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Die Spielwuth in San Francisco

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Textdaten
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Autor: Theodor Kirchhoff
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Titel: Die Spielwuth in San Francisco
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aus: Die Gartenlaube, Heft 1–2, S. 7–9, 26–28
Herausgeber: Ernst Ziel
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1880
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[7]
Die Spielwuth in San Francisco.
Ein Beitrag zur Geschichte des modernen Actienschwindels.
Von Theodor Kirchhoff.

Unter den Eigenthümlichkeiten der Stadt San Francisco nimmt das wüste Treiben, welches die hiesige Minenbörse (Stock Exchange) kennzeichnet, und die das ganze Leben hier wie ein böses Unkraut überwuchernde Spielwuth in Minenactien einen hervorragenden Platz ein. Die Bevölkerung dieser Metropole befindet sich in einer fortwährenden intensiven Aufregung, und es läßt sich schwer denken, wie ein San Franciscoer überhaupt zu leben vermöchte, sähe er nicht jeden Tag des Jahres die Möglichkeit vor Augen, über kurz oder lang ein reicher Mann zu werden. Waren ja die mehr als fünfzig Millionäre, welche San Francisco in seinen Mauern zählt, fast ohne Ausnahme einstens bescheidene Kaufleute, einfache Miner oder gar Arbeiter, welche durch ein glückliches Ungefähr auf den rechten Weg zu Ansehen und Reichthum gelangten! Warum sollte es denn nicht jedem anderen just so gescheiten Menschenkinde auch noch gelingen, dasselbe goldene Ziel zu erreichen, wozu die Stockbörse Jedem das Thor weit geöffnet hält?

Fast Jedermann in dieser Stadt speculirt in „Stocks“ (Minenwerthe). Die Ausnahmen davon sind so gering, daß sie gar nicht in Betracht kommen. Jahrelang mag sich Einer gegen den Spielteufel gewehrt haben, zuletzt faßt er ihn doch, und wen derselbe einmal in den magischen Kreis seiner Verführungskünste gezogen hat, den läßt er gewiß so leicht nicht wieder entwischen. Unter den weiblichen Bewohnern San Franciscos herrscht dieselbe eingefleischte Spielwuth, wie unter dem stärkeren Geschlecht, obgleich Jene ihre Stockspeculationen mehr im Stillen auszuführen gezwungen sind, und nicht, wie die Männer, im Lärm und Getöse der Minenbörse verkehren können. Die in Seidenroben und Biberpelze gehüllten und im Juwelenschmuck prangenden Damen der reichen Welt stehen in dieser Beziehung auf derselben Stufe mit ihren einfachen deutschen und irländischen Dienerinnen, und der Arbeiter und Handwerker riskirt Alles, was er besitzt, eben so leicht wie der Kaufmann und wohlhabende Bürger.

Andere Großstädte haben auch ihre Börsen, wo lustig in Werthpapieren aller Art speculirt wird und Vermögen gewonnen und verloren werden. Aber das Börsenspiel hat dort einen legitimen Anstrich und ist nicht, wie es hier meistens der Fall, auf Corruption und imaginäre Werte basirt, wobei das Capital den Räuberhauptmann spielt, der das Publicum ungestraft ausplündert. Der Hauptunterschied zwischen der Stockbörse in San Francisco und anderen Börsen besteht erstens darin, daß hier zum großen Theil in Papieren speculirt wird, die wenig oder gar keinen reellen Werth haben, zweitens in den fast unglaublich schnellen Schwankungen der Actienpreise, namentlich von solchen Minen, die erzproducirend sind. Den momentanen Nutzen von ¼ oder ½ Procent bei einer Capitalanlage in Werthpapieren würde ein San Franciscoer mit stiller Verachtung betrachten. Die Stocks dagegen haben die verführerische Angewohnheit, mit rasender Schnelligkeit im Preise auf- und abzusteigen, und da lohnt es sich schon, etwas zu riskiren.

Wird in einer Mine ein reicher Erzkörper entdeckt, so springen ihre Actien zwanzig bis fünfzig und mehr Point per Tag und ziehen alle anderen Papiere mit in den Strudel hinein. Zu solchen Zeiten ist San Francisco wie ein Tollhaus, das von Millionären voll ist. Jedermann in seinen Mauern denkt, redet und träumt alsdann nur von Stocks. Was Wunder, daß zu solchen Zeiten auch das phlegmatischste Individuum von der Spielepidemie angesteckt wird! Man müßte seine menschliche Natur verleugnen, um mit dem gewöhnlichen hausbackenen Verdienst zufrieden zu sein, wenn die Millionen wie reife Aepfel auf dem Baum hängen, den man nur zu schütteln braucht, um sie abfallen zu lassen und aufsammeln zu können.

Die große Schatzkammer der Stockspeculanten in San Francisco ist die weltbekannte Erzader (ledge) der Comstock-Silberminen[1] im Nachbarstaate Nevada. Die Goldminen in Californien sind mit Ausnahme der von Bodie bis jetzt nicht auf der Stockbörse notirt und befinden sich in den Händen von Privatgesellschaften, welche sie für eigenen Nutzen ausbeuten.

Man denke sich eine etwa zwei englische Meilen lange, im schrägen Winkel herabfallende irreguläre Erdspalte, mit einer Breite von 100 bis 200 Fuß und von unergründlicher Tiefe, die sich in der Urzeit öffnete und später durch hineinstürzenden Schutt und Felstrümmer wieder füllte. Das plutonische Feuer trieb Gold- und Silberdämpfe von unten herauf, welche sich in zerstreuten Quarzmassen, bald in reicheren, bald in geringeren Quantitäten, als Erz hier und da festsetzten; nach und nach verhärtete sich das Ganze zu einer compacten Masse – das ist die heutige Comstock-„Ledge“. Die Erzablagerungen liegen zwischen dem Gestein verstreut, „wie Rosinen in einem Pudding“, bald große, bald kleine. Die Schwierigkeit besteht für unsere Bergbaukundigen darin, diese „werthvollen Rosinen“ zu finden.

In den Hauptminen ist die Ader bis zu einer Tiefe [8] von 2300 Fuß (an zwei Stellen sogar bis 2800 Fuß tief) von Schächten und Stollen durchzogen, die durch harten Fels gesprengt und durch Balken und schwere Bretterbohlen vor dem Einstürzen geschützt werden mußten – eine Riesenarbeit, welche der Mensch mit Hülfe des Dampfes in etwa 17 Jahren zu Stande gebracht hat. Die bedeutendsten Erzlager wurden im Jahre 1871 in den Belcher- und Crown Point-Minen entdeckt, welche zusammen etwa 30 Millionen Dollars producirten, und im Jahre 1875 in der Consolidated Virginia- und der Califonia-Mine, den sogenanten Bonanza-Minen, woraus in 5 Jahren mehr als 120 Millionen Dollars gewonnen und den Actionären bis jetzt 72 Millionen Dollars in Dividenden (Reingewinn) ausgezahlt wurden. Der Totalertrag der Comstock-Minen wird auf etwa 350 Millionen Dollars geschätzt.

Alle Bergbau-Einrichtungen am Comstock-Gang sind im großartigsten Stil angelegt. Dampfmaschinen von 500 bis 1000 Pferdekraft heben das Erz und die zersprengten Felsmassen und pumpen das Wasser aus einer Tiefe von über 2000 Fuß auf die Oberfläche, andere treiben durch Röhren die kalte Luft der Oberwelt in die Gluthatmosphäre dort unten hinunter, wo die Arbeiter bei einer Hitze von 120 Grad Fahrenheit sonst schon längst ihre Thätigkeit hätten einstellen müssen. Riesige Stampfmühlen pochen das Erz mit Höllenlärm Tag und Nacht zu Pulver, dem seine kostbaren Bestandteile nachher durch chemische Zersetzungsprocesse entzogen werden: Berge von Schutt und Felstrümmern, welche aus der Tiefe gefördert wurden, liegen an den kahlen Abhängen des Mount Davidson und in und um die wüsten Minenstädte Virginia City und Gold Hill – das Ganze ein Bild, so urwüst, so titanenhaft-großartig, wie es sich die Einbildung kaum vorzustellen vermag.

Das vorhin erwähnte Wort „Bonanza“ ist dem Spanischen entnommen und bedeutet „ein großes Erzlager“. Den Bonanza-Namen verdankt die Millionärfirma Flood, O'Brien, Mackey und Fair, sämmtlich Irländer, ihren kolossalen Reichthum, der auf 100 Millionen Dollars geschätzt wird. Sie controlliren den Minenmarkt in San Francisco vollständig und halten das Wohl und Wehe von vielen Tausenden sozusagen in ihrer hohlen Hand. Diese sogenannten „Bonanzakönige“ waren alle früher Leute in den bescheidensten Lebensverhältnissen. Mackey, der Reichste des Kleeblatts (O'Brien starb im vorigen Jahre), war einst ein einfacher Minenarbeiter und erstand für einen Spottpreis einen Antheil von der damals fast werthlosen Consolidated Virginia-Mine. Heute ist er ein Nebenbuhler des Herzogs von Westminster und der Rothschilds! Während Mackey’s Frau, eine geborene Französin, die einst Lehrerin in Virginia City war, in Paris lebt und sich dort umsonst bemüht, ihres Gemahls überflüssige Millionen klein zu machen, verweilt dieser am liebsten unter seinen alten Cameraden in Virginia City. Nichts macht ihm mehr Vergnügen als Diesen oder Jenen von seinen alten heruntergekommenen Freunden gelegentlich mit einem Wechsel von 10,000 bis 20,000 Dollars zu erfreuen. – Sein Associé Flood, welcher früher in Gemeinschaft mit O'Brien Schnaps für einen Bit (12½ Cents) den Schluck verkaufte, ist zum Financier der Bonanzafirma avancirt und gleichzeitig Präsident von der mit einem Capital von 15 Millionen Dollars in San Francisco arbeitenden und nur den Bonanzafürsten gehörenden Nevada-Bank, des größten Geldinstitus in Amerika. – Fair, als der Dritte im Bunde, der das bescheidene Einkommen von 750,000 Dollars per Monat genießt, führt die Aufsicht über sechs der größten Minen von Comstock-Gang und spielt als Mineningenieur in Virginia City die tonangebende Rolle.

Außer den Minen am Comstock-Gang giebt es noch Hunderte von größeren und kleineren Silberminen im Staate Nevada, in denen auf der San Francisco-Stockbörse speculirt wird. Hierzu kommen noch die vorhin erwähnten, gleich östlich vom Gebirgszug der Sierra Nevada und südlich von Virginia City in Californien liegenden, erst neuerdings entdeckten Goldminen von Bodie, welche dem Comstock eine gefährliche Concurrenz machen. „Comstock“ und „Bodie“ sind heut zu Tage der Schlachtruf aller Stockspeculanten in San Francisco.

Wie das bei jedem Handel in Werthpapieren der Fall, ist es das Ziel der meisten dabei Beteiligten, billig einzukaufen und hoch zu verkaufen; allerdings sehr relative Begriffe bei Stocks, von denen selbst der weise Salomo nicht sagen könnte, wann sie hoch und wann sie niedrig stehen. Eine geringere, auserlesene Zahl von Börsenleuten speculirt auf einen fallenden Markt, indem sie sich verpflichten, nach einer bestimmten Zeit Actien (shares) zu dem oder jenem Preise in dieser oder jener Quantität zu liefern oder den Betrag dafür zu entrichten (hier „short“ kurz speculiren genannt) – ein gefährliches Spiel bei einem so wetterwendischen Markte, wie dem auf der San Francisco-Stockbörse!

Die allergefährlichste Art des Speculirens in Minen-Actien ist auf sogenannte „margins“ (Grenzen). In diesem Falle deponiert der Speculirende bei seinem Makler (broker) eine Summe Geld, wofür dieser ihm gestattet, die doppelte bis fünffache Anzahl von irgend welchen Shares zu kaufen, die er, der Makler, in Händen behält. Steigen die Actien, so erzielt der Speculirende rasch einen großen Nutzen, fallen sie, so hat der Makler das Recht, entsprechenden Zuschuß zu verlangen oder die Shares zu verkaufen, um sich vor Verlust zu sichern. Daß der normal geltende Begriff vom Werthe des Geldes bei derartigen Speculationen ganz und gar abhanden kommt, ist eine der schlimmsten Folgen des Spiels in Minen-Actien. Selten begnügt sich Einer damit, nur mit seinem eigenen Capital zu arbeiten und für das, was er kauft, selbst baar zu bezahlen. Wer seine eigenen Dollars sonst klug in Acht nimmt, besinnt sich nicht, wenn er einmal in den Strudel des Hazardspiels mit Stocks gerathen ist, mit fremdem Gelde zu wirthschaften, als ob die Zwanzigdollarstücke auf der Straße lägen, und denkt nicht daran, daß er den etwaigen Verlust über kurz oder lamg doch decken muß.

Das Schlimmste für die Speculanten in Minen-Actien sind die unausbleiblichen „Assesments“ (Schatzungen für Minen-Betrieb). Selbstverständlich nimmt es enorme Summen in Anspruch, um Gruben von der Ausdehnunug und Tiefe, wie die am Comstock-Gang, bergmännisch zu bearbeiten. Wenn diese kein Erz oder solches nicht in genügender Quantität produciren, so müssen die Actionäre mit dem nöthigen Kleingeld herausrücken, um die nothwendigen Ausgaben zum Minen-Betrieb zu decken, natürlich in der Hoffnung, ihre Zuschüsse bei dem nächsten reichen Erzfunde durch Dividenden oder durch Preiserhöhung ihrer Actien hundertfach zurückzuerhalten. Das wäre nun schon in der Ordnung, wenn sämmtliche Actionäre einer Mine dabei auf gleichem Fuße ständen. Statt dessen sind einige sehr reiche Speculanten allemal im Besitze von etwas über der Hälfte von der Actienzahl einer Mine, und da die Mehrzahl der bei einer Wahl repräsentirten Actien bei allen Bestimmungen zum Minen-Betrieb allein rechtsgültig ist, so thun und lassen jene Wenigen so ziemlich Alles, was sie wollen. Diese, die sogenannten „insiders“ spielen mit dem großen Publicum - den „outsiders“ – wie die Katze mit der Maus. Sie bestimmen die Wahl der Beamten, die selbstverständlich mit im „Ring“ sind, und erwählen sich selbst zu Präsidenten und Directoren der Gesellschaft; ihnen gehören die Poch- und Amalgamationswerke, wo das edle Metall aus den Erzen gewonnen wird; sie nehmen alle Contracte, wobei etwas zu verdienen ist, und alles Geld geht durch ihre Hände. Zu jeder Zeit sind sie im Stande, die Actien einer von ihnen controllirten Mine hinauf- oder heruntergehen zu lassen.

Ohne einen Grund anzugeben, wird bald von dieser, bald von jener Mine ein Assessment ausgeschrieben, von 10 Cents bis zu mehreren Dollars per Actie, was für die betreffende Mine oft einen Gesammtbetrag von 100,00 und mehr Dollars ausmacht und nicht selten drei- und viermal im Jahre von derselben Gesellschaft wiederholt wird. Während der letzten 12 Monate erhoben 23 am Comstock-Gang liegende Minen über 6 Millionen Dollars Assessments, während nur 2 Minen, die Consolidated Virginia und die California, 4½ Millionen Dollars in Dividenden auszahlten, und nur 2 andere keine Assessments zahlten. Wer ein Assessment auf die ihm gehörenden Shares nicht vor der Verfallzeit bezahlt, dem werden von diesen ohne weitere Flausen so viele zu irgend einem Preise verkauft, bis der verfallene Betrag gedeckt ist.

Um den Marktwerth der Actien hinauf oder hinunter zu schrauben, kommen mancherlei geniale Kniffe und Manipulationen in Anwendung. Das einfachste Mittel zum Hinuntertreiben der Shares sind allemal die Assessments – im Galgenhumor gewöhnlich „irländische Dividenden“ genannt – mit deren öfterem [9] Wiederholen, nebst den hohen, für Vorschuß von den Maklern erhobenen Procenten, das Publicum zuletzt so mürbe gemacht wird, daß es seine ihm das Herzblut aussaugenden Werthpapiere, falls dieselben ihm nicht bereits überm Kopfe verkauft wurden, zu irgend welchem Preis losschlägt, eine Operation, welche man mit dem technischen Ausdruck „ausfrieren“ bezeichnet. Andere probate Mittel sind „Wasser in einer Mine“ oder die Schreckensbotschaft „ein Porphyrpferd!“ das heißt: ein im Erzkörper liegender werthloser Porphyrfelsen, der die Aussicht nahe stellt, daß das Erz bald alle sein wird, ferner die Nothwendigkeit, Maschinen oder Schachte zu repariren und neue Gänge zu sprengen, Gebäulichkeiten anzuschaffen, Stampfmühlen zu errichten und andere kostspielige Maßnahmen. Um die allgemeine Entmuthigung noch zu vermehren, werfen die Bonanzaprinzen kolossale Massen von Actien in den Markt. Die Panik läßt natürlich nicht lange auf sich warten. Jeder will verkaufen. Tausende von Actien, die von den Maklern auf „Margin“ gehalten wurden, werden von diesen losgeschlagen, um Verlust zu vermeiden und die „Insiders“ kaufen ihre vorhin entäußerten Papiere zu Spottpreisen wieder zurück.

Jetzt kommt die Zeit, den Markt wieder zu heben. Mit geheimnißvoller Miene erzählen die „Stocksharys“ (Eingeweihte unter den Speculanten) Diesem und Jenem unter dem Siegel der Verschwiegenheit, daß ein neuer Erzkörper entdeckt sei. Die Bonanzafürsten Flood und Mackey würden nächstens in „Ophir“ oder in „Yellow Jacket“ ein riesiges Steigen loslassen. Die guten Freunde beginnen „Points“ (guten Rath) zum Ankauf zu geben, bald für die Actien dieser, bald jener Mine. Man wisse ganz genau, daß der Diamantbohrer (womit man das Gestein bis auf 100 und mehr Fuß Entfernung anbohren und etwa darin verborgene Erzkörper, lange ehe ein Stollen sie erreicht, entdecken kann – Notabene allemal das Privateigenthum der „Insiders“ –) auf reiches Erz gestoßen sei etc. Es dauert denn auch nicht lange, so eröffnen die Actien einer bevorzugten Mine den Reigen und fangen an zu „springen“ – 10, 20, 50 Dollars per Tag – und die gesammte Reihe der Comstocks folgt nach. Der Himmel hängt wieder voller Geigen, und Jedermann, der bei der letzten Panik nicht bankerott wurde, legt sich ein neues Assortiment von Stocks ein, in der Hoffnung, eines schönen Morgens als Millionär aufzuwachen. Niemand ist mit einem geringen Nutzen zufrieden. Wer „Mexican“ zu 15 kaufte und sich fest vornahm, es zu verkaufen, sobald es auf 20 stiege, thut dies sicher nicht und denkt, wenn es schon auf 25 steht, er will nun doch lieber warten, bis es auf 50 oder 100 steht. Auf einmal fallen wieder die Actien mit fabelhafter Schnelligkeit. Der Millionäraspirant denkt immer noch an den imaginären Gewinn und kann sich nicht entschließen, rasch zu verkaufen. Sein Kartenhaus bricht zusammen; seine Glücksträume schwinden dahin wie Schnee an der Julisonne.

Bei einem echten Minenaufruhr (stock excitement) tauchen stets eine Menge ganz obscurer Actien auf, die sogenannten wild cats, die wilden Katzen. Es sind dies die Namen von Minen, welche gar keinen reellen Werth besitzen und sonst entweder gar nicht oder zu einem sehr niedrigen Curse an der Stockbörse notirt sind. Wer nicht genug Geld oder Credit hat, um in Comstocks speculiren zu können, der versucht sein Glück mit den Wildkatzen, in der Hoffnung, daß sich die eine oder die andere derselben als eine respectable Gold- oder Silbergrube entpuppen werde, oder daß es ihm gelinge, einen hübschen Nutzen zu erzielen, ehe der Markt wieder fällt. Sobald dies eintritt, verschwinden die meisten dieser „Werthpapiere“ wieder von der Stockbörse und sinken in ihr Nichts zurück.

Steigen die Actien einer reichen Mine zu solcher Höhe, daß Leute mit beschränkten Mitteln nicht mehr im Stande sind, darin ein Sümmchen anzulegen, so pflegt man aus purer Menschenliebe diese Werthpapiere zu zertheilen. Aus einer Actie werden fünf oder zehn gemacht, um Jedem Gelegenheit zu geben, sich an dem Nutzen zu betheiligen. In der guten alten Zeit gab es nur „Füße“, das heißt: jede Mine schrieb so viele Actien aus, als sie Längenfuß am Comstock-Gange besaß. Jetzt ist eine Mine von 600 bis 1000 Längenfuß in 100,000 und mehr Shares eingetheilt. Da bei anderen Minen, wenn auch nicht in solchem Grade, das umgekehrte Verhältniß stattfindet, so ist der Speculirende nie sicher, ob er billig oder theuer einkauft oder verkauft, und ist überhaupt ein solcher Wirrwarr in den relativen Werthen der Bergbau-Actien eingetreten, daß sich Niemand mehr darum kümmert.

In früheren Jahren pflegte der Frühling stets einen Stock-Aufruhr zu bringen. Wenn die ersten Blumen sproßten, fingen auch die Shares an, sich zu rühren. Man nannte dies den „Spring rise“ die Frühlings-Erhebung. In neuerer Zeit aber scheint die Frühlings-Erhebung aus der Mode gekommen zu sein, wenigstens ist kein Verlaß mehr darauf. Im Gegentheil pflegt jetzt der goldene Herbst auch die goldenen Träume zu bringen. [26] Die letzte Hochfluth einer wilden Speculation in Minenactien auf der Stockbörse in San Francisco begann im Juni 1878. In vier Monaten stiegen siebenundzwanzig Hauptminen am Comstock-Gang im Marktwerth von 29 auf 125 Millionen Dollars; drei Monate später waren dieselben Actien auf mehr als ein Dritttheil ihres höchsten Preises wieder herabgesunken. Schon seit geraumer Zeit hieß es, daß wohl der Boden, nämlich die Metallschätze, aus dem Comstock herausgefallen seien. Man zweifelte daran, daß in einer Tiefe von über 2000 Fuß daselbst noch reiche Erzkörper gefunden werden könnten. Allerdings bezahlten die beiden Bonanzaminen Consolidated Virginia und California jede noch immer ihren Actionären die üblichen Dividenden von 1,080,000 Dollars per Monat, aber der Marktpreis dieser Minen, deren Erschöpfung bei einem Raubbausystem, wie es am Comstock stattfand, unmöglich lange auf sich warten lassen konnte, war bereits von 700 Dollars auf 20 Dollars per Share gefallen (von denen jedoch fünf auf eine frühere Actie gingen), und von Erzfunden in anderen Minen ward nichts gehört. Der Börsenwerth sämmtlicher Comstockminen, welcher im Jahre 1874, vor der Entdeckung der beiden Riesenbonanzas, nur etwa 5 Millionen Dollars betrug und der sich zur Zeit der „großen Entdeckung“ auf 271 Millionen Dollars gehoben hatte – mehr als das gesammte Grund- und Personaleigenthum der Stadt San Francisco beträgt! – war im Mai 1877 auf 11 Millionen gesunken und stand im vergangenen Sommer, wie schon bemerkt wurde, trotz aller Manipulationen, ihn zu heben, erst wieder auf etwa 29 Millionen Dollars. Anstatt Dividenden zu erhalten, mußten die unglücklichen Aktionäre fast fortwährend mit „Assessments“ herausrücken. Wahrhaftig, es war an der Zeit, daß wieder einmal eine respectable Entdeckung am Comstock-Gang gemacht wurde, wenn den biederen Bewohnern der großen Goldstadt nicht alle Lust zum Speculiren in Stocks verleidet werden sollte.

Endlich brach im Sommer 1878 eine neue Glücks-Aera an. Man hatte in der Sierra Nevada-Mine reiches Erz gefunden – 2200 Fuß tief unter der Erde. Sierra Nevada, welches jahrelang nur „irländische Dividenden“ bezahlt hatte und zu 1¼ Dollars per Share betteln ging, machte sofort einen kühnen Sprung auf 15, dann auf 25, dann auf 30 Dollars per Share. Seine Nachbarmine Union Consolidated blieb nur eine Pferdelänge dahinter zurück. In allen Comstocks ging die Scala der Actienpreise sofort raketenartig in die Höhe, sodaß die Makler Tag und Nacht im Comptoir und auf der Börse arbeiten mußten, um den an sie gestellten Forderungen des nach Comstockactien förmlich hungrigen Publicums nur einigermaßen gerecht werden zu können.

Die Nachrichten von Erzfunden in der Sierra Nevada-Mine ließen nichts zu wünschen übrig. Man führe einen Schacht an der Seite der Bonanza hinunter, hieß es; später werde man zusehen, wie breit sie sei – und dann solle man sein blaues Wunder erleben! Sierra Nevada stieg auf 50, auf 100, auf 150 Dollars. Union Consolidated folgte auf 100 Dollars. In San Francisco war eine Aufregung, als hätte der Engel Gabriel den lieben[WS 1] Herrgott in Person zu Besuch angemeldet. Immer höher stiegen die lustigen Zwillingsbrüder. Sierra Nevada erreichte 300, Union Consolidated 200 Dollars per Share.

Man erzählte sich, daß die Bonanzafürsten Flood und O’Brien 5000 Shares Union zu 200 Dollars per Share – eine runde Million! – für Schatzscheine der Vereinigten Staaten auf einmal ausgetauscht hätten, um jene Mine controlliren zu können. Vorläufig hatte man aber noch nicht eine Schaufel voll Erz aus der Union Consolidated hervor geholt und in der Sierra Nevada nur Anzeichen von einer Bonanza gefunden. Der Marktwerth der Sierra Nevada-Mine war mittlerweile von 200,000 Dollars auf 27 Millionen Dollars, der von der Union Consolidated Mine von 350,000 Dollars auf 19½ Millionen Dollars gestiegen, während die anderen Comstock-Minen sich alle im Preise verdoppelt bis verzehnfacht hatten.

[27] In einer Tiefe von 2300 Fuß sollte endlich ein Querstollen durch Sierra Nevada geschlagen werden, um den Thatbestand einer veritablen Bonanza in dieser Mine gegen jeden Zweifel festzustellen. Es war ein Unglückstag für die vielen Hunderte von Millionär-Aspiranten in San Francisco, als dieser Querschnitt (cross cut) vom Seitenwalle des Comstock-Ganges durch die Ledge geschlagen wurde. Wie Mancher hätte wohl daran gethan, seine Actien, die ihm 5 oder auch 50 Dollars gekostet hatten, zu 250 oder 300 loszuschlagen, ehe der Telegraph die Schreckensbotschaft aus Virginia City brachte: der „cross cut“ sei auf ein Porphyrpferd gestoßen! Das Resultat dieser Nachricht war eine Panik auf der ganzen Linie der Comstocks. Es nutzte nichts, daß man sagte, das „Pferd“ sei nur ein kleiner Pony. An einem Tage purzelten die Sierra Nevada-Actien hundert Point, und Union Consolidated folgte hinterdrein. Man verlachte jetzt die Leichtgläubigen, welche Stein und Bein darauf geschworen hatten, daß Sierra Nevada um Weihnachten runde 1000 Dollars per Share werth sein werde. Niemand glaubte mehr an die schönen Historien von längst entdeckten, aber immer noch geheim gehaltenen fabelhaft reichen Erzlagern in dieser oder in jener Mine – z. B. an die „eiserne Thür“ in der Gould und Curry-Mine, welche eine dort etwa 2000 Fuß unter der Erde liegende Riesenbonanza verschließe, bis Herr Flood es für gut befinden würde, den Riegel vor Aladin’s Schätzen zum Nutzen der Menschheit zu öffnen. Man glaubte an gar nichts mehr, und Jeder suchte zu retten, was er konnte.

Seit jenen Schreckenstagen haben sich die Gemüther der leidtragenden Stock-Speculanten in San Francisco wieder etwas beruhigt, und auf's Neue wird die Möglichkeit neuer Bonanzas am Comstock stark befürwortet. Allerdings sind die Shares der Bonanzaminen auf fünf herunter gesunken, und Union Consolidated, welches im vergangenen Monate einen Sprung auf 100 machte, ist wieder auf 40 zurückgefallen (mit einem Verluste am Marktwerthe dieser Mine von 6 Millionen Dollars in einem Monat!), aber das sind nur die unvermeidlichen „Ups and Downs“, denen die Actien aller Minen gelegentlich ausgesetzt sind. Gegenwärtig (Herbst 1879) herrscht auf der Stockbörse in San Francisco eine Windstille wie vor einem Sturme, der in jedem Augenblicke losbrechen kann.

Der weltbekannte Sutro-Tunnel, das Riesenwerk unseres genialen Landsmanns Adolf Sutro, der durch denselben die unteren Theile des Comstock-Gangs entwässern will, ist nach einer unausgesetzten Arbeit von beinahe zehn Jahren endlich vollendet worden, und mit den Minengesellschaften ist nach endlosen Processen ein Vergleich zu Stande gekommen, der von beiden Parteien acceptirt wurde. Der Riesentunnel, dessen Länge über 20,000 Fuß beträgt, hat den Comstock-Gang in einer Tiefe von 1750 Fuß sozusagen angezapft, und es wurde am 1. Juli damit begonnen, die Massen heißen Wassers, welches die mächtigsten Dampfmaschinen aus mehreren Minen nicht mehr herauszupumpen vermochten, nach dem Carsonfluß zu drainiren. Möge es der beispiellosen Energie unserer Mineningenieure gelingen, trotz plutonischer Hitze und dem Hereinbrechen dampfender Wasserströme, neue riesige Bonanzas bis 4000 Fuß unter der Erde in den Tiefen des gewaltigen Comstock-Gangs zu entdecken!

Ehe wir von dem märchenhaften Glanze der Bonanzas und dem tönenden Klange gewonnener und verlorener Millionen Abschied nehmen, womit meine Feder den fernen Leser in der stilleren deutschen Heimath zu unterhalten versucht hat, wollen wir noch der weltberühmten Minenbörse (Stock Exchange) in San Francisco einen Besuch abstatten, wo die Würfel fallen, welche, trotz tausendfach zu Grabe getragener Hoffnungen, dem leichtlebigen Volke dieser schönen Stadt so unentbehrlich geworden sind, wie der lachende Sonnenschein des californischen Himmels.

Das an der Pinestraße liegende stattliche Gebäude, mit der Façade und den hohen Säulen aus Granit und der rings von einer breiten Gallerie umgebenen prächtigen inneren Rotunde, ist das Hauptquartier der Bullen (welche auf das Steigen der Stocks speculiren) und der Bären (denen das Fallen der Stocks Lebensaufgabe ist) und von Morgens bis Abends der Sammelplatz einer erregten Menge. Von hier aus senden die Drucktelegraphen – eine Erfindung des genialen Edison – ihre unsichtbaren elektro-magnetischen Sendboten aus, welche in jedem Maklerbureau, in den Hôtels, den feinen Trinksalons und an anderen vielbesuchten Plätzen der Stadt die Stockcourse auf den langen, sich selbst abrollenden Papierstreifen für die Belehrung des stets wissensdurstigen Publicums notiren.

Jeden Morgen – mit Ausnahme des Sonntags und der wenigen nationalen Feiertage – um elf Uhr beginnt die erste Hauptsitzung des „großen Board“, des Collegiums der Stockbrokers, welcher eine zwanglose Sitzung in der Hauptbörse selbst sowie andere „auf der Straße“, wie der technische Ausdruck lautet, und in den kleineren Minenbörsen vorangehen. Die breiten Asphalttrottoirs in der Pinestraße und den nahegelegenen Straßen sind bereits lange vor der Eröffnung der Hauptbörsensitzung voll von Menschen, worunter viele vom zarteren Geschlecht, denen die Aufregung in jedem Gesichtszuge zu lesen ist. Die an zahlreichen großen Schaufenstern ausgehängten Bogen, mit den letzten Stockcoursen darauf, werden stets von Jung und Alt kritisch betrachtet, welche das Steigen und Fallen der verschiedenen Minenactien auswendig lernen, um die Gelegenheit zu einer guten Speculation ja nicht zu versäumen.

Wir wollen uns das Leben und Treiben innerhalb der Mauern jenes granitnen Palastes etwas näher betrachten. Durch die Vermittelung eines uns befreundeten Maklers erhalten wir Zutritt in die große Halle, welche sonst nur für Börsenleute und Abonnenten geöffnet ist. Es ist halb elf Uhr Morgens, da wir den prächtigen Raum der großen Rotunde betreten. Die oben die Halle rings umgebende Gallerie, mit den amphitheatralisch darauf angebrachten Sitzen, ist bereits von Zuschauern beiderlei Geschlechts gedrängt besetzt, weil heute ein besonders lebhafter „Markt“ in Aussicht steht, indem das Gerücht verbreitet ist, daß der Diamantbohrer in der Ophir-Mine auf Erz gestoßen sei.

In dem offenen Binnenraum der großen Halle entwickelt sich ein Lärm, ein Schreien und Durcheinanderrennen von einer wild gesticulirenden Schaar, als ob die Insassen eines Tollhauses dort herumtobten. Es sind dies die Makler des „großen Board“, welche vor dem Beginn der regulären Sitzung ein kleines Geschäft unter sich abmachen. Von der Gallerie und den rings um die Wände laufenden Sitzen blickt das Publicum mit gespannter Aengstlichkeit in das wilde Gewühl der Stockbrokers, um die schrillen Worte der sich gegenseitig überschreienden Börsenmänner zu erhaschen.

Ein Uneingeweihter versteht absolut kein Wort in dem Schallen und Getöse, das, von den Wänden der Rotunde zurückhallend, aus dem wilden Knäuel hervordringt, der sich dort unten hin und her wälzt. Man kommt in Versuchung, diese Börsenhelden für eine zügellose Bande von Schülern zu halten, welche sich in der Zwischenpause des Classenunterrichts im Hofe eines Gymnasiums herumbalgen. Die Brokers, jeder mit einem Notizbuch in der Hand, schreien, bellen und grunzen sich gegenseitig an, lachen, schlagen sich die Hüte vom Kopfe, stecken einander Papierschnitzel in den Rockkragen, stoßen und schieben sich hin und her, zerren sich an den Kleidern, als ob Jeder von ihnen darauf versessen sei, den Verrückten zu spielen. Mitunter schreit Einer ein halbverständliches Wort, womit er eine Anzahl von Minenactien zum Kaufen oder Verkaufen anbietet, worauf sofort der ganze Knäuel auf ihn eindringt und unter einem Bedlam-Skandal dieses oder jenes Geschäft mit ihm abschließt. Telegraphenjungen, an ihren goldberänderten Kappen und uniformirten Röcken erkennbar, stürzen hinaus und herein, Boten von den Maklerbureaux ellenbogen sich durch die lärmende Menge und bringen den Ausschreiern neue „Orders“.

Würdevoll betritt jetzt der Präsident des großen Collegiums der Stockbrokers seinen erhabenen Herrschersitz, an dem rechts und links von ihm die Secretäre Platz genommen haben, um die gekauften oder verkauften Stocks stenographisch zu notiren. Der ganze Schwarm drängt sich nahe an das Pult heran, von dessen Höhe der Präsident, sich weit vornüberlehnend, mit unverwüstlicher Ruhe in das Getümmel herniederblickt. Sein Amt ist es, die Stocks der Reihe nach zu rufen und die Angebote sozusagen zu verauctioniren, Streitigkeiten zu schlichten und die wilde Bande der Brokers im Zaum zu halten.

Die tiefe Metallstimme einer stationären Glocke bezeichnet den Beginn der Sitzung, welche allen parlamentarischen Regeln geradezu Hohn spricht, und bei welcher Ruhe und Stillsitzen namentlich verpönt zu sein scheinen. Der Präsident ruft zuerst „Ophir“ aus, den Tonangeber für die ganze Reihe der Comstocks. [28] Ophir, die älteste Mine am Comstockgang, gehört zu den sogenannten „Nordendern“, denjenigen Minen, die am nördlichen Ende desselben in Virginia City liegen. Die „Südenders“ liegen bei Gold Hill, der Schwesterstadt von Virginia City; zwischen beiden die „Wasserstocks“, das heißt diejenigen Minen, welche theilweise von Wasser erfüllt sind.

Wenn die Nordenders hoch stehen, fallen die Südenders in der Regel, und umgekehrt hat eine rege Nachfrage in Südenders meistens einen deprimirenden Einfluß auf die Nordenders, während die Wasserstocks quasi den Vermittler spielen. Die vorhin erwähnten Bodiestocks stehen mehr auf eigenen Füßen. Auf alle aber übt Ophir stets eine Art von sympathischem Einfluß aus. Ophir stand schon auf 300 und stand schon auf 8 – je nach Zeit und Umständen! – hält sich gegenwärtig aber auf der goldenen Mittelstraße, zwischen 25 und 50 Dollars per Share.

Kaum ist aus dem Munde des Präsidenten das Wort Ophir ertönt, so erhebt sich unter den ehrenwerthen Stockbrokers ein förmliches Gebrüll, ein Durcheinanderrasen, das jeder Beschreibung spottet. Die Tollheiten von vorhin, das Schreien, Grunzen, Schieben, Stoßen, Hin- und Herzerren etc. wiederholen sich in erhöhter Potenz. Einzelne Makler fahren auf einander los, als wollten sie sich zerreißen. Wenn Jemand ein Angebot macht, fallen die Andern über ihn her und zerren ihn hierhin und dorthin, schlagen ihn mit der flachen Hand vor die Brust und schreien ihm mit verzweifelter Miene wilde Worte zu, als ob es gelte, einem ewig Verdammten die arme Seele zu retten, während alle Augenblicke Dieser oder Jener mit hochgeschwungenem Notizbuch an das Pult springt und den Präsidenten anbrüllt, der, mit der Ruhe eines Bonaparte im Schlachtgetümmel, die Angebote weiter ausruft. Wie es möglich ist, daß eine Gesellschaft von sonst vernünftigen Menschen ein solches wahnwitziges Treiben jeden Tag viele Stunden lang mitmachen kann, ohne dabei wirklich verrückt zu werden, ist ein psychologisches Rätsel. Es erfordert aber auch Leute mit wahrhaft eisernen Nerven und einem intensiv schnell denkenden Verstande, um ein derartiges Amt auf die Dauer versehen zu können, ohne dabei körperlich und geistig zu Grunde zu gehen. Israeliten sind unter den Maklern stark vertreten und an ihren orientalischen Gesichtszügen leicht zu erkennen. Die Brokers der Bonanzaprinzen sind unter der wüsten Gesellschaft die Tonangeber. Der Nimbus ungezählter Millionen ist von den Herren auf die Diener übergegangen. Mit Kleinigkeiten geben sich diese nicht ab und kaufen und verkaufen stets en gros. Den Eingeweihten wird es bald klar, daß das Gerücht von einem großen Erzfunde in der Ophir-Mine diesmal aus der Luft gegriffen ist. Der Vertreter der Bonanzafirma offerirt sogar Ophir – in irgend welcher Quantität! – zu herabgesetztem Preis, was einen sehr deprimirenden Einfluß ausübt. Die anderen Brokers trauen dem Bonanzacollegen nicht und scheinen nicht recht zu wissen, ob er mit seinem Angebot den Markt hinauf- oder heruntertreiben will.

Mittlerweile fährt der Präsident fort, die Comstocks der Reihe nach mit einer fabelhaften Zungenfertigkeit zu rufen, und beim Namen jeder Mine wiederholt sich der vorhin geschilderte Bedlamlärm. Nach der Zahl der oft hereinstürzenden Maklerboten und Telegraphenjungen und dem infernalischen Lärm unter den Stockbrokers zu urtheilen, ist das Publicum außerhalb der Börse heute in bedeutender Aufregung. Dieses ist jedenfalls durch die Drucktelegraphen über den Stand der Börse besser unterrichtet, als wir, die absolut gar nicht daraus klug werden können, ob der Markt hinauf- oder heruntergeht. Doch ich will den Verlauf der „Sitzung“ nicht weiter verfolgen, die sich in ihren Grundzügen ziemlich gleich bleibt.

Die Zahl der Stockbrokers, welche in der San Francisco-Minenbörse einen Sitz haben und dadurch berechtigt sind, dort Geschäfte zu machen, ist auf Hundert beschränkt. Der Werth eines solchen Sitzes beträgt gegenwärtig 25,000 Dollars. Die großen Stockbroker-Firmen gebieten selbstverständlich über bedeutende Capitalien und verdienen bei lebhaftem Umsatz in Minenactien ein enormes Geld. Wenn eine Hochfluth im Markt ist (a booming market), so beläuft sich der Gesammtbetrag der Käufe und Verkäufe einer solchen Firma oft auf vier bis fünf Millionen Dollars in einem Monat. Außer diesem Hundert giebt es noch eine Menge von Maklern in San Francisco, welche in den kleineren Stockbörsen und „auf der Straße“ Geschäfte machen.

Für das Kaufen und Verkaufen von Stocks wird ein halb Procent vom realisirten Werthe berechnet. Viele Kunden lassen ihre Actien im Besitze der Makler, und da fast fortwährend und gleichzeitig Käufe und Verkäufe von denselben Stocks gemacht werden, so pflegen die größeren Maklerfirmen nach der Börsenzeit solche Actien diesem Kunden ab- und jenem zuzuschreiben – Jedem derselben aber die üblichen Procente zu berechnen. Nur solche Speculanten, welche für den ganzen Betrag der erworbenen Actien baar bezahlen, haben das Recht, dieselben in Besitz zu nehmen. Für Vorschuß berechnen die Brokers anderthalb Procent per Monat, und wird am Ersten jedes Monats das Conto neu vorgeschrieben und Zinseszins berechnet.

In neuerer Zeit hat sich auch in New-York eine Minenbörse etablirt und beginnen die Yankees dort bereits mit lobenswerthem Eifer in Stocks zu speculiren. Mehrere reiche und im Minenhandel wohl unterrichtete San Franciscoer sind in der menschenfreundlichen Absicht dorthin gegangen, um unsere biederen östlichen Freunde in die Geheimnisse der Stock-Manipulationen einzuweihen und ihnen mit gutem Rath an die Hand zu gehen. Wie es den Anschein hat, sind die New-Yorker recht gelehrige Schüler, obgleich ihr Institut noch in den Kinderschuhen steht. Schwerlich wird sich aber die Metropole des Ostens auf die Höhe der Situation stellen, und es hat vorläufig noch keine Noth damit, daß sie ihrem in Geldsachen unendlich nobleren jungen Rivalen am Stillen Meere den Namen des leichtsinnigsten Spielers in der Welt rauben könnte.

  1. Der Name „Silberminen“ ist für die Comstock-Minen der allgemein gebräuchliche. Obgleich diese etwa 60 Procent in Gold produciren, ist dasselbe doch in den gewaltigen Silberbarren für das Auge nicht erkennbar und muß später aus dem Silber durch Läuterungsprocesse geschieden werden.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: lieber