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Die Soldaten Garibaldi’s in Genua

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Textdaten
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Autor: G. R.
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Titel: Die Soldaten Garibaldi’s in Genua
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 37, S. 590–591
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1860
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Die Soldaten Garibaldi’s in Genua. [1]
Von G. R.
Livorno, den 26. August. 

Die Agitation für ein einiges und freies Italien ist im Lande täglich im Wachsen begriffen, und Garibaldi ist der bewaffnete Repräsentant dieses einigen und freien Italiens, sein Schwert und sein Schild, „il dittatore“, wie er kurzweg genannt wird, und wie unter seinen Bildern steht, die man in allen Gestalten und in allen erdenklichen Stellungen vor den Schaufenstern der Bilderläden und der Buchhandlungen sieht. Wo man steht und geht, hört man von Garibaldi sprechen, von den Kindern auf der Straße, im Café, an den Wirthstafeln der Gasthöfe, Nachts auf dem mittelländischen Meer am Steuerruder und auf dem Verdeck; ich glaube, wenn die sardinische Regierung nicht in diesen Tagen ein Circular erlassen hätte, wonach die conscriptionspflichtige Jugend bis zum zweiundzwanzigsten Jahre im Lande bleiben soll, ganz Sardinien, die ganze Lombardei und ganz Toscana führe über das Meer und ginge zu Garibaldi, um unter der dreifarbigen Fahne für Italien zu kämpfen. Die Einheitsidee Italiens hat lange geschlummert; sie ist erst vor Kurzem erwacht, sie ist kaum zwölf Jahre alt, aber sie ist in diesen zwölf Jahren zu einem mächtigen Riesen geworden, den weder die Diplomatie Europa’s, noch die Armeen Oesterreichs mehr erwürgen werden. Bereits sind ihr der Großherzog von Toscana, der Herzog von Modena und die Herzogin von Parma zum Opfer gefallen. Allen waren wenig oder gar keine Vorwürfe zu machen, als nur der eine, daß ihr österreichisches oder bourbonisches Blut und das einige neue Italien sich nicht untereinander vereinbaren konnten, und dieser Vorwurf stürzte ihre Throne im Wege friedlichster Manifestation, ohne Kanonenschuß, ohne Barrikaden und ohne Gewehrfeuer. Nur als bewaffneter Repräsentant dieser Idee eroberte Garibaldi binnen wenigen Wochen Sicilien, und noch einige Wochen oder Monate, dann wird der Thron Franz des Zweiten und der Stuhl St. Peter’s in Rom ihr, diesem täglich wachsenden Riesen, erlegen sein.

Ich kam von Turin nach Genua. In der ersten Straße, welche mich vom Eisenbahnhof nach meinem Hotel führte, begegnete ich den Soldaten Garibaldi’s. Ich fuhr von Genua nach Livorno. Zu gleicher Zeit mit dem italienischen Dampfer, der mich hinüberführte, lief ein englisches Schiff aus dem Hafen; das ganze Verdeck war mit Garibaldi’schen Freiwilligen gefüllt, welche nach Messina fuhren, und als ich in Livorno an’s Land trat, begegneten mir Trupps von jungen Leuten in rothen Blousen und rothen Waffenröcken – es waren die Streiter Garibaldi’s, welche sich nach der Abfahrt des nächsten Schiffes nach Messina erkundigen wollten. Auf der Straße, im Café, im Omnibus, im Hotel, überall Soldaten Garibaldi’s. – Zieht denn ganz Italien aus in den Streit, wie einst die Kreuzfahrer in das gelobte Land, um das heilige Grab den Händen der Ungläubigen zu entreißen? Ja, dies ist ein Kampf, wo es mehr und Größeres gilt, als tausendjährige Erinnerungen; es ist ein Kampf um ein freies, einiges und großes Land, welches Europa im Sarge und lange begraben wähnte, dessen geschichtlichen Tod einige einfältige und hochmüthige Gelehrten und Professoren seit fünfzig Jahren prophezeiten, und welches aufsteht, sich hoch emporrichtet, das Schwert zieht und ruft: Ich bin nicht todt, ich lebe, und ich will ein großes und freies Leben führen unter den Völkern Europa’s!

Man sehe sich diese jungen Männer an, die in Genua und Livorno auf die Schiffe warten, welche sie hinüberfahren sollen zu den sonnigen Gestaden Siciliens, wo ihre Brüder sich so eben bei Milazzo schlugen, und man muß sich sagen: Das ist kein Lumpengesindel, welches zusammenläuft, um sich zu schlagen, weil es zu Hause nichts zu thun und nichts zu essen hat! Nein, das ist die Blüthe der Jugend Italiens, das sind die Söhne aus den ersten, reichsten und besten Familien des Landes. „Mein Gott,“ sagte zu mir vor einigen Tagen ein junger Mann in Genua auf der Straße, „wenn man uns hier Schwierigkeiten mit der Einschiffung macht, nun, dann miethe ich mir ein englisches Schiff, das im Hafen liegt, und fahre die fünfhundert Mann hinüber, welche gerade hier sind.“ Der junge Mann war der Sohn eines der reichsten Grundbesitzer auf der Insel Sardinien, der eine Rente von mehreren hunderttausend Francs hat. Mit ihm ließ sich ein junger Genueser anwerben, dessen jährliches Einkommen, wie mir ein in Genua ansässiger deutscher Kaufmann erzählte, vierzigtausend Francs beträgt. Er trat als gemeiner Soldat bei der Infanterie ein. Und dann setzten wir uns zusammen, er und der Marchese von der Insel Sardinien und einige Venetianer, welche noch nicht zwanzig Jahre waren und heimlich über die Grenze kamen, und einige süddeutsche Officiere, welche ihren Abschied genommen hatten, und tranken Cyperwein, den der Vater des Marchese von seiner Insel geschickt hatte für die Soldaten Garibaldi’s, und tranken auf das einige und freie Italien, auf seine Größe und auf seinen Ruhm, und brachten einen stillen Toast aus auf die gefallenen Brüder bei Milazzo.

Bei mir war der deutsche Dichter Bernhard Endrulat, den ich in Alessandria getroffen hatte, und als die funkelnden Sterne am blauen Nachthimmel aufzogen, da tönte Endrulat’s Lied durch die still gewordene strada nuova:

„Glückauf, ihr Sarden und Lombarden,
Glückauf, Italien einig, frei!“

Von ihnen hörte ich auch, daß der ehemalige preußische Officier und jetzige Chef des Geniewesens in der Schweiz, der durch seine kriegswissenschaftlichen Schriften berühmt gewordene Wilhelm Rüstow bereits in Sicilien eingetroffen sei und eine Stellung als Oberst in der Garibaldi’schen Armee einnehme. Sie Alle, erzählen sie mir, würden in dem Regiment Rüstow’s dienen. Auch einen preußischen Artillerieofficier traf ich, der hier einige Monate Urlaub genommen hatte, um nach Sicilien zu gehen, und dann, wie sich eigentlich von selbst versteht, auch einen Berliner. Er saß [591] im Café de la Concorde unter den Orangenbäumen und Acazien, trank Kaffee mit Milch und forderte sich die Augsburger Allgemeine. Nachdem er einige Minuten hineingesehen hatte, warf er sie fort und rief: „Nein, diese ewigen Lügen über Italien werden ordentlich ekelhaft, und man ärgert sich doch darüber!“ Da redete ich ihn an und hörte, daß er aus der nüchternen Stadt an der Spree komme, um sich für Garibaldi zu schlagen und statt des Berliner Weißbiers Syracuser zu trinken. Und am Abend ging ich mit ihm in ein Haus in der Nähe der Promenade del acqua sola, wo er Abschied nehmen wollte von einigen Cameraden, welche noch in der Nacht mit einem französischen Schiff nach Messina fuhren. Da lagen sie auf Stroh nebeneinander, einige zwanzig, und die Meisten schliefen fest. Und neben dem Einen, einem schönen jungen Mann mit einem prächtigen, schwarzen Schnurrbart, saß eine alte Frau mit grauem Haar, hielt seine Hand in der ihrigen und sah ihn unverwandt an. Er schlief fest. Und als ich die alte Frau fragte, sagte sie mir, sie sei seine Mutter und wolle ihren Sohn, den sie als einen Streiter Italiens dem Garibaldi sende, noch die letzten Stunden sehen und seine brave und tapfere Hand in der ihrigen halten, und dann mit ihm an den Hafen gehen und ihm ihren Segen geben.

Die meisten Einschiffungen der Garibaldi’schen Freiwilligen finden in Genua und Livorno statt. In Genua sind in den letzten vier Wochen durchschnittlich täglich dreihundert eingeschifft worden. Die Zahl derer, welche von Livorno abgegangen sind, habe ich dort nicht erfahren können. Doch finden auch in Marseille, Constantinopel und in englischen Häfen Einschiffungen statt. Aus Constantinopel sind kürzlich sechshundert Ungarn in Messina angekommen. Aus England und Frankreich treffen viele Matrosen in Genua ein, welche in der Garibaldi’schen Armee Dienste nehmen. Die bei weitem größere Zahl besteht, wie sich von selbst versteht, aus Italienern, aus Lombarden, Venetianern, Piemontesen und Toscanern, besonders aus Lombarden. Sie haben selbst zu lange unter dem Drucke fremder Despotie gelebt, um jetzt nicht ihren Brüdern in Neapel und Sicilien zu Hülfe zu eilen. Meist alle kommen als Reisende nach Sardinien, sind mit Pässen und Legitimationspapieren als solche vollständig versehen und reisen als Passagiere auf englischen und französischen Schiffen, welche im Hafen zu dem Zwecke bereit liegen und von ihnen selbst oder von Bevollmächtigten Garibaldi’s gemiethet werden, nach Sicilien hinüber. Equipirt und bewaffnet wird Niemand, weder in Genua, noch in Livorno. Es steht sonach selbstredend der sardinischen Regierung gar kein Recht zu, selbst wenn sie von auswärtigen Cabineten dazu gedrängt würde und einem solchen Ansinnen nachgäbe, gegen derartige Einschiffungen hindernd einzuschreiten. Es steht ja Jedem frei, als Passagier in einem italienischen, französischen oder englischen Schiffe nach Sicilien zu reisen und dort unter Garibaldi Kriegsdienste zu nehmen. In den Straßen Genua’s sieht man die Freiwilligen nicht mit Waffen umhergehen. Viele tragen die rothe Mütze, welche in der Garibaldi’schen Armee als Kopfbedeckung eingeführt ist, Manche den rothen, kurzen Waffenrock, Manche die rothe Blouse, viele, und die meisten, den einfachen Anzug von ungebleichtem Leinen, kurzen Rock und Hosen mit kurzen Ledergamaschen, der für die Infanterie bestimmt ist. Den bangen und ängstlichen Seelen will ich übrigens sagen, daß die rothe Farbe der Mützen, der Waffenröcke und der Blousen nicht die rothe Republik bedeutet. Die Mützen haben einen weißen und grünen Streif, die Röcke und die Blousen kleine Kragen und kleine Aufschläge von grünem Tuch, und das Lederzeug und die Degenkoppel ist weiß. Röcke, Blousen und Mützen repräsentiren also in ihrer Zusammenstellung die drei Farben Italiens. Die ganze Uniform, sogar der einfache Anzug der Infanterie, ist sehr kleidend, und hebt die jugendlichen und kräftigen Formen ihrer Träger recht hervor. Der größte Theil der Freiwilligen hat sich ihre Uniformirung auf eigene Kosten anfertigen lassen und schon selbst dafür gesorgt, daß sie kleidend und zierlich gemacht ist.

In Massen müssen die Soldaten in diesen Unisormen einen imposanten und prächtigen Eindruck machen. Die Schützen, die Bersaglieri, sollen grüne Uniformen tragen; von ihnen habe ich keine gesehen. Alle schwärmen im Voraus für ihren künftigen General, ohne ihn bis jetzt gesehen zu haben, und erzählen sich Wunderdinge von seiner heroischen Tapferkeit und von seiner Herzensgüte, mit der er für seine Armee sorge. Ueber die Stärke dieser Armee gehen die verschiedensten Gerüchte und kommen die sonderbarsten Nachrichten. Das Richtige ist wohl, daß sie zwischen dreißig- und vierzigtausend Mann beträgt. Jedenfalls ist sie eine tapfere Armee und eine Armee, die sich dessen bewußt ist, wofür sie sich schlägt, steht also schon deshalb, und weil sie nur aus Freiwilligen besteht, hoch über dem Söldnerheere des Königs von Neapel.

Am Abend, als ich aus dem Hafen von Genua nach Livorno abfuhr, verließ auch der englische Dampfer Orwell, ein Schiff von ungefähr dreihundert Pferdekraft, den Hafen. Das ganze Verdeck war mit den Streitern Garibaldi’s angefüllt. Ihre rothen Blousen, die rothen Mützen und die weißen und grünen Federn leuchteten in den Strahlen der untergehenden Abendsonne, welche die Berge und die Forts und die aufsteigenden weißen Häusermassen Genua’s, welches sich „la Superba“ nennt, in einen violettfarbenen Duft hüllte. Am Spiegel des Dampfers flatterte die italienische Tricolore, über ihr die rothe englische Fahne. Und weithin über die ultramarinblauen Wogen tönten die begeisterten Rufe aller der Hunderte, welche hingingen, um für das einige und freie Italien zu kämpfen: „Evviva l’Italia! Evviva Garibaldi!“



  1. Mit diesem Artikel beginnen die versprochenen Originalmittheilungen aus Italien, deren Erscheinen durch verspätete Abreise unsers Mitarbeiters leider um einige Wochen verhindert ward.
    D. Red.