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Die Snussi und die Derwische

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Textdaten
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Autor: Gerhard Rohlfs
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Titel: Die Snussi und die Derwische
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 25, S. 425–427
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1889
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Henri Duveyrier: La confrérie musulmane de Sîdi Mohammed Ben' Alî Es-Senoûsî et son domaine géographique : en l'année 1300 de l'hégire (1883 de notre ère), Paris Gallica
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Die Snussi und die Derwische.

Ein Streifblick auf die Zustände in Nordostafrika.

Es scheint, daß sich die Religionen mit Vorliebe an bestimmte Oertlichkeiten binden. Wir wissen, daß schon lange vor Mohammeds Erscheinen ein Hauptkult der heidnischen Araber in Mekka seine Stätte hatte. Der Tobba Abu Carib führte 206 vor Christi Geburt dort die jüdische Religion ein, während 343 nach Christi Geburt dort Theophil, abgeschickt vom Kaiser Konstantin, die christliche Lehre predigte, bis im Jahre 630 Mohammed endgültig Mekka der neuen von ihm gelehrten Religion gewann.

Denselben Wandel sehen wir sich knüpfen an Djarabub, die Hauptstadt der Snussi. Denn Djarabub ist nichts anderes als das wieder belebte Ammonium, dessen Gründung bis ins graueste Alterthum zurückreicht. Die ältesten Nachrichten über diesen so berühmten Orakelort finden wir bei Herodot. Diodor und Curtius Rufus, beide zu Anfang der christlichen Zeitrechnung lebend, geben uns eine ausführliche Beschreibung von dem damaligst Zustande der Oertlichkeiten, und in der neuesten Zeit finden wir in O. Parthens trefflicher Abhandlung über die Jupiter Ammons-Oase alles erschöpfend niedergelegt, was Ursprung, Bedeutung, Geschichte des Orakels und des ehemals und jetzt dort lebenden Volkes anbetrifft. Wir erfahren, daß Krösus von Lydien sich dort Raths erholte, daß Cambyses das Königreich der Ammonier mit Krieg überziehen wollte, sein Heer aber in der libyschen Wüste elend zu Grunde ging. Nach den Aussagen der Alten wurde es von einem Samum mit Sand überschüttet, während wir auf unserer Expedition in die libysche Wüste, auf der wir die bleichenden Knochen jener Soldaten des Cambyses gesehen haben, die Ueberzeugung gewannen, daß sie an Verdurstung zu Grunde gegangen sein müssen. Wir wissen auch, daß Alexander der Große nach dem Ammonium pilgerte und sich hier „Sohn des Zeus“ anreden ließ, daß Cato der Jüngere das Orakelheiligthum besuchte, bis dann das Christenthum seinen siegreichen Einzug hielt.

Der heidnische Tempel des Jupiter wurde nun in einen christlichen der Maria umgewandelt, wie denn die Oase nach den mittelalterlichen arabischen Schriftstellern, wie Edrisi, Abu'l Feda, Ebn el Wardi und Sakuti, die Benennung Santariat (Santa Maria) beibehielt noch lange, nachdem sie im 7. Jahrhundert die Religion Mohammeds angenommen hatte. Wenn aber Ritter meint, daß der heutige Name Siuay erst durch Wansleb im Jahre 1664 bekannt geworden sei, so können wir dagegen feststellen, daß er schon um die Wende des 14. Jahrhunderts bei Makrisi erwähnt wird.

Siuay, oder vielmehr die Stadt Djarabub ist heute wieder wie im Alterthum ein berühmter Wallfahrtsort und zugleich ein Orakelort. „Wer nach Djarabub pilgert,“ sagte der verstorbene Gründer des Ordens der Snussi, „kann die Pilgerreise nach Mekka entbehren.“

Und wie wir eingangs hervorgehoben haben, ist nun seit mehr als 3- bis 4000 Jahren das Ammonium ein berühmtes Heiligthum. Der Orden der Snussi ist gegenwärtig eine nicht zu unterschätzende Macht, er erstreckt sich, trotzdem er erst kurze Zeit existirt, über drei Erdtheile. Er hat Gelehrte, Soldaten, Feldherren, eine Unzahl von Sauyas[1], und wenn man die Zahl der ihm unmittelbar Anhängenden auf etwa 150000 veranschlagen darf, so kann man dreist alle die, welche für den Orden arbeiten, auf 2500000 bis 3000000 Seelen schätzen.

Der Stifter des Ordens war Si[2] Mohammed ben Ali el Snussi, geboren 1813 in der Tribe der Medjaher in der Umgegend von Mostaganem, Provinz Oran. Er widmete sich in der Jugend der Jurisprudenz, die wie alles bei den Mohammedanern sich innig an die Lehren des Korans anschließt. In seiner Jugend ereignete sich die Okkupation Algeriens durch die Franzosen. Und wenn er vorher schon durch die türkische Herrschaft in seinen religiösen Gefühlen gekränkt war, so steigerte sich durch die Besetzung Algeriens seitens der Christen sein religiöser Haß zu einem rasenden Fanatismus.

„Türken und Christen,“ pflegte er zu sagen, „sind vom selben Stamme, ich werde sie mit einem Schlage vernichten.“[3] Si Snussi, wie wir den Stifter jetzt schlechtweg nennen wollen, war schon zur Zeit der Türkenherrschaft in Algerien nach Marokko verbannt worden. Hier schloß er sich dem Orden Muley Thaîbs an, dem mächtigsten, den der Nordwesten von Afrika aufzuweisen hat und dem auch zahlreiche Triben in Algerien angehören. Denn es ist zu beachten, daß überhaupt in der mohammedanischen Welt jeder Erwachsene in irgend einen Orden eintritt. Es giebt fast kein Individuum in der islamitischen Welt, das nicht irgend einem Orden angehörte. Dabei ist natürlich nicht nöthig, daß die Mitglieder in einem Kloster leben, daß sie Coelibatäre sind. Im Gegentheil, je frömmer ein Mann ist, desto mehr Frauen hat er zumeist. Denn mit Frömmigkeit ist in der Regel bei dem Mohammedaner Reichthum verknüpft und dies gestattet ihm, die vier vorschriftsmäßigen Frauen zu [426] nehmen und noch eine Menge „Chadem“, das heißt Dienerinnen, zu halten.

Mit der französischen Herrschaft wurde die Verbannung Si Snussis aufgehoben. Er kehrte nun nach Algerien zurück, durchstreifte als Professor der Rechte und der Gottesgelehrtheit ganz Algerien und rückte so langsam vorwärts, bis er Mekka erreichte, wo zu der Zeit der Schich Ahmed ben Edris die philosophische Schule des weisen Chadeliya vertrat. Die Schule, deren Lehre innig verwandt mit derjenigen der Derkawa und Wayabiten ist, vertritt den schroffsten Gegensatz zu allem Christlichen.

In Mekka wurde Si Snussi zuerst Anhänger Ahmed ben Edris und dann bei dessen Tode der ausgesprochene Nachfolger desselben. Im Anfange durchstreifte er Yemen, suchte Schüler zu erwerben, kehrte aber bald, nachdem er das Unnütze dieses Versuches eingesehen hatte, nach Mekka zurück, um unter den dort befindlichen Berbern Propaganda zu machen und ihnen die tariqa mohammediya (den Weg des Mohammed) anzuzeigen. So nannte er seine Religion, eine Art von reformirtem Chadelismus, die er seiner Aussage nach aus dem Koran, aus den Werken der Commentatoren und aus seinen eigenen Gedanken hervorgezogen hatte, um sie seinen Schülern als den wahrhaftigsten und reinsten Islam hinzustellen, befreit von allem Nebenwerk, welches die Theologen seit 12 Jahrhunderten in die Lehre des großen Propheten eingeschmuggelt hätten. Es ist wichtig, festzuhalten, daß in der Folge die Schüler den Namen tariqa mohammédiya einfach in tariqa es snussiya umwandelten.

Si Snussi hat viele Werke veröffentlicht, von denen das bedeutendste den anspruchsvollen Titel „el schemus el schareqa“, „die aufgehenden Sonnen“, führt. Seine Lehre gipfelt in den Bestimmungen der Verehrung Gottes, ferner der Verehrung lebender Heiliger, aber nicht der verstorbenen, Mohammed selbst nicht ausgenommen. Der Gehorsam gegen den mohammedanischen Herrscher wird gepredigt, da derselbe zugleich weltlicher und geistlicher Herrscher sei, aber nur wenn er der reinen Lehre angehörig sei. Jeder Luxus in der Kleidung soll vermieden werden, Gold und Silber dürfen nur an den Handgriffen der Waffen geduldet werden, den Frauen ist das Anlegen von Seide und Gold gestattet. Gegen die Trunkenheit zieht Si Snussi stärker zu Felde als ein schottischer oder amerikanischer Temperenzler, er verbietet sogar den Genuß von Kaffee und den Gebrauch von Tabak. Er erlaubt Thee zu trinken, aber nur mit Kandiszucker, weil der weiße Zucker mit Knochenmehl versetzt ist, das von Thieren herstammt, welche von Nichtmohammedanern getödtet worden sind. Es ist streng verboten, mit Christen oder Juden zu sprechen, zu handeln oder gar ihnen zu dienen. Außerdem sind den Snussi verschiedene Gebete eigentümlich, z. B. „Gott verzeih mir“, das hundert Mal des Tags wiederholt werden muß. Alle diese Vorschriften haben die Snussi übrigens mit den meisten anderen Orden gemein, z. B. mit dem Orden Muley Thaibs, nur daß sie bei diesen langsam in Vergessenheit gekommen sind.

Der Orden der Snussi, der jüngste der mohammedanischen Religion, hat viel Gemeinsames mit dem jüngsten christlichen Orden, dem der Jesuiten: er verfolgt den Plan der Weltherrschaft und erstrebt ganz dieselben Ziele: das Bedenkliche bei den Snussi ist, daß sie auf Massen wirken, die vollkommem ungebildet sind, ja die größtentheils nicht lesen und schreiben können.

Nach einer mohammedanischen Sage sollte der Mahdi, d. h. der Reformator, der sämmtliche Menschen zu Gläubigen machen soll, im Jahre 1300 der Hedschra, also im Jahre 1883 christlicher Zeitrechnung kommen. Es war daher nicht ohne Bedeutung, daß Si Mohammed den Ali el Snussi seinen ältesten Sohn, welcher als Mutter eine „Fatma“, als Vater einen „Mohammed“ hatte, Bedingungen, an die das Erscheinen des Mahdi geknüpft war, „Mohammed el Mahdi“ nannte.

Dieser Mohammed el Mahdi regiert augenblicklich den Orden der Snussi, und wenn er sich auch im Jahre 1883 ruhig verhielt, so war diese Ruhe nur eine scheinbare. In Wirklichkeit begann der Mahdi seine Bewegung. Nur abwarten wollte er die Dinge, da in Aegypten sich wichtige Ereignisse abwickelten, welche seine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch nahmen.

Es war nun im August des Jahres 1881, als ein einfacher Zimmermeister von Dongola, Mohammed den Ahmed, der die Schulen von Chartum besucht und sich 1870 dem Orden des Abd el Kader el Djelali gewidmet hatte, zum erstenmal von sich reden machte. Er lebte am oberen Nil auf der Insel Abba gegenüber von Faki Kohe und kam bald in den Geruch großen Wissens und großer Heiligkeit. Sein Einfluß war um so größer, als er ihn verstärkt hatte durch Heirath der Töchter einflußreicher Baggarahäupter. 1881 proklamirte der Mann vollkommene Gleichheit der Mohammedaner, Gütergemeinschaft und Vertilgung der Mohammedaner, Christen und Heiden, welche seine Mission nicht anerkennen wollten. Von diesem Tage an nahm er den Titel des Mahdi an. Er war zu früh, Mohammed el Mahdi, der Snussi, zu spät gekommen.

Es ist noch frisch im Gedächtniß aller, wie alle ägyptischen Völker südlich von Chartum und selbst bis Berber hinauf ihm zufielen, wie sie, die schlechtestbewaffneten Horden, durchglüht von Fanatismus, selbst die regulären von Engländern angeführten ägyptischen Truppen schlugen. Aber der Dongolaner sollte nur eine kurze Laufbahn haben; er starb, und es folgte ihm sein Sohn Abdallah. Dieser war aber nicht vom selben Glück begünstigt wie sein Vater, und sein Statthalter Osman Digma zeigte auch nicht mehr die gehörige Schneidigkeit. Man sagte im vergangenen Jahr, daß, wenn die Engländer jetzt vorgehen würden, es ein Leichtes sein würde, den Aufstand zu bewältigen und den Mahdi - dieser Titel scheint erblich auf den Sohn Abdallah übergegangen zu sein - zu verjagen.

Da nun die ersten Rechts- und Religionslehrer in Mekka und Kairo nichts von dem Mahdithum Mohammed ben Ahmeds wissen wollten, im Gegentheil ihn exkommunicirten, so hielt es im vergangenen Jahr Sidi - er legte sich selbstverständlich wie sein Vater diesen Titel bei - Mohammed el Mahdi, der Schich der Snussi, für angezeigt, ebenfalls aus der Reserve zu treten, und exkommunicirte seinerseits Abdallah, den Mahdi. Der eine Mahdi bekämpft den anderen Mahdi, wem fällt dabei nicht der Spruch „Ihr sollt den Teufel nicht durch Beelzebub austreiben“ ein! Denn eine so große Macht Sidi Mohammed el Mahdi, der Snussi, auch haben mag, wie wir gleich zeigen werden, die Thatsache ist auch nicht wegzuleugnen, daß er von den mohammedanischen Gelehrten in Mekka, in Kairo, in Fes für den Verkündiger einer Irrlehre angesehen wird, was sich dadurch kund that, daß man die Snussi als Choms[4] bezeichnet.

Sidi Mohammed el Mahdi residirt in Djarabub, auf dem 29° 48´ N. B. und 24° 10´ O. L. v. Gr. am Rande des libyschen Wüstenplateaus gelegen. Sein Vater gründete an diesem antiken Platze, wo sich zahlreiche unterirdische Bauten und Katakomben der Aegypter, Griechen und Römer befinden, seine Sauna. Der Platz wurde ihm 1861 durch Vermittlung Mohammeds ben Dhafer, des ehemaligen Lehrers des Sultans Abd el Hamid, von diesem selbst geschenkt. Die Süßwasserbrunnen der Alten waren seit langem versiegt, alles mußte neu geschaffen werden. Hier in der Nähe befindet sich ein ausgedehntes Salzlager, wo im Alterthum das berühmte Ammonische Salz gewonnen wurde, welches die Priester des Ammontempels als besonders weiß und gut hochstehenden Persönlichkeiten zum Geschenke machten und womit sie nebenbei Handel trieben.

Im Jahre 1868 lagerte ich nur zwei Stunden von dieser berühmten Sauna entfernt bei einer Oertlichkeit Namens Hoëssa. Ich notirte damals in meinem Tagebuch: „Wahrscheinlich hat Sidi Snussi zu seinem ersten Wohnsitze alte Katakomben gewählt, wo ihm die geheimen unterirdischen Gänge zu seinen Betrügereien gut zu statten kamen.“ Wunder passiren hier denn auch noch alle Tage und werden mit großer Leichtgläubigkeit und mit lawinenartiger Vergrößerung von den Bewohnern weiterverbreitet. So läßt Sidi el Mahdi wie vordem sein Vater das Essen für die zahlreichen Verehrer und Pilger vom Himmel herabsteigen, und obschon sich in der Umgegend von Djarabub keine Aecker und Felder befinden, sind die Speicher und Vorrathskammern immerwährend gefüllt. So trinkt Sidi el Mahdi das schönste Süßwasser, obwohl der Faradgasee[5], vor der Thür der Sauna gelegen, vollkommen untrinkbares Wasser hat. Blinde und Lahme werden täglich geheilt, so nach den Aussagen der frommen Verehrer Snussis fallen auch zahlreiche ehemalige Christen, jetzt durch das allmächtige Gebet des Snussi zum Islam bekehrt, sich in der Sauna aufhalten. [427] Die Bevölkerung dieses Hauptklosters, das jetzt zu einer vollständigen Stadt herangewachsen ist, schätzte Heinrich Duveyrier 1880 auf etwa 4000 Seelen, während 1874 nur einige Rechtsgelehrte, Studenten und Sklaven vorhanden waren. Aber schon 1876 sollen Waffenfabriken errichtet worden sein, und Sidi Mohammed el Mahdi kaufte in Alexandrien 15 Kanonen und eine große Anzahl von Flinten nebst Munition. Auch wurden Pferde gekauft und eine Reiterei herangebildet. Man konnte also doch nicht umhin mit den Christen in Handelsbeziehungen zu treten.

Im Jahre 1881 hielt Sidi Mohammed el Mahdi großen Hof in Djarabub, umgeben von etwa 2000 Soldaten und vielen Algerinern, unter denen wir den Bu-Schandura nennen, welcher 1861 den Aufstand in Djelfa in Algerien angezettelt hatte.

Die Verwaltung dieser Hauptsauya ist vollkommen staatlich zugeschnitten. Die Verwalter führen den Titel „Uisir“, also Minister. 1876 war erster Minister Sidi Ali Ben Abb el Mula von Sfax, zweiter Minister war Sidi Amran von Sliten, der Direktor der theologischen Studien war Sidi Mohammed Scherif, Bruder Sidi Mohammed el Mahdis, der Imam in der großen Moschee endlich war Sidi Mohammed Seruali von Fes.

Der Orden hat nach Duveyrier 17 Klöster in Aegypten, in Europa eins, nämlich in Konstantinopel, in der asiatischen Türkei je eines in Mekka und Medina und zwölf andere Klöster; in Tripolitanien und Cyrenaïka 86, so daß man sagen kann, die Cyrenaïka ist ganz für die Snussi gewonnen. Ebenso ist das Gebiet der Tebu ganz den Snussi zugethan. Die Herrscher von Uadaï waren immer Anhänger der Lehre. Sultan Ali sowohl wie sein Nachfolger und Bruder Yussuf haben sich als eifrige Snussisten gezeigt. Und erst kürzlich kam mir über Bengasi die Nachricht von einem Bündniß zu, das die Snussi mit dem Sultan von Uadaï abgeschlossen hätten. Ebenso giebt es jetzt Sauyas in Tunesien und Marokko, in der ganzen Wüste, bis zum Senegal hin, hat er seine Anhänger.

Als ich im Jahre 1879 in Kufra weilte, kamen mehrere Pilger aus dem französischen Senegal, deren Ziel nicht etwa Mekka, sondern Djarabub war. Eine solche weite Reise, die sie für verdienstvoller zu halten scheinen als eine Reise nach Mekka, erhob sie in den Augen der Bewohner, deren Länder sie durchzogen, zu verdienstvollen und heiligen Männern.

Der tiefe Einfluß des Snussi Sidi Mohammed el Mahdi erstreckt sich also über den ganzen Norden von Afrika, und vorzugsweise über den Nordosten. Daß Mohammed el Mahdi wohl imstande ist, Krieg zu führen, namentlich mit schlechtbewaffneten Truppen darf man dreist behaupten. Wenn sich nun auch nicht die Nachricht von der Einnahme Chartums seitens der Snussi zu bewahrheiten scheint, so bleibt es doch immer zweifelhaft, wer den Sieg über die Abessinier errungen hat. Waren es die ehemals aufrührerisch gegen Aegypten stehenden Rebellen, oder war es Sidi Mohammed el Mahdi? Das Telegramm soll vom Mahdi gezeichnet gewesen sein, das ließe vermuthen, daß die Snussi es gewesen sind. Andererseits soll das Telegramm aber auch von einem anmaßenden Brief an den Chedive, sowie an die Königin Viktoria reden, und letzterer Umstand, wenn wahr, spräche dafür, daß der alte Rebellenchef der Absender wäre. Oder nennt sich der Sohn auch Mahdi?

Daß Sidi Mohammed el Mahdi ben Snussi keinen beleidigenden Brief an den Chedive schreiben wird, glaube ich annehmen zu dürfen, denn er wohnt ja schließlich auf ägyptischem Gebiet, und wenn er auch befreit ist von allen Abgaben, so halte ich ihn doch für viel zu klug, als daß er sich ohne weiteres mit der ägyptischen Regierung entzweien sollte.

Die Stellung der Snussi ist in Nordafrika augenblicklich derart zugeschnitten, daß sie in erster Linie Frankreich Schwierigkeiten zu bereiten versuchen. Duveyrier geht sogar soweit, sie für alle Aufstände und für alle Morde, die an französischen Reisenden begangen worden sind, verantwortlich zu machen. Ja, nicht nur die Morde der französischen Reisenden schiebt er ihnen in die Schuhe, sondern auch Vogel, v. Beurmann, die Tinne und von der Decken sollen auf ihre Aufreizungen hin getödtet worden sein.

Ich glaube, daß dies übertrieben ist. Die Snussi streben wohl nach der Weltherrschaft, ich habe aber mehrere Male direkte Beweise ihres Wohlwollens erhalten.

Den größten Beweis ihrer Macht aber sollte ich in Kufra erhalten. Dort herrschen die Snussi in der That als unumschränkte Herren.

Ich wurde in Kufra mit meiner Expedition überfallen, meine sämmtliche Habe mir geraubt. Da änderte sich einige Tage später plötzlich meine Lage – wir hatten nur unser nacktes Leben gerettet –, als ein direkt von Djarabub geschickter Abgesandter eintraf: Sidi el Hussein. Nicht nur überbrachte er mir Grüße von Sidi Mohammed el Mahdi, sondern er betonte auch, daß er ausdrücklich hergeschickt worden sei, uns beizustehen und Gastfreundschaft zu erweisen. Wären die Befehle von Djarabub nur einige Tage früher eingetroffen, ich wäre nicht überfallen und ausgeplündert worden, sondern hätte meine Unternehmung mit Erfolg zu Ende führen können. Und wenn die Snussi früher durch ihre feindselige Haltung die Ursache der Katastrophe gewesen waren – wie hatte ich zu leiden gehabt durch die fanatischen Hetzereien ihrer Unterbeamten! – so gebietet die Gerechtigkeit, zu sagen, daß sie von dem Augenblick an, als der Befehl von Djarabub gekommen war, gut für uns zu sorgen, es in der That an nichts fehlen ließen. Ja ich glaube nicht zu viel zu behaupten, wenn ich sage, daß wir Kufra ohne die Snussi wohl nicht lebendig verlassen haben würden.

Wir ersehen aus Vorstehendem, daß es mit dem Fanatismus Sidi Mohammed el Mahdis, des Snussi, nicht so schlimm steht. Es ist bei den Snussisten eine gewisse Sättigung eingetreten, die zur Ruhe mahnt. Nach einer Zeitdauer von kaum 50 Jahren hat dieser Orden eine Macht erlangt in der mohammedanischen Welt, die alles übersteigt, was je ein anderer Orden erlangt hat. Und wenn die Snussisten auch mit der Regierung, deren Ausbreitung sie am meisten fürchten in Nordafrika, wir meinen die französische, auf gespanntestem Fuße leben, so haben sich die Franzosen das ohne Zweifel selbst zuzuschreiben. Wenn es der französischen Regierung gelang, den Schich der Muley Thaïb in Marokko, Sidi el Hadj Abd es Ssalem, zu sich herüberzuziehen und ihn sich vollkommen dienstbar zu machen, so würde es meiner unmaßgeblichen Meinung nach auch nicht so schwierig sein, Sidi Mohammed el Mahdi zu gewinnen.

Augenblicklich fühlen sich aber die Snussi bedroht von den Derwischen, deren Führer sich den Titel eines Mahdi angemaßt und der große Siege über die Aegypter errungen hat. Sie bekämpfen ihn, und wenn es nicht so schwer wäre, einer mohammedanischen Regierung einen Rath zu ertheilen – in Konstantinopel sowohl wie in Kairo weist man jeden Rath, der sich auf die eigenen Angelegenheiten bezieht, namentlich wenn es sich um religiöse Dinge handelt, schroff zurück – würden wir der Regierung von Aegypten den Rath ertheilen, die Derwische nur durch die Snussi zu bekämpfen und diese aufs kräftigste zu unterstützen.



  1. Sauya ist ein Kloster; damit verbunden ist in der Regel eine höhere Schule, ein Gasthaus und gewöhnlich das Asylrecht.
  2. Nicht Sidi obschon er später so genannt wurde und auch derzeit sein Sohn so titulirt wird. Denn „Si“ heißt schlechtweg „Herr“, „Sidi“ aber „mein Herr“, und auf diesen Titel wie auch auf den von „Mulen“ haben nur die Schürfer (Mehrzahl von Scherif), Abkömmlinge van Mohammed, ein Recht.
  3. Wir entnehmen dies der sehr interessanten Broschüre von Henri Duveyrier: „La confrérie musulman de Sidi Mohammed ben Ali es Snussi et son domaine géographique en l’année 1300 de l’hégire, 1883 de notre ère. Paris.“
  4. Die Mohammedauer haben ihre vier rechtgläubigen Ritisten, die Hanbaliten, die Hanesiten, die Schaffeiten und die Malekiten, alle, die einer dieser vier Riten angehören, werden als orthodox bezeichnet, alle, die außerhalb derselben stehen, sind „Choms“, d. h. Fünfte.
  5. Jetzt hat übrigens Sidi Mohammed el Mahdi mehrere Süßwasserbrunnen bohren lassen.