Die Sparteriewaaren-Erzeugung
Im gewerbreichsten Theile der österreichischen Monarchie, im nördlichen Böhmen, streckt sich eine lange Reihe von Ortschaften hin, in denen Hunderttausende fleißiger Hände sich unablässig regen; Städte und Dörfer schließen sich eng an einander; viele Meilen weit geht man die Landstraße entlang immer zwischen Häusern; in den meist einstöckigen, aus Holz erbauten und mit Schindeln oder Stroh gedeckten Häusern klappert vom Morgengrauen an bis in die späte Nacht der Webstuhl. In den Städten wie Rumburg, besonders aber Warnsdorf, sieht der Wanderer die Schlote zahlreicher Fabriken zum Himmel emporragen; am Abend erglänzen die Fenster der zumeist großartigen Fabriken, als fände eine Illumination statt. So sieht es in der Gegend aus, wenn der Erwerb im flotten Gange ist. Geben aber an Werktagen die Schlote der Fabriken keine Rauchwolken von sich, sind deren Fenster ganz oder zum Theil dunkel, hört man nicht das rastlose Klappern des Webstuhles, dann – was zuweilen vorkommt – ist es um die Gegend und ihre Bewohner traurig bestellt, dann giebt es gar schmalen Erwerb, dessen Ertrag selbst für die bescheidensten Bedürfnisse nicht zureicht, dann klopft der Hunger erbarmungslos an die Thür Tausender von armen Leuten, die so gern von früh bis spät fleißig arbeiten möchten.
Eine dieser gewerbreichsten Ortschaften, hart an der sächsischen Grenze, im Leitmeritzer Kreise und nächst Rumburg liegend, trägt den Namen Ehrenberg, und der Ort ist aus einem ganz besonderen Grunde merkwürdig; denn einzig in ihm wird seit Jahren eine eigenthümliche Industrie betrieben, welche, wie sich zeigt, einer schönen Entwickelung fähig ist: die Sparteriewaaren-Erzeugung. Ehrenberg, in Ober-, Nieder-, Alt- und Neu-Ehrenberg zerfallend, zählt zusammen über sechstausend Seelen. Aeußerst freundlich liegt das langgestreckte Dorf in einem Thale, welches ein kleiner Fluß, die Mandau, die hier ihren Ursprung hat, durchfließt; freundlich lugen die Holzhäuser aus dem Grün der Obstbäume oder mächtiger Eichen und Linden hervor.
Die Sparterie oder Holzweberei ist in Ehrenberg durch einen Zimmermann Namens Anton Menzel, der sie in Rennersdorf, einem zwischen Kreibitz und Dittersbach liegenden Orte, kennen gelernt hatte, vor etwas über hundert Jahren eingeführt worden. Damals befand diese Industrie sich selbstverständlich auf ihrer untersten Stufe, nicht selbstverständlich aber ist, daß sie auf dieser bis vor kurzer Zeit stehen blieb, wodurch ein aussichtsvoller Erwerbszweig nahe daran war, zu erlöschen. Mit einem Wort: die Ehrenberger fabricirten bis in die jüngste Vergangenheit hinein nichts als ein einfaches Gewebe aus Holz, die sogenannten „Holzböden“.
Diese Böden werden aus feinen Fäden, nicht stärker als Briefpapier und je nach Bedarf ein bis fünf Millimeter breit, gewebt, und zwar bedarf es, um solche feine Fäden in der Länge von einem Meter bis zu einem Meter und dreißig Centimeter herzustellen, eines Holzes, das mit Zähigkeit Weichheit verbindet, welche Eigenschaften nur das Holz der Espe besitzt. Dieser früher auch in Böhmen heimische Baum ist dort nahezu völlig verschwunden; wenigstens sind keine Bestände desselben mehr vorhanden, welche dem Bedarf auch nur einigermaßen genügen könnten, weshalb letzterer heute aus Russisch-Polen gedeckt werden muß. Die Beschaffung des Rohmaterials für die Sparterie, des Espenholzes, ist darum ebenso mühselig wie kostspielig. Zu zwei Malen im Jahre, im Frühjahr und Herbst, reisen die Holzhändler nach Polen, dort die benöthigten Vorräthe zu beschaffen; es müssen zum Schlagen diese Jahreszeiten benutzt werden, da nur Holz von solchen Bäumen sofort zur Verwendung gelangen kann, in die der Saft noch nicht trat, oder aus denen er schon wieder ausgetreten ist; im Sommer geschlagenes Holz muß, ehe es verarbeitet werden kann, ein Jahr im Wasser liegen, weil es sonst roth und damit unbrauchbar wird. Auch ist nur solches Holz für die Sparterie geeignet, das ganz fehlerfrei ist; der geringste Fehler, ein für den Nichtkenner kaum bemerkbares Abweichen im Wachsthum, macht die aus solchem Holz gewonnenen Fäden für die Weberei unbrauchbar. Dies bedingt aber, daß mit der Holzgewinnung eine starke Abholzung verbunden ist; aus hundert Stämmen werden durchschnittlich nur sechs bis acht Klaftern Holz gewonnen. Hieran knüpfte man vielseitig die Befürchtung, es werde mit der Zeit gänzlicher Mangel an Rohmaterial eintreten; Fachmänner theilen diese Befürchtung indessen nicht, einestheils im Hinblick auf die riesenhaften Bestände, welche in Polen noch vorhanden sind, anderntheils, weil die Espe sehr rasch nachwächst und sich somit die abgeholzten Bestände bald von Neuem bewaldet haben. Und gerade dieses rasche Wachsthum der Espe ist es, was sie für die Sparterie verwendbar macht, denn durch dasselbe sind die Fasern gradliniger, als dies bei anderen Baumarten der Fall ist.
Der in Polen die Materialbestände auswählende Holzhändler hat an Ort und Stelle zunächst für ein Unterkommen in unwirthbarem Walde zu sorgen, welcher für sechs, acht, ja in einzelnen Fällen siebenzehn Wochen sein Heim ist. Er findet dieses Unterkommen zumeist in Forsthäusern. Dann gilt es, die wahrscheinlicherweise nutzbaren Stämme zum Schlagen zu bezeichnen; dieselben müssen eine Stärke von wenigstens 30 Centimeter besitzen, dürfen nicht windschief und müssen möglichst astfrei sein, auch kann nur weißes Holz benutzt werden; geschlagene Bäume, deren Holz roth ist, müssen ohne Weiteres liegen bleiben. Nun beginnt ein arbeitsvolles und doch monotones Leben für den Holzbeschaffer; Stamm auf Stamm fällt unter den Händen der gemietheten polnischen Holzfäller; die Stämme werden in Stücke von 1 Meter 30 Centimeter Länge geschnitten, geschält und ausgekernt. Jetzt muß der Holzhändler alle seine Aufmerksamkeit darauf verwenden, das fehlerhafte Holz, das heißt solches, dessen Faser nicht geradlinig, welches vielmehr astknollig ist oder Blasen hat, vom fehlerfreien zu sondern, denn während das Holz an Ort und Stelle fast nichts kostet, sind dessen Transportkosten enorm.
Ist ein genügender Vorrath an nutzbarem Holze geschlagen, so wird dasselbe zur nächsten Bahnstation, zumeist nach Rzeszow oder Brody, befördert; dies geschieht seitens der polnischen Bauern auf Holzwagen ursprünglichster Art, die aller Eisentheile vollständig entbehren, und so kommt es, daß zum Transport von 10 Klaftern Holz 46 mit je 4 Pferden bespannte Wagen erforderlich sind; jeder der Fuhrleute erhält auf eine Entfernung von 6 Meilen 6 Gulden österreichischer Währung. Der Bahntransport geschieht durch Deutschland, via Breslau; ein 4 bis 5 Klaftern Holz enthaltender Waggon kostet bis zum Bestimmungsorte 420 Gulden Fracht; trotzdem ist der weitere Weg durch Deutschland doch weit billiger, als der nähere Weg durch Oesterreich. In Ehrenberg kostet die Klafter nutzbares Holz circa 150 Gulden, und zur Verarbeitung kommen derzeit etwa 200 Klaftern.
Das Holz wird nun derart verarbeitet, daß die nach der Faser gespaltenen Stücke von, wie bereits erwähnt, 1 Meter bis 1 Meter 30 Centimeter Länge zu Gevierten von 6 Centimeter Breitenfläche abgehobelt werden; ist die Fläche ganz glatt, dann wird der sogenannte Theiler angesetzt. Der Theiler ist eine Art Hobel, der jedoch statt des glatten Hobeleisens eine Anzahl feiner Messerklingen, 20 bis 30, je nachdem der Faden 1 oder 5 Millimeter breit werden soll, besitzt. Die Handhabung erfordert große Geschicklichkeit und Aufmerksamkeit seitens des Mannes, der sie ausübt; er muß genau die Lage der Holzfaser beobachten und ihr mit seinem Theiler folgen; dies ist einer der Gründe, weshalb diese Industrie stets durch die Hand ausgeübt werden muß, nie Maschinenindustrie werden kann. Die vom Theiler in's Holz gezogenen Längsschnitte sind etwa 5 Millimeter tief. Ist der Mann damit fertig, so legt er den Theiler zur Seite und nimmt den Hobel zur Hand, mit dem er von der Holzfläche feine Streifen abhobelt, welche von einer am Fußende der Hobelbank stehenden weiblichen Person aufgefangen und geschwenkt werden, um etwa schadhafte Fäden abzusondern; der Abfall an Fäden ist, trotz aller Sorgfalt bei Auswahl des Holzes und bei ihrer Herstellung, doch ziemlich stark.
Die nun fertigen Fäden werden, ehe sie verwebt werden können, je zu zweien an einem Ende zusammengeknüpft; es ist dies Kinderarbeit, und werden in Ehrenberg die Kleinen vom vierten Jahre an damit beschäftigt. Das Kind bekommt für
[149][150] Knüpfen des Materials zu einem Schock Platten – zu jeder Platte sind 300 bis 400 Fäden nöthig – 60 Kreuzer, verdient per Tag 20 Kreuzer. Die Fäden können nun sofort gewebt werden, was zumeist durch weibliche Personen auf einem Webstuhle geschieht, der sich von den sonst üblichen Webstühlen wesentlich unterscheidet. Der Kürze des Materials halber kann dieses nicht aufgebäumt werden, sondern wird auf einen Rahmen gespannt; längere Fäden bilden die Kette, kürzere, 70 bis 80 Centimeter lang, den Einschuß. Das Einlegen des Einschusses geschieht unter Zuhülfenahme eines Stäbchens, das an einem Ende mit einem Oehr versehen ist; mit diesem Stäbchen zieht der Webende den Faden durch die Kette, während die übrige Manipulation der beim gewöhnlichen Weben in Anwendung gebrachten entspricht; nur werden etwaige Muster durch kleine Drahtstiftchen hervorgebracht, welche sich in der Lade befinden; die Verschiebung erzeugt das Muster.
Somit ist das, worin bis vor wenigen Jahren die Sparteriewaarenerzeugung Ehrenbergs bestand, der sogenannte Holzboden, fertig; allerdings wurden auch früher schon aus diesen Holzböden Mützen und Hüte erzeugt, diese aber waren so einfach wie möglich, in der Form ohne jeden Geschmack; ihre Ausführung war nichts weniger als sauber, und da sie geleimt waren, hatte es ihr Träger bei Regenwetter, oder wenn er schwitzte, mit sehr unangenehmen Folgen zu thun, und dies brachte es mit sich, daß die Hüte und Mützen, welche per Dutzend 75 Kreuzer, respective l Gulden 20 Kreuzer kosteten, nur unter den niedersten Volksclassen Abnehmer fanden.
Daß die Regierung einer Industrie, welche etwa 2500 Menschen Beschäftigung giebt, eine gewisse Aufmerksamkeit zuwendete, ist leicht erklärlich; es wurden von maßgebenden Persönlichkeiten Berichte eingefordert; leider konnten diese der Sachlage nach nichts weniger als erfreulich lauten. Es mußte gesagt werden, die Sparterie-Industrie befinde sich, Dank der Schlaffheit der Arbeiter, welche von Verbesserungen nichts wissen wollten, noch auf ihrer ursprünglichen Stufe; das Einzige, was die Regierung thun könne, sei, daß sie Modelle schaffe und Modistinnen anstelle, welche der Bevölkerung Geschmack beibrächten, wobei aber immer noch fraglich sei, ob hieraus wirklich ein Nutzen entspringen werde, denn die Bevölkerung besitze keinen Begriff davon, welcher Werth ihrem Erzeugnisse bei richtiger Benutzung und entsprechendem Vertrieb innewohne. Weiter wiesen die Berichte auf die Aussaugung der Arbeiter durch die Händler hin; diese wird auch in einer von Dr. Kleinwächter geschriebenen, in Prag 1873 erschienenen Broschüre, welche die Holzweberei behandelt, lebhaft beklagt: während die Händler, vier in Nachbarorten ansässige Firmen, welche sich mit dem Sparteriehandel abgaben, sämmtlich wohlhabende, ja reiche Leute geworden seien, könnten die Erzeuger der Waaren selbst sich kaum die allerdringendsten Lebensbedürfnisse beschaffen.
Ein Bericht an die Regierung schildert sehr drastisch die Manipulationen, deren jene Händler sich bedienten, um die Holzweber in voller Abhängigkeit von sich zu erhalten. Den Abnehmern, welche hauptsächlich Frankreich und England stellten, wurde der eigentliche Erzeugungsort thunlichst verheimlicht, dafür Schluckenau oder Nixdorf als solcher angegeben; dabei gerirten sich die Händler ihren Abnehmern gegenüber als Fabrikanten, während sie solche nie waren. Sie gingen so weit, daß französische und englische Einkäufer vom Besuche der wirklichen Arbeiter durch die Drohung zurückgehalten wurden, man würde ihnen keine Waare mehr liefern, während man die Arbeiter mit der Erklärung vom directen Verkaufe abschreckte, man würde ihnen, wenn sie diesen versuchten, keine Platte mehr abnehmen. Und die Leute erreichten ihren Zweck, denn die Bewohner Ehrenbergs, welche sich der Sparteriewaaren-Erzeugung widmeten, waren recht brave und arbeitsame Leute, denen jedoch jede für einen rationellen Geschäftsbetrieb unbedingt nöthige Weltkenntniß mangelte. Unter solchen seit mehr als hundert Jahren herrschenden Umständen mußten die Händler allmächtig sein; sie waren nur Wenige und konnten sich unter einander leicht verständigen; dictatorisch konnten sie die Preise machen, zu denen sie kauften und zu denen sie verkauften.
Die hieraus entspringende Bedrückung der Arbeiter, durch Herabdrücken der für ihr Erzeugniß bewilligten Preise, war wesentlich mit Ursache, daß die Sparteriewaaren-Industrie so lange auf ihrer ersten Stufe stehen bleiben konnte, ja zurückging; wandten doch Viele, welche sahen, sie könnten mit der Sparterie nicht mehr das erwerben, was sie zum nothdürftigsten Lebensunterhalt brauchten, sich der eigentlichen Weberei zu. Eine weitere Ursache des Stillstandes, beziehungsweise des Rückganges der Sparteriewaaren-Erzeugung aber ist die, daß den Arbeitern das Verständniß mangelte, ihr Rohmaterial, die Holzböden, in exportfähige, fertige Waare umzuwandeln, und die Händler es für zweckentsprechender fanden, mit dem Rohmaterial zu handeln, als dasselbe zu fertiger Waare zu gestalten; so wanderten denn die Ehrenberger Holzböden nach Paris und London, wo man elegante Damen- und Herrenhüte aus ihnen fertigte, welche längst schon dort von der feinen Welt mit Vorliebe getragen werden.
Auf der ursprünglichen Stufe der Rohmaterial-Erzeugung würde Ehrenberg wohl noch lange stehen geblieben sein, wenn nicht zwei tüchtige Geschäftsleute, ein Elsässer und ein Westfale, sich dort niedergelassen und die Firma A. Rueff u. Comp. begründet hätten. Diese Leute strebten von Anbeginn ihres Geschäfts an, die lebens- und entwickelungsfähige Industrie aus die höchstmögliche Stufe zu bringen, und trotz der Schwierigkeiten, welche Concurrenzneid von einer, Willensträgheit von anderer Seite ihrem Unternehmen anfänglich bereiteten, ist es ihrer Energie und Geschäftskenntniß doch gelungen, nach wenigen Jahren schon die erfreulichsten Erfolge zu erzielen. Heute expedirt Ehrenberg nicht nur das Rohmaterial, sondern die fertige Waare, bestehend in hocheleganten Damen- und Herrenhüten und Phantasie-Artikeln aus Holzgewebe kunstvoll gefertigt. Während früher die Holzböden nach Paris gingen und dort verarbeitet und appretirt wurden, importirt heute Paris die in Ehrenberg gefertigte Waare, deren Appretur die Pariser vollkommen erreicht.
Nicht allein für die Damenwelt, welche hier wahrhaft reizende Hüte, die zu tragen auch die feinste Dame sich nicht zu schämen braucht, vorfindet, sondern für Alle, welche Sinn für die Grundlage des Volkswohlstandes, die Industrie, haben, ist eine Besichtigung des Waarenlagers der Firma und eine Vergleichung der wahrhaft überraschenden Fortschritte, welche in dieser Industrie gemacht worden sind, hochinteressant.
Da sehen wir in großer Anzahl Damenhüte in den verschiedensten und modernsten Façons, ganz aus Holz in gelungenster Durchführung gefertigt, fragen wir aber nach dem Kostenpreis dieses Erzeugnisses, so werden wir durch die kaum glaubliche Billigkeit desselben überrascht; wir finden Hüte für Herren in allen nur denkbaren Formen, vom feinen Panamahut an, der hinter dem in Paris gefertigten um nichts zurücksteht, bis zu einem backschüsselartigen zum Export nach China bestimmten Hut und bis zu den massenhaft gefertigten Einlagen, durch welche die Fez des türkischen Militärs Steifheit erhalten. Der Export der Firma umfaßt heute schon ganz Europa von Spanien bis Rußland; in Asien erstreckt er sich über den Kaukasus, Indien und China; ebenso rege sind die Verbindungen mit Nord- und Südamerika und Australien; so hat sich das fertige Erzeugniß Ehrenbergs schon nach vier Welttheilen direct Bahn gebrochen, während dasselbe im fünften Welttheil, in Afrika, durch die Vermittelung französischer und englischer Zwischenhänder eingeführt wurde.
Der Besuch der Arbeitslocale verschafft uns die Ueberzeugung, es habe die Wiederbelebung und Hebung der nahezu völlig versumpften Industrie heute schon einem Theil der Bevölkerung Ehrenbergs wesentliche Vortheile gebracht und es könne nicht ausbleiben, daß dieser immer weitere Kreise theilhaftig werden. Die Hutformer, welche, beiläufig gesagt, die türkische Fezeinlage als gemeinsame Kopfbedeckung angenommen zu haben scheinen, verdienen heute schon mehr als das Dreifache dessen, was sie bei angestrengtester Arbeit mit der Erzeugung der Böden verdienen konnten; ebenso genießt eine Anzahl mit Fertigung von Damenhüten beschäftigter junger Mädchen einen sehr anständigen Verdienst. Diese Mädchen erfreuen sich aber auch des weiteren Vortheils, daß ihr Geschmack für schöne und elegante Formen unter Leitung einer jungen Dame, welche dieser Geschäftsabtheilung mit seltener Tüchtigkeit vorsteht, herangebildet wird.
Versuche, die Holzweberei auch anderwärts einzuführen, sind zu verschiedenen Malen schon gemacht worden; so ließ ein Dresdener Fabrikant vor Jahren einige dreißig Ehrenberger Sparterie-Arbeiter nach Dresden kommen; sein Unternehmen, die Sparteriewaaren-Erzeugung dort heimisch zu machen, scheiterte aber ebenso, [151] wie alle derartigen Verpflanzungsversuche, ja, nicht einmal in den unmittelbar benachbarten Orten, wie Schluckenau, Nixdorf etc., ist die versuchte Einbürgerung gelungen. Die Erklärung für diese Thatsache ist ziemlich einfach. Als wir die Manipulationen mit dem sogenannten „Theiler“ besprachen, sagten wir, schon aus dieser gehe hervor, daß die Sparteriewaaren-Erzeugung nie Maschinenindustrie werden könne; dies wird erhärtet durch die weiteren Manipulationen, das Knüpfen der Fäden und die Eigenartigkeit des Webens. Diese Handindustrie aber wird nun seit mehr als einem Jahrhundert nahezu von der gesammten, auf mindestens 3000 Seelen zu schätzenden Bevölkerung Alt-Ehrenbergs betrieben; jedes Mitglied dieser Bevölkerung, vom Kinde an, das kaum die ersten Lebensjahre hinter sich hat, bis zum Greise, nimmt daran Theil. Hierin liegt die Erklärung, weshalb die Einbürgerung der Holzweberei anderwärts stets todtgeborener Versuch bleiben wird; denn schwerlich wird sich je eine ganze Bevölkerung eines Ortes mit einem Schlage einem neuen Erwerbszweige zuwenden, zu dessen Erlernung sie ja immerhin eines ziemlichen Zeitraumes bedürfte. Nur wenn Alles, vom Kinde bis zum Greise, sich in die Hand arbeitet, wird und kann es der Bevölkerung eines andern Ortes möglich sein, ein Produkt herzustellen, welches an Billigkeit mit dem in Ehrenberg gefertigten concurriren könnte.
Möge der erfreuliche Aufschwung, den diese Industrie genommen hat, von Dauer sein und sich immer mehr steigern! Mögen ihre Erzeugnisse allenthalben die ihnen jetzt schon gebührende Würdigung finden und damit der Bevölkerung Ehrenbergs, braven, arbeitsamen und dabei kerndeutschen Leuten, eine gesicherte, ihre Arbeit lohnende Zukunft erblühen!
Anmerkungen (Wikisource)