Die Röntgenstrahlen im Dienste der Medizin und Chirurgie
Die Röntgenstrahlen im Dienste der Medizin und Chirurgie.
Das erste in der ärztlichen Wissenschaft und Kunst ist: die Krankheiten zu erkennen; das zweite: sie zu heilen, soweit das überhaupt die engen Grenzen menschlichen Könnens gestatten. Das Erkennen der Krankheiten aber beruht zunächst auf der Feststellung der Krankheitserscheinungen mittels unserer Sinne, deren Ergebnisse dann durch Nachdenken an der Hand der Erfahrung zum jeweilig sich ergebenden Krankheitsbilde verbunden werden. In der Regel spielen bei diesen Feststellungen der Diagnostik Geruch und Geschmack eine untergeordnete Rolle, eine wichtigere und ausgedehntere schon der Tastsinn, diagnostische Hauptsinne aber sind das Gehör und das Gesicht. Doch selbst der letztgenannte und höchste Sinn hat seine gemeinsamen Schranken und Mängel, die in einem bekannten Laienwort zum Ausdruck kommen: „Ja, wenn der Körper durchsichtig wäre wie Glas, oder wenn er doch wenigstens Thürchen hätte, durch die man ins Innere desselben hineinsehen könnte!“ – dann würden, will [662] das sagen, die Aerzte seltener in der Krankheitserkenntnis irren und demgemäß auch mehr Heilerfolge haben.
In unserem „Jahrhundert der Erfindungen“ aber ist nach und nach eine ganze Reihe Hilfsmittel zur Verschärfung der Sinne beim Diagnosticieren erfunden worden. Und mancher innere Krankheitsvorgang, der früher nur unvollkommen oder gar nicht diagnosticiert werden konnte, wird mit Hilfe der überraschend vervollkommneten Ausnutzung des Gehörs – durch Behorchen und Beklopfen der Körperoberfläche – und durch chemische und mikroskopische Untersuchung sicher erkannt, und auch das Auge drang weiter ins Innere der Körperhöhlen vor – wir erinnern nur an den Augen- und Kehlkopfspiegel, an die Beleuchtung des Magen- und Blaseninnern mittels Spiegeln und elektrischen Lichts etc. Vieles und Wichtiges jedoch blieb trotzdem dunkel und unsicher, das jenen alten Laienwunsch auch bei den Aerzten wach erhalten mußte. Da verbreitete sich gegen Ende des Jahres 1895 die staunenswerte Kunde, daß der Würzburger Professor W. K. Röntgen eine wunderbare Strahlen- oder Lichtart entdeckt habe, die selbst dichte Stoffe, Holz, Pappe etc. und auch Rumpf und Glieder, sogar dünne Knochen des menschlichen Körpers durchdringe wie gewöhnliches Licht das Glas, so daß mit ihrer Hilfe das in die Tiefe gebettete Knochengerüst, in Weichteilen, Körperhöhlen und Knochen sitzende Fremdkörper, wie Kugeln, Nadeln etc., im photographischen Bilde nach Größe, Lage und Sitz festgehalten und erkannt werden könnten. Die Nachricht von dieser Entdeckung durchlief sofort die ganze Welt (vgl. „Gartenlaube“, Jahrgang 1896, S. 83) und, was erfreulicher und wichtiger war, sie hielt auch den alsbald vorgenommenen Nachprüfungen der Gelehrten aller Nationen stand, war kein Märchen, sondern blieb eine unumstößliche Thatsache.[1]* Und ein mächtiges, in seiner Tragweite nicht übersehbares Hilfsmittel war durch das neue Licht der Krankheitserkenntnis geschenkt, aber nicht bloß das: es war auch, was nicht von allen diagnostischen Erfindungen unseres Jahrhunderts gesagt werden kann, dadurch der Krankheitsheilung vielfach ein sicherer Weg gewiesen. Die ersehnten Thürchen waren mehr als ersetzt, der Körper ist nunmehr für den Arzt in mancher Beziehung wirklich durchsichtig wie Glas!
Diese an sich unsichtbaren Strahlen sind in dem Licht enthalten, welches der elektrische Funken beim Ueberspringen von einem Pol zum andern in einer luftleeren Glasröhre erzeugt. Sie besitzen ganz besondere von denen des gewöhnlichen Lichtes abweichende Eigenschaften, dessen chemische Wirkung auf photographische Platten sie jedoch teilen. Vor allem haben sie, wie schon bemerkt, die Kraft, die meisten, auch die festen Stoffe zu durchdringen, freilich die weniger dichten und dicken besser als die entgegengesetzten, so daß die dichteren Körper einen im Verhältnis stärkeren Schatten werfen, also ein dunkleres Abbild bei der photographischen Aufnahme geben als die weniger dichten. Auf solchen Photographien erscheinen Licht und Schatten in schroffem Gegensatz, so z. B. die fleischigen Teile eines Armes einfach hell, die Knochen dunkel, metallische Körper innerhalb beider aber noch dunkler. Sind die Röntgenstrahlen von großer Stärke oder währt deren Einwirkung zu lange, so sieht man auf dem photographischen Bilde die Umrisse der Fleischteile, namentlich bei dünneren Lagen, z. B. am Kopfe und an der Hand, gar nicht mehr, selbst die der dünnen Knochen undeutlich und nur die dicksten in schärferer Zeichnung. Es bedarf daher zur Herstellung guter Röntgenbilder noch größerer Uebung in Bemessung der richtigen Stärke und Dauer der Strahlenwirkung auf die Platte als beim gewöhnlichen Photographieren. Durch fortgesetzte Verbesserung der Apparate ist übrigens die in der ersten Zeit nach der Entdeckung nötige sehr lange Expositionsdauer derart abgekürzt worden, daß sie jetzt von der beim gewöhnlichen Photographieren erforderlichen nicht mehr viel abweicht. Weiter pflanzen sich die Röntgenstrahlen immer nur in gerader Richtung fort und lassen sich durch nichts, weder durch starke Magnete, noch durch Sammellinsen etc., ablenken. Deshalb sind auch die letzteren beim Photographieren mittels jener nicht nötig. Zu ihrer Eigenart gehört weiter, daß sie fluorescierende Wirkung haben, d. h. im Dunkeln scheingebende Flächen zum Aufleuchten bringen, und selbst durch keine, wie immer auch beschaffene Oberflächengestaltung eines Körpers, wie das z. B. bei gewöhnlichem Lichte seitens polierter Metallflächen u. dgl. der Fall ist, zurückgeworfen (reflektiert) werden.
Der Wert dieser neuentdeckten Strahlenart und der damit herzustellenden Photographien gerade für die ärztliche Kunst wurde allseitig zwar sofort betont, merkwürdigerweise jedoch die Tragweite der Entdeckung für diese eher unter- als überschätzt, selbst von berühmten Aerzten und Chirurgen. Bald nämlich hatte sich herausgestellt, daß man oft bei den auf Grund der photographischen Bilder unternommenen Operationen zur Entfernung der durch Röntgenstrahlen entdeckten Fremdkörper den wahren Sitz derselben verfehlte, daß man durch das Verfahren also irregeführt ward. Dies war geschehen, weil man bei den Aufnahmen es versäumt hatte, nicht bloß gerade von vorn oder hinten her, sondern auch zugleich horizontal (senkrecht zu dieser Richtung), also von einer der beiden Seiten her, Bilder aufzunehmen, wodurch allein man doch erst instand gesetzt wird, den Schnittpunkt der beiden Aufnahmerichtungen und damit die wirkliche Lage des gesehenen Fremdkörpers, nicht nur nach dem Orte, sondern auch nach der Tiefe zu bestimmen und zu finden. Erst nach Beseitigung dieses Uebelstandes wurde die Verwendung der Strahlen allgemeiner, so daß heutzutage kein auf der Höhe der Zeit stehendes, namentlich kein chirurgisches Krankenhaus eines „Röntgenapparates“ entbehren kann. Für die tägliche ärztliche Praxis aber besorgen in vielen Städten bereits Specialisten und eigene „Röntgeninstitute“ die „Röntgenphotographien“, nicht nur in Deutschland, dem Geburtslande der Entdeckung, sondern in allen Kulturländern der Erde. Darin gleicht die neue Entdeckung Röntgens der älteren Erfindung des Augenspiegels durch Helmholtz, der man sie in der That auch als eine Art Augenspiegel für das Innere der Festteile des Gesamtkörpers zur Seite stellen kann. Man hat in neuester Zeit sogar mit Hilfe des bei dem Verfahren gebräuchlichen Leuchtschirmes gelernt, ohne weiteres, d. h. ohne vorausgegangene Anfertigung einer Photographie, Gegenstände aus dem Körper zu entfernen. Ebenso beobachtet man die Bewegungen des Herzens, der Lunge, des Zwerchfells etc. direkt.
Betrachten wir nunmehr die Verwertung der Entdeckung Röntgens in der inneren Medizin, so muß zum voraus gesagt werden, daß sie innerhalb dieser im großen und ganzen bis jetzt den seitherigen diagnostischen Verfahren dennoch kaum ernste Konkurrenz bereitet.
Bei tuberkulöser Erkrankung der Lunge läßt dieselbe im Anfangsstadium der Krankheit im Stich, was um so mehr zu bedauern ist, als gerade in diesem Stadium erhöhte Aussicht auf die Möglichkeit einer Heilung existiert; erst stärkere und ausgedehntere Verdichtungen in der Lungenmasse oder Höhlen sind sicher nachweisbar, freilich selbst später als mittels der Untersuchung mit dem Ohr. Dasselbe gilt für Lungenentzündung. Manche Geschwülste dagegen, sowie nach abgelaufenen Lungenentzündungen zurückgebliebene Verdichtungen, Verkalkungen und Steinbildungen in der Lunge, dann Fremdkörper in Lunge und Luftröhre, voran metallische, lassen sich, namentlich bei mageren und jüngeren Personen, zum Teil früher und bestimmter nachweisen. Gewonnen wird in der Regel dadurch aber nicht viel, desgleichen nicht bei der mit dem neuen Hilfsmittel bewirkten Feststellung vorhandener Lungenerweiterung (Emphysem) resp. des veränderten Zwerchfellstandes in manchen Fällen von Atemnot (Asthma) etc., kurz, für die Erkenntnis der eigentlichen Lungenerkrankungen hat vorerst das Röntgenverfahren, das hier außerdem besondere Uebung verlangt, nur den Wert einer Bestätigung der mit den alten Methoden erlangten Resultate, die immerhin in einzelnen Fällen erwünscht sein kann.
Dasselbe gilt für die Erkrankungen des Brustfells, bei Ergüssen in den Brustfellraum und Geschwülsten innerhalb desselben: dagegen sind die häufigen Verwachsungen der Lunge mit Brustwand und Zwerchfell infolge des Wegfalls der Beweglichkeit beider gegeneinander leichter durch das Röntgenverfahren zu erkennen. Der allgemeinen Verwendung aber steht auch hier, wie in vielen Fällen, die Umständlichkeit, Schwierigkeit und Kostspieligkeit des Verfahrens, der hohe Preis und die geringe [663] Transportfähigkeit der Apparate und bei schweren, rasch verlaufenden Krankheiten die mit ihrer Anwendung verbundene Belästigung des Kranken entgegen. Mit ausschlaggebendem Nutzen wird dasselbe an der hinten in der Brust verlaufenden Speiseröhre angewendet werden, um Erweiterungen, Verengerungen und Geschwülste derselben sicher nachzuweisen, zu welchem Zwecke man jedoch öfters mit Lösungen von Metallsalzen gefüllte Kautschukröhren oder metallische Sonden als Hilfsmittel verwenden muß, was bei Aufsuchung der so häufig von Kindern verschluckten und im Schlunde steckengebliebenen Knöpfe, Münzen u. dgl. nicht nötig ist. Wie segensreich gerade in den zuletzt genannten Fällen die Röntgenphotographien sich erweisen können, geht am besten daraus hervor, daß wegen Unauffindbarkeit mit den alten Untersuchungsmethoden bisher von solchen Fremdkörpern gar manches Kind nicht befreit werden konnte und infolgedessen nach langem Leiden daran sterben mußte. Auch die nicht seltenen Geschwülste und Verengerungen des Mageneingangs sind auf die gleiche Weise leicht zu erkennen. Ebenso sind Vergrößerungen resp. Verkleinerungen des Herzens durch das neue Verfahren, das ja auch bei der Kaiserin von Oesterreich kurz vor ihrer schmachvollen Ermordung angewendet ward, festzustellen; doch muß betont werden, daß hier Täuschungen leicht möglich sind. Weniger der Fall ist das bei Erweiterungen (Aneurysmen) der aus dem Herzen unmittelbar entspringenden großen Schlagadern und namentlich bei den so häufigen Kalkeinlagerungen in die Wände dieser und auch aller übrigen Pulsadern und der Herzklappen.
Seitliche Verdrängung des Herzens durch wässerige oder eiterige Ergüsse in die Brusthöhle oder durch Geschwülste lassen sich mit Sicherheit für das Auge nachweisen, gleichwie auch Füllung und Ausdehnung der häutigen Umhüllung des Herzens, des sogenannten Herzbeutels, durch Flüssigkeitsansammlungen in diesem infolge von Entzündungen oder Wassersucht. Auch die ebenso interessante wie seltene angeborene umgekehrte Lage des Herzens – und in der Regel auch der Leber und Milz –, wobei das Herz und die Milz rechts und die Leber links, also dem gewöhnlichen Zustande gerade entgegengesetzt, zu finden sind, sowie das noch seltenere Fehlen der knöchernen Brustwand vor dem Herzen lassen sich mittels Röntgenverfahrens sichtbar machen. Im Gehirn aber hat man damit in vereinzelten Fällen durch die Schädelknochen hindurch Geschwülste nachweisen können. Manchmal gaben die Röntgenphotographien wertvolle Aufschlüsse über Erkrankungen und Veränderungen in der Unterleibs- und Beckenhöhle, z. B. bei Magen- und Darmerweiterungen und -Verengerungen, Geschwülsten des Magens, der Leber und Nieren (Blasenwürmer), der Milz, bei Anschwellungen dieser beiden letzten Organe. Verschluckte Münzen, Knöpfe, Kugeln, Nägel etc., welche in dem Darmkanal weiter wandern, Darmsteine, die besonders bei Pferden in außerordentlicher Größe oft vorkommen, und Nadeln die, in den Darmwandungen sitzen, lassen sich unter Umständen leicht erkennen. Gar nicht oder doch nur in seltenen Fällen sind dagegen Gallensteine durch die Röntgenstrahlen zu erforschen, obwohl dies bei der Häufigkeit und großen Schmerzhaftigkeit derselben von großem Vorteil wäre, was auch für Nierensteine gilt, während Steine im Blaseninnern mittels Röntgenphotographien nachzuweisen vielfach gelungen ist.
Wenn in vielen der bisher aufgeführten Krankheiten noch Zweifel über die Unersetzlichkeit des neuen Erkennungsmittels aufkommen konnten, so ist das nicht mehr der Fall, wenn es sich um die Aufsuchung und den Nachweis gewisser Verletzungen und Erkrankungen der Knochen und des Sitzes von im Körper zurückgebliebenen, namentlich metallischen Fremdkörpern handelt. Hier ist die Feinheit desselben so groß, daß man noch die Gegenwart z. B. von kleinen Eisensplittern, Nadelspitzen etc. bis herab zur Länge von Millimetern und zum Gewichte von Hundertsteln eines Gramms nachgewiesen hat. Und das nicht bloß in oder nahe unter der Haut, sondern auch tief im Fleische und in Körperhöhlen: im Schädel, in den Augenhöhlen, im Augeninnern, in der Brust, im Unterleib, im Kniegelenk, in der Knochenhaut etc. Man fand Kugeln, Schrotkörner, Draht- und Nadelstücke, die zum Teil in Knochen staken, nicht bloß in frischen Fällen, sondern auch in ganz veralteten, in denen die Kranken die Ursache ihrer Beschwerden gar nicht kannten und nicht wußten, daß sie z. B. Nadeln in den Fingern beherbergten, sondern ihre Schmerzen den „Nerven“ zuschrieben, die keinem Mittel wichen, dann aber mit Hilfe von oft nur kleinen chirurgischen Eingriffen rasch beseitigt wurden. Uebrigens muß bemerkt werden, daß es nicht gerade immer notwendig ist, die durch die Röntgenstrahlen gefundenen Fremdkörper auch zu entfernen, wie der Laie glaubt, im Gegenteil wird man, wenn sie, wie das nicht selten der Fall ist, ohne Beschwerden zu machen, eingeheilt sind, sie nach wie vor unberührt lassen und nur dann operativ gegen sie vorgehen, wenn sie Schmerzen und Gesundheitsstörungen bewirken. In solchen Fällen weiß man aber jetzt ganz genau, an welcher Stelle sie bestimmt zu finden sind, und kann, wenn nötig, gerade auf sie losschneiden, ohne, wie früher, halb oder ganz im Dunkeln zu tappen.
Bei Zerschmetterungen der Knochen, Knochenbrüchen, Verrenkungen, Absplitterung von Knochenstücken, wie sie namentlich in der Nähe der Gelenke häufig sind, falschen Stellungen der Knochen etc. blieb man seither oft über deren Ausdehnung und Art im Ungewissen und damit auch über Mittel und Wege der Behandlung. Das fällt nunmehr auch zum großen Teile weg durch die Röntgenphotographie. Mit ihrer Hilfe kann man z. B. bei frischen Knochenbrüchen und Verrenkungen, trotz bedeutender Anschwellung der Weichteile, die gegenseitige Lage der Knochenenden feststellen und dann sich davon überzeugen, ob die Einrichtung derselben vollkommen gelungen oder ob Neueinrichtung oder Nachhilfe nötig ist; man kann also die Diagnose und den Heilungsverlauf überwachen, nach der Verheilung aber sehen, ob die Knochen richtig oder falsch zu einander stehen.
Ein anderes Gebiet für die Röntgenphotographie liefern die angeborenen Miß- und Verbildungen im Knochensystem – aber auch, wie hier nachträglich bemerkt werden soll, eben solche an inneren Organen –: Klumpfüße, überzählige Finger und Zehen, Knochenspalten, Ausfall einzelner Knochen etc., bei denen die photographische Platte jetzt genaue Einsicht in die vorhandenen Abweichungen giebt, die am Lebenden seither unmöglich war. Auch unter den im engeren Sinne so genannten Erkrankungen des Skeletts wurde die Liste der mit Röntgenstrahlen erkannten immer größer, da man heutzutage nicht bloß knöcherne Verwachsungen der Gelenkflächen, Gichtknoten resp. Kalkablagerungen um und in den Gelenken, knöcherne Auswüchse und Geschwülste an den Knochen, Verknöcherungen der Knorpel an den Knochenenden, frei im Innern der Gelenke bewegliche Körper, sogenannte Gelenkmäuse, durch Knochenfraß abgestorbene Knochensplitter in ihren eigentümlichen Knochenhülsen, Knochenerweichung (Osteomalacie) und Knochenendeverdickung bei Englischer Krankheit etc., sondern auch schwere Erkrankungen des Knocheninnern, wie Knochenmarkentzündung und namentlich tuberkulöse Knoten und Erweichungen viel früher und sicherer als vordem erkennt.
Auch als Heilmittel hat man die Röntgenstrahlen bereits angewandt. Es sollen damit namentlich Besserungen, ja Heilungen von sogen. fressenden (Lupus) wie gewöhnlichen Flechten (Eccem) und Beseitigung von behaarten Muttermälern, überhaupt von falschen Haarbildungen bewirkt worden sein. Freilich, auch die normalen Kopfhaare sind schon den Strahlen zum Opfer gefallen, insofern manchmal die Anwendung derselben diese unliebsame Folge hatte, wie sie auch ernste Entzündungen der Haut, gleich der Sonne beim Sonnenstiche, zeitigte, die man aber neuerdings zu vermeiden gelernt hat. – Angefügt soll noch werden, daß man sie in Zukunft zur Desinfektion verwerten will, da sie Bakterien zu töten imstande sind, wie übrigens das elektrische Bogenlicht und das Sonnenlicht auch. – Schließlich lassen sie sich oft mit Nutzen zur Entlarvung von Simulanten verwenden, umgekehrt aber manchmal auch dazu, einem, der als solcher gilt, zu seinem Rechte zu verhelfen.
Somit wurde durch die Röntgenstrahlen, obwohl sie selbst noch niemand gesehen hat, da die Netzhaut des Auges für sie unempfindlich ist, in der Medizin und Chirurgie ein neues Licht geschaffen. Und so findet denn das ergreifende Sehnsuchtswort, mit welchem einst Goethe sein lichtspendendes Leben beschloß, „Mehr Licht!“, in immer neuen Formen zum Heile der Menschheit seine Erfüllung.
- ↑ Die neuentdeckten Strahlen, von denen im folgenden die Rede ist, wurden nach ihrem Entdecker „Röntgenstrahlen“ oder auch „X-Strahlen“ benannt. Wir behalten die erste, in den Sprachgebrauch übergegangene Bezeichnung bei. Sie ist mundgerechter als „Röntgens Strahlen“, „Röntgensche Strahlen“ u. ä.