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Die Reform des modernen Theaterbaues

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Textdaten
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Autor: Karl von Lützow
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Titel: Die Reform des modernen Theaterbaues
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 4, S. 66–67
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1882
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Die Reform des modernen Theaterbaues.

Von Karl von Lützow.


Ein finsterer Dämon waltet seit Wochen über den freundlichen, glanzerfüllten Räumen unserer Theater, den Stätten der Erholung und des edelsten Genusses für viele Tausende, denen im Kampfe des Lebens jede sonstige Gelegenheit verloren gegangen, sich der Segnungen der Kunst zu erfreuen. Soll auch dieser letzte Zufluchtsort ihnen verschlossen werden oder sollen sie nur von banger Furcht begleitet ihn betreten dürfen? Das ist eine Frage, die wohl schon früher sich da und dort erhoben hat, nun aber – nach der entsetzlichen Katastrophe des Wiener Ringtheaters – allseitig laut hervortritt und zu einer ernsten Betrachtung der Zustände unseres modernen Theaterbaues herausfordert.

Dieser nämlich, der Bau und seine Einrichtung, nicht die menschliche Fahrlässigkeit, Gewissenlosigkeit und Kopflosigkeit trägt, meines Erachtens, die Hauptschuld an den unaufhörlichen und mit steigender Verderblichkeit auftretenden Theaterbränden. Ich will dies in Kürze darzulegen versuchen und hieran einige Gedanken über die Heilung des Uebels knüpfen.

Von den beiden Theilen, aus denen jedes Theater besteht, der Bühne und dem Zuschauerraum, hat erstere, namentlich im Laufe der letzten Jahrzehnte, eine früher ungeahnte Entwickelung durchgemacht. Die Ausstattung der Bühne ist immer naturalistisch reicher, das Maschinenwesen immer complicirter, der Beleuchtungsapparat immer feuergefährlicher geworden. Dem gegenüber blieb der Zuschauerraum im Wesentlichen der alte; von einzelnen Ausnahmen abgesehen, hat er, insbesondere was die schnelle Circulationsfähigkeit des Publicums betrifft, keine nennenswerthen Veränderungen erfahren. Oder mit anderen Worten: tausende, ja hunderttausende von Menschen werden täglich mit einem der feuergefährlichsten Körper in unmittelbare Verbindung gebracht, ohne daß für ihre Rettung hinlänglich gesorgt wäre.

Das in jüngster Zeit viel citirte Buch von August Fölsch über Theaterbrände (1878) führt den Nachweis, daß die bei Weitem größere Mehrzahl dieser Unglücksfälle im Bühnenraum entstanden sind. Auch im Ringtheater war dies bekanntlich der Fall. Und wie könnte es auch anders sein? Hier ist eine unglaubliche Menge von Holzwerk, von Balken, Brettern und Latten aufgehäuft, welche durch den langjährigen Gebrauch in erwärmter Luft ausgedörrt sind, sodaß sie im Augenblick Feuer fangen. Dazu kommt das riesige Quantum von grobfaseriger Leinwand, von mit Firniß getränktem Papier und anderen rasch entzündbaren Stoffen, endlich der häufige Gebrauch von brennbaren Flüssigkeiten und gefährlichen Apparaten, wie sie die moderne Bühnenkunst, namentlich Oper und Ballet, immer häufiger und kühner anzuwenden lieben, sodaß nicht selten eine Anzahl von Löschmännern hinter den Coulissen fortwährend bereit gehalten werden muß, um die durch Feuerregen etc. entstehenden Entzündungen der Bühneneinrichtung zu löschen.

Man müßte die menschliche Natur und den Gang der modernen Kunstentwickelung wenig kennen, wollte man sich der Hoffnung hingeben, daß diesem gefährlichen Spiel mit dem verderbenbringenden Element etwa durch die Theaterkritik oder durch polizeiliche Vorschriften Einhalt zu thun wäre. Unsere gesammte Kunst mit ihren gewaltigen coloristischen und naturalistischen Evolutionen drängt auch im Bühnenwesen vor Allem auf Beschäftigung der Sinne, Illusion und Effect um jeden Preis hin. Es wäre leichter, unsere Kunstfreunde an Wandgemälde im Stile Giotto’s oder Tafelbilder in Stephan Lochner’s Weise zu gewöhnen, als die ständigen Besucher der heutigen Theater an die schlichte Bühneneinrichtung der Goethe’schen Zeit. Entschlösse man sich selbst der Polizei die weitestgehende Obsorge über die feuergefährliche Hantirung hinter den Coulissen einzuräumen, so wäre auch dadurch die Gefahr nicht beseitigt.

„Wenn also das Feuer nicht zu beseitigen ist, so mache man die auf der Bühne verwendeten Stoffe weniger leicht entzündbar!“ So lautet eine sehr natürliche Folgerung, welcher die moderne Naturwissenschaft auch bereits in dankenswerthester Weise zu genügen beflissen war. Wir waren in Wien unlängst Zeugen von Versuchen, welche mit imprägnirten Stoffen (System Patera und andern) angestellt wurden und die beruhigendsten Resultate ergaben. Auch an anderen Orten sind solche Proben wiederholt gemacht, an einigen Theatern sogar die neuen Stoffe bereits eingeführt. Beachtenswerth erscheint auch nach den vorliegenden fachkundigen Berichten eine unter verschiedenen Namen („Extincteur“, „Mata Fungos“ etc.) auftretende Erfindung, mittelst deren ein bedeutender Brand plötzlich gelöscht werden kann (System Delattre).

Allein bei diesen sämmtlichen höchst dankenswerthen Vorschlägen und Erfindungen, sowie bei vielen anderen Propositionen, durch welche man den Bühnenbränden wirksam entgegenzuarbeiten oder ihre verheerende Wirkung auf den Bühnenraum zu beschränken hofft (Draht- und Blech-Courtinen, Bühnenregen etc.), bei alledem handelt es sich um die wirkliche Gefahr. Leider wissen wir aber Alle, daß es keineswegs diese allein, sondern ebenso sehr die imäginäre Gefahr ist, welche bei der ganzen Angelegenheit in Betracht kommt. Es braucht gar nicht zu brennen; ein Frevler oder ein Irrsinniger braucht nur „Feuer“ zu schreien – und unsägliches Unglück bricht über die Masse herein. Die Schreckensscenen in der Warschauer Kreuzkirche bieten dafür den neuesten traurigen Beweis. Gebe man sich doch nicht der trügerischen Hoffnung hin, daß mit der Einführung der Flammenschutzmittel in unser Decorationswesen, mit dem Ersatz des Holzes durch Eisen bei der Construction der Schnürböden, durch die höchste Vervollkommnung des Feuerlöschwesens u. dergl. m. die Panik des Publicums auch nur im Geringsten sich vermindern werde! Diese Beruhigungsmittel mögen und werden dazu beitragen, daß die Leute sich wieder daran gewöhnen, ohne Furcht vor dem Verbrennen in’s Theater zu gehen. Ja, ich bin sogar der Meinung, daß der göttliche Leichtsinn, dieser ewige Genosse des Menschen, auch ohne Palliativmittel gegen den Flammentod allmählich das nämliche erwünschte Resultat herbeiführen werde. Ruhig hinausgehen aber, wenn es brennt, oder wenn man glaubt, es brenne, werden die Menschen nie. Ein entwürdigendes, menschenmordendes „Sauve qui peut“ wird immer die Parole solcher Augenblicke sein.

Deshalb meine ich: unsere Heilmethode muß dort eingreifen, wo in den Augenblicken der Verwirrung die Gefahr sich zusammendrängt, im Circulationsraum des Publicums. Oder mit andern Worten: im Bau der Theater, in der Einrichtung des Zuschauerraumes vor Allem ist die wirkungsvollste Abhülfe für die geschilderten Gefahren zu suchen; die Aufgabe, die zu lösen ist, ist in erster Linie eine architektonische.

Es sei mir zur Erläuterung dieses Gedankens ein ganz kurzer geschichtlicher Rückblick gestattet. Wie grundverschieden das Theater des classischen Alterthums von dem unserigen gewesen sein mag, so hat dasselbe doch, wie die Baukunst der Alten überhaupt, gewisse Grundzüge der Anlage festgestellt, welche sich als Errungenschaften von unveräußerlichem Werth für alle Zeiten, selbstverständlich für die unserige so gut wie für jede andere, erweisen. Trennung von Bühne und Zuschauerraum war ein Hauptzug des Theaterbaues der Griechen. Die Römer hoben diese Trennung auf – milderten sie wenigstens – und schufen aus beiden Bestandtheilen ein geschlossenes Ganzes. Sie verwandelten zugleich den Zuschauerraum, der bei den Griechen an eine natürliche Bodenerhebung sich anzulehnen pflegte, in einen vollkommen freistehenden, mit der Bühne zusammenhängenden Bau.

Auflösung des Zuschauerraumes in ein System von Treppen und Gängen war der Grundgedanke, den sie dabei verwirklichten. „Das Motiv, welches sie zu Grunde legten, war ein sehr verständiges. Es fiel ihnen nicht ein, einer großen Menschenmasse zuzumuthen, daß sie sich durch zwei, drei Thüren mit einer Breite von zwanzig Fuß im Ganzen geduldig entferne, wenn das Schauspiel zu Ende war, oder daß sie gar, wenn Tumult entstand, nicht zu drängen anfange.“ Mit diesen Bemerkungen Jacob Burckhardt’s stimmt ein Wort überein, welches ich einmal aus Gottfried Semper’s Munde hörte: „Der Theaterbau soll in demjenigen Theil, welcher den Zuschauerraum umschließt, im Aeußeren sich als ein aus dem Boden hervorgezogener Fundamentbau darstellen.“ Hierin ist angedeutet, daß der große moderne Meister das römische Motiv als übertragungsfähig auf den modernen Theaterbau betrachtete. Ohne ein Zurückgreifen auf das System der Römer, das auf möglichste Decentralisation (Auseinanderhaltung) der Treppenanlagen abzielte, ist in der That eine Lösung der Aufgabe ebensowenig zu denken, wie ohne Wiederaufnahme der Forderung der Griechen, welche die Trennung von Bühne und [67] Zuschauerraum durchgeführt hatten. Daß dabei alle Modificationen eintreten müssen, die der gedeckte Raum an Stelle des ungedeckten der Alten mit sich bringt, ist selbstverständlich.

Betrachten wir nun den modernen Theaterbau, so sehen wir, daß sich derselbe, wenige rühmliche Ausnahmen abgerechnet, gerade nach der entgegengesetzten Richtung hin entwickelt hat.

Unsere alten Schauspiel- und Opernhäuser mit ihrem Gewirr enger Gänge und Treppen sollen dabei ganz außer Acht gelassen bleiben. In ihnen ist gar kein System, kein auch noch so geringfügiger Keim der Entwickelung enthalten. Und es ist nur dem Zufalle, in einigen Fällen wohl auch der sehr strengen Aufsicht zu verdanken, wenn in diesen „Musentempeln“ bisher nicht noch viel häufiger, als die Statistik es ausweist, der Feuertod seine furchtbare Ernte gehalten hat. Anders ist die Sache bei den stattlichen modernen Theaterbauten, welche jetzt in immer größerer Zahl und reicherer Ausstattung an den Straßen und Plätzen unserer Großstädte und Mittelstädte sich erheben. Bei ihnen hat namentlich das von Frankreich ausgegangene System der Anlage weiter, glänzend geschmückter Vorhallen und Foyers, hin und wieder durch Loggien-Vorbauten bereichert, seine oft mit Glück durchgeführte Anwendung gefunden. Unter den französischen Typen sei hier auf das große Theater von Bordeaux und auf die neue Pariser Oper hingewiesen; von deutschen und österreichischen Werken genügen als Beispiele die neuen Opernhäuser zu Wien und Frankfurt am Main. Alle diese Anlagen haben das mit einander gemein, daß sie das Publicum in einen großen Vestibüle- und Treppenraum zusammenführen. Hier steigen alle Vorfahrenden ab, treten alle Fußgänger ein; hier findet sich die froh erregte oder weihevoll gehobene Menge nach Schluß der Vorstellung zusammen; man tauscht Gruß und Meinung aus; die Toiletten der Damen, wenn auch in theilweiser Verhüllung, und – die Damen selbst („sie spielen ohne Gage mit“) passiren hier die letzte Revue vor den ihrer harrenden Herren und Gebietern.

Das ist nun Alles recht schön und angenehm – ohne Feuersgefahr! Aber es darf uns nicht über die Wahrnehmung der Thatsache hinwegtäuschen, daß dieses Zusammenführen der Masse des Publicums aus allen Räumen des Theaters, aus Parquet und Parterre, wie aus sämmtlichen Logen und Gallerien, die größten Gefahren in sich birgt. Es ist darin das Princip der Convergenz (des Zusammenlaufens) der Gänge und Treppen an Stelle desjenigen der Divergenz (des Auseinanderlaufens) getreten, und nur dieses letztere, wie es die Alten bereits erkannt, ist das allein Richtige und Heilbringende. Nicht darauf kommt es an, den Strom der Theaterbesucher in einem Reservoir zu vereinigen, sondern vielmehr darauf, die natürliche Gliederung der Menge, wie sie sich in den Rängen und Sitzreihen ausdrückt, auch in den Zugängen, Treppen und Vorhallen beizubehalten ja sie zur größeren Bequemlichkeit jedes Einzelnen noch zu vermehren.

Einsichtsvolle Architekten, wie Moller und namentlich Semper, haben denn auch auf die gründliche Umgestaltung des Theaterbaues in diesem Sinne hingearbeitet. Aber sie gingen dabei trotzdem noch immer mehr von den rein künstlerischen als von den eigentlich praktischen Gesichtspunkten aus. Sie trennten Bühne und Zuschauerraum architektonisch, und gaben dem Außenbau des letzteren ein von dem Bühnenbau scharf unterschiedenes charakteristisches Gepräge. Das schöne, nach Art der alten Römerbauten gegliederte Halbrund des ersten Semper’schen Theaters in Dresden und die Segmentform des zweiten verdanken diesem Bestreben ihren Ursprung. Und wenn man die Grundrißanlage des ersten mit der des zweiten Baues von Semper in Vergleich zieht, so ergiebt sich ein Fortschritt in der Richtung der Decentralisation der Treppen, von denen ein Theil nach den Seiten, ein anderer Theil nach rückwärts, d. h. in der Linie der Längenaxe des Gebäudes entwickelt ist. Einen weiteren Fortschritt auf derselben Bahn erblicke ich in der Anlage des neuen Wiener Burgtheaters, welches bekanntlich von Hasenauer nach einem durch ihn und Semper gemeinsam entworfenen Plane ausgeführt wird. Hier sind die breiten Treppen des ganzen Parterre- und Logenpublicums in zwei rechts und links angefügte Flügelbauten verlegt, und für das Publicum der beiden Gallerien (des dritten und vierten Ranges) besondere Stiegen, ebenfalls von ausreichender Breite, angeordnet, welche – wie in Dresden – im Rücken des Zuschauerraums, den Standpunkt außen gedacht, an der Hauptfronte des Gebäudes gegen die Ringstraße zu in eine große Vorhalle ausmünden. Wenn man auf demselben Wege nun noch den letzten Schritt machen, und für jeden Rang, für jede Gallerie, wie für Parterre und Parquet, je nach dem Fassungsraum aller dieser Abtheilungen, besondere Treppen in entsprechender Anzahl und Breite schaffen würde, wie die Römer es gethan, so wäre damit dem Uebel in durchgreifender Weise abgeholfen. Das Princip der Decentralisation und Divergenz der Treppen muß in der Weise durchgeführt werden, daß die Menge, ohne zu suchen, selbst in der Verwirrung, wie mechanisch den Ausgang findet und in möglichst vielen, kleinen Abtheilungen direct an’s Freie geführt wird. Ein besonderes Gewicht ist dabei auf die Ausmündungen der Treppen zu legen; dieselben dürfen nicht tangential, sondern sie müssen radial, das heißt strahlenartig, gegen die bogenförmig zu gestaltenden Vorhallen gerichtet sein, so daß auch im letzten Stadium des Austrittes kein Zusammenstoßen, sondern ein möglichst getrenntes Auseinanderweichen der Massen erfolgen könne.

Wenn ich aus dem Gesagten jetzt einige bestimmte Folgerungen ziehen und als Forderungen für die Reform unseres Theaterbaues bezeichnen darf, so wären es diese:

1) Der Bühnenbau ist vom Zuschauerraum durch Brandmauern, eiserne Thüren und eine in steter Benutzung zu erhaltende Blechcourtine zu trennen; seine Einrichtung ist durch Flammenschutzmittel, ausgiebige Löschvorrichtungen, Luftsauger oder ähnliche Ventilationsapparate zu sichern; wo nur immer das Holz durch Eisen ersetzt werden kann, sollte dies geschehen.

2) der Zuschauerraum ist in einer dem antiken römischen Theater ähnlichen Weise umzugestalten, mit zahlreichen radial angelegten Durchgängen, breiten umlaufenden Vorhallen und möglichst vielen leicht findbaren, weiten, feuersicher construirten und überwölbten Treppen zu versehen, die direct in’s Freie hinaus führen; auch für den Ausgang ist die radiante Richtung wesentlich.

3) ist der Theaterbau nur auf freien Plätzen in entsprechender Entfernung von den umliegenden Gebäuden zu errichten; nur so ist die Entwickelung des Treppen- und Gangsystems in der geschilderten Weise durchführbar, ganz abgesehen von der verminderten Gefahr für die Nachbarschaft, auf die hier nicht einzugehen ist. – –

Als dieser Aufsatz im Wesentlichen bereits niedergeschrieben und ein damit übereinstimmender Vortrag acht Tage nach dem Ringtheaterbrand im „Wissenschaftlichen Club“ zu Wien gehalten war, kamen mir die „Anordnungen und Einrichtungen“ zu Gesicht, welche die preußische „Akademie des Bauwesens“ auf Veranlassung des deutschen Reichskanzlers vor ewiger Zeit ausgearbeitet hat und welche kürzlich (in Nr. 293 des „Reichsanzeigers“ und in anderen Journalen) veröffentlicht wurden. Sie stimmen im Großen und Ganzen mit den von mir entwickelten Grundsätzen vollkommen überein und geben nur mehr technisches und baupolizeiliches Detail, als hier am Platze wäre, dessen Studium übrigens dem Publicum dringend empfohlen werden muß.

Was mir aber vor Allem jetzt vonnöthen scheint, ist eine Regelung des Theaterbaues und Bühnenwesens auf dem Wege des Gesetzes. Wir haben Gesetze für den Eisenbahnbau und Eisenbahndienst, welche mit drakonischer Strenge die kleinsten Versehen und Fahrlässigkeiten ahnden. Für den Theaterbau und das Bühnenwesen hilft man sich mit veralteten Polizei-Ordnungen, commissionellen Erhebungen, die zu keinem Ende führen, und schleppt in Folge dessen einen Wust von Uebelständen weiter zur fortwährenden Bedrohung vieler Tausende. Wer die Statistik der Theaterbesucher mit der des Publicums der Eisenbahnreisenden vergleichen würde, dürfte so ziemlich auf die gleichen Ziffern stoßen. Für die Einen, welche ihr Leben einem höchst vollkommenen Institut, einem Wunder der modernen Technik und Erfindungskraft anvertrauen, hat man durch Gesetze und Polizeivorschriften ausgiebig gesorgt, um sie vor Gefahr und Verlust zu schützen. Die Anderen dagegen setzt man in den Höhlengängen unserer alten, in der Regel für viel kleinere Verhältnisse berechneten und nothdürftig der neuen Zeit angepaßten Theater täglich dem Feuer- und Erstickungstode, ja der noch viel schrecklicheren Gefahr des Erdrücktwerdens aus, ohne daß die unaufhörlichen Unglücksfälle bis jetzt ein anderes Resultat gehabt hätten als ein – akademisches Gutachten. Regierungen und Volksvertreter, thut eure Pflicht zum Schutze der Menschheit und zur Erhaltung unseres hehren Musendienstes!