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Die Schloßfreiheit in Berlin

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
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Autor: O. N. H.
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Titel: Die Schloßfreiheit in Berlin
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, S. 357, 386
Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1892
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[357]

Die Schloßfreiheit in Berlin.
Nach einer Photographie im Verlage von Sophus Williams in Berlin.

[386] Die Schloßfreiheit in Berlin. (Zu dem Bilde S. 357.) Wenn man vom Denkmal des Großen Friedrich her den weiten glatten Platz überschreitet, an dem rechts und links die geschichtlich bedeutsamsten Gebäude Berlins sich aufreihen, das Palais Kaiser Wilhelms I., die königliche Bibliothek, das Opernhaus, das Prinzessinnenpalais, das Palais Kaiser Friedrichs III., die Kommandantur, das Zeughaus, die neue Wache, die Universität, so gelangt man auf die Schloßbrücke, die architektonisch bedeutsamste Brücke Berlins – ein Werk Schinkels – die hier den Hauptarm der Spree überspannt und mit acht wunderschönen Darstellungen einer Heldenlaufbahn geschmückt ist. Auf diesem Punkte genießt man den eindrucksvollsten Rundblick, welchen das in dieser Hinsicht nicht eben reiche Berlin darzubieten hat. Hinter sich die eben beschriebene gewaltige Flucht von Gebäuden mit den Denkmälern von Kriegs- und Geisteshelden, schaut man vor sich den Lustgarten, den schönsten Laubplatz Berlins, mit A. Wolffs bronzenem Friedrich Wilhelm III. als Mittelpfeiler und dem alten, Schlüters mächtiger Phantasie entsprossenen Königsschloß, der alten Börse, dem Dome, dem Campo Santo, dem Museum und der Nationalgalerie als Seitencoulissen. Wahrlich, ein gewaltiges Bild! In engem Umkreis eine Stadt steinerner Symbole, eine Sammlung von Denkmälern gleich denen auf der Schloßbrücke, für die Laufbahn auch eines Helden, genannt der preußische Staat! Alles Größe – zwar Größe ohne reiche Phantasie und berückende Farben, Größe in starren, flachen Linien, aber darum den Anschein um so größerer Festigkeit erweckend, das Gefühl einflößend einer sicher auf breiten Riesenfüßen ruhenden Macht!

Wenn man aber den Blick von diesem strengen heroischen Bilde fortwendet und rechts den Lauf der Spree hinauf schweifen läßt, gewahrt man ein Häusergewimmel, mit bunt wechselnden Wasserfronten auf moosgrünen Pfahlrosten, die ins Wasser getrieben sind, Pflöcke davor, die den schiffbaren Lauf des Flusses bezeichnen und Kähnen und Holztriften zu Haltepfeilern dienen. Das ist die „Schloßfreiheit“ von Berlin.

Ein veralteter Name für eine veraltete Sache. Der Platz zwischen Schloß und Fluß war von den ersten Königen Preußens für abgabenfreie Wohnhäuser der Schloßbeamten bestimmt worden. Die alten Privilegien sind längst vermodert wie die alten niedrigen Barockhäuser, an deren Stelle heute moderne, charakterlose Miethshäuser stehen, der Quai selbst aber behielt den alten Namen der „Schloßfreiheit“. Diese Häuser, nun gleichfalls dem Untergang geweiht, zeigt unser Bild. Links in der Ecke sehen wir noch den äußersten Abschnitt der Schloßbrücke: auf drei mächtigen Granitblöcken das zweite, dritte und vierte Bild der Marmorgruppen „Siegeslaufbahn eines Helden“. Das lange Rechteck im Hintergrund mit den lichten Fensterflecken und den Figuren auf durchbrochener Attika ist das königliche Schloß mit seiner Lustgartenfront. Die rechts davon scheinbar über dem breiten Massiv des Hauses Schloßfreiheit Nr. 3 gelagerte Kuppel gehört gleichfalls dem Königsschloß an. Unter ihrer mit goldenem Kreuze gezierten kupfernen Wölbung befindet sich die Kapelle der Hohenzollern und darunter das gewaltige Hauptportal des Schlosses, der Schloßfreiheit zugekehrt. Am rechten Rande des Bildes gewahren wir einen niedrigen Bau im Wasser, es ist eine Badeanstalt, darüber einen gleichfalls niedrigen, lang sich hinziehenden, mit flacher Dachwölbung versehenen Bau, aussehend fast wie eine gedeckte Wandelbahn oder eine kleine Eisenbahnhalle. Dieser tritt auf unserem Bilde etwas in den Schatten; in Wirklichkeit ist er ein hübscher, in orientalischer Buntheit blitzender Pavillon mit einer reizenden Wasserveranda versehen; darin befindet sich das Restaurant Helms.

Die Häuserflucht der Schloßfreiheit wird niedergerissen in erster Linie, weil dieser Platz für das Nationaldenkmal für Kaiser Wilhelm I. in Aussicht genommen ist. Daß die Mittel dazu durch eine Lotterie aufgebracht wurden, hat seinerzeit und auch neuerdings wieder viel Staub aufgewirbelt, und von Männern aller Parteien wurde es bedauert, daß man das Andenken an den unvergeßlichen Kaiser mit einem auf die Spielsucht weiter Volkskreise berechneten Unternehmen verquickte. Am 15. Juni dieses Jahres soll mit der Niederlegung der Häuser Nr. 1 und 2 zunächst der Schloßbrücke begonnen werden, von denen das erste bis daher noch die Geschäftsräume der Photographischen Gesellschaft barg. Im Oktober dieses Jahres folgen die Grundstücke Nr. 7, 8 und 9. Der Mitteltheil mit dem riesigen Neubau, der auf dem Bilde unter der Schloßkuppel zu stehen scheint, folgt erst im Herbst 1893, während Nr. 10 und 11, das Helmssche Restaurant umfassend, dessen Grund und Boden fiskalisches Eigenthum ist, von dem Projekt überhaupt nicht betroffen werden.

Mit der Schloßfreiheit sinkt ein weiteres Stück Alt-Berlin dahin. Kaum steht noch hier und da ein Rest davon, und man sieht einen nach dem anderen ohne allzuviel Bedauern fallen; indem man die schwindenden Zeugen alter Tage photographiert und so in höchst moderner Nachbildung dem märkischen Museum einverleibt, glaubt man genug gethan zu haben. Auch der Schloßfreiheit wird keine Thräne nachgeweint werden – sah man doch selbst ohne Gemüthsbewegung, wie der ehrwürdige Mühlendamm starb, „und war mehr als sie!“ O. N. H.