der Ochtum, Ollen und Lintow standen die Bauern, an die zweitausend, in tiefem Ernste des Angriffs harrend. Sie wußten wohl, daß es der Entscheidungskampf für ihre höchsten Güter war, der ihnen bevorstand, aber: „Lieber todt als Sclave!“ – das war ihr einziger Gedanke. An ihrer Spitze regten die drei Führer Bolke von Bardenflet, Tammo von Huntdorf, Detmar von Dieke den Kampfmuth durch Hinweis auf die siegreiche Vergangenheit noch mehr an. So standen sie in schlagfertigen Schaaren wohlgeordnet da, ausgerüstet mit nichts als einem Lederschild, Spieß und kurzem Schwerte – reckenhafte Männer müssen es gewesen sein, in denen die ganze deutsche Kampfeswuth lebendig war, und deren Heldengröße erst recht deutlich hervortritt, wenn man bedenkt, daß diese kleine Schaar leicht bewaffneter Bauern auf offenem Felde einer Uebermacht von zehntausend meist eisengepanzerten kriegsgeübten Streitern zu Fuß und zu Pferd sich gegenüberstellte. Gegen Mittag begann der Angriff unter dem Befehl des Herzogs von Brabant. Von sicherer Höhe aus stimmte die Clerisei das alte, damals vielgesungene Lied an: „Media vita in morte sumus!“ („Mitten wir im Leben sind von dem Tod umschlungen“); die goldnen Kreuze und Fahnen leuchteten aus ihrer Mitte herüber, und durch diesen Gesang und Anblick noch mehr fanatisirt, warf sich das erste Treffen unter der Führung Florentin’s von Holland auf die Stedinger, von denen es mit grimmigen Hieben empfangen wurde. Ein wilder Kampf begann – zwischen das Schlachtgeschrei und Getöse erklangen die frommen Lieder der Mönche. Furchtbar wüthete die Hand der Bauern unter den Kreuzträgern und edeln Herren – Graf Heinrich von Oldenburg wurde vom Pferde gerissen und zusammengehauen. Bis zum Abend dauerte das blutige Ringen freier Männer gegen Pfaffenwuth und Raubgier, ja die Stedinger hieben so furchtbar ein, daß das Kreuzheer in’s Schwanken gerieth; aber die Uebermacht war zu groß – die Stedinger wurden überflügelt, und als nun der Graf Dietrich von Cleve mit frischen Truppen ihnen in den Rücken fiel, war ihr Schicksal entschieden; nur eine sehr kleine Anzahl entkam durch die Flucht, fast die ganze waffenfähige Mannschaft lag erschlagen auf dem Schlachtfelde.
Als die blauen Abenddünste der Marsch emporstiegen und die Sonne am Deich hinabsank, da blickte sie auf verwaiste friedliche Höfe, wo blaue Kinderaugen vergeblich nach dem Vater ausspähten, der bleich und starr in der blutigen Ebene lag – ihre letzten Strahlen aber trafen auf ein Kreuz, das Zeichen der ewigen Liebe, das ein triumphirender Priester in blutigen Händen hoch empor hielt, während die Schaaren ringsum heilige Lieder anstimmten und, den Namen Gottes lästernd, ihr wüstes Treiben mit seinem Willen deckten. Nun folgte der zweite Act des Dramas, das Plündern, Sengen und Morden im Lande – den Genuß von Ketzerverbrennungen mußten sich die Priester entgehen lassen, da keine Gefangenen gemacht worden waren.
Neben den erschlagenen Stedingern aber, unter denen sich auch viele Frauen befanden, lagen über viertausend Kreuzfahrer, darunter viele vornehme Herren. Der Haufen der Gefallenen war so groß, daß die Leichen der Ketzer und Kreuzfahrer nicht geschieden werden konnten, sondern in gemeinsamen Gräbern bestattet werden mußten. Ueber der Grabstätte der auf dem Schlachtfelde selbst Beerdigten wurde die Capelle des heiligen Gallus errichtet, die Kirche zu Süderbrok, welche unser Bild zeigt. Von den Edeln wurde eine große Zahl in den Kirchen zu Warfleth und wahrscheinlich auch zu Berne und Elsfleth bestattet. Da aber eine Scheidung von Ketzern und Kreuzfahrern nicht stattgefunden hatte, mußten Kirchen und Grabstätten von Neuem geweiht werden.
So hatte denn Gerhard sein Ziel erreicht – das freie Bauernvolk war vernichtet; in der Marsch herrschte die Ruhe des Kirchhofes. Wie viel Niedertracht und Lüge, wie viel blutige Niederlagen und Opfer selbst aus seiner eigenen Familie es gekostet, was kümmerte es ihn? Die heilige alleinseligmachende Kirche hatte gesiegt, und sie mußte siegen, denn sie muß herrschen oder untergehen. Und so stiftete Gerhard eine Gedächtnißfeier, aus Procession und Messe bestehend, die alljährlich am Sonnabend vor Himmelfahrt „als Gedenkfeier an den Sieg über die Stedinger zu Ehren der heiligen Jungfrau“ abgehalten wurde. Drei Jahrhunderte lang stiegen diese Jubelhymnen in der Peterskirche zu Bremen empor, mahnend an eine der schändlichsten Thaten der Hierarchie, welche die Geschichte je verzeichnet hat, bis endlich die Wogen der Erkenntniß im Volke immer höher schwollen, bis der Geist der Reformation hier seinen Einzug hielt.
Die Tragödie der Stedinger blieb nicht ohne Nachspiele.
Diejenigen Stedinger, welche aus der Altenescher Schlacht entkommen waren und bei den Friesen Aufnahme gefunden hatten, schürten in deren Mitte zum Kampf gegen die Oldenburger Grafen, welche hauptsächlich in Oberstedingen Besitz genommen hatten – der Zweck war die Befreiung Niederstedingens. In der Mitte des Jahrhunderts griffen die Rustringer und Niederstedinger zu den Waffen, erlitten aber eine Niederlage durch den Grafen Johann von Oldenburg. Da öffneten die Stedinger ihre Siele – und sieben Jahre lang war das Land eine Wüste; Wölfe nährten in der Kirche von Elsfleth ihre Brut und – damit der Tragödie die Komik nicht fehle – die biederen Benedictiner in Rastede mußten ihren Convent auflösen, weil sie in Folge jenes Zustandes nichts mehr zu beißen hatten. Und als die Oldenburger nun in Rustringen eindrangen, wurden sie auf dem Boitwardener Moor auf’s Haupt geschlagen. Erzbischof Hildebrand drohte jetzt, zu Gunsten der Oldenburger Grafen einzugreifen, aber die Bremer nahmen Stellung gegen ihn, und so zog er es vor, im Jahre 1260 einen Frieden herzustellen, welcher sich auf einen gemeinsamen Vertrag zwischen Friesen, Oldenburgern, Bremern und dem Erzstift gründete und der den Niederstedingern für alle Zeiten eine Unabhängigkeit gewährte, welche ihnen gestattete, ihre Angelegenheiten selbst zu ordnen.
[808] In Oberstedingen war der Erzbischof fortan unbeschränkter Herr und belohnte die Grafen und Edeln, die Mönchsorden und Kirchen, kurz alle seine Helfershelfer mit den Gütern der Bauern; dabei hütete er sich aber wohl, die zurückgebliebenen Arbeitskräfte außer Land zu treiben, denn bekanntlich zog es die Kirche stets vor, Andere für sich arbeiten zu lassen. Auf die verwaisten Höfe setzte er als Meier herbeiziehende Fremde, namentlich Friesen, weshalb die neue Bevölkerung immerhin äußerlich einen der alten verwandten Charakter bewahrt hat. In den letzten Jahren des dreizehnten Jahrhunderts machten auch die Oberstedinger einen Versuch, das Joch abzuschütteln und ihre Selbstständigkeit wieder zu erringen – der Versuch mißglückte aber in Folge von Verrath vollständig.
Sechshundert Jahre nach dem Schlachttage von Altenesch, am 27. Mai 1834, setzte eine pietätvolle Generation dem Andenken der Stedinger ein einfaches, würdiges Denkmal auf dem Schlachtfelde selbst, wo jenes tapfere Bauernvolk, den Streichen der römischen Curie erliegend, den Heldentod starb, und wohl ziemt es uns, den Glücklicheren, die wir im hellen Tageslichte einer neuen Zeit wandeln, derjenigen zu gedenken, welche im Kampfe mit den finsteren Mächten des Mittelalters, um die Fahne der Freiheit geschaart, heroisch kämpfend untergingen. Und mit dem schönen Worte, mit welchem Arnold Schloenbach sein Epos[1] über die Stedinger endet, wollen auch wir schließen:
„Jedes Kämpfen für die Freiheit
Geht der Menschheit nie verloren,
Und aus jedem ihrer Gräber
Wird sie mächt’ger stets geboren.
Alles Blut, was ihr geflossen,
Tränkt allewig ihre Saat;
Jede That der Weltgeschichte
Zeugt auch wieder eine That.“
- ↑ Vergl. Gartenlaube 1864, S. 783.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: Jahrhunders