Zum Inhalt springen

Die Rechtsverhandlung (Gemälde der Dresdener Gallerie)

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: Adolph Görling
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Die Rechtsverhandlung
Untertitel: Von Christoph Pauditz
aus: Stahlstich-Sammlung der vorzüglichsten Gemälde der Dresdener Gallerie
Herausgeber:
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1848–1851
Verlag: Verlag der Englischen Kunst-Anstalt von A. H. Payne
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig und Dresden
Übersetzer: {{{ÜBERSETZER}}}
Originaltitel: {{{ORIGINALTITEL}}}
Originalsubtitel: {{{ORIGINALSUBTITEL}}}
Originalherkunft: {{{ORIGINALHERKUNFT}}}
Quelle: Scan auf Commons
Kurzbeschreibung:
aktuelle Zuschreibung des Bildes: von Arent de Gelder
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite


[Ξ]

The Lawsuit.     Die Rechtsverhandlung.
Dokumentet.

[12]
Die Rechtsverhandlung.
Von Christoph Pauditz.

Es war im Sommer 1648 noch in den frühen Morgenstunden, da tönte schon die silberne Schelle des hochwürdigsten Herrn und Gebieters durch den prächtigen bischöflichen Palast zu Freising. Dies war das Zeichen, daß der Bischof seinen schönsten Pagen, Stellio Viccanelli, einen armen lombardischen Edelknaben, erwartete, welcher ihm vorlesen und seine Befehle an die übrige Dienerschaft abgeben mußte.

Stellio, im braunen Sammtwamms mit weißen Seidenpuffen, den zierlich gefalteten flandrischen Spitzenkragen um den blüthenweißen Hals, flog durch die langen, getäfelten Gänge in das Zimmer, welches die Zelle des Bischofs hieß. Dies war jedenfalls ein sehr bescheidener Name. Das Cabinet des Hochwürdigsten war wahrhaft prächtig. Die Wände wurden von Meisterwerken der Malerei decorirt; ausländische Pflanzen strömten ihren Duft aus und zwischen den Blättern und Blüthen standen auf vergoldeten Sockeln von schwarzem Marmor Büsten und Miniaturstatuen berühmter Männer oder Copien von werthvollen antiken Sculpturen. Das Einzige, was auf die geistliche Würde des Gebieters hindeutete, war ein Bild, welches den Heiland zeigte, wie er die Wechsler und Krämer aus dem Tempel trieb. Dies Gemälde, gegenwärtig [13] die Zierde des Altars im Freisinger Dome, war von dem kunstreichen Pinsel Christoph Pauditz’s, des Hofmalers des Bischofs. Vor diesem Bilde brannten zwei kurze, aber armdicke Kerzen und zwischen beiden stand ein sehr kleines, massivgoldenes Crucifix von spanischer Arbeit.

Clamor Chrysostomus Bernwardus, der Gebieter selbst, saß in einem großen, schwerverzierten Lehnstuhle, an dessen hoher Lehne oben über dem Haupte des Würdenträgers das bischöfliche Wappen, farbig gestickt, prangte.

Der Bischof war eine imponirende Gestalt; er mochte sechs und vierzig Jahre alt sein, war breitschultrig, wohlgebaut und hatte selbst jetzt im Sitzen eine ritterliche Haltung. Seine Hände waren vorzüglich schön und mit Ringen von St. Peter geschmückt. Der Ausdruck seines Gesichts von feiner, weißer Farbe war vornehm, fast stolz; jetzt, da er sein Käpplein tief in die Stirn geschoben, die dunkeln Brauen gerunzelt und den Blick fest auf den Boden gerichtet hatte, finster und unzugänglich. Die Miene, womit er von Zeit zu Zeit seine delicate Hand auf sein seidenes Ordenskleid und gerade dahin legte, wo unter dem weißen Kreuze sein Herz schlug, bezeugte, ein inneres Weh habe sich seiner bemächtigt.

Stellio trat mit einer tiefen Verbeugung ein.

– Mein Sohn, sagte der Bischof, dem Kinde das glänzendschwarze Haar streichelnd, welches schon nach Klosterart verschnitten war, ich habe eine schlimme Nacht gehabt; ich fühle mich ermattet und elend …

– Ich werde den Doctor Reinhardus rufen! erwiderte Stellio mit leuchtenden Augen, indeß er den Befehl zu errathen glaubte, noch ehe er von dem Herrn ausgesprochen war.

Der Bischof schüttelte den Kopf.

– Meinen Maler, den Meister Christoffler Pauditz, will ich sehen! bemerkte Bernwardus.

Der Page verschwand.

Nach wenigen Minuten erschien der Künstler vor seinem Herrn und Freunde. Christoph Pauditz, oder wie er sich auch zuweilen nannte, Paudiß, ein Niedersachse von Geburt, war genau wie die alten Künstler Deutschlands in unseren Vorstellungen leben: eine schlanke, fast hagere Gestalt im schönen Mannesalter, mit hellbraunem Haar und blondröthlichem Bart; in dunkler, talarartiger Kleidung mit Pelz verbrämt; mit schöner, ernster gedankenreicher Miene, die aber ein nicht geringes Selbstbewußtsein, einen lebendigen Künstlerstolz ausdrückte. Sein erster Blick fiel auf sein Gemälde und seine Augen erheiterten sich sichtlich. Christoph Pauditz grüßte den Bischof mit ehrerbietiger Vertraulichkeit.

Bernwardus lud ihn ein, sich zu setzen, und fing nach einer Pause sehr niedergeschlagen an:

– Meister, oft schon hat mich Deine Kunst ergötzt und mir meine schönen Stunden noch mehr verherrlicht. Jetzt bitte ich Dich selbst, mir eine der bittersten Stunden meines Lebens ertragen zu helfen.

Der Bischof sah bei diesen Worten so bekümmert aus, daß der Maler voll Unruhe aufstand und sich ihm näherte, indeß er seine Bereitwilligkeit aussprach, dem geliebten Herrn mit allen seinen Kräften zu dienen.

– Höre mich an, sagte der geistliche Würdenträger, aber bewahre mein Geheimniß bis zum Tode. Ich bin von dunkler Herkunft; als ein Findelkind wurde ich im Hause des Freiherrn von Spiegelberg erzogen. Nicht für die Kutte, welche mich heute umschließt, war ich bestimmt. [14] Ritterliche, adlige Uebungen füllten meine Jugendzeit aus. Aber als mein Körper Festigkeit und Ausbildung erlangt hatte, als ich in meinem Aeußern die unverkennbaren Merkmale der Erziehung eines Mannes von Stande zeigte, da überwies mir mein edler Pflegevater und Freund die weltlichen Wissenschaften als meinen künftigen Beruf, indeß er mich auf meine Talente und auf die Erfolge hinwies, die ich auf dieser Bahn zu erringen im Stande sei. Ich gehorchte mit Beschämung, denn ich sah nur zu wohl, daß der Freiherr mir nur deßhalb diese Bahn vorzeichnete, weil eben meine unbekannte Herkunft ihm nicht erlaubte, mir eine meiner Erziehung gemäße Laufbahn in der Armee oder an einem der katholischen Höfe von Deutschland zu eröffnen. Ich ward, während die deutsche Jugend sammt Dänen, Schweden und Franzosen auf fast jedem Flecke des vaterländischen Bodens kämpfte und sich Lorbeern erwarb, verurtheilt, in Prag, Bologna und Paris Juristerei zu studiren. Mein Fleiß hatte glänzenden Erfolg. Ich kam nach München und meine Kenntnisse eröffneten mir, was die Geburt mir versagt hatte: den Verkehr mit Fürsten und Großen; ich übernahm für den Kurfürsten in München diplomatische Unterhandlungen und bald meinte ich mich auf dem geradesten Wege zu finden, der endlich meinen Namen denjenigen der berühmten Staatsmänner anreihen sollte. Bald meinte ich hoch genug mich emporgeschwungen zu haben, um die Hand nach einem Kleinode auszustrecken, dessen Erlangung mir das höchste Ziel meines Lebens war, dem alles Andere nur als Mittel diente. –

Der Bischof erhob sich in tiefer Bewegung, zog rasch und mit dem Anstande eines Kaisers seine Robe fester um die Taille und fuhr erst nach längerem Schweigen fort, während Pauditz in großer Aufregung der weiteren Eröffnung harrte.

– Der Freiherr besaß eine einzige Tochter, zugleich, weil die meisten seiner Besitzungen Weiberlehen waren, die Erbin seiner Güter, seines Ranges und Titels. Sie hieß Valentine. Mit ihr durchwandelte ich das Zauberland der Kindheit; sie war meine Liebe, so lange ich denken kann; sie flößte mir zu der Zeit, wenn die Geschlechter sich scheiden, nachdem sie sich erkannt haben, eine Leidenschaft ein, die nur der ihrigen für mich gleich kam. Dies unglückliche Verhältniß ward von uns, sobald wir uns unserer Liebe bewußt wurden, mit einem die Reize desselben erhöhenden, undurchdringlichen Schleier umgeben, so daß selbst der Freiherr nicht ahnte, wie hoch sein armer Schützling die Augen zu erheben gewagt. Nur dann erst wollte ich hervortreten, wenn ich, Rang und Ehre auf mein Haupt gehäuft, als vollgiltiger Mann vor den Freiherrn hintreten konnte. – Eben in dieser Zeit sollte Valentine an den bairischen Kammerherrn von Dettenbach vermählt werden. Dieser Umstand entriß mir, dem Freiherrn gegenüber, das Geständniß meiner Liebe. Er verließ mich sprachlos, tief erschüttert. Zehn Minuten später gaben mir zwei Zeilen von ihm die Nachricht: daß ich der illegitime Sohn des Freiherrn, kein Fremder, sondern Valentinen durch die Bande des Bluts verbunden war. Er fügte hinzu, dies möge seiner Tochter, um die Ruhe ihrer Seele nicht auf ewig grausam zu zerstören, für immer ein Geheimniß bleiben. Ich ward krank, irrsinnig. Als ich erwachte, schützte ich Valentinen gegenüber ein in meiner Krankheit gegebenes Gelübde vor und ging in’s Kloster. Die Geliebte ward endlich durch die Bitten ihres sterbenden Vaters vermocht, sich mit von Dettenbach zu vermählen. – Ihr Herz aber gehörte mir an, sonst, jetzt und immerdar. Dettenbach fiel in Böhmen für den Kaiser. Kaum war Valentine frei, als sie, obwohl zum gereiften Weibe geworden, [15] mit jugendlicher Leidenschaft Alles aufbot, um mich meinen Banden ebenfalls zu entreißen. Ich hatte rasch meinen Weg gemacht; ich stehe nahe am Fuße vor Sanct Peters Sitz; dennoch bin ich schwach genug gewesen, Alles, Alles zu vergessen und ihren Bitten, gleich als wäre ich wieder irrsinnig, Gehör zu geben. – Valentine ist hier in Freising. Ich habe ihr zugesagt, in die Welt zurückzukehren, die Mitra fortzuschleudern und sollte ich drüber Protestant werden müssen. – Ich habe das unselige Geheimniß ihr nicht zu entdecken vermocht, noch mehr, ich habe gelobt, sie zu heirathen – und heute, heute noch sollte dies Verbrechen vollzogen werden. – Ich habe gekämpft, gebetet; jetzt aber bin ich wieder, obgleich im Herzen todt, ein Mann, ein Priester, ein Bischof geworden; – aber dennoch bin ich zu schwach, Valentinen ins Auge zu sehen und selbst ihr den Todesstoß zu versetzen. – Meister Christoph, Dir habe ich diese traurige Pflicht auferlegt. Geh zu dem großen Gasthofe, nimm diesen Ring zur Beglaubigung und sage ihr, was Du hörtest und was Du siehst, daß ich wahnsinnig, gemordet sei … Alles was Du willst; aber daß ich kein Verbrecher, sondern Bischof zu Freising sein werde!

Der geistliche Fürst zog, leichenblaß geworden, seinen Ring ab, gab ihn dem Maler, versuchte es vergebens, bei seinen letzten Worten sich eine entschlossene Haltung zu geben, ging aber dann, wankenden Trittes, rasch aus dem Cabinet.

Der ehrliche Maler setzte sich nach langem Sinnen zögernd in Bewegung, überdachte mit schwerem Herzen seine Botschaft und ging dann nach dem „großen Adler“. Die Diener wollten ihn, versichernd, daß die Herrin höchst wichtig beschäftigt sei, abweisen. Er sagte aber: Ich komme von dem hochwürdigsten Bischofe! und die Flügelthüren wurden sofort geöffnet.

Der Saal war leer. Langsam nur ging er zu einem Cabinet, von wo ihm die Stimme einer Dame erklang. Die Thüre war halb geöffnet.

Er sah die edle Frau, im prächtigsten Costüme, mit Haube und Schleier angethan, das schöne blonde Haar reich mit Perlenschnuren und Diamanten geschmückt, an einem Tisch vor seinem Freunde Justus Eccerus, dem juristischen Rathe des Bischofs, sitzen, welcher, das Schreibzeug vor sich, die Feder in der Hand, mit staunender, gespanntester Aufmerksamkeit ihre Eröffnung anhörte.

– Schreibt, Meister Eccerus, sagte Valentine, indeß ihr Blick schwärmerischer, das feine Colorit ihrer Wangen lebhafter wurde, Alles, was ich besitze, soll Eigenthum des Mannes sein, welchen ich heute heirathen werde …

– Aber wer? gnädige Frau … dies ist nothwendig …

– Ihr werdet’s schon erfahren, Doctor! Meldet ferner dem Herrn Kurfürsten und der Majestät meines gnädigsten Kaisers, daß ich, eine reichsunmittelbare Freifrau, falls man Genehmigung meiner Heirath nicht verwillige, mich protestantisch machen und als Protestantin mich unter sächsische Oberhoheit stellen und auf dem Friedenscongreß in Münster und Osnabrück meine Rechte mir sichern werde.

– Dies erschreckt mich mehr, als ich sagen kann! murmelte Eccerus. Gnädige Frau, Sie bedürfen dergleichen Schritte nicht, wenn Sie nicht etwa einem Landesverräther und Geächteten sich vermählen wollen …

– Höret, Doctor Justus … stockte Valentine … Es ist Niemand anders, als Bernward, Bischof von Freising … Begreift Ihr jetzt? –

[16] Christoph Pauditz wollte das Wort durch sein rasches Eintreten abschneiden; es war schon ausgesprochen. Eccerus stand bestürzt und gänzlich außer Fassung auf, ließ seine Papiere zurück, schlug die Hände in einander und entfernte sich schleunigst, um zu solchem Beginnen wenigstens nicht behülflich gewesen zu sein.

Der Maler trat Valentinen näher. Er blieb volle zwei Stunden in ihrem Cabinet. Als er sie verließ, war sie ohnmächtig.

Valentine reisete noch an demselben Tage ab, vermachte ihr Vermögen der Kirche, gab ihre Lehen ihren Anverwandten und dem Kaiser zurück und trat in ein Kloster der Ursulinerinnen in Innerösterreich.

Bernwardus blieb lange für Jeden, außer für seine nächste Umgebung, unsichtbar. Dann ließ er Pauditz rufen.

– Du hast sie gesehen? fragte er düster.

– Ja, hochwürdigster Herr.

– Male mir ihr Bild, damit ich noch einen Trost besitze.

Pauditz malte die letzte Scene des Glückes der Welt, welche Valentinen beschieden war, diejenige, von welcher er Zeuge gewesen. Es zeigt eine edle Auffassung, ein Helldunkel, welches an den Lehrer Pauditzens, an Rembrandt erinnert, und eine Wahrheit der Darstellung, welche täuschend, aber darum doch nicht ängstlich gehalten ist. –


Dieser deutsche Künstler hat höchst geschätzte Werke in den ansehnlichsten Gallerien. Er starb 1666, aus gekränktem Künstler-Ehrgeiz. Er malte mit Franz Rosenhof, auch Roster genannt, ein Bild um die Wette, wie der Wolf ein Lamm zerreißt, was den Fuchs lockt, zur Mahlzeit heranzuschleichen, und ward von seinem Gegner überwunden. Christoph Pauditz war übrigens ein guter Thiermaler.