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Die Sängerin (Gemälde der Dresdener Gallerie)

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Textdaten
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Autor: Adolph Görling
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Titel: Die Sängerin
Untertitel: Von Kaspar Netscher
aus: Stahlstich-Sammlung der vorzüglichsten Gemälde der Dresdener Gallerie
Herausgeber:
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1848–1851
Verlag: Verlag der Englischen Kunst-Anstalt von A. H. Payne
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Erscheinungsort: Leipzig und Dresden
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Quelle: Scan auf Commons
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[Ξ]

A Lady Singing.     Die Sängerin.
Sångerskan.

[1]
Die Sängerin.
Von Kaspar Netscher.

In dem Gebäude, welches die Generalstaaten im Haag dem päpstlichen Legaten, Cardinal Cesare Detti Barberini zur Verfügung gestellt hatten, ging im Frühjahre 1655 ein glänzendes Fest zu Ende.

Die weiten Säle waren voll von schönen Männern und Frauen aus Niederlands vornehmsten Geschlechtern. Die Blüthe der Jugend wogte nach italienischen Tanzmelodien über den spiegelglatten Boden dahin, indeß der Prinz von Oranien, umgeben von seinen ernsten Holländern, von schmeichelnden Franzosen und schlaublickenden Italienern, sämmtlich Männern in vorgerückten Jahren, in den Nebenzimmern wichtigere Gespräche führte, als sie über die Lippen der sorglosen, nur dem Vergnügen und der Liebe hingegebenen Jugend im Tanzsaal strömten.

Neben dem Großpensionair J. de Wit zeigte sich die imponirende Gestalt Barberini’s. Der Cardinal war noch im kräftigen Mannesalter, in der bekannten „kleinen Toilette“. Obgleich seine Mission, für die Katholiken erweiterte Rechte im eigentlichen Holland zu erhalten, gescheitert war, sah man auf seinem milden, aber auch schlangenklugen Gesichte dennoch keinen Hauch von Mißstimmung, die er in so großem Maße im Herzen trug. Der Prälat erschien hier nur noch als vornehmer Römer, als feiner Weltmann.

Giacomo del Monte, sein Vetter dagegen, ein hagerer, brauner Mann in der Obersten-Uniform der päbstlichen Leibwache, äußerte seinen Unmuth durch seine finstre Miene desto unverhüllter.

Aber gleich als hätte die Liebenswürdigkeit des poesiereichen Italiens demungeachtet einen glänzenden Sieg behaupten sollen, so zeigte sich neben dem Obersten dessen Tochter, Viola del Monte.

Ein reicher Blumenflor der schönen Töchter Niederlands war hier heute zu bewundern; keine derselben aber hätte es vermocht, dieser Italienerin den Preis der Schönsten streitig zu machen; Viola war blond; ihr Haar zeigte in den herabwallenden Locken eine unvergleichlich wirkende Mischung von Natur und Kunst. Orientalische Perlen durchschlangen dasselbe und vom Scheitel schwankten silberfarbene Reigerbüsche. Nichts Zarteres gab’s je als Viola’s Gesichtsfarbe, und die Formen ihres Gesichts und ihres nur nachlässig verhüllten Busens wären ein tadelloses Vorbild für die Schöpfungen der Künstler gewesen. Ihre Unterarme waren entblößt und erschienen, wie die Hände, unnachahmlich schön.

Viola, die alle Männerherzen Bezaubernde, war die Königin des Festes. Nur wenige Glückliche aber genossen die Gunst, die Römerin zum Tanze zu führen. Sie zog sich bald von der rauschenden Lust zurück, um mit ebenso vieler Würde als Grazie in den Gesellschaftszimmern die Pflichten der Dame vom Hause zu übernehmen.

Nicht wenige der niederländischen und fremden Cavaliere wurden dadurch bewogen, ebenfalls den Tanz aufzugeben und sich in die Spielzimmer zu begeben, um den Anblick dieser Schwester der Huldgöttin länger zu genießen.

[2] Sie rangirten sich um die Tische und begannen ihre Unterhaltung. Unter ihnen zeichneten sich, was die Schönheit ihrer Erscheinung, und – die Glut der Blicke betraf, die sich auf Signora Viola warfen, besonders zwei aus.

Der erste war der Edeljunker Geraart van Sluits, ein Niederländer, Lieutenant von der Marine. Der andere, Quentin de Chavigny, ein Franzose, Lieutenant von den Mousquetaires seines Königs.

Geraart van Sluits war zwei und zwanzig Jahre alt und etwa acht Jahre jünger als der Chevalier de Chavigny. Er war hoch gewachsen, hatte kaum eine schwache Schattirung auf der Oberlippe, und trug die herrlichsten hellbräunlichen Locken, die man sich einbilden kann. Sein Gesicht zeigte etwas Schwärmerisches, was den Ausdruck desselben höchst interessant machte.

Der Franzose dagegen war untersetzt, breitschultrig, schwarzbärtig, mit kurzgeschornem Haar, braunem Gesicht und mit kühnblitzenden Nachtaugen. Er war übrigens zierlich gewachsen; der beste Tänzer, aber auch einer der gewandtesten, unerschrockensten Fechter, die es geben konnte.

Jeder dieser Männer war in seiner Art vollendet. Es kam auf das Gemüth und den Geschmack des Beurtheilers an, welchen man vorziehen wollte; indeß dies aber geschah, konnte man dennoch nicht umhin, den andern ausgezeichnet zu finden.

Diese beiden Menschen waren, obgleich sie sich nie beleidigten, seit sie Viola del Monte gesehen hatten, Todfeinde. Jeder sah die Leidenschaft des Andern und es stellte sich bald als gewiß heraus, daß die Italienerin, falls ihr Herz gerührt werden könne, nur unter ihnen wählen würde. Die Waage schwankte; endlich aber neigte sie sich zu Gunsten des weichen und doch heldenmüthigen Niederländers … ihm war von der herrlichen Fremden ein Lächeln jener Art geworden, das man „Lächeln des Herzens“ nennt. Chavigny wüthete. Aber noch glaubte er nichts sicher entschieden. Alles sollte heute Abend beendigt werden. Geraart Sluits und Quintin Chavigny, beide durch denselben Wunsch beseelt, dem Gegenstande ihrer Anbetung so nahe als möglich zu sein, hatten sich an den Tisch gesetzt, welcher dem geöffneten Zimmer, wo sich die ältern Notabilitäten befanden, am nächsten war. Einige andere Herren nahmen ebenfalls Platz, legten Karten auf und das Spiel begann. Es war das alte Landsknechts-Spiel. Der Zufall wollte, daß van Sluits die Bank erhielt. Chavigny schien selbst hier seinem bittern Groll gegen seinen Nebenbuhler Luft machen zu wollen; denn er machte so große Sätze, daß sich mehre Zuschauer neugierig um den Tisch versammelten.

Aber der Chevalier war auch hier unglücklich. Geraart zog seine Goldhaufen ein, bis der Mousquetaire erklärte: er besitze hier keine baare Münze, und verlange aufs Wort zu spielen. Geraart gestand dies zu, und der Franzose verlor abermals mehre Tausende von Gülden.

Chavigny erhob sich. – In diesem Augenblicke machte man drüben im Saale mit Tanzen eine Pause; die glänzende Versammlung strömte in die Nebenzimmer, und begann nach einiger Erholung die damals so beliebten Gesellschaftsspiele, welche in immer neuem Wechsel in Paris bei Hofe erfunden wurden, und von dort aus den Weg durch die ganze Adels- und vornehme Welt Europas machten.

Hier glänzte Chavigny unbestritten als König. Er versuchte es beim „Colin Maillard [3] assis“ sich gewandt der Hand Viola’s zu bemächtigen; sie wurde ihm heftig entzogen und sofort machte die Italienerin diesen Bravourstücken des Franzosen durch die Erklärung ein Ende: daß die Gesellschaft sich durch Musik und Gesang unterhalten werde.

Mehre Schönen sangen zu dem Clavicimbale wie liebende Nachtigallen, und ernteten reichen Beifall. – Alles aber verstummte, als Barberini selbst mit cavaliermäßiger Grazie Viola an die Hand nahm, und ihr ein Notenbuch und eine herrliche, neapolitanische Laute präsentirte.

Viola sah im Kreise umher. Ihr Auge suchte Geraart, der sich weit zurückgezogen hatte. Sie nahm das Instrument, das in den Niederlanden selten fertig gespielt wurde, und fragte, wohl wissend, daß Geraart van Sluits dasselbe meisterhaft zu behandeln verstand:

– Würde Jemand die Mühe übernehmen, mich auf der Laute zu begleiten?

Tief gebückt trat Geraart van Sluits heran und nahm die Laute, und nun begann ein Conzert, welches, die ganze Gluth und Innigkeit der beiden liebenden Herzen athmend, die Zuhörer hinriß und bezauberte. Welches Metall, welcher Schmelz dieser Stimmen, deren Töne sich in den reinen, herrlichen Melodien Baltazarini’s wiegten! Geraarts Augen blitzten denjenigen Viola’s entgegen, sie sprachen das Geständniß seiner Liebe … Und Viola, die Augensterne fest auf ihr Notenbuch heftend, fühlte, wie an dem leisen Vibriren ihrer Züge zu sehen war, die magische Gewalt dieser Blicke, obwohl sie dieselben nicht sah.

Die Piece war beendigt. Chavigny trat herzu und machte der Signora del Monte seine Verbeugung. Er war Meister auf der Viola di Gamba, wie die Italienerin in dem Spiele des Claviers.

Der Chevalier fragte, indem er auf die Instrumente zeigte:

– Darf ich ebenfalls mir die Ehre erbitten, daß Sie, Mademoiselle, mit mir spielen?

Viola ward aus ihrem Himmel gerissen. Sie erwiderte halblaut, aber nicht ohne Schärfe:

– Nicht mit mir! Ich bin erschöpft! Aber da ist der Edeljunker van Sluits; er wird mit Ihnen aufs Wort spielen!

Der Mousquetaire schien bei dem Doppelsinne dieser Erwiderung wie vom Blitze getroffen, faßte sich aber mit parisischer Schnelligkeit.

– Ich werde allerdings, sagte er höflich; aber Sie erlauben, nur auf Klingen!

Chavigny verließ auf der Stelle den Saal, von dem Marquis von Croustillac und Dernonville geleitet.

Geraart hatte seinen Blick wohl verstanden und beurlaubte sich bei Viola, die jetzt erst begriff, was sie durch ihre Antwort angerichtet habe.

Geraart nahm seinen Vertrauten, einem Capitain Bloom mit sich. Sie holten die drei Franzosen bald ein, und wurden von dem rauflustigen Croustillac nur durch eine Handbewegung eingeladen, ihnen zu folgen.

Chavigny und seine Begleiter gingen voran zu dem „Bosch van Haag“, einem herrlichen Gehölz in der Nähe der Stadt, die damals noch immer „ein Dorf“ genannt wurde.

Unter einigen alten Linden machten die Franzosen Halt.

Par Dieu! Chevaliers, rief der Herr von Dernonville, nach dem hell und klar [4] am Himmel hängenden Vollmonde hinaufblickend; ein vortrefflicher Ort, um sich die Kehlen abzuschneiden!

Die Niederländer schwiegen. Bloom zog den Degen und bestimmte die Mensur. Die Kämpfer warfen ihre Mäntel ab, zogen und begrüßten sich durch Senken der mattfunkelnden Degenspitzen.

– Mein Herr van Sluits, sagte Croustillac, wie auf dem Parket seine Verbeugung machend, ich habe die Ehre, Ihnen hier den besten Schüler des unsterblichen Marmet’s, des besten Fechtmeisters in Paris, vor die Klinge zu liefern. Sie werden, Monsieur, einen Stiefel finden, der für Ihren Fuß paßt!

Geraart verbeugte sich. Einen Augenblick später sprühten die Funken von den gekreuzten Klingen. Trotz seines stählernen Handgelenkes und seiner ausgezeichneten Kunst ward Chavigny von dem Niederländer durch einen Stoß durch die Brust zu Boden gestreckt.

Bloom trat gleichmüthig vor.

– Dieser Stoß, meine Herren aus Paris, sagte er, war zwar nicht vom Marmet, aber Sie werden allerseits gestehen, daß er gut ist! –

Chavigny starb noch in derselben Nacht und Geraart mußte aus dem Haag fliehen. Er nahm Abschied von Viola del Monte; er hegte noch Hoffnung … sie aber wußte, daß dies ein ewiges Lebewohl sei. Der Cardinal-Legat gab ihm eine Empfehlung an den Großmeister der Johanniter, Sebastian de Valency, und Geraart reiste nach Malta ab.

Er trat hier in den Orden ein, durch seine Umgebung bestimmt, nachdem er gehört, daß Viola del Monte Barberini dem Grame um die Trennung von ihm erlegen war und die Erde verlassen hatte. –