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Die Photographie des Himmels

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
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Autor: Dr. Klein
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Titel: Die Photographie des Himmels
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 7
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1886
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Die Photographie des Himmels.

Zu den großartigsten Errungenschaften der Neuzeit gehört zweifellos die Verwendung der überaus leichtempfindlichen Trockenplatten in der Photographie, wodurch es möglich wird, den niederfahrenden Blitz, das trabende Pferd, die brandende Woge, das vom Sturm bewegte Laub abzubilden. Es ist ja noch gar nicht abzusehen, welche vielseitigen Anwendungen diese neue Methode in den praktischen Naturwissenschaften finden wird. Hier soll nur eine ihrer mehrfachen Anwendungen, nämlich die Benutzung zur Aufnahme des Sternenhimmels besprochen werden.

Fig. 1 Theil des Sternbildes der Zwillinge, gesehen mit bloßem Auge.

Wer ein Urtheil über die Zahl der Sterne, die dem bloßen Auge in klarer Winternacht sichtbar sind, abgeben soll, pflegt fast immer diese Zahl zu überschätzen. Der Laie spricht von Hunderttausenden, ja von Millionen Sternen, die er mit bloßem Auge wahrzunehmen behauptet. Solche Schätzungen gehen jedoch weit über die Wahrheit hinaus, und wenn irgend etwas als sicher gelten kann, so ist es die Thatsache, daß die Zahl der mit bloßem Auge am Himmel sichtbaren Sterne sehr gering ist. Alle Sterne, welche das schärfste menschliche Auge ohne Fernrohr wahrnehmen kann, sind längst in Karten niedergelegt und ganz genau – im wahren Sinne des Wortes: haarscharf – nach ihrem Orte am Himmelsgewölbe bestimmt; ihre Gesammtzahl erreicht aber, wenn man alle nach und nach im Laufe des Jahres sichtbar werdenden Theile des Sternenhimmels für unsere Gegenden zusammennimmt, bei Weitem nicht die Summe von 7000. Nimmt man jedoch ein Fernrohr zur Hand, so gestaltet sich die Sache ganz anders, denn es werden alsdann immer mehr Sterne sichtbar, je stärker das Teleskop ist, welches man benutzt. In der nebenstehenden Abbildung (Fig. 1) ist eine gewisse Stelle des Himmels dargestellt, wie sie sich dem bloßen Auge zeigt. Man erblickt zwei hellere Sterne und mehrere kleinere. Dieselbe Stelle, aber gesehen durch ein mächtiges Teleskop, zeigt die Fig. 2, und diese Abbildung ist nicht etwa auf gut Glück entworfen, sondern jedes Pünktchen bis zu den kleinsten wurde genau nach Beobachtungen am Himmel eingetragen und zwar in einer großen Sternkarte, aus der vorstehende Abbildung eine verkleinerte Kopie ist. Hier wird das Sprichwort vom „Sternengewimmel“ zur Wahrheit! Und jeder dieser Sterne bis zu den kleinsten ist ein gewaltiger Weltkörper, eine leuchtende Sonne, vergleichbar in seiner Heimath der unserigen an Glanz, Gluth und Größe! Jede dieser Sonnen wandelt seit Anbeginn ihre vorgeschriebene Bahn und spielt ihre eigenthümliche Rolle im großen Organismus des Weltalls. Solche Sternkarten sind Blätter aus dem großen Buche der Weltallsgeschichte, einem Buche, in dem zu lesen die Astronomie lehrt und in welchem auch das Ende unseres Planeten beschrieben ist auf einem Blatt, von dem schon ein gutes Theil entziffert wurde.

Fig. 2. Theil des Sternbildes der Zwillinge, gesehen mit dem Teleskop.

Leicht begreiflich ist es sonach, daß die Himmelsforscher Alles daran setzen, in den Besitz einer möglichst großen Anzahl zuverlässiger Kopien dieser Blätter einer Geschichte der Welt zu gelangen, mit anderen Worten, möglichst ausgedehnte, auch die kleinsten Lichtpünktchen des Himmels umfassende Sternkarten zu besitzen. Welche ungeheure Mühe indessen die Herstellung solcher Karten nothwendig verursacht, läßt sich denken, ja eigentlich handelt es sich hierbei um eine Aufgabe, die alle menschliche Kraft übersteigt. Die Karte, von welcher die obige Abbildung eine Kopie ist, wird auf der Sternwarte zu Paris hergestellt, und zwar arbeitet man dort schon seit vielen Jahrzehnten an der Fortführung derselben. Seit Jahren sind es die Gebrüder Paul und Prosper Henry, welche mit diesem mühevollen Unternehmen sich beschäftigen, allein trotz der großen Erfahrungen, die sie nach und nach erwarben, drohte ihrer Arbeit 1884 ein jähes Ende. Sie kamen nämlich im Verfolge ihrer Aufzeichnungen damals in die Gegend des Himmels, welche von der Milchstraße durchzogen ist. Der mild leuchtende Schein der Milchstraße wird aber bekanntlich hervorgerufen durch eine Ansammlung unzählbarer Millionen von Sternen, die in unergründlicher Tiefe hinter einander stehen. Diese Millionen Sternchen in Karten wiederzugeben erwies sich als geradezu unausführbar. Da erinnerten sich die beiden Beobachter der jüngst so vervollkommneten Photographie und beschlossen, dieselbe zu Hilfe zu nehmen. Freilich konnten sie dafür die gewöhnlichen Apparate des Photographen nicht gebrauchen, sie [129] mußten vielmehr ein besonderes photographisches Fernrohr konstruiren und diesem durch ein Uhrwerk eine so genau bemessene Bewegung ertheilen, daß die Sterne bei ihrem ununterbrochenen Laufe am Himmel doch unverrückt auf der photographischen Platte festgehalten werden. Nach vielen mühevollen Versuchen gelang das Unternehmen über alles Erwarten. Selbst die schwächsten Sterne zeichneten sich auf der Platte mit Schärfe ab, und in einer Stunde wurde auf diese Weise mehr geleistet, als bei der gewöhnlichen Art und Weise des Einzeichnens der Sterne in vielen Monaten.

Diese Resultate spornten zu weiteren Fortschritten an. Ein neues sehr großes Fernrohr wurde konstruirt und auf den Sternenhimmel gerichtet. Die Platte zeigte nunmehr Sterne bis zur 15. Größe, das heißt solche, die so lichtschwach sind, daß überhaupt nur wenige Fernrohre in Europa sie zeigen können. Um dieses Resultat zu erhalten, mußte allerdings die Platte trotz ihrer großen Lichtempfindlichkeit eine volle Stunde dem Licht jener Sterne exponirt werden. Wenn man eine solche Platte oder vielmehr ein nach einer solchen hergestelltes Kliché betrachtet, so könnte man zweifelhaft werden, ob nicht mehrere der kleinen Pünktchen zufälligen Verunreinigungen der Originalplatte zuzuschreiben seien. Solche Bedenken sind sehr gerechtfertigt, aber die Gebrüder Henry haben dieselben auf eine sehr sinnreiche Art gehoben. Sie haben nämlich die Platte, nachdem sie eine Stunde exponirt war, um einen kleinen Bruchtheil der Dicke eines Menschenhaares nach rechts verschoben und dann wiederum eine Stunde exponirt, hierauf haben sie die Platte mit dem Fernrohre um eben so viel gesenkt und zum dritten Male eine Stunde exponirt. Betrachtet man daher das Original mit einem Mikroskop, so sieht man, daß jedes wirkliche Sternchen eigentlich aus drei Pünktchen besteht, die ein kleines Dreieck bilden, wodurch jeder Zweifel, ob man es mit einer zufälligen Verunreinigung zu thun hat, gehoben ist.

Der Vorzug der photographischen Himmelsaufnahmen besteht nun nicht allein darin, daß sie viel rascher als auf dem gewöhnlichen Wege des Einzeichnens zu überaus reichhaltigen Sternkarten führt, sondern auch darin, daß sie Bilder liefert, die absolut richtig erscheinen, in denen keine zufälligen Verzeichnungen und Irrthümer enthalten sind. Auch der aufmerksamste Beobachter macht Fehler, er kann einen, kann mehrere Sterne übersehen, eine verkehrte Einzeichnung machen u. dergl.; von alledem ist die photographische Platte frei, sie ist eine Netzhaut, welche nichts versieht! Dieser Vorzug ist nicht hoch genug anzuschlagen, denn er ermöglicht, unseren Nachkommen ein absolut treues, vollkommen fehlerfreies Bild des heutigen Sternenhimmels zu hinterlassen. Der Direktor der Sternwarte zu Paris hat deßhalb den Plan angeregt, durch systematisches Zusammenwirken einer Anzahl von Observatorien der nördlichen und südlichen Erdhälfte, eine vollständige photographische Aufnahme des ganzen Himmels zu veranstalten. Es ist dies ein großartiges Projekt und es würde zu seiner Realisirung immerhin einen Zeitraum von acht oder zehn Jahren benöthigen, aber welche wichtigen Resultate müssen sich auch daran knüpfen!

Mit solchen Karten aus verschiedenen Zeiten vor sich, und bewaffnet mit dem Mikroskop und einem mikrometrischen Meßapparat, wird der Forscher der Zukunft an seinem Arbeitstische astronomische Entdeckungen machen können, die bis dahin der direkten Beobachtung in den Fernrohren der Sternwarte entgingen. Er wird in seiner Studirstube nachweisen, ob und welche Sterne gegen früher ihren Ort veränderten, ob unter dem zahllosen Heere der lichtschwächsten Sternchen der Milchstraße neue aufgetaucht oder alte verschwunden sind, kurz, eine ganz unabsehbare Perspektive von Untersuchungen und Entdeckungen bietet sich mit Hilfe solcher Karten dar. Wie vieles mag der heutigen astronomischen Wissenschaft entgehen, weil der Blick keines der lebenden Forscher zufällig auf denjenigen Punkt in den Tiefen des Himmels fällt, wo sich gerade ein wichtiges Weltereigniß abspielt!

In Zukunft wird dies anders sein. Die photographirte Karte des Himmels giebt ein genaues Bild vom Aussehen der Himmelsräume zur Zeit ihrer Aufnahme, und sie kann jederzeit, bei Tag und bei Nacht und an jedem Orte, geprüft und studirt werden. Der äußerste heut bekannte Planet, welcher die Sonne umwandelt, ist Neptun, allein manches spricht dafür, daß auch jenseit desselben noch ein oder selbst mehrere Wandelsterne vorhanden sind. Da sie sich indessen nur äußerst langsam bewegen und dabei ungemein lichtschwach sein müssen, so konnten sie bisher unter den Millionen kleinster Fixsternchen nicht herausgefunden werden. Ist aber der ganze Himmel bis herab zu den kleinsten noch sichtbaren Sternen photographisch aufgenommen und wird diese Arbeit nach einem Zeitraum von etwa zehn Jahren wiederholt, so enthalten die auf solche Art gewonnenen Karten die Lösung der Frage nach dem oder den äußersten Planeten, und man wird letztere finden müssen. Ja noch mehr. Die photographische Platte ist in der Aufnahme und Wiedergabe der kleinsten Sterne sogar dem beobachtenden Auge direkt überlegen, indem sie noch Objekte zeigt an Stellen des Himmels, wo man auch mit den kraftvollsten Ferngläsern überhaupt nichts mehr sieht.

In dieser Beziehung haben jüngst die Gebrüder Henry eine überaus merkwürdige Entdeckung gemacht. Sie richteten am 16. November ihr großes photographisches Fernrohr auf die Stelle des Himmels, welche der Stern Maja in den Plejaden einnimmt, und fanden nachher auf der Platte außer zahlreichen Sternen einen spiralförmigen Nebelfleck, der gewissermaßen von dem Stern Maja auszugehen schien. Da man an der betreffenden Stelle des Himmels auch mit den größten Teleskopen der Sternwarte zu Paris keine Spur eines solchen Nebels wahrzunehmen vermochte, so wurde am 8. December eine neue photographische Aufnahme gemacht; auch sie zeigte den Nebel, und eine dritte, die am nächsten Tage erhalten wurde, ließ ihn ebenfalls erkennen. Es kann also kein Zweifel darüber sein, daß sich in der Nähe jenes Sternes wirklich ein spiralförmiger Nebelfleck befindet, von dem das Auge direkt selbst mit Hilfe der größten Teleskope nichts wahrzunehmen vermag. Welch’ wunderbare Aussichten für die Zukunft eröffnen sich hier! Eine wahrhafte Astronomie des Unsichtbaren beginnt. Himmelskörper, die unserem unmittelbaren Anblick auf ewig ein Schleier verhüllt, treten in den Kreis der Wahrnehmbarkeit, ja, zeichnen selbst ihr Bild. Das aber ist der höchste Triumph des menschlichen Geistes, daß er im wahren Sinne des Wortes die Natur zwingt, ihm ihre Geheimnisse zu offenbaren; daß ein Lichtstrahl, der in der Tiefe des Weltraums seinen Ursprung nahm zu einer Zeit, als vielleicht noch keines Menschen Fuß die Erde betreten hatte, heute auf einer Tafel selbst Umriß und Gestalt des Weltkörpers entwirft, von dem er einst vor Myriaden von Jahren ausging! Dr. Klein.