Zum Inhalt springen

Die Spuren des vorgeschichtlichen Menschen in Deutschland

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: August Woldt
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Die Spuren des vorgeschichtlichen Menschen in Deutschland
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 36, 38, 39, S. 583–586, 612–615, 630–633
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1880
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[583]
Die Spuren des vorgeschichtlichen Menschen in Deutschland.
Betrachtungen zur prähistorischen Ausstellung in Berlin.
Von A. Woldt.
I.
Europa im Werden. – Das Diluvium und die Eiszeit. – Die deutsche anthropologische Forschung und die prähistorische Ausstellung zu Berlin. – Wie es zur Diluvialzeit im Braunschweigischen aussah. – Thierische und menschliche Wanderbesuche in Mitteleuropa. – Ein Blick auf die deutschen Höhlenfunde. – Noch ein Wort über die diluviale Landkarte von Europa.


Unzählige Jahrtausende führen uns zurück in jene große Epoche der Erdentwickelung, welche von den Geologen die Tertiärzeit genannt wird. Längst dahingesunken in den Staub waren damals schon die riesigen Sauriergeschlechter; hoch bedeckten die Schichten des Jura die Reste des Urvogels, des Archäopteryx, und tief im Grunde des Kreidemeeres lagerten die Reste der früheren Meeresfauna neben mächtigen Knollen des deutschen Urculturmaterials, des Feuersteins. Die beiden ersten großen Säugethierperioden folgten auf einander; die Vorläufer der Wiederkäuer und Pferde, das Urschwein, die Waldaffen wurden abgelöst durch riesige eigenthümliche Elephanten- und Rhinocerosarten, durch anders geartete Pferde und Affen, durch Hirsche, Giraffen, hunde- und katzenartige Raubthiere.

Das Relief von Europa tritt uns zur Tertiärzeit als ein beträchtliches, von zahlreiche Meeresarmen durchschnittenes Festland entgegen, in dessen immergrünen Urwäldern mit ihren Feigen-, Lorbeer-, Kampher- und Seifenbäumen, mit ihren Myrthen und Palmen, späterhin aber mit Sumpfcypressen, Tannen und Bäumen mit fallendem Laub sich der allmähliche Uebergang des paradiesischen, echt tropischen Klimas in ein subtropisches kennzeichnet. Eine Zeit großartigster vulcanischer Thätigkeit vollführt der Hauptsache nach die Hebung der heutigen Hochgebirge, der Pyrenäen, Alpen, Karpathen, des Kaukasus, und durch den vulcanischen Ausbruch ungeheurer Lavamassen werden die Basaltgebirge in Mitteldeutschland, Eifel, Siebengebirge, Westerwald, Vogelgebirge, Rhön, die Basaltgebirge Böhmens und die ungarischen und siebenbürgischen Trachytgebirge gebildet. Höher und höher steigen in den Hochgebirgen die Gipfel und Ketten in die oberen kälteren Schichten der Atmosphäre empor, deren Niederschläge auf ihnen sich bald in gewaltigen Mengen von Schnee und Eis anhäufen und, zu riesigen Massen vereint, ausgedehnte Gletscher bilden, welche langsam, mit unwiderstehlicher Gewalt ihre Eisströme gegen die Ebene vorschieben und die Felstrümmer der Gebirge als langgestreckte Moränen hinabtragen.

Das ist die Weltbühne, auf der sich das jüngste Zeitalter der Erde, die Quatenär-Epoche abspielt, jene Periode, die mit dem Auftreten des Herrn der Schöpfung, des Menschen, bei uns in Deutschland zusammenfällt. Das ist jene gewaltige Zeit des Diluvium, der Sündfluth, wie man sie nach uralter Sage benennt, wo der Schutt des Hochgebirges und die verwitterten und abgebrochenen Felsstücke der Bergeshöhen sich auf dem Rücken der Eisströme hinuntertragen ließen in die Ebene, wo die Gletscher Skandinaviens die Gesteine der nordischen Gebirge als Findlinge oder erratische Blöcke über Norddeutschland und bis in die Mitte von Holland hinein ausstreuten, wo die Alpengletscher über den Bodensee hinaus und weit in die Rheinebene vordrangen und die obersten Schichten der Tertiärperiode oft Hunderte von Fuß hoch mit Geröll- und Lehmablagerungen bedeckt wurden.

[584] Das Vordringen der Gletscher der Eiszeit erreichte schließlich sein Ende, sei es, daß die Berggipfel genügend abgetragen waren, sei es, daß kosmische Ursachen zur Geltung kamen – darüber ist die Wissenschaft noch nicht einig. Das Eis nahm allmählich seinen Rückzug, und die wildrauschenden mächtigen Gletscherströme verloren einen Theil ihres Wasserreichthums. Es nahte jene Zeit, bei deren Erforschung der Geologe dem Anthropologen brüderlich die Hand reicht, jene Zeit, welche die allerersten „Urkunden“ der „Wissenschaft vom Menschen“, der Anthropologie, aufbewahrt hat. Bei der Durchmusterung der ihr angehörenden Schichten handelt es sich nicht mehr ausschließlich um Knochenreste untergegangener Thiergeschlechter, sondern um die Thätigkeitsspuren eines neuen Wesens, eines erfindungsreichen, herrschenden Organismus, der, man weiß nicht woher, plötzlich auftaucht – eben des Menschen.

Das specielle Bestreben, die ersten Spuren des Auftretens von Menschen in Deutschland bis zu jener Zeit zu ermitteln und zu untersuchen, wo die geschichtlichen Nachrichten einsetzen, hat sich in der „Deutschen anthropologischen Gesellschaft“ zusammengefaßt, welche soeben die unvergeßlichen Tage ihrer elften Jahresversammlung, 4. bis 12. August 1880, in Berlin gefeiert hat. Ihre Arbeiten haben das Material zur Construction einer „deutschen Prähistorie“, einer Geschichte des Menschen vor der Geschichte in unserm Vaterlande, in der zur Zeit erreichbaren Vollständigkeit geliefert, und sie hat jüngst in Verbindung mit der erwähnten Jahresversammlung dem Publicum in Berlin vom 5. bis 21. August eine Ausstellung wichtiger Funde aus der Urzeit geboten, welche den Gedanken nahe legt, einmal die Ergebnisse dieses ganzen Forschungsgebietes für einen weiteren Leserkreis zusammenzufassen. Zum Voraus sei betont, daß es sich hier nicht um Phantasien und Hypothesen, sondern um unbezweifelbare Resultate der allernüchternsten Untersuchung handelt.

Wir stehen vor der dritten großen Säugethierperiode auf Erden. Das Mammuth tritt auf und durchstreift in zahllosen Heerden fast ganz Europa, mit ihm in Gesellschaft leben das doppelhörnige Rhinoceros und jene fürchterlichen gewaltigen Höhlenraubthiere: der Höhlenbär, die Höhlenhyäne und der Höhlenlöwe; ferner erscheinen der Wisent, der Auerochs oder Ur (Bos primigenius), das Elenthier, der Riesenhirsch, das Renthier, der Moschusochse, Lemming, Fuchs, Wolf, Edelhirsch, Schwein, Pferd etc. Durch einen glücklichen Zufall ist eins der ältesten aller bisher in Deutschland bekannten, mit Spuren der Menschenhand versehenen vorgeschichtlichen Fundstücke, ein ausgezeichnet schön geschlagener Feuersteinschaber mit uralter weißer Patina, von einem der kenntnißreichsten und sorgsamsten Forscher, Dr. Alfred Nehring, Oberlehrer am Gymnasium in Wolfenbüttel, entdeckt und die Localität von ihm so ausgezeichnet untersucht, verglichen und beschrieben worden, daß wir auf Grund seiner umfassenden Studien uns sehr wohl ein Bild von dem damaligen Mitteleuropa vergegenwärtigen können.

Versetzen wir uns im Geiste zurück in jene weit entlegene Zeit der Diluvialepoche, so finden wir, daß das von Nehring untersuchte Gebiet, von einer Anzahl untergegangener Geschöpfe abgesehen, fast ganz genau den Steppencharakter besitzt, den Westsibirien heut noch hat. In jenem Punkte von Mitteldeutschland, der in der Nähe des heutigen Dorfes Thiede bei Wolfenbüttel und bei Westeregeln im Kreise Wanzleben liegt, ragten damals weit über die flache Steppe hin eine Reihe zackiger, isolirter Gypsfelsen, etwa so, wie die Kreideklippen von Rügen heutzutage weithin sichtbar sind. Ueber die Steppenflora hinweg huscht und springt jene zahlreiche Schaar der kleinen Nagethiere: Steppenmurmelthiere, Zieselmäuse, Springmäuse, Wühlmäuse, Hasen, Pfeifhasen. Von weiter her aus der Umgegend streift in flüchtigen Sprüngen die Antilope und das Pferd vorüber, verfolgt vom Wolf und jenem gräulichen Ungeheuer, dem Höhlenbären. Die gigantisch-grotesken Silhouetten weidender Trupps von Mammuthelephanten und doppelhörnigen Rhinocerossen (Rhinoceros trichorhinus) zeigen sich hin und wieder am Horizont, während zur Nachtzeit allsommerlich jene riesigen katzenartigen Raubthiere: der Höhlenlöwe und die Höhlenhyäne die Gegend durchstreifen und mit ihren Gebissen selbst den größten Thieren gefährlich werden. Zur Winterzeit, wenn diese Bestien sich südlich gewandt haben, beleben Renthierherden, Polarfüchse und Lemminge die mit Schnee bedeckte Landschaft. Hoch oben auf den Gypsfelsen horsten Bussarde, Eulen und andere Raubvögel und nähren sich von kleinen Nagern, Fledermäusen, Vögeln und Fröschen.

Unter den überhängenden salzhaltigen Felsen lagert eine Schaar Menschen, unsere ältesten bis jetzt bekannten Urväter in Deutschland, umherstreifende Jäger, die vielleicht mit Weib und Kind zu gemeinsamem sommerlichem Jagdzuge bis hierher vorgedrungen sind. Ein Feuer brennt in ihrer Mitte, an dem sie das Fleisch der Nashörner, Pferde und anderer Thiere rösten und dann verzehren. Die größeren, mittelst Feuersteinschabern vom Fleisch entblößten Knochen werden vielfach von ihnen gewaltsam mit Steinen zertrümmert, um das Mark zu gewinnen; die das Gehirn umgebenden größeren Knochen werden durchweg zerschlagen.

Später bricht die Horde auf; schlau vermeidet sie die Begegnung mit den Raubthieren; listig und gewandt lauert sie dem jagdbaren Wild auf seinem Pfade auf, von einem Tage zum andern lebend, ohne Wohnsitz, vielleicht der jährlichen Wanderung der Thierwelt folgend, im Kampfe mit den Elementen, mit den Raubthieren und oft wohl auch mit dem Hunger. Ganz so wie unsere heutigen uncivilisirten Naturvölker können wir uns diese unsere Urahnen zur Mammuthzeit vorstellen; vielleicht sind die Eskimos des arktischen Nordens die ihnen am meisten verwandten Typen.

Es giebt noch eine Reihe anderer Localitäten in Deutschland, an denen in den letzten Jahren menschliche Reste, Knochen und Werkzeuge mit den Resten diluvialer Thiere, namentlich des Mammuthelephanten, des doppelhörnigen Rhinoceros, des Höhlenbären und anderer, zusammen gefunden sind. Als ein Seitenstück zu jener obengenannten Felsengruppe von Thiede und Westeregeln kann die im Jahre 1874 in der Nähe von Gera im Dolomit bloßgelegte „Lindenthaler Hyänenhöhle“ bezeichnet werden, welche neben Feuersteinmessern zahlreiche Ueberreste derselben Thierart enthielt und welche ihr wissenschaftlicher Erforscher, Professor E. Liebe in Gera, als einen Hyänenhorst nachgewiesen hat. Ferner haben wir in Westfalen die bekannte Höhle von Balve im Regierungsbezirk Arnsberg zu nennen, welche eine von denjenigen Localitäten ist, die der Mensch schon frühzeitig und wahrscheinlich während einer sehr langen Dauer als Wohnort benutzt hat. Schon vor mehr als zehn Jahren hat Virchow diese Höhle untersucht. Der Boden besteht hier aus drei Hauptschichten, deren obere vorzugsweise mit Renthierknochen angefüllt ist; die darunter folgende, welche sehr viele abgerollte Steine enthält, lieferte Reste des Bären, und in der dritten haben sich Mammuth- und Rhinocerosknochen gefunden. Außerdem enthielt die Höhle menschliche Kunstproducte, Feuersteinmesser und spätere Reste gebrannter Topfgefäße. Auf der Berliner prähistorischen Ausstellung waren zahlreiche Gegenstände aus dieser Höhle vorhanden, darunter Feuersteinwaffen, ein zugeschliffenes Geweihstück, ein Rhinocerosknochen mit bearbeitetem Rande des abgebrochenen Theiles.

Unter den westfälischen Höhlen ist noch die von Geheimerath Schaaffhausen in Bonn untersuchte Martinshöhle in Letmathe zu nennen. Er fand in ihr, außer Feuersteinmessern und Steinkernen, zahlreiche von Menschen aufgeschlagene Thierknochen, darunter solche vom Höhlenbären und Rhinoceros. Derselbe Gelehrte hat im Verein mit von Cohausen die sehr interessante Höhle bei Steeten an der Lahn wissenschaftlich erforscht. Als man die Höhlensohle zwei Meter tiefer legte, stieß man am Eingange, „noch ehe die eigentliche Höhle erreicht war, auf unzählige, aber immer zerschlagene Knochen, Geweihe und Zähne und dazwischen auf eine Menge von Feuersteinmessern. Beim weiteren Vorgehen traf man nicht ganz so tief eine Brandschicht und in mitten derselben einen großen Haufen Asche und verbrannte Knochen aller Art. Eine Mischung und durch Kalkfiltrate bewirkte unmittelbare Verbindung von mächtigen Elfenbeinsplittern mit Feuersteinmessern giebt von dem Zusammenleben des Menschen mit dem Mammuth ebenso Zeugniß, wie ein solches mit dem Renthier bereits constatirt ist. Man kann sagen, daß die Ausgrabung mitten in die Küchenabfälle, ja in die ganze Unordnung der Küche selbst gefallen ist“.

Aus dieser Höhle von Steeten befanden sich auf der deutschen prähistorischen Ausstellung ein elfenbeinernes „Falzbein“ mit Gitterverzierung, ein aus einer Rippe gebildetes ähnliches Instrument, mehrere andere Knochenstücke mit eingekratzter Verzierung, Vogelknochen mit eingefeilten Zickzacklinien, Oberarmbeine von Menschen, ein Mammuthzahn, Steinspähne, ein zu einem Dolch gearbeiteter Mammuthknochen, Thonscherben, zahlreiche Reste vom Bären, Renthier, Hirsch, Pferd, Rhinoceros u. dergl. m. Was den Mammuthknochen-Dolch betrifft, so äußerte sich Geheimerath Schaaffhausen [586] im Jahre 1877 auf dem deutschen Anthropologen-Congreß in Constanz folgendermaßen: „Ich muß nach Ausmessung verschiedener Knochen großer Thiere bei der Ansicht bleiben, daß dieser Knochendolch mit allergrößter Wahrscheinlichkeit ein Stück Mammuthknochen ist. Heute wird bei uns fossiles Elfenbein von Mammuth in großer Menge verarbeitet, dessen gute Erhaltung wir der Kälte des nordischen Klimas verdanken.“

Auch für die Gegend bei Weimar fehlt es nicht an Beweisen für die Gleichzeitigkeit des Menschen mit den Thieren der Diluvialzeit. Als im Dorfe Taubach an der Ilm ein Hausbesitzer unmittelbar hinter seinem Hofe einen Keller anlegen wollte, stieß er dicht unter der Erdoberfläche, und zwar unterhalb einer Schicht von Lehm und festem Tuffstein, auf eine Schicht von lehmigem Sand, welche auf einem Raum von nur zehn Schritt Länge und drei Meter Tiefe ein förmliches Museum von Gegenständen der Urzeit enthielt. Der Besitzer konnte ein kleines Zimmer seines Hauses ganz füllen mit den prächtigsten Schädeln und Knochen diluvialer Thiere: Elephant, Rhinoceros, Auerochs, Riesenhirsch fanden sich hier neben braunem Bär, Edelhirsch, Reh und Wildschwein. In der sandigen Schicht, welche zahlreiche Geröllsteine führte, kam neben diesen Knochen eine Reihe von Gegenständen zum Vorschein, welche die Spur des Menschen anzuzeigen schienen: Feuersteinscherben mit ganz weißer Patina, deutliche Stücke von Holzkohlen, ein angebrannter Zehenknochen eines größeren Säugethieres und scheinbar geschlagene Stücke von Extremitätenknochen sehr großer Säugethiere.

Es kann natürlich nicht die Absicht dieser kurzen Besprechung der deutschen Prähistorie sein, alle in Deutschland aufgefundenen Beweise des gleichzeitigen Zusammenlebens des Menschen mit den Thieren jener fern entlegenen Diluvialzeit vorzuführen. Erwähnt sei nur noch, daß in Süddeutschland schon seit langer Zeit der verdienstvolle Stuttgarter Geolog Prof. Dr. Oscar Fraas sich an die Erforschung der ältesten Spuren des Menschen gemacht und überhaupt zuerst die Thatsache constatirt hat, daß der Mensch in Deutschland schon mit den ausgestorbenen Geschlechtern der großen Dickhäuter und Fleischfresser zusammen gelebt hat. Die Höhlenausgrabungen von Hohlestein im Jahre 1862, vom Schussenrieder Moor im Jahre 1866, vom Hohlefels im Jahre 1872 und von der Ofnet im Jahre 1876 haben reichliche Beweise dafür und der Wissenschaft zugleich mit die ältesten Fundstücke geliefert, die Deutschland über die Existenz des Menschen auf seinem Gebiete besitzt.

Unter den berühmtesten Belegstücken, welche dieser Forscher auf der prähistorischen Ausstellung im Abgeordnetenhause zu Berlin vorführte, befand sich das vielleicht älteste Haubeil, ein Bärenkiefer, nebst einem danebenliegenden geöffneten Markknochen mit einem Loch, in welches der Eckzahn des Kiefers genau paßt, ferner von der vielbesprochenen Renthierstation Schussenried, die unmittelbar auf der Moräne des ehemaligen Rheingletschers errichtet ist, sechs Stück mit Feuersteinsplittern bearbeitete Rengeweihe, viele Feuersteinsplitter, Messer und Schaber, sowie ein ehemals als Trink- und Schöpfgefäß benutzter Renthierschädel. Vom Hohlefels waren bearbeitete Knochen, Pferdezähne, die durchbohrt sind, um zum Schmucke zu dienen, Feuersteinsplitter u. dergl. m. da.

Wir können hiermit die Betrachtung jener diluvialen Epoche schließen, in Bezug auf welche hoffentlich jeder unserer Leser überzeugt sein wird, daß laut obiger Beweise wirklich der Mensch damals bereits gelebt und daß er das Dasein eines umherschweifenden Jägers geführt hat. Ohne festen Wohnsitz, ohne Heimath irrte er umher, den Spuren des wandernden Wildes folgend, heute unter überhängenden salzigen Gypsfelsen, morgen in einer Höhle seinen Wohnsitz aufschlagend. Wie viele Jahre jene Epoche hinter unserer Gegenwart zurückliegt, vermag kein Gelehrter mit irgend welcher Bestimmtheit anzugeben.

Schwerlich lag übrigens damals Europa innerhalb seiner heutigen Meeresgrenzen. Alfred Nehring wenigstens nimmt auf Grund seiner Untersuchungen über die quaternäre Fauna von Thiede und Westeregeln an, daß die Westgrenze von Europa in der Zeit nach der Gletscherperiode wahrscheinlich mit der sogenannten Hundertfaden-Tiefenlinie des heutigen Meeres zusammenfiel und daß der Süden von Europa bereits eine feste Landverbindung mit Nordafrika besaß. Trockenen Fußes hätten also hiernach zur Diluvialzeit Menschen und Thiere von Afrika aus an den beiden Binnenseen vorbei, die damals das mittelländische Meer bildeten, nach Norden wandern können; trockenen Fußes hätten sie Großbritannien und Skandinavien zu erreichen vermocht. Viele Jahrtausende später wäre alsdann erst die Küstengliederung von Europa erfolgt; das Flußsystem in Deutschland hätte sich herausgebildet, und als die Staub- und Schuttlagen zwischen den Gypsfelsen von Thiede und Westeregeln solche Höhe erreicht hatten, daß die Klippen davon ganz überdeckt wurden, war eine so immense Zeit verflossen, daß die Steppenfauna einer Waldfauna Platz gemacht, das Klima sich verändert hatte und die Zeiten des Cäsar und Tacitus herangekommen waren. Es bleibt sehr merkwürdig, daß wir nach jener gewaltigen diluvialen Zeit, wo der Mensch mit dem Mammuth und Höhlenlöwen um die Herrschaft der Erde stritt, bis zum Hereinbrechen der nächsten prähistorischen Periode, von der uns reichlichere Kunde zu Theil geworden ist, beinahe nichts wissen. Mit unserer Kenntniß von der Existenz des Menschen gleichzeitig mit jener Thierwelt erlischt für uns für viele Jahrtausende die Urkunde der prähistorischen Forschung fast ganz, um späterhin eine um so deutlichere Schrift aufzuweisen.

[612]
II.
Die Lücke nach dem Diluvium bis zu den Kjökkenmöddingern. – Die „Wohnplätze aus der Steinzeit“; Anmerkungen zur Frage der Herstellung und Leistungsfähigkeit von Steinwaffen. – Pfahlbautenzeit und Pfahlbautencultur; Professor Lindenschmit und die „indogermanische Hypothese“. – Die Höhlenwohnungen; oberfränkische Funde. – Gräberfelder und Hünengräber. – Die Stein- und Topfküstler des nordischen Culturkreises. – Der lausitzer Culturkreis und die Burgwall- und Schanzenfrage.

„Vielleicht niemals wird jener große Zeitraum gemessen werden, welcher die Periode der alten Höhlenmenschen, die zur Zeit des Mammuth und der übrigen diluvialen Tiere lebten, von jener sehr viel späteren Epoche trennt, die durch die ältesten Pfahlbauten u. A. m. gekennzeichnet ist. Hier haben wir nicht mehr nach Jahrhunderten, vielleicht nicht mehr nach Jahrtausenden, möglicher Weise nach noch längeren Zeiträumen zu rechnen.“ Mit diesen Worten leitete einer der bedeutendsten Forscher der Gegenwart auf dem Constanzer Anthropologen-Congreß im Jahre 1877 seine große Rede über die Pfahlbauten ein. In der That hüllt sich die Vorgeschichte des Menschen in Deutschland unmittelbar nach der Diluvialzeit in geheimnißvolles Dunkel. Was thaten unsere Urväter inzwischen? Verließen sie, scheu und flüchtig, wie sie gekommen waren, wieder das Land? Oder bevölkerten sie allmählich die Jagdgründe der deutschen Ebene und machten ihre reglmäßigen jährlichen Streifzüge. Wir wissen es nicht. Bis

[613]

Aus der Zeit der Pfahlbauten.
Nach einer Originalzeichnung von Johannes Gehrts.

[614] zu jenem Moment, wo uns der Mensch in Deutschland bereits in einer wesentlich fortgeschrittenen Cultur entgegentritt, besitzen wir fast keine einzige sichere Nachricht von ihm.

Freilich fehlt es nicht an Gelehrten, welche sich bemüht haben, diese gewaltige Kluft, wenn auch nicht auszufüllen, so doch zu verengen, indem sie annehmen, daß die Zeit der roh geschlagenen Steine, also die paläolithische Periode, sich sehr weit zurück erstreckt. Dr. Baier aus Stralsund hatte auf der nunmehr geschlossenen prähistorischen Ausstellung im Abgeordnetenhause zu Berlin unter Anderem eine Reihe geschlagener Feuersteine in schwerfälliger Form und roher Ausführung vorgeführt und sah sich veranlaßt, dabei auf die Gleichartigkeit dieser Formen mit denjenigen hinzuweisen, welche Lartet und Cristy in einer Höhle der Dordogne gefunden haben, und solchen, die Evans aus dem diluvialen Schwemmlande der Ouse und Themse mitgetheilt hat. Ein anderer Theil dieser auf Arkona und Hiddensoe gefundenen rohen Artefacte, das heißt Spuren menschlicher Bearbeitung tragenden Fundstücke, „gleicht völlig zahlreichen, aus französischen, belgischen und englischen Höhlen entnommenen paläolithischen, sowie den im alten Schwemmlande der Somme bei Amiens und Abbeville gefundenen“. Auf Grund seiner Vergleichungen und Forschungen kommt Dr. Baier zu dem Ausspruche, die Möglichkeit könne nicht bestritten werden, „daß einzelne dieser grob geschlagenen Feuersteintypen noch der Diluvialzeit angehören; jedenfalls können sie mit Sicherheit bis in die Zeit der dänischen Kjökkenmöddinger und schwedischen Küstenfunde zurückgeschoben werden“.

Die Kjökkenmöddinger! Da haben wir wieder einen neuen Ausdruck und eine neue Periode, die für einen gewissen Theil unseres prähistorischen Gebietes die „älteste“ Zeit repräsentirt. Vergebens aber würde unsere Bemühung sein, jene Epoche chronologisch genau festzustellen, in der die Strandbevölkerung der dänischen Küsten ihre riesigen Muschelhaufen, dänisch Kjökkenmöddinger, das heißt Küchenabfälle, genannt, aufthürmte. Wir sind in dieser Beziehung im Norden unseres Vaterlandes, speciell in Schleswig-Holstein, erst beim Beginn unserer Untersuchungen und dürfen uns der Hoffnung hingeben, daß noch im Laufe dieses Jahres ein in dieser Provinz gelegener Kjökkenmödding von fachkundiger Hand untersucht werden wird. Uebrigens hat die bekannte Custodin des Kieler Museums, Fräulein J. Mestorf, eine Autorität auf dem Gebiete anthropologischer Forschung, gelegentlich der prähistorischen Ausstellung darauf hingewiesen, daß sich wahrscheinlich auch auf der Insel Rügen Kjökkenmöddinger werden nachweisen lassen. Glücklicher sind wir in dieser Beziehung in der Provinz Preußen, wo sich in dem Kjökkenmödding bei Tolkemit viele Thonscherben gefunden haben.

Auch mangelt es uns im Nordosten unseres Vaterlandes nicht an einer Reihe anderer, jener entlegenen Zeit angehörender Fundstellen, welche mit dem Namen „Wohnplätze aus der Steinzeit“ bezeichnet worden sind. Nicht weniger als hundert Scherbenstellen hat man am Fuße der über zwölf Meilen langen wandernden hohen Düne der kurischen Nehrung in wenig unterbrochener Reihenfolge auf dem nun vom Sande entblößten uralten Waldboden aufgefunden und hieraus im Laufe des letzten Jahrzehnts ein recht beträchtliches Material zusammengebracht. Einige dieser alten Wohnplätze bestehen ganz aus schwarzer humoser Erde, den Scherben von unzähligen zerbrochenen Gefäßen, Knochenabfällen, Fischschuppen, Trümmern von Steininstrumenten, Knochengeräthen u. A. m. Unter den zahlreichen Steinhämmern befinden sich solche in allen Stadien der Durchbohrung; ebenso hat man eine größere Anzahl jener konischen Bohrzapfen aufgefunden, welche es wahrscheinlich machen, daß unsere Vorfahren die Bohrlöcher mit Hülfe von trockenem Sande und hohlen kurzen Hirschhorncylindern, wie dies durch den österreichischen Grafen Wurmbrand dargethan wurde, herstellten. In der Ausstellung hatte Dr. Tischler aus Königsberg ähnliche von ihm künstlich durchbohrte Steinstücke vorgeführt und dadurch bewiesen, daß jene Manipulation, zu der er nur etwa vier Stunden Zeit gebraucht hatte, nicht, wie häufig geglaubt wurde, allzu zeitraubend gewesen sein muß.

Auch nach anderer Richtung muß dem weitverbreiteten Glauben, als ob die Männer der Steinzeit zur Ausführung ihrer Arbeiten unverhältnißmäßig viel Zeit gebraucht hätten, entgegengetreten werden. Beispielsweise hat man über die Leistungsfähigkeit einer Feuersteinaxt sich oft viel zu geringe Vorstellungen gemacht. So befand sich in der Collection des Kieler Museums ein schenkeldickes Stück Baumstamm, das der dänische Kammerherr von Sehestedt auf Broholm mit einer Feuersteinaxt abgeschlagen hatte, nachdem mit derselben Axt vorher in kurzer Zeit sechsundzwanzig ebenso starke Bäume gefällt worden waren.

Das interessante Factum, daß die alten Bohrzapfen der Steinbeile aufgefunden werden und damit der Beweis geliefert ist, daß jene Werkzeuge an Ort und Stelle hergestellt worden sind, treffen wir nun noch an einer weit entlegenen Localität an, nämlich in den schweizer Pfahlbauten. Was diese Pfahlbauten selbst anbetrifft, so müssen wir uns hüten, sie für die Repräsentanten einer ganz bestimmt abgegrenzten Culturepoche zu halten. Es giebt Pfahlbauten von sehr hohem Alter, und solche, die so jung sind, daß sie zum Theil noch bis an die historische Zeit heranreichen, sodaß wir einzelne derselben noch in Beziehung bringen können zu Ueberlieferungen, welche uns die Schriftsteller des zwölften und dreizehnten Jahrhunderts geben. Die Pfahlbauten sind auch nicht auf die Schweiz und Deutschland beschränkt; schon im Alterthume berichtet uns Herodot von thracischen und Strabo von italischen Pfahlbauten. Die neuere Forschung hat in manchen anderen europäischen Ländern, beispielsweise in Oesterreich, Irland etc., Pfahlbauten nachgewiesen. Auch heutigen Tages existiren noch bei vielen Völkerschaften der südlichen Erdhälfte, wie Jedermann weiß, diese Bauten. Somit haben wir es bei den Pfahlbauten lediglich mit einer bestimmten Form der Wohnung und nicht der Cultur zu thun.

Wir werden hier wieder an die oben erwähnte Rede Virchow's auf dem Anthropologen-Congreß in Constanz erinnert. Es wäre überaus thöricht, sagt er, wenn man sich heutzutage noch mit der so lange festgehaltenen Vorstellung tragen wollte: „Pfahlbau ist Pfahlbau; Pfahlbauzeit ist Pfahlbauzeit“; jeder einzelne Pfahlbau muß für sich untersucht und geprüft, er muß in seiner zeitlichen und culturhistorischen Bedeutung festgestellt werden. Dann erst dürfen wir ihn in unsere Classification einreihen und kartographisch fixiren. Man muß sich daran gewöhnen, daß die Pfahlbaucultur Europas schon in alten Zeiten so mannigfaltig war, wie sie noch heutzutage mannigfaltig ist in Afrika, Asien, Polynesien. Die Construction eines Negerpfahldorfes in Centralafrika darf man nicht als maßgebend betrachten für ein Negerdorf an der Küste von Neu-Guinea oder für ein Flußpfahldorf in Hinterindien. An allen diesen Orten giebt es Pfahlbauten, aber sie haben unter sich keinen Zusammenhang, und wir dürfen nicht etwa die Bevölkerung, welche auf dem einen wohnt, ohne weiteres als Verwandte der Pfahlbauern eines anderen Gebietes ansehen. Ethnologisch, zeitlich und culturhistorisch weit aus einander stehende Rassen haben auf dieselbe Weise ihre Wohnungen eingerichtet.

Professor Virchow unterscheidet in Mitteleuropa zwei große Gruppen von Pfahlbauten, eine südliche, zu der er die Pfahlbauten der Schweiz und Süddeutschlands rechnet, und eine nördliche, die sich durch das norddeutsche Gebiet bis nach Livland hin erstreckt. Er stellt jeden Zusammenhang zwischen beiden Gruppen in Abrede, da die nördliche einer viel späteren Zeit angehört, als die südliche. In der südlichen Gruppe sind wieder zwei durchaus verschiedene Abtheilungen zu constatiren, deren östliche die Ostschweiz, den Bodensee u. A. m. umfaßt und der reinen Steinzeit angehört, während die Pfahlbauten der Westschweiz auch Funde aus Bronze und Eisen enthalten.

Bereits in den ältesten Pfahlbauten, wie auch in den obenerwähnten Wohnstätten der kurischen Nehrung etc., documentirt es sich, daß der mühsam emporsteigende Bildungsgang unseres deutschen Volkes im Laufe langdauernder, allmählicher Erhebung von der niedrigsten Stufe der Cultur schon weit über die Zustände unbeholfener Kindheit vorgeschritten war. Nicht mehr der heimath- und wohnungslose nomadisirende Jäger, der gelegentlich in Höhlen haust, begegnet uns hier, sondern ein hoch über einer Reihe vorausgegangener tieferer Culturzustände stehender, seßhafter Mensch mit gereifter, innerer Entwickelung. Lediglich mit Hülfe von Stein und Knochen hat dieser Mensch es vermocht, den Wagen, den Kahn, den Webstuhl, den Pflug und sein ganzes Haus herzustellen, und es herrscht bereits in dieser Zeit ein geordnetes Zusammenleben in größeren Gemeinden unter Bildungszuständen, wie sie kaum durch die spätere Einführung der Metallgeräthe wesentlich gefördert wurden. Es ist das große Verdienst des Nestors der deutschen Anthropologie, des Directors vom Römisch-Germanischen Centralmuseum in Mainz, Professor L. Lindenschmit, energisch auf die [615] Selbstständigkeit der deutschen Culturentwickelung aus unmeßbarer Vorzeit her hingewiesen zu haben (vergl. die eben erschienenen ersten Hefte seines „Handbuchs der deutschen Alterthumskunde“). Lindenschmit ist auch ein Vertreter der Ansicht, daß die deutschen Stämme nicht aus Asien eingewandert seien, sondern von Uranfang sich auf deutschem Boden entwickelt haben; deshalb legt er eine „ernstliche Verwahrung gegen die indogermanische Hypothese“ ein.

Die südliche Gruppe der mitteleuropäischen Pfahlbauten gehört wesentlich derjenigen Zeit an, welche man im Gegensatz zu der älteren, paläolithischen Zeit die neolithische, die jüngere, die Zeit des polirten Steins genannt hat. Diese Epoche repräsentirt die eigentliche Entwickelung des deutschen Volkes; aus ihr finden wir in vielen Theilen Deutschlands große schöne Ueberreste. Von den süddeutschen Pfahlbauten seien hier nur zwei erwähnt: Zunächst der „Palissadenbau“ im Steinhäuserried, welchen Herr Oberförster Frank von Schussenried im Jahre 1875 entdeckt und dem er zahlreiche Knochenstrumente, ornamentirte Urnen, Knochen, Steinbeile etc. entnommen hat. Dieser eigenthümliche Bau reicht in eine ziemlich frühe Zeit hinauf, gleichzeitig aber war er sehr lange hindurch bewohnt; denn er wurde immer wieder auf's Neue überbaut, als der Wasserspiegel, über dem er sich erhob, allmählich höher gestiegen war. Nicht weniger als neun über einander liegende Fußböden, welche durch Thonlagen gestützt waren, besitzt dieser sogenannte Palissadenbau. Der zweite Pfahlbau, den wir hervorheben müssen, ist derjenige auf der Roseninsel im Starenberger See. Dieser bereits im Jahre 1864 durch den berühmten schweizer Gelehrten Professor Desor entdeckte Pfahlbau ist durch Professor W. Wagner und Landrichter von Schab in München ausgegraben worden. Die 564 Artefacte, welche in diesem Pfahlbau aufgefunden sind, geben einen Beweis, daß er während einer sehr langen Zeit, und zwar von jener Periode an, wo die Menschen nur den Gebrauch der Steinwaffen kannten, bis zur römischen Besetzung der Gegend und selbst bis zum Mittelalter hin bewohnt gewesen sein muß. Wir sind im Stande, uns fast die gesammte Lebensweise jener dort seßhaften Bevölkerung aus den Fundstücken durch viele Generationen hindurch zu veranschaulichen, die Zähmung der Hausthiere, wie Rind, Schwein, Schaf, Pferd, Hund und Ziege, zu constatiren und die Jagd auf Hirsch, Wildschwein, Reh, Bär, Biber, Fuchs, Ur, Wisent, Elen, Gemse, Steinbock, Hase, Katze, Wolf etc. als eine neben Ackerbau und Handel von den Einwohnern dieser Localität betriebene Beschäftigung zu bestätigen.

Eine andere Form der Wohnung, als die Pfahlbauten, bildeten in prähistorischer Zeit die Höhlenwohnungen. Aber die Benutzung der natürlichen Höhlen durch den Menschen ist nicht ausschließlich auf die diluviale Urzeit beschränkt. Professor Johannes Ranke aus München legte auf dem Berliner Anthropologen-Congreß einige neue Funde aus oberfränkischen Höhlen vor, wodurch unsere bisherigen Anschauungen über die Cultur der Höhlenbewohner in jenen Gegenden wesentlich verändert werden müssen. Im feuersteinreichen Norden, überhaupt in den Feuersteindistricten scheint sich an die paläolithische die neolithische Zeit unmittelbar anzuschließen. In Süddeutschland konnte man den Pfahlbautenfunden bisher noch keine Landfunde an die Seite stellen, die sie ergänzten. Die neuen Funde in den Höhlen der fränkischen Schweiz sind geeignet, diese Lücke auszufüllen. Man hat daselbst namentlich Knochenschnitzereien in einer solchen Fülle entdeckt, wie wir sie bisher aus Mitteldeutschland noch nicht kannten. Diese Knocheninstrumente charakterisiren sich theils als Waffen theils als technische Werkzeuge. Die fränkischen Höhlenfunde zerfallen in Lanzenspitzen, Harpunen, Pfeilspitzen, Netznadeln, Perlenketten etc. aus Knochen, in Spinnwirtel aus Thon und Knochen, in geschliffene Steinwaffen, Steininstrumente und ornamentale Töpferwaaren. So erschließen uns diese Felsenwohnungen Oberfrankens ein Glied der Entwickelungsgeschichte des Menschen, welches mit der Culturperiode der Pfahlbauten ungefähr auf gleicher Stufe steht.

Neben den Wohnungen sind es besonders die Grabstätten der vorgeschichtlichen Zeit, welche uns über die prähistorischen Bewohner in Deutschland Auskunft geben. Zu den ältesten Fundstücken dieser Art gehören die Reliquien des Gräberfeldes am Hinkelstein bei Monsheim in Rheinhessen. Es vereinigen sich hier eine Menge interessanter Umstände, um das hohe Alter zu beweisen. Beim Ausroden eines Feldes kamen in der Erde eine Menge flacher Gräber zum Vorschein; der Zahn der Zeit hatte aber die menschlichen Reste bereits sehr weit vertilgt; die Körpertheile waren in solchem Grade zerfallen und verwittert, daß sie nur in einzelnen Bruchstücken zu erkennen waren; bei vielen zeigten sich selbst die festeren Knochentheile nur in formlosen, auffallend leichten Fragmenten; die Stelle des Schädels wurde nur durch einige Zähne und Stücke der Kinnlade bemerkbar. Die Gräber enthielten kein Metall; dagegen wurden durchbohrte und flache Steinbeile aus Kieselschiefer, kleine spahnförmige Feuersteinmesser und einige Halsketten aus kreisrunden Stückchen von Muschelschalen sowie von durchbohrten Zähnen, einfache Handmühlen aus rothem Sandstein und eine Anzahl mit der Hand geformter ornamentirter Thongefäße gefunden. Nach Professor Lindenschmit ist die Entstehung dieser Gräber etwa um's Jahr 500 vor Christi Geburt zu setzen.

Einer anderen schon zur Steinzeit gebräuchlichen Bestattungsart verdanken die bekannten, weit verbreiteten Hünengräber ihre Entstehung. Sie sind bereits in sehr früher Zeit die Beweise einer pietätvollen Erinnerung an die Todten, deren Ueberreste inmitten der oft hoch aufgethürmten Erdmassen, in deren Centrum sich gewöhnlich eine Steinkammer befand, nebst entsprechenden Beigaben aufbewahrt wurden.

Ein in sich abgeschlossener Culturkreis umfaßte, wie von vielen Seiten angenommen wird, schon seit der Steinzeit jenes nordische Gebiet, das sich von Süd-Schweden und Dänemark abwärts durch Schleswig-Holstein, Rügen, Mecklenburg bis nach Brandenburg und in die Provinz Sachsen hinein erstreckt. Hier finden wir eine sehr große technische Ausbildung in der Behandlung des Steinmaterials, namentlich des Feuersteins, gleichzeitig aber auch eine ganz vorzügliche Kunstfertigkeit in der Keramik. Es liegt nicht im Sinne unserer Besprechung, detaillirt auf diese Verhältnisse einzugehen; nur sei darauf aufmerksam gemacht, daß der natürliche Reichthum an Feuerstein, den dieses Gebiet besaß, schon frühzeitig dahin führen mußte, daß sich namentlich auf der Insel Rügen eine große Anzahl Steinkünstler mit ihren Werkstätten etablirten und daß von hier aus ein bedeutender Export fertiger Waare aus Feuerstein weithin getrieben wurde.

Einer der fleißigsten und glücklichsten Sammler auf Rügen, Landgerichtsrath Rosenberg aus Berlin, hat aus solchen prähistorischen Wertstätten viele tausend bearbeitete Feuersteine zu einer der umfangreichsten Privatsammlungen Deutschlands vereinigt. Auf Grund seines Studiums der Localitäten ist er zu der Annahme geneigt, daß schon in sehr alter Zeit das Princip der Arbeitstheilung zur Geltung gekommen ist, indem er auf einzelnen Werkstellen vorwiegend Feuerstein-Streitäxte, auf anderen prismatische Messer und wiederum auf anderen fast ausschließlich Schleudersteine gefunden.

Gehen wir von diesem nordische Culturkreise nach Süden, so tritt uns in der Lausitz und dem Spreewalde ein neues prähistorisches Gebiet entgegen, das bis zur Völkerwanderung durch eine germanische, späterhin durch slavische Bevölkerung eingenommen war. Ob einst vor den Germanen andere Nationen hier ihre Wohnsitze aufgesucht haben, ist noch unaufgeklärt. In der Lausitz sind es überwiegend große, zum Theil weit ausgedehnte Gräberfelder und zahlreiche Schanzen oder Burgwälle, welche unser Interesse in Anspruch nehmen. Bis vor Kurzem war man geneigt, die Gräberfelder wendische und die Burgwälle germanische zu nennen, Professor Virchow hat aber durch eine Reihe von Untersuchungen den Nachweis geführt, daß es sich im Wesentlichen gerade umgekehrt verhält und daß ein großer, vielleicht der größte Theil der Burgwälle slavisch und sicher die Mehrzahl aller Gräberfelder germanisch oder vorgermanisch ist. Dieser Nachweis stützt sich in erster Linie auf das Studium bekannter slavischer Ansiedelungen, Festungswerke und Tempelplätze, wie solche namentlich in Arkona und Garz auf Rügen, in Wollin – dem alte Julin – in Alt-Lübeck noch in historischer Zeit bestanden, sowie der Mecklenburgischen Burgwälle. Somit läßt sich die Grenze zwischen der Prähistorie und Historie auf deutschem Gebiete durch verschiedene Jahrhunderte hindurch beobachten, in Südwestdeutschland beginnend und langsam im Allgemeinen nach Norden und Osten fortschreitend.

Bis in verhältnißmäßig sehr späte Zeit finden wir den Gebrauch der Steinwaffen und Steinwerkzeuge bei den deutschen Stämmen verbreitet, selbst noch lange, nachdem die Anwendung der Metalle bekannt geworden war. Wie es sich hiermit verhielt und wie die frühzeitige, bald schwächere, bald stärkere Einwirkung der alten südeuropäischen Culturwelt den Bildungsgang unseres Volkes hob, darüber werden wir in unserm Schlußartikel das Nähere mittheilen.



[630]
III. (Schluß.)
Fußstapfen der umbrischen Cultur in Deutschland: die Bronze-Eimer. – Etrurisches. – Lindenschmit’s Auffassung der „Bronzezeit“ und die nordische Opposition. – Von der norischen Kunst und von einem ungarischen Zigeuner. – Römische Einflüsse bis zur Merowingerzeit; die Römerfestung Regensburg und ihre Friedhöfe. – Verschiedene Ansichten über die „Eisenzeit“. – Das Grab des Königs Childerich.

Wie vereinzelte Lichter in Waldesdunkel, so fällt in die allerälteste Cultur in Deutschland hier und da ein heller Strahl fremder glänzender Culturentwickelung, namentlich aus den südeuropäischen Ländern. Wir müssen weit, sehr weit zurückgehen. bis in jene entlegene Zeit vor beinahe dreitausend Jahren, wo in Italien die uralten Culturen der Etrusker und Umbrier herrschten, um die ersten Spuren dieser Einstrahlung aufzufinden. Es war das jene Zeit, wo in den Mittelmeerländern die Kunst der Metallbearbeitung sich bis zu einer gewissen Höhe entwickelt hatte und wo die zahlreichen Erzeugnisse dieser Technik einen mächtigen Handelstrieb hervorriefen, der die Kaufleute bis in die entlegenen Länder des Nordens führte. So wurden für Mittel- und Nordeuropa [631] die Handelsstraßen die ersten Culturwege und die Krämer und Kaufleute die Pionniere der Cultur.

Zu dem Guten und Werthvollen, welches der diesjährige deutsche Anthropologen-Congreß und die Ausstellung prähistorischer Funde im Abgeordnetenhause zu Berlin uns gebracht haben, gehört auch die endgültige Aufklärung über diese entlegene Epoche unserer Vorzeit. In der vorletzten Sitzung war es, wo Virchow drei Gegenstände vorführte, die, wie er bemerkte, „künftighin als Merksteine gerade für die chronologische Betrachtung von erheblichem und dauerndem Werthe sein werden.“ Es waren dies drei sogenannte Bronze-Eimer oder Bronzecysten, die gegenwärtig von den italienischen Gelehrten vielfach mit dem Namen der „situlae“ bezeichnet werden. Von diesen drei durch ihre ganze Erscheinung, ihre Größe und ihre Technik besonders auffallenden Gefäßen ist das eine in einem Moor des Großherzogthums Posen, das zweite in der Nähe von Lübeck und das dritte in Hannover gefunden worden, und ihre Vergleichung ergiebt sofort, daß man es hier mit fabrikmäßigen Erzeugnissen zu thun hat. Ihr Material besteht aus sehr fein gehämmerter, nicht gegossener, auch nicht gewalzter Bronze. An keiner Stelle ist eine Spur von Löthung oder Guß zu finden; die Verbindung der einzelnen Theile ist lediglich durch Nieten und Ineinanderrollen der Kanten hergestellt.

Der nächste größere Platz, von wo diese Bronze-Eimer uns schon früher in guten Exemplaren bekannt waren, ist das berühmte prähistorische Gräberfeld von Hallstadt in Oberösterreich; dieses aber hat gerade in den letzten Jahren eine Reihe von hervorragenden Funden ergeben, welche die Identität der Muster mit etrurischen Vorbildern positiv aufweisen. Je weiter wir nach Süden gehen, um so reicher gestaltet sich die Zahl der dort ausgegrabenen Bronze-Eimer. Aus Oberitalien ist eine ganze Reihe dieser eigenthümlichen Gefäße bekannt, und das eigentliche Centrum der bis jetzt bekannten Funde ist Bologna, in dessen Museum man eine große Auswahl derselben erblicken kann. Als vor wenigen Jahren der internationale Anthropologen-Congreß in Bologna tagte, hatte man ihm zu Ehren eine große Ausgrabung auf dem alten Kirchhof der Certosa, des alten Karthäuserklosters, angestellt; man hatte selbst den Untergrund der Kirche bloß gelegt, und die Forscher waren in der Lage, die Bronze-Eimer zu sehen, wie sie da standen, gefüllt mit den gebrannten Gebeinen der Todten, wie unsere deutschen Gräberurnen. Ein Theil dieser Bologneser Bronze-Eimer aber stimmt mit den drei bei Posen, Lübeck und Hannover gefundenen so genau überein, daß die letzteren ganz unzweifelhaft als etruskische Handelsartikel, welche ihren Weg nach dem Norden gefunden haben, zu betrachten sind.

Was nun die Zeit betrifft, in der diese Bronze-Eimer in Italien gearbeitet worden sind, so geht aus der schon erwähnten Technik hervor, daß man damals weder zu gießen noch zu löthen verstand. Da aber von dem Augenblicke an, wo man diese Manipulationen kannte, die gegossenen Gefäße nach berechtigter Vermuthung die ältere Art verdrängten, so haben die Gelehrten in Bologna kein Bedenken getragen, die Funde dieser Periode in eine Zeit zu verlegen, welche der gewöhnlichen etrurischen sogar noch etwas vorangeht. Die neuesten Annahmen gehen dahin, vor der etrurischen noch eine besondere umbrische vorauszusetzen, welche einen großen Theil dieser Funde mit einschließt.

Jedenfalls also werden wir berechtigt sein, diese Funde in Bezug auf ihre Chronologie mindestens in die allerälteste Zeit Roms zurück zu versetzen. Aber dies sind nicht die einzigen Bronzegegenstände, welche das kunstfleißige Etrurien, dessen Metallindustrie bekanntlich im Alterthum von höchster Bedeutung war, in unser Vaterland einführen ließ; zahlreiche in Grabhügeln gefundene Gefäße, Bronzeschwerter und Speere, Sicheln, Meißel und Gewandnadeln, ferner Brustschilder, Diademe, Ringe, Armbänder u. A. m. gehören hierher. Auch die bekannten Bronzewagen, deren zwei bei Burg im Spreewalde, einer in Frankfurt an der Oder und einer im Trebnitzer Kreise in Niederschlesien gefunden wurden, müssen in jene Periode der etrurischen Handelsverbindungen gerechnet werden.

Wir begreifen nunmehr, wie Lindenschmit in der Einleitung zu seinem „Handbuch der deutschen Alterthumskunde“ zu dem Ausspruch kommen konnte, daß die sogenannte Bronzeperiode bei uns nur als die Zeit eines belebten Verkehrs des Handels und der Industrie der Mittelmeervölker nach dem Norden erscheint. Ihre dorthin gelangten Producte zeigen so wenig irgend welches Merkmal eines Aufwuchses aus der Eigenthümlichkeit keltogermanischer Anlage, eine Verwandtschaft mit früheren heimischen Dingen, wie eine Fortentwickelung, einen Nachwuchs in den späteren. Sie bekunden einen so fremdartigen und so überlegenen Culturzustand sowohl in Bezug auf die Gebilde der vorhergegangenen Steinzeit, wie der folgenden Eisenzeit, daß sie unmöglich als Zeugnisse einer selbstständigen Bearbeitung der Metalle, als Nachweise einer naturgemäßen Uebergangsstufe nationaler Bildung ältester und spätester Zeit in irgend einer Art zu betrachten sind. Freilich fehlte es nicht ganz an Versuchen, die fremden Gußstücke nachzuahmen und dazu Gußformen für Aexte, Messer, Sicheln, Nadeln etc. zu benutzen, welche, wie es scheint, gleichfalls aus Italien zu uns gebracht waren. Aber, wie der letztgenannte Forscher sagt: „Weder ihre technische noch gegenständliche Bedeutung ist entfernt von der Art, daß sie als Grundlage für die Bildung eines besonderen Culturabschnittes einer nordischen Erzperiode sich verwerthen ließe.“

Bekanntlich steht diese neue Auffassung unserer prähistorischen Verhältnisse durchaus nicht im Einklange mit dem von den nordischen Forschern aufgestellten Dreiperiodensystem, wonach auf die Steinzeit eine Bronzezeit und darauf eine Eisenzeit gefolgt ist. Die nordischen, und mit ihnen eine Anzahl der deutschen Gelehrten verknüpfen die Bronzefunde mit jenem im vorigen Artikel erwähnten vorgeschichtlichen nordischen Stein-Culturkreise, der sich von Südschweden über Dänemark, Schleswig-Holstein und das Land zwischen Elbe und Oder bis hinein nach Provinz Brandenburg und Sachsen erstreckte, und nehmen an, daß dessen Bewohner jene schöne Bronzen hergestellt hätten, welche heute die antropologischen Sammlungen jener Gegenden zieren. Es kam auf dem Berliner Anthropologen-Congreß dieser Unterschied der Auffassung direct zur Sprache, indem sich ein nordischer Forscher, Dr. Undset aus Christiania, in einem Vortrag über die alte Bronzezeit darüber ausließ. Er bezeichnete die Verschiedenheit zwischen den echt etrurischen und den nordischen Bronzesachen in Beziehung auf Stil, Gesammtcharakter, Technik, Materialbehandlung, Ornamentik etc. als so durchgehend, daß kein Zweifel aufkommen könne. Die nordischen Arbeiten seien in technischer Beziehung sehr unterlegen, sie zeigten oft eine wunderbare Virtuosität im Gießen, aber auf der andern Seite einen Mangel an voller, freier Beherrschung des Materials, einen Mangel an guten stählernen Werkzeugen. Bei Lindenschmit's Ansicht müsse man, wenn man beispielsweise das Material an Gewandnadeln, den sogenannten Fibeln, behandelt, zu der Schlußfolgerung kommen, daß in einer Zeit, wo man schon in Italien vorzügliche Fibeln hatte, man daselbst in gewissen Fabriken andere Fibeln arbeitete, und zwar in Typen und Constructionen, die in Italien nie in Gebrauch gewesen sind und die den italienischen in jeder Beziehung weit untergeordnet sind; diese Typen arbeitete man in einer Technik, die der bei den einheimische Fibeln angewandten weit unterlegen war, für den Export nach den nordischen Ländern, und zwar eine Form für Hannover, eine für Mecklenburg, eine für Pommern, eine andere ganz speciell für die Insel Bornholm; denn an allen diesen Orten hätten sich ausgeprägte Localformen der Gewandnadeln nachweisen lassen.

Es ist hier nicht der Ort, die so schwierige Bronzefrage, welche bereits eine ganze Literatur hervorgerufen hat, zu entscheiden; es sollte im Vorhergehenden nur die Verschiedenheit der hierüber herrschenden Auffassung angedeutet werden. Eine Uebernahme der Bronze-Industrie in den Arbeitskreis der Bevölkerung Deutschlands geben ja beide Ansichten zu, und in dieser Beziehung ist es interessant, den Grafen Wurmbrand, den berühmten österreichischen Archäologen, constatiren zu hören, wie die Verhältnisse in Oesterreich lagen, als die Römer in's Land kamen. Er kommt zu dem Ausspruche, daß die Römer in den österreichischen Ländern die Bevölkerungen noch im lebendigen Besitze jener Bronzen angetroffen haben, welche vor sehr langer Zeit auch in Italien hergestellt wurden und deren Stilistik sich besonders in Etrurien hoch entwickelt hatte. Was nun die Frage beträfe, ob diese alten Bronzen nicht am Ende durchgehends aus italienischen Werkstätten stammten und sich in Oesterreich bis auf die Römerzeit als Erbstücke erhalten hätten, so glaubt Graf Wurmbrand aus den ganz gleichartigen Verzierungen der Eisen- und Bronzegeräthe, welche Verzierungen sich auf den Thonurnen wiederholen, schließen zu können, daß zu jener Zeit, also zu Zeiten des Kaisers Augustus, die meisten Geräthe nach alter Form von den längst als Metallarbeiter bekannten Norikern selbst erzeugt wurden. Damit ist nicht [632] zu viel gesagt; es handelt sich im Wesentlichen nur um das Geschick, die fremden Muster nachzuahmen, und wie sehr sich bei manchen auf primitiver Culturstufe befindlichen Menschen persönliche Geschicklichkeit und Handfertigkeit auszubilden vermag, davon erzählt Graf Wurmbrand ein eclatantes Beispiel aus der Gegenwart. Das Gewerbe des Schmiedens treiben in Ungarn zumeist die Zigeuner, die ärmste und verachtetste Volksgruppe. Es wurde einem solchen Zigeuner die Aufgabe gestellt, im freien Walde, ohne irgend ein Werkzeug oder eine Beihülfe, aus einigen Stücken alten Eisens eine Kette zu schmieden. Der Mann suchte sich sofort Steine für Ambos und Hammer, verfertigte sich einen merkwürdig einfachen Blasebalg aus einem Stück Ziegenfell, brannte sich Kohlen, und in wenigen Tagen war die Schmiede im Gange. Zuerst wurden die nöthigen Werkzeuge und dann die Kette selbst gemacht, die ganz vortrefflich ausgefallen ist. Wenn man diesen herumwandernden Zigeunern einige Silber- und Goldmünzen giebt, so wird unter den Augen des Bestellers in einigen Stunden ein Armband oder Ohrring von geflochtenen Drähten mit Filigranarbeit entstehen, welche künstlicher gearbeitet sind, als unsere modernen plumpen Goldschmiede-Arbeiten, und die manchmal directe Formverwandtschaft mit etruskischem Schmuck besitzen.

Die römische Cultur, zu deren Einwirkung wir nun übergehen, war im Allgemeinen so überwältigend, so abgeschlossen, daß in verhältnißmäßig kurzer Zeit in den Ländern südlich der Donau die Romanisirung auch des Gewerbes sich vollzogen hatte, während in rein germanischen Gegenden die alten Gewohnheiten sich noch forterhielten. In Deutschland haben wir in Bezug auf den römischen Einfluß in vorgeschichtlicher Zeit zwei Gebiete von einander zu unterscheiden, nämlich das südliche, unmittelbar von den Römern besetzte und das nördliche, nur durch Handelsbeziehungen berührte.

Wir können bis hoch hinauf in den Norden unseres Vaterlandes eine große Menge römischer Funde verzeichnen, so sind beispielsweise in unmittelbarster Nähe Berlins an nicht weniger als sieben Stellen Funde römischer Kaisermünzen gemacht, so ist in Hinterpommern bei Schlawe eine ganz wundervolle, der römischen Zeit angehörende Bronzecyste, welche gravirt, mit Silber ausgelegt und mit feinen Zeichnungen verziert ist, so ist bei Schivelbein und in der Nähe von Berlin je eine Statue des Jupiter hastatus, bei Bahn eine silberne Statuette u. dergl. m. gefunden worden. Die Beschreibung aller echt römischen Funde in Mittel- und Norddeutschland würde einen ganzen Katalog füllen.

Wie sich in Süddeutschland, soweit es von den Römern besetzt war, der Einfluß dieses weltbeherrschenden Volkes geltend machte, davon haben wir sehr eclatante Beispiele. Hier hatte das gewaltige Reich, welches damals gerade auf dem Höhepunkte seiner Entwickelung stand, sogar die Macht und den Einfluß, ganze Städte, wie beispielsweise Regensburg, zu erbauen, welches etwa in den Jahren 170 bis 180 nach Christi Geburt nach allen Regeln römischer Kriegskunst als bedeutendste römische Festung zwischen Wien und der Schweiz angelegt wurde. Wir finden in Süddeutschland, am Rhein, in Elsaß-Lothringen viele andere römische Anlagen, namentlich auch zahlreiche römische Friedhöfe. Werfen wir einen Blick auf die durch Pfarrer Dahlem und den Grafen von Walderndorf in Regensburg untersuchten römischen Begräbnißplätze, so finden wir, daß sich diese Anlagen vor fast allen Thoren dieser Stadt längs den Straßen, insbesondere aber an der Hauptstraße nach Augsburg hinziehen. Der letztgenannte Beerdigungsplatz ist der interessanteste und instructivste; von ihm wurde beim Bau der Ost- und der Staatsbahn, als stellenweise zwölf bis vierzehn Fuß Erdreich abgehoben werden mußte, eine Reihe von Urnen und Erdbegräbnissen bloßgelegt, deren Gesammtzahl 6000 übersteigt, und es ist in hohem Maße belehrend, sich dieses Todtenfeld, das eine Reihe von Generationen und Beerdigungsarten umfaßt, einmal etwas genauer anzusehen.

Zunächst findet sich in diesen merkwürdigen Regensburger Begräbnißplätzen der alten Römer der Uebergang in den Bestattungsarten sehr schön ausgedrückt. In den älteren Theilen, etwa bis gegen das Ende des dritten Jahrhunderts, kommen auf je eine Leichenbestattung etwa neun bis zehn Verbrennungen, späterhin ändert sich das Verhältniß immer mehr; die Leichenbeisetzung tritt häufiger auf, ohne daß man jedoch die Todten mit dem Gesicht der aufgehenden Sonne zugekehrt bestattet, bis endlich der volle Eintritt auch der letzten Sitte zu bemerken ist. Nach beinahe drittehalbhundertjährigem Bestehen wurde zur Zeit des Kaisers Honorius, etwa zu Anfang des fünften Jahrhunderts nach Christi Geburt, das römische Commando von Regensburg wegverlegt und Augsburg genähert; damit hörten auch die Beerdigungen auf diesen römischer Friedhöfen auf. Für unsere Prähistorie haben wir so durch die Erforschung dieser Localitäten eine sehr schöne Zeitbestimmung dafür gewonnen, wann im Süden und Westen Deutschlands die heute noch übliche Bestattungsweise eingetreten ist. Allein diese Friedhöfe von Regensburg führen uns noch weiter bis an die Grenzscheide des altnationalen Heidenlebens und der neuen Christuslehre, bis zu den Grabalterthümern aus der nachrömischen glänzenden Zeit der Merowinger-Könige, in welcher die Summe der selbstständigen technischen Errungenschaften aller vorhergehenden Bildungsphasen sich zu großartigen Leitungen vereinigte. Die Auflösung des römischen Reiches hatte nicht sofort die Zurückziehung aller byzantinischen Romanen aus dieser Gegend zur Folge; diese Leute lebten dort vielmehr, sich selbst überlassen, lange Zeit, den veränderten Verhältnissen Rechnung tragend, bis im sechsten Jahrhundert die Bajuwaren das Land in wahrscheinlich höchst friedlicher Weise für sich eroberten.

Wir haben bisher fast ausschließlich von der Bronzezeit gesprochen, obgleich mit dem Eintritt der genannten Periode der Gebrauch des Eisens schon vielfach bei uns eingeführt war. Bei einer Betrachtung dieses Verhältnisses müssen wir uns zunächst wieder jenem nordischen Dreiperiodensysteme zuwenden, wie es von den skandinavischen und dänischen Forschern S. Nilsson, Worsaae, Montelius, Hildebrand, Wiberg u. A. m. in einer Reihe von Werken beschrieben ist, welche durch die unermüdliche Interpretin der nordischen Anschauungen, Fräulein J. Mestorf in Kiel, in's Deutsche übersetzt und schon seit Jahren im Verlage von Otto Meißner in Hamburg erschienen sind. Es dürfte vielleicht angemessen sein, hier mitzutheilen, wie sich der dänische Forscher J. J. A. Worsaae nach seinem 1878 veröffentlichten Buche „Die Vorgeschichte des Nordens“ die Chronologie dieses Systems denkt. Hiernach stellt sich die Eintheilung der Culturverhältnisse für den skandinavischen Norden annähernd folgendermaßen: Aeltere Steinzeit circa 3000 Jahre vor Christo; jüngere Steinzeit circa 2000 bis 1000 vor Christo; ältere Bronzezeit circa 1000 bis 500 vor Christo; jüngere Bronzezeit circa 500 vor bis 100 nach Christo; ältere Eisenzeit circa 100 bis 450 nach Christo; mittlere Eisenzeit circa 450 bis 700 nach Christo; die Wikinger- oder jüngere Eisenzeit circa 700 bis 1000 nach Christo. Höchst auffällig muß es erscheinen, sagt der dänische Forscher, daß die Eisencultur, welche in den classischen Mittelmeerländern rasch eine so reiche Entwickelung erfuhr und schon um 800 bis 900 Jahre vor Christo ein neues historisches Zeitalter dort begründet hatte, fast tausend Jahre brauchte, um bis an das nördliche Gestade der Ostsee hinaufzudringen, ja, daß fast zweitausend Jahre nöthig waren, um in der Zeit von 800 bis 900 nach Christo der vorhistorischen Zeit im skandinavischen Norden ein Ende zu setzen, mit andern Worten, diese bis dahin so gut wie unbekannten Länder in das Gebiet der Weltgeschichte hineinzuziehen.

Dieser Ansicht gegenüber treten unsere deutschen Anthropologen – für das deutsche Gebiet – mit großer Entschiedenheit auf. Weit entfernt – ruft Lindenschmit aus – daß die Geräthe aus Knochen oder Stein ausschließlich nur eine fern abliegende und streng isolirte Zeit bezeichnen, bilden sie vielmehr eine durchgehende Grundlage des gesammten vorgeschichtlichen deutschen Culturstandes, welche mit mehr oder minder bedeutender Beimischung von Bronzegeräthen bis zum Eintritt des allseitigsten Eisengebrauchs hinabreicht. Dr. Hostmann in Celle kommt in seiner verdienstvollen Arbeit über den Urnenfriedhof bei Darzau in der Provinz Hannover (Verlag von Fr. Vieweg und Sohn in Braunschweig) unter Anderem zu der Ueberzeugung, daß die feine Bearbeitung vieler der ältesten und schönsten Bronzen gar nicht ohne genügende Stahlwerkzeuge habe ausgeführt werden können, sodaß man also vor der Hand nur eine Eintheilung der Prähistorie in eine „vormetallische“ und in eine „metallische“ Zeit annehmen dürfe. Das Eisen sei jedenfalls gleichzeitig oder noch vor der Bronze bearbeitet worden und in Gebrauch gewesen. Auch in seiner neuesten, im Archiv für Anthropologie erschienenen Abhandlung über die von Schliemann ausgegrabenen Metallarbeiten von Mykenae und ihre Bedeutung für die allgemeine Geschichte der Metallindustrie bleibt dieser Forscher durchaus auf seiner Meinung bestehen; er führt an, daß nicht die Technik des Gießens, sondern [633] die Kunst des Schmiedens das ursprünglichste Handwerk des Metallarbeiters gewesen sei, und daß zur Zeit der Akropolisgräber von Mykenae, um die Mitte des zweiten Jahrtausends vor Christo, das Eisen zu Arbeitsgeräth wie zu Waffen verwendet wurde.

Eigenthümlich ist es allerdings, daß wir kaum irgend welche alten Bronzefunde in Deutschland besitzen, die nicht gleichzeitig Beigaben von Eisen enthalten hätten. Es steht fest, daß im Gräberfelde zu Hallstadt überall neben den uralten Bronzen Eisen vorkommt. Jene alten, oben erwähnten drei etrurischen Bronze-Eimer hatten sämmtlich eiserne Beigaben: eiserne Deckel, eiserne Messer, eiserne Nägel, sodaß wir uns genöthigt sehen, jene entlegene Zeit, in der man die Kunst des Löthens und Gießens der Bronze noch nicht einmal kannte, als schon zur Eisencultur gehörig anzunehmen. Es ist nicht schwierig, sich vorzustellen, daß überall neben dem Import der vorwiegend zu Schmuckgegenständen verwendeten Bronze auch ein solcher von eisernen Waffen bereits in sehr früher Zeit auf den von Italien nach dem Norden Europas führenden Handelswegen stattgefunden habe. Der Grund, warum sich verhältnißmäßig so wenig Eisensachen erhalten haben, wird theils dahin erklärt, daß das Eisen durch den Einfluß des Sauerstoffs der Luft sehr viel schneller vernichtet und von Rost aufgefressen werde, als die durch ihre schöne grüne Patina geschützte Bronze, theils aber auch dahin, daß man zu Grabmitgaben, Weihgeschenken und Prunkwaffen als Ersatz der echten Stahlschwerter schon in ältester Zeit solche aus Bronze genommen hat. Daß sich natürlich im Laufe der Jahrhunderte bei uns in Deutschland, wie überall, an günstigen Localitäten allmählich eine eigene Metalltechnik entwickeln konnte, daß wir in den Donauländern späterhin, zur Zeit des Kaisers Augustus, von den berühmten Eisenschwertern aus Noricum, daß wir von gallischen Schwertern sprechen hören, ist eine leicht erklärliche Sache.

Wie vorher bemerkt, bildet die halb sagenhafte Zeit der merowingischen Könige, im fünften bis achten Jahrhundert nach Chr., die letzte und glänzendste aller prähistorischen Entwickelungsperioden unseres Volkes. Obgleich wir, namentlich im Osten und Norden von Deutschland, noch manche slavische, lettische, arabische und skandinavische Funde zu verzeichnen und gewisse Cultureinströmungen daraus herzuleiten haben, so kommen diese doch im Ganzen nicht sonderlich in Betracht. Wie aber zur Merowingerzeit die Waffen aller Art, die eigenthümlich verzierten Schmuckstücke aus Gold und Silber, die Gefäße aus Glas und Thon, Holz und Metall, die zahlreichen Geräthe für jeden Bedarf ein anziehendes Bild der äußeren Lebenserscheinung jener entlegenen Periode gewähren, davon sei als ein hervorragendes Beispiel das Grab des Frankenkönigs Childerich angeführt.

Es war im Jahre 1653, als auf dem Friedhofe zu Sanct Brixius in Doornick ein taubstummer Arbeiter beim Graben eines Fundamentes plötzlich auf eine so große Zahl blinkender Goldmünzen und glänzender Goldgeräthe stieß, daß er vor Schreck und Ueberraschung die Sprache gewann und laut aufschrie. Man fand und sammelte im Boden und der bereits ausgeworfenen Erde eine Menge Goldschmuck und Reste von golddurchwirkten Gewändern; man fand goldene, mit Edelsteinen besetzte Schwertbeschläge an verrosteten Klingen, eine Axt und eine Speerspitze von Eisen, zwei menschliche und einen Pferdeschädel sowie einen Siegelring, der das Brustbild eines Mannes mit langen geflochtenen oder gelockten Haaren und eine Lanze in der Hand zeigte. Die Umschrift enthielt die Worte. Childerici regis. Man erkannte sofort, daß hier das Grab jenes Frankenkönigs zu Tage gekommen, in welches derselbe mit seinem Streitrosse, seinen Waffen sowie mit einer reichen Beigabe sowohl von Schmuck wie von geprägtem Gold und Silber im Jahre 481 nach Chr. beigesetzt wurde, und zwar, wie wir jetzt erkennen, an der Seite einer ebenso königlich ausgestatteten Frau, ohne Zweifel seiner Gemahlin Basina, der Mutter Chlodowech’s, des Begründers der merowingischen Königsmacht.

Dieser Fund war der Beginn einer Fülle weiterer Funde, die aber erst in allerneuester Zeit, in den letzten vierzig Jahren, gemacht worden sind und zur Entdeckung und Erforschung jener großen Friedhöfe in den alten Gebieten der Alamannen, Burgunder, Franken, Angelsachsen und Baiern geführt haben, mit deren Erwähnung wir die Aufgabe dieser Artikel als abgeschlossen betrachten dürfen.