Die Reformatoren in der Gießhütte
Als wenn die Erfahrung, daß unsterbliche Menschenwerke nur in der Stille und Abgeschiedenheit zu Stande gebracht werden, nicht blos für Dichter, Künstler und Gelehrte, sondern auch für die eisenzähmenden Männer der großen Industrie-Werkstätten Geltung hätte, so zurückgezogen vom Lärm der Welt, so abseits von den donnernden Straßen des modernen Verkehrs liegt der Kranz von Schornsteinen, aus deren Feuern die ehernen Heldenbilder des Wormser Lutherdenkmals hervorgingen: das alte berühmte Eisenhüttenwerk Lauchhammer. Welche Eisenbahn uns auch in dessen nächste Nähe führe, immer bleibt von der letzten Station aus noch ein stundenlanger Weg vor uns, den wir mit dem Wanderstab in der Hand oder im Wagen zu bewältigen haben, bis wir in den Winkel vordringen, welchen der preußische Regierungsbezirk Merseburg da bildet, wo er mit den Provinzen Brandenburg und Schlesien an der sächsischen Grenze zusammenstößt. Und welchen Wegen muthet man hier die Aufgabe zu, wöchentlich Hunderte von Centnern Last tragen zu müssen![WS 1] Man hat ein Straßenbild des vorigen Jahrhunderts vor sich, wenn man hier einem Lauchhammerer Frachtwagen begegnet. Lange, lange Reihen von Zugthieren, umschwärmt von peitschenknallenden und unaufhörlich zurufenden Fuhrleuten und Knechten, mühen sich ab, die oft bis an die Achse versinkenden Räder vorwärts zu bringen, und andere Arbeiterschaaren eilen mit Balken und allerlei Werkzeug voraus, um die schwachen Holzbrücken zu stützen, damit sie nicht unter der Last zusammenbrechen. Wahrlich, die wendische Bevölkerung jener Gegend hatte Recht, als sie dieses Hüttenwerk den „Hammer im Moor“[1] nannte.
Um so mehr überrascht uns das Landschaftsbild, das uns, je näher dem Ziele, mit seinen tannendunklen Hügeln, grünen Gründen und Weiherspiegeln immer idyllischer anmuthet, ohne uns übrigens von den Eisenwerken, deren Großartigkeit uns doch bekannt ist, das geringste Anzeichen zu verrathen. Erst wenn wir den letzten Hügel überschreiten, liegt Lauchhammer mit seinen zum Theil sehr stattlichen Hüttenwerks-, Wirthschafts- und Wohnungsgebäuden, die überragt sind von einem Dutzend dampfender Essen, reizend umgeben von Gärten und Wiesen, Teichen und Seen und umrahmt von sanften Waldhügeln, vor uns in seinem Thale. Wir sind durch eine Wegeswüste zu einer Oase gelangt; da wir aber den weit über Europa hinaus bekannten, von so Vielen genannten und doch von so Wenigen betretenen Ort heute vor Allem als die Geburtsstätte unseres größten Nationaldenkmals begrüßen, so thut die feierliche Einsamkeit uns wohl.
Aus dieser Stimmung werden wir allerdings herausgerissen durch das, je näher wir dem Ziele kommen, immer lauter erdröhnende Hämmern, Pochen, Klappern und Brausen, das uns in die einzelnen Werkstätten verlocken möchte; wir aber eilen mit Sehnsucht dem Raume zu, in welchem wir die Helden und Zeugen der Reformation in ihrer ehernen Wiedergeburt sehen sollen.
Die Thür öffnet sich, wir stehen in dem großen Ciselirsaal, den unsere Abbildung uns zeigt. – Armer Rietschel! – Daß Deine Augen um diesen Anblick gekommen sind! – Der Eindruck dieser Gestalten ist ein gewaltiger und doch ein eigenthümlich traulicher. Wie im Vorsaal zu einer Festversammlung stehen und sitzen sie da, die Reformatoren, fürstlichen Helden, Zeugen und Märtyrer des Evangeliums, zufrieden duldend, daß die rührigen Arbeiter ihren Schmuck vollenden, und noch Jedem nahbar, so daß man sie mit der Hand berühren kann, alle diese guten alten Bekannten von den Jahren unserer Kindheit an. Es ist uns ja so viel von jedem Einzelnen erzählt, und da sind sie nun alle, die durch Jahrhunderte Getrennten, so traulich beisammen! Wir können von Einem zum Andern laufen und bei Jedem, in seine Vergangenheit blickend, voll Ehrfurcht stehen bleiben und ihm, die Hand drücken – bis der Augenblick kommt, wo Luther auf sein hohes Postament hinaufsteigt, um noch einmal und in Ewigkeit allem Volke mit der Faust auf der Bibel zuzurufen: „Hier stehe ich, ich kann nicht anders, Gott helfe mir! Amen.“ – Dann setzen sich zu seinen Füßen am Postamente nieder seine vier Vorkämpfer aus vier Nationen, zum Zeichen, daß nicht Luther und seine Zeit allein, sondern seit Jahrhunderten die unterjochte Christenheit mit Rom um den reinen Glauben gerungen. Da ist Petrus Waldus, der Bürger von Lyon, welcher schon im zwölften Jahrhundert die Rückkehr zur heiligen Schrift und eine Kirche nach dem Evangelium gefordert und Beides seinen eben darum vertriebenen und verfolgten „Waldensern“ gegeben hatte. In diesem Saale sitzt er dort an der Säule des Krahns, den einst vielgebrauchten Wanderstab nun ruhend in seinem Arm. Ihm zur Rechten, im Hintergrund, hat Johannes von Wycliffe Platz genommen, der Mann aus York, welcher als Professor von Oxford seine Reformation auf das Evangelium in heimischer Sprache, als das Gemeingut Aller, gründete. Er starb zwar im Frieden 1384, aber die Universität hatte ihn ausgestoßen und das Concil zu Constanz verfluchte sein Andenken. – Vom Geiste dieses Concils ist der Mann ein Zeuge, welcher seine Stelle am Postament bereits eingenommen hat und wie sinnend und betend auf das Crucifix in seinen gefalteten Händen blickt: Johannes Huß, der Professor von Prag, dessen Asche am 6. Juli 1415 in den Rhein geworfen wurde. Er ist der Unglücklichste seiner Denkmalgenossen, denn er hat kein Vaterland mehr, das sein Andenken ehrte, seitdem die Jesuiten ihn aus dem Geist und Herzen seines böhmischen Volkes gerissen und an seine Statt eine Puppe gesetzt haben, den Johannes von Nepomuk, der nie existirt hat. – Um so freudiger kann in die lichtverheißende Zukunft seiner Nation der Mann blicken, der, des Huß Postamentnachbar, den mahnenden Finger hier uns entgegenstreckt, wie einst seinen Italienern: Savonarola. Die Priester verbrannten ihn in Florenz am 23. Mai desselben Jahres 1497, wo Melanchthon geboren ward und Luther als vierzehnjähriger Knabe gen Magdeburg zur lateinischen Schule wanderte, um „ein studirter Mann“ zu werden.
Diese Fünf werden einst den Kern des Denkmals bilden auf und an dem ehernen Postament, wie es auf der Drehscheibe in des Saales Mitte hier vor uns steht. Um diesen Kern wird zu Worms sich ein steinerner Mauerbau im Viereck erheben, dessen vordere Seite, wo Luther’s Antlitz niederschaut, für den Treppenaufgang frei und offen ist. An den vier Ecken werden, gleich Thürmen einer Burg, auf hohen Postamenten die Ecksteine der Reformation stehen: vorn zur Rechten Luther’s Friedrich der Weise von Sachsen und zur Linken Landgraf Philipp der Großmüthige von Hessen; hinter jenem Reuchlin, der hochgelehrte Humanist, und hinter diesem Reuchlin’s Schüler, der sinnig bescheidene Melanchthon. – Zwischen diesen Eckbildsäulen erheben sich, durch hohe Mauerzinnen mit jenen verbunden, noch drei Postamente für drei sitzende symbolische Frauengestalten, welche die Städte Speier, Augsburg und Magdeburg bedeuten: Speier, weil dort die Evangelischen sich den Ehrennamen Protestanten erworben, Augsburg, mit der Palme des Siegs und dem inhaltschweren Blatt der Augsburgischen Confession in den Händen, und Magdeburg, als Blutzeuge der neuen Kirche.
Auch diese Mauerzierden sehen wir im Saale zu Lauchhammer vor uns: zur Rechten die Modellstatue Melanchthon’s und vor derselben am Boden den ehernen Abguß, doch ohne Haupt, unter der Hand des Ciseleurs; zur Linken reihen sich an der Wand hin neben Luther Spalatin, Friedrich der Weise und Philipp von Hessen,[2] Luther zu Füßen sitzt die trauernde Magdeburg mit gebeugtem Haupt und zerbrochenem Schwert, und hinter Philipp ist die triumphirende Augsburg zu erkennen. Nur Speier harrt noch der Modellvollendung durch J. Schilling in Dresden.
[428]
[430] Außer den genannten zwölf Statuen gehören zum Schmuck und zur Vervollständigung des Denkmals noch am Hauptpostament, das sich auf besonderer dreifacher Stufenschicht achtzehn Fuß, in einen Sockel und zwei Würfel getheilt, erheben wird, die Wappen von sechs Fürsten und zwei Städten, die am Sockel Platz finden, ferner am untern Würfel vier Erzreliefs, welche die wichtigsten Ereignisse und Errungenschaften der Reformation (Anschlag der Thesen zu Wittenberg, Reichstag zu Worms, Abendmahl und Priesterehe, Bibelübersetzung und Predigtamt) darstellen, und am obern Würfel vier Inschriften und darunter acht Portraitmedaillons von Mitkämpfern am gefeierten Werke. Auf den inneren Flächen der Mauerzinnen werden die Wappen von etwa dreißig Städten, welche zuerst der neuen Lehre ihre Kirchen und Schulen öffneten, in Erz prangen.
So wird das Denkmal einst zu Worms aufragen und durch sein wehrhaftes Bild auf den ersten Blick uns an das alte hehre Kampflied des Protestantismus mahnen, den Triumphgesang des unerschütterlichsten Gottvertrauens:
Unsere Leser wissen, daß dieses ohne Zweifel größte und würdigste Monument Deutschlands das letzte Werk des edlen Rietschel in Dresden war und daß der zu früh vom Leben Abberufene die Vollendung desselben seinen Schülern Kietz und Donndorf hinterließ; nur Luther und Wycliffe sind noch von seiner Hand modellirt. Die Beiträge aus der protestantischen Welt für das Monument sind reichlich geflossen; nach dem letzten Bericht des Wormser Comité betrug die Einnahme bis zum 18. Januar dieses Jahres 170,722 Fl., die Ausgabe bis ebendahin 196,964 Fl. Die Enthüllungsfeier des Denkmals ist für den Juni des nächsten Jahres bestimmt.
Ein Rückblick in unsern Saal läßt uns jetzt, wo das Wormser Denkmal in unserm Geiste fertig vor uns steht, hinter den Reformatorenstatuen auch andere Meisterwerke der Bildhauer- und Gießkunst sichtbar werden, namentlich das Modell des Ritter St. Georg (von Kiß), dessen Bronzeguß den Berliner]] Schloßhof schmückt, und einen Sarkophag mit der lebensgroßen Figur des Verstorbenen (des Commmercienrath Ravené); Beide contrastiren zwar ein wenig mit unserer Glaubens-Heroenschaar, lenken aber unsere Aufmerksamkeit der Anstalt selbst zu, deren Ruf und Bedeutung allein die großen Schwierigkeiten zu überwinden vermag, welche die Ungunst der Lage ihrem Betriebe bereitet.
Um nicht so viel Holz nutzlos verfaulen zu lassen und um dem armen Wendenvolke der Umgegend etwas zu thun zu geben, beschloß eine Herrin von Mückenberg vor fast anderthalbhundert Jahren hier die Anlage eines Eisenhammers. Am 25. August 1725 wurde der Hohofen in Betrieb gesetzt. In den Besitz der Gräflich Einsiedel’schen Familie kam das Eisenwerk 1776; unter ihr wurde der erste größere Kunstguß ausgeführt und 1803 die erste Dampfmaschine angelegt. Die Entwickelung ging von da an in Riesenschritten vor sich, denn während am Anfang unseres Jahrhunderts Lauchhammer erst etwa hundertundsechszig Arbeiter und Beamte hatte, zählen wir heute fünfundzwanzig Beamte, vierzig Meister und Vorsteher und tausend Arbeiter mit wohl zweitausendfünfhundert Familiengliedern, ungerechnet das sehr zahlreiche Fuhrwerkspersonal.
Der Raum unsers Artikels gestattet uns leider nicht, unsere Leser durch die ganze lange Reihe der Werkstätten dieses Etablissements zu führen, wo die verschiedenartigste Thätigkeit schon dem Vorbeigehenden mit allen möglichen Schallweisen sich bemerklich macht, wo es braust und zischt, klippert und klappert, wo man beschickt und schmilzt, formt und gießt, putzt und montirt, schleift und polirt, schmiedet und feilt, bohrt und dreht, schwärzt und bronzirt, niellirt und galvanisirt, versilbert und vergoldet, beizt und emaillirt, zeichnet und photographirt, modellirt und decorirt etc.; auch an den Niederlagen müssen wir vorübergehen, obwohl sie fast jederzeit ihre eigenen und oft recht sehenswerthe Industrie- und Kunstausstellung umschließen – war doch erst jüngst ein prachtvolles Eisen- und Glashaus für den Vicekönig von Aegypten hier zu bewundern –; wir glauben vielen unserer Leser einen nützlicheren Dienst zu leisten, wenn wir uns längere Zeit in den Räumen der Bronzegießerei und in den Ciselirwerkstätten aufhalten, die erst 1838 auf des großen Bildhauers Rauch Veranlassung in Lauchhammer begründet worden sind.
„An betäubenden Lärm muß das Ohr sich hier gewöhnen, wenn es anfangs auch den Augen schwer wird, sich durch denselben nicht beirren zu lassen. Ich werde die lautesten Hantirer im Nothfall zum Schweigen bringen.“ Mit diesem freundlichen Trost öffnete unser dem höheren Beamtenthum der Anstalt angehöriger Führer die Thür zur Gießerei. Ein riesiger Pferdekörper zog den ersten Blick auf sich; eine Anzahl Former war beschäftigt, die äußere Form für denselben zu bilden. Gleich daneben hatten andere den Oberkörper eines kolossalen Reiters in Arbeit, und quer her lag ein Pferdebein, das offenbar zu Roß und Reiter gehörte. Das sind Anfänge zu dem neunzehn Fuß hohen Denkmale, welches, nach Professor Wolff’s Modell, dem König Friedrich Wilhelm dem Dritten im Lustgarten zu Berlin gesetzt werden soll. Uns zur Linken wendend zeigte man uns eine tiefe Dammgrube, in welcher so eben der Kern – der Theil einer Form, durch welchen die innere Hohlung eines Gußstücks gebildet wird – einer sechs Fuß hohen Statue Friedrich Wilhelm’s des Vierten getrocknet wurde. Die äußere Form derselben lag in sechs größeren aus vielen kleinen Stücken zusammengesetzten Theilen daneben. Dieses Denkmal, von Prof. Blaeser modellirt, ist für die Burg Hohenzollern bestimmt. An zwei Seiten über der Dammgrube können in zwei großen sogenannten Flammöfen bis zu dreihundert Centner Bronze, die bekanntlich aus einer Legirung von Kupfer, Zinn und Zink besteht, auf einmal geschmolzen werden. Die Form einer Büste Graun’s, des Componisten, ferner einer Reiterstatuette eines englischen Generals, für einen Londoner Bildhauer, und viele kleine Gußsachen dienten nur als Staffage zu dem belebten Bilde dieser Werkstätte, über das ein gewaltiger Krahn höchst väterlich seinen nach allen Richtungen drehbaren langen Arm ausstreckt.
Unser Führer ließ nun eine schwere eiserne Thür zur Seite öffnen. Aus stockfinsterem Raum strahlte erstickende Hitze uns entgegen. Erst nachdem eine Gasflamme uns leuchtete, konnten wir in der Hölle, der sogenannten Dachkammer, eine Menge Formen zum Austrocknen über einander geschichtet erblicken, eine unentbehrliche Vorrichtung, da in ungetrockneten Formen nicht gegossen werden kann.
„Ehe wir in die Werkstätten der Ciseleure treten,“ wandte sich unser freundlicher Führer an uns, „erlauben Sie mir einige Bemerkungen über die Kunstthätigkeit des Formers und Ciseleurs. Der Former hat das betreffende Modell abzuformen, d. h. in einer Formmasse abzudrücken, welche die feinsten Eindrücke annimmt, so porös ist, daß sie beim Guß die in der Form befindliche Luft und die sich entwickelnden Gase entweichen läßt, und so haltbar, daß sie der Gewalt des Metallstromes widerstehen kann. Dieses Abdrücken geschieht in vielen kleinen Stücken, die zusammengesetzt werden und dann die ganze Form bilden. Wäre dies z. B. die Form einer großen Statue und wollte man sie so ohne Weiteres zum Guß benützen, so würde man ein massives und wegen der Menge des alsdann erforderlichen Metalls nicht nur sehr schweres, sondern besonders sehr kostspieliges Standbild erhalten. Man gießt darum den Gußgegenstand hohl und giebt ihm nur eine seiner Größe angemessene Metallstärke; dies bewirkt man durch Herstellung eines Kernes in der Form. Man belegt nämlich die ganze innere Fläche der Form mit einer weichen gewalzten Thonplatte so dick, als der Metallguß stark sein soll, dann gießt man den übrig bleibenden Raum mit einer Kernmasse aus. Ist letztere erstarrt, so nimmt man die Form in ihre Theile auseinander, entfernt nun die Thonplatte, säubert und trocknet Kern und Form und setzt dann diese wieder um jenen herum. Bei großen Statuen erhält der Kern auch wohl ein Eisengerippe. Die jetzt gußfertige Form wird mit Hülfe des Krahns in die Dammgrube versenkt und fest mit Dammerde umgeben, um sie vor dem Zerspringen zu sichern.
‚Gott bewahr’ das Haus!‘ Es kommt nun der hochpoetische Augenblick, wo der zischende Metallstrom aus dem Flammenofen hervorspringt und nach kurzem sprühendem und dampfendem Laufe durch die vom Former in der Form angebrachten Canäle unter die Erde versinkt, um als eherne Gestalt wieder aufzustehen.
Tritt aus der zerschlagenen Form das gelungene Gußstück hervor, so beginnt die Arbeit des Ciseleurs mit Feile, Meißel und Hammer. Während der Former eine mehr mechanische Aufgabe zu lösen hat, ist das Ciseliren eine Kunst, zu deren Ausübung nicht nur große technische Fertigkeit, sondern künstlerische, durch fleißiges Zeichnen, Modelliren, Studium der Anatomie, Kunstgeschichte etc. erworbene Ausbildung gehört, denn ihre Aufgabe [431] besteht darin, dem Gußstück in starrem Metall dieselbe Schönheit, Weichheit, Correctheit zu geben, wie der Bildhauer dies im Modell von bildsamem Thon gethan und wie er den Effect des Ganzen sich gedacht hat. Der Bildhauer ist der strengste Kritiker des Ciseleurs: kein Fältchen, kein Härchen des Modells schenkt er ihm. Aber der Ciseleur steht ihm nahe als Künstler. Seht, hier glättet er eine Fläche, daß sie sammetweich erscheint und doch ohne störenden Glanz, und dort kämmt er mit graciösen Zügen eine starke Haarpartie; hier markirt er einen Pelz mit leichten Flöckchen, und dort schafft er ein seidenes oder härenes Gewand; hier rectificirt er eine gebogene Schnalle und dort schmückt er den Purpurmantel mit Goldstickerei. Die höchste Sorgfalt verwendet er aber auf die Fleischtheile; ihnen weiß er eine so feine, an die Hautporen erinnernde Schraffirung zu geben, daß sie ganz den Ausdruck annehmen, welchen der Bildhauer ihnen geben wollte. Sehen Sie nun, wie unsere Ciseleure ihre Kunst verstehen!“
Mit diesen Worten öffnete unser Führer eine Thür, und – wir standen wieder in dem Saal, von dem wir ausgegangen waren, – vor den Reformatoren. Es lag ein feiner Wink in dieser Ueberraschung. Wir hatten vorhin nur die dargestellten Männer selbst bewundert, darum für die Arbeit der Künstler noch das Auge nicht frei gehabt. Jetzt betrachteten wir mit mehr Verständniß ihren Antheil am Denkmalwerke, freuten uns des Fertigen, sahen mit Theilnahme dem schweren Kampfe zu, den die Ciseleure hier mit Meißel und Feile gegen das harte Metall zu führen hatten, und verließen den Raum und das Haus mit hoher Achtung vor den Händen, die hier wirken, und den Geistern, die sie leiten.
Wenn im Mai des kommenden Jahres im idyllischen Thale von Lauchhammer das große Denkmal der Reformation öffentlich zur Schau gestellt wird, erinnert sich vielleicht mancher Leser der Gartenlaube des heutigen Artikels und beeilt sich, „die Reformatoren in der Gießhütte“ mit eigenen Augen zu sehen.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ dazu Nachtrag und Berichtigung in der Fußnote 1 in Das Leben in Eisen und die Kunst in Holz und Stein. Heft 34.