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Die Phönizierinnen

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Autor: Euripides
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Titel: Die Phönizierinnen
Untertitel:
aus: Thalia - Zweiter Band,
Heft 8 (1789), S. 1–41
Herausgeber: Friedrich Schiller
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1789
Verlag: Georg Joachim Göschen
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Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer: Friedrich Schiller
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Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: UB Bielefeld bzw. Scans auf Commons
Kurzbeschreibung:
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[1]
Thalia.




Achtes Heft.




I.

Die Phönizierinnen.

aus dem Euripides übersezt.

Einige Scenen.




Personen:

Jokaste, des Oedipus Gemahlinn und Mutter. Königinn zu Theben.

Antigone, ihre Tochter.

Eteokles

[2]

Polynices, ihre und des Oedipus Söhne.

Hofmeister der Antigone.

Chor fremde Frauen aus Phönizien.

Die Scene ist vor dem Pallast des Oedipus zu Theben.




[3]
Erster Akt.




Erster Auftritt.

Jokaste allein
als Vorrednerinn des Stückes.

O der du wandelst zwischen den Gestirnen
des Himmels, und, auf goldnem Wagen thronend,
mit flüchtigem Gespanne Flammen von
dir strömst, erhabner Sonnengott – wie feindlich
sahst du auf Thebens Land herab, als Kadmus,
der Tyrer, seinen Fuß in diese Gegend
gesetzet! – Ihm gebahr der Venus Tochter
Harmonia den Polydor; von diesem
soll Labdakus, des Lajus Vater, stammen.
Ich bin Menöceus Tochter; meinen Bruder
nennt Kreon sich von mütterlicher Seite.
Jokaste heiß ich – also nannte mich
mein Vater – und mein Ehgemahl war Lajus.
Der gieng, als lang kein Kindersegen kam,
nach Phöbus Stadt, aus unserm Ehebette
sich einen Leibeserben zu erflehn.
Ihm ward die Antwort von dem Gott: „Beherrscher
der rossekundigen Thebaner, werde
nicht Vater wider Jovis Schluß! denn zeugst

[4]

du einen Sohn, so wird dich der Erzeugte tödten,
und wandeln muß dein ganzes Haus durch Blut.“
Doch er, von Lust und Bacchus Wuth besiegt,
ward Vater – Als ein Knabe nun erschien,
gab er, der Uebereilung jetzt zu spät
gewahr und des Orakels eingedenk,
dem Neugebohrnen, dem er durch die Solen
ein spitzig Eisen trieb, den Hirten, ihn
auf Junos Au zu werfen, die den Gipfel
Cithärons schmückt. Hier ward er von den Hirten
des Polybus gefunden, heimgetragen,
und vor die Königinn gebracht, die, meines
Gebährens Frucht an ihre Brust gelegt,
bei'm Gatten sich des Kindes Mutter rühmte.
Als er zum Jüngling nun gereift, und um
das Kinn das zarte Milchhaar angeflogen,
gieng er – sei’s aus freiwill’ger Regung, sei’s
auf fremden Wink – die Eltern zu erfragen,
nach Phöbus Stadt, wohin zu gleicher Zeit
auch Lajus, mein Gemahl, sich aufgemacht,
vom weggelegten Sohne Kundschaft zu erhalten.
Auf einem Scheideweg in Phocis stießen
sie auf einander, und der Wagenführer
des Lajus rief: Mach’ Platz dem König, Fremdling!
Doch er kroch schweigend seines Weges fort
mit hohem Geist, bis ihm der Zelter Huf
die Ferse blutig trat – da – doch wozu

[5]

noch über fremdes Unglück mich verbreiten?
Da schlug der Sohn den Vater, nahm den Wagen,
und bracht’ ihn seinem Pfleger Polybus.
Als bald darauf die räuberische Sphinx
das Land umher verwüstete, ließ Kreon
der Schwester Hand, die jetzt verwittwet war,
durch öffentlichen Heroldsruf dem zur
Belohnung biethen, der die Räthselfrage
der weisen Jungfrau lösen würde. Das
Verhängniß fügt’s, daß Oedipus, mein Sohn,
das Räthsel lös’t, worauf er König ward,
und dieses Landes Scepter ihn belohnte.
Unwissend freit’ der Unglückselige
die Mutter; auch die Mutter wußte nicht,
daß sie den eignen Sohn umfieng. So gab
ich Kinder meinem Kind, zwei Knaben erst,
den Eteokles und den herrlichen
Polynices – zwei Töchter dann, die jüngste
Ismene von Ihm selbst, die älteste
vom Mir Antigone genannt. Doch als
der Unglückselige sich endlich nun
als seiner Mutter Ehgemahl erkannte,
und aller Jammer stürmend auf ihn drang,
stach der Verzweiflungsvolle mörderisch
mit goldnem Haken sich die blutenden
Augapfel aus – Indessen bräunte sich
der Söhne Wange; diesen Unfall dem

[6]

Gerüchte zu verbergen – viele Kunst
braucht’ es, dem Aug’ der Welt ihn zu entziehn –
verschlossen sie den Vater im Pallaste.
Hier lebt er noch, doch wund von der erlitt’nen
Mißhandlung hört man grauenvolle Flüche
ihn auf der Söhne Haupt herunterfluchen,
daß Lajus ganzes königliches Haus
durch ihres Schwertes Schärfe fallen möge.
Und dieses schweren Fluchs Erfüllung nun,
wenn sie beisammen wohnen blieben, nicht
herbeizurufen, schlossen unter sich
die Brüder den Vertrag, daß sich der Jüng’re
freiwillig aus dem Reich verbannen sollte,
indeß der Aeltere des Throns genöße,
und beide so von Jahr zu Jahre wechselnd.
Doch Eteokles, mächtig nun des Throns,
verschmäht herabzusteigen, und verstößt
Polynicen gewaltsam aus dem Lande.
Der flieht nach Argos, wo Adrastus ihn
zum Eidam sich erwählt, und um ihn her
ein mächtig Heer versammelt. Dieses führt
er gegen Thebens sieben Thore nun
heran, des Vaters Reich zurückefordernd,
und seinen Antheil an dem Königsthron.
Nun hab’ ich, beide Brüder zu versöhnen,
Polynicen vermocht, auf Treu und Glauben
sich bei dem Bruder friedlich einzufinden,

[7]

eh’ sie im Treffen feindlich sich vermengen.
Er werde kommen, meldet mir der Bote.
Sei du nun unser Retter, Zeus, der über
des Himmels strahlenvollen Kreisen wohnt,
und sende meinen Kindern die Versöhnung.
Wenn du ein weises Wesen bist, nicht immer
kannst du denselben Menschen elend sehn!
(sie geht ab.)


Zweiter Auftritt.

Der Hofmeister. Antigone noch nicht gleich sichtbar.

Hofmeister
(spricht in’s Haus hinein und erscheint auf dem Giebel.)
Weil dir die Mutter auf dein Bitten denn
vergönnen will, Antigone, aus deinem
Gemach zu gehen, und das Argiverheer
vom Söller des Pallastes zu beschauen,
so warte hier, bis ich den Weg erkundet,
damit der Bürger keiner uns begegne,
und nicht verläumderischer Tadel mich,
den Knecht, und dich, die Fürstentochter, treffe.
Hab’ ich erst rings mich umgesehn, alsdann
erzähl’ ich dir, was ich im Lager sah
und von den Feinden mir erklären lassen,

[8]

als ich den wechselseitigen Vertrag
der beiden Brüder hin und wieder trug.
(nachdem er umhergesehen.)
     Es nähert weit und breit sich niemand. Steig
die alten Zedernstuffen nur herauf,
und schau und sieh, was für ein Heer von Feinden
in den Gefilden längs dem Quell der Dirce
verbreitet liegt und längs dem Laufe des
Ismen!

Antigone
(noch hinter der Scene.)
 So komm und reiche meiner Jugend
die Manneshand und hilf mir auf die Stuffen.

Hofmeister
(ihr den Arm reichend.)
Da Jungfrau! Halte dich nur fest – Sieh! Eben
zu rechter Zeit bist du heraufgestiegen.
Das Heer kommt in Bewegung und die Haufen
zertrennen sich.

Antigone.
(zurückfahrend.)
 Ha! Tochter der Latona!
Ehrwürd’ge Hekate! – Ein Blitz ist
das ganze eherne Gefilde!

[9]

Hofmeister.
Ja, nicht verächtlich rückte gegen Theben
Polynices herauf. Mit Rossen ohne Zahl
braus’t er heran, und vielen tausend Schilden.

Antigone.
Es sind mit Schlössern doch und ehrnen Riegeln
die Pforten und die Werke Amphions,
die Mauren, wohl verwahrt?

Hofmeister.
 Sei außer Sorgen.
Von innen ist die Stadt verwahrt – Doch sieh
den Führer da, wenn du ihn kennen willst.

Antigone.
Der dort mit blankem Helme vor dem Heer
einherzieht und den ehrnen Schild so leicht
im Arme schwenkt – Wer ist’s?

Hofmeister.
 Das ist ein Führer,
Gebietherinn!

Antigone.
 Wer ist er? Woher stammt er?
Wie nennt er sich? O sage mir das, Greis.


[10]

Hofmeister.
Mycenischen Geschlechts ist er und wohnt
an Lernas Teiche, Fürst Hippomedon.

Antigone.
Wie trotzig – und wie schreckhaft anzusehn!
Den Erdgebohrenen Giganten gleich,
nicht wie ein Sterblicher tritt er einher,
gleich einem Stern in seiner Rüstung leuchtend!

Hofmeister.
Siehst du jezt den, der über das Gewässer
der Dirce setzt?

Antigone.
 Ganz andre Waffen sind
das wieder! Sage mir, wer ist’s?

Hofmeister.
 Das ist
der Führer Tydeus, König Oeneus Sohn.
Dem schlägt der kalidon’sche Mars im Busen.

Antigone.
Ist’s der, der von der Gattinn meines Bruders
die Schwester ehlichte? Wie fremd von Rüstung!
Halb Grieche scheint er mir und halb Barbar!


[11]

Hofmeister.
Mein Kind! So starke Schilde führen alle
Etolier, und auf den Lanzenwurf
verstehen sie sich treflich.

Antigone.
 Aber wie
kannst du dieß alles so genau mir sagen?

Hofmeister.
Weil ich der Schilde Zeichen mir gemerkt,
als ich den Stillstand in das Lager brachte,
so kenn’ ich die nun, die die Schilde führen.

Antigone.
Wer ist denn jener Langgelockte dort
an Cethus Grabmal, schreckhaft anzuschauen,
doch noch ein Jüngling an Gestalt?

Hofmeister.
 Ein Führer.

Antigone.
Was für ein Haufen von Bewaffneten
sich um ihn drängt!

Hofmeister.
 Es ist Parthenopäus,
der Atalanta Sohn.


[12]

Antigone.
 Daß ihn Dianens
Geschoß, die jagend durch Gebirg und Wald
mit seiner Mutter schweift, verderben möge,
der meine Heimat zu verwüsten kam!

Hofmeister.
Das gebe Zeus und alle Himmlischen!
Doch keine schlimme Sache führte die
herauf – drum fürcht’ ich sehr, es werden
die Götter nach Gerechtigkeit verhängen!

Antigone.
Wo aber, wo entdeck’ ich den, den das
unsel’ge Schicksal mir zum Bruder gab?
O Liebster! Zeige mir ihn – zeige mir
Polynicen!

Hofmeister.
 Der dort nicht weit vom Grabmal
der sieben Töchter Niobens, zunächst
an dem Adrastus, steht – erkennst du ihn?

Antigone.
Ja. Ja. Ich sehe – doch recht deutlich nicht –
so was, das ihm von ferne gleicht – so etwa,
wie Er die Brust zu tragen pflegt! – o könnt’ ich
der schnellen Wolke Flug mit diesen Füßen
zu meinem Bruder durch die Lüfte fliegen,

[13]

die Arme schlingen um den liebsten Hals
des armen Flüchtlings, ach! des lang’ entbehrten!
O sieh doch! Wie die Morgensonne, blitzt
der Herrliche in seiner goldnen Rüstung!

Hofmeister.
Und freue dich! Gleich steht er selbst vor dir!

Antigone.
Wer ist denn der, der dort mit eignen Händen
den weißen Wagen lenkt?

Hofmeister.
 Das ist der Seher
Amphiaraus, Königinn. Du siehst,
er führt die Opferthiere mit sich, die
mit ihrem Blut die Erde tränken sollen.

Antigone.
O Luna! Licht im goldnen Kreise! Tochter
der Sonne, die im Sternengürtel glänzt!
Wie ruhig, wie geschickt er seine Zelter
im Zügel hält und herrschet auf dem Wagen!
Wo aber ist der Trotzige, der gegen
die Stadt so kühner Drohung sich verwogen?
Wo ist Kapaneus?

Hofmeister.
 Dort mißt er die Höh’
und Tiefe unsrer Mauren und erspäht
sich einen Zugang zu den sieben Thürmen.


[14]

Antigone.
O Nemesis und ihr hohlbrausende
Gewitter Jovis und du loher Strahl
des Nachtumgebnen Blitzes! Zähmet ihr
den Trotz, der über Menschheit sich versteiget!
Das ist der Mann, der Thebens Töchter mit
dem Schwert gefangen nach Mycene führen,
und an dem Quell der Lerna in die Knechtschaft
herunterstürzen will – Nein! Tochter Zeus!
Goldlockigte Diana! Heilige!
Knechtschaft laß nie und nimmer mich erfahren!

Hofmeister.
Was du zu sehn verlangtest, hast du nun
gesehn, und deinen Wunsch gestillt. Komm jezt
in’s Haus zurück, mein Kind, in deinem Frauen-
gemach dich still und sittsam einzuschließen.
Der Aufruhr, siehst du, führt dort eine Schar
von Weibern zu der Königsburg heran –
Und Weiber schmähen gern’! Je seltner sie
zum Plaudern kommen, desto emsiger
wird die Gelegenheit benuzt. Es muß,
ich weiß nicht welche Wollust für sie seyn,
einander nichts gesundes vorzuschwatzen.
(sie gehen ab.)




[15]
Zweiter Akt.




Erster Auftritt.

Polynices kommt.
Hier wär’ ich. Durch die Thore haben mich
die Wacher ohne Schwierigkeit gelassen.
Dieß könnte mir verdächtig seyn – – Nun sie
in ihrem Netz mich einmal haben, dürfte
wohl ohne Blut kein Rückweg für mich seyn.
Ob nicht ein Fallstrick irgendwo hier laure,
muß ich die Augen aller Orten haben.
Doch dieses Schwert sei meine Sicherheit!
(er fährt zusammen.)
Horch! Wer ist da? – Wahrhaftig! Ein Geräusch
sezt mich in Furcht! Auch dem Beherztesten
dünkt alles grauenvoll, wenn er den Fuß
in Feindes Land gesezt! – Der Mutter trau’ ich
und trau’ ihr wieder nicht, die nach beschwornem
Vertrag hieher zu kommen mich beredet.
Doch in der Nähe hier ist Schutz. Altäre
der Götter stehen da, und auch nicht ganz
verlassen sind die Häuser. Gut. Ich will
das Schwert der finstern Scheide wieder geben,
und wer die sind, die bei der Königsburg
dort stehen, mich erkunden.
(er geht auf den Chor zu.)


[16]
Zweiter Auftritt.

Polynices. Chor.
Polynices.
 Fremde Frauen,
sagt an, aus welcher Heimat kommet ihr
hieher zu diesen Wohnungen der Griechen?

Chor.
Phönizien hat mich gezeugt. Mich sandten,
als ihrer Siege Erstlinge, dem Phöbus
die Enkel Agenors – und eben wollte
des Oedipus glorreicher Sohn zum hehren
Orakel und zum Heiligthum des Gottes
mich senden, da umzingelte der Feind
die Stadt – Laß du nun auch mich hören, wer
Du seist, und was nach Thebens Veste dich,
der Siebenthürmenden, geführt?

Polynices.
 Mein Vater
ist Oedipus, des Lajus Sohn. Jokaste
gebahr mich, des Menöceus edle Tochter,
Polynices nennt mich das Volk zu Theben.

Chor.
O theurer Zweig von Agenors Geschlechte,
Verwandter meiner Könige, derselben,

[17]

die mich hieher gesendet – o laß mich
nach meines Landes Weise knieend dich
begrüßen, Fürst! So bist du endlich wieder
gekommen! Nach so langer Trennung wieder
gekommen in dein heimisch’ Land!
(er ruft hinein.)
 Hervor!
Hervor Gebietherinn! Thu’ auf die Thore!
Hörst du ihn nicht, den du gebahrst! Was säumst du
die hochgewölbten Zimmer zu durcheilen
und in des Sohnes Arme dich zu werfen?


Dritter Auftritt.

Jokaste zu den Vorigen.

Jokaste.
Jungfrauen, eure tyr’sche Stimme hab’
ich in dem Innern des Pallasts vernommen,
und wanke nun mit Alterschwerem Tritt
zu euch heraus.
(Sie erblickt den Polynices.)
 Mein Sohn! Mein Sohn! So seh’
ich endlich nach so vielen tausend Tagen
dein liebes Auge wieder! O umschlinge
mit deinem Arm die mütterliche Brust!
Laß die geliebten Wangen mich berühren!

[18]

Laß, mit der Mutter Silberhaar vermengt,
die braunen Locken diesen Hals beschatten!
O Freude! Freude! Nimmer glaubt’ ich, nimmer
hoft’ ich, in diese Arme dich zu schließen.
Was soll ich alles dir doch sagen? Wie
das mannichfaltige Entzücken mit
Gebärden, Worten, Händen von mir geben,
jezt, da jezt dort die irren Blicke weidend,
die Lust vergang’ner Jahre wieder kosten?
O lieber Sohn, wie öde ließest du
das väterliche Haus zurück, als dich
des Bruders Trotz in’s Elend ausgestoßen.
Wie haben deine Freunde sich nach dir
gesehnt! Wie hat ganz Thebe sich nach dir
gesehnt! Mein Sohn, von diesem Tag’ an schnitt'
ich Jammernde die Locken mir vom Haupte,
seit diesem Tage schmückt kein weißes Kleid
die Glieder mehr, nur dieses nächtliche
Gewand, das du hier siehst, hat mich bekleidet.
Mit thränenvoller Sehnsucht schmachtete
indeß, des Augenlichts beraubt, der Greis
hier in der Burg nach seinen Söhnen, die
von seinem Hause wilde Zwietracht riß,
schon zückt’ er gegen sich das Schwert, den Tod
mit eignen Händen sich bereitend, knüpfte
sich zu erwürgen schon an hohem Pfosten
die Seile, gegen dich und deinen Bruder

[19]

in heulende Verwünschungen ergossen.
So halten wir den Ewigjammernden
im Dunkel hier verborgen. Du, mein Sohn,
hast unterdeß im Ausland, wie sie sagen,
des Hochzeitbettes Freuden dir bereitet,
hast – o welch harter Schlag für deine Mutter
und welcher Schimpf für Lajus, deinen Ahnherrn!
hast Fremde zu den Deinigen gemacht,
und fremden Fluch an unser Haus gekettet.
Ich hatte dir die Hochzeitfackel ja
nicht angezündet, wie es sittlich ist
und recht, und wie’s beglückten Müttern ziemet,
und der Ismen gab dir die Welle nicht
zum hochzeitlichen Bad, kein Freudenton
begrüßte deine Braut in Thebens Thoren!
Verwünscht sei’n alle Plagen, die das Haus
des Oedipus, sei’s durch der Söhne Schwert
und Zwietracht, sei’s um seiner Sünde willen,
sei’s durch des Schicksals blinden Schluß, bestürmen.
Auf meinem Haupte schlagen sie zusammen.

Chor.
Hart sind die Wehen der Gebährerinn,
drum lieben alle Mütter so die Kinder!

Polynices.
Hier bin ich mitten unter Feinden, Mutter.
Hab’ ich mir gut gerathen oder schlimm?

[20]

ich weiß es nicht – Doch hier ist keine Wahl,
zum Vaterland fühlt jeder sich gezogen.
Wer anders redet, Mutter, spielt mit Worten,
und nach der Heimat stehen die Gedanken.
Doch von geheimer Furcht gewarnt, daß nicht
der Bruder hinterlistig mich erwürge,
hab’ ich die Straßen mit entblößtem Schwert,
und scharf herumgeworfnem Blick durchzogen.
Eins ist mein Trost, der Friedenseid und dein
gegebnes Wort. Voll Zuversicht auf dieß
vertraut’ ich mich den vaterländ’schen Mauren.
Nicht ohne Weinen, Mutter, kam ich her,
als ich die alte Königsburg und die
Altäre meiner Götter, und die Schule,
wo meine Jugend sich im Waffenspiel
geübt, und Dircens wohlbekannte Wasser
nach langer, langer Trennung wieder sah!
Ganz wider Billigkeit und Recht ward ich
aus diesen Gegenden verbannt, gezwungen
mein Leben in der Fremde zu verweinen.
Nun seh’ ich auch noch dich, geliebte Mutter,
auch dich voll Kummers, mit beschornem Haupte,
in diesem Trau’rgewande – Ach, wie elend
bin ich! Wie unglückbringend, liebe Mutter,
ist Feindschaft zwischen Brüdern, und wie schwer
hält die Versöhnung! – Aber wie ergeht’s
dem alten blinden Vater hier im Hause?

[21]

Wie meinen beiden Schwestern? Weinen sie
um ihren Bruder, der im Elend irret?

Jokaste.
Ach, irgend ein Unsterblicher ist gegen
das Haus des Oedipus entbrannt! Erst ward
ich Mutter, die nicht Mutter werden sollte,
drauf ehlichte zur unglücksel’gen Stunde
dein Vater Lajus mich und dann wardst du!
Doch wozu dieses? – Tragen muß der Mensch,
was ihm die Götter senden – Sieh! Ich möchte
gern ein’ge Fragen an dich thun, wenn ich
nicht fürchtete, dich zu betrüben.

Polynices.
 Thu’
es immer. Halte nichts vor mir zurück.
Was Du willst, macht mir allemal Vergnügen.

Jokaste.
Was ich zuerst also gern’ wissen möchte –
Sag – ist’s denn wirklich ein so großes Uebel,
des Vaterlands beraubet seyn?

Polynices.
 Das Größte,
und größer in der That, als Worte es
beschreiben.


[22]

Jokaste.
 Und wodurch denn eigentlich?
Was ist so hartes denn an der Verweisung?

Polynices.
Das Schrecklichste ist das: der Flüchtling darf
nicht reden, wie er gerne möchte.

Jokaste.
Was du mir sagst, ist eines Sklaven Loos;
nicht reden dürfen, wie man’s meint!

Polynices.
 Er muß
den Aberwitz der Mächtigen ertragen.

Jokaste.
Ein Thor seyn müssen mit den Thörigten,
auch das fällt hart!

Polynices.
 Und dennoch muß er ihnen,
so sehr sein Inn’res sich dagegen sträubt,
um seines Vortheils willen sklavisch dienen.

Jokaste.
Doch Hofnung, sagt man, stärke den Verbannten.

Polynices.
Sie lacht ihm freundlich, doch von weitem nur.


[23]

Jokaste.
Und lehrt die Zeit nicht, daß sie eitel war?

Polynices.
Ach, eine holde Venus spielt um sie!

Jokaste.
Doch wovon lebtest du, eh’ deine Heurath
dir Unterhalt verschaffte?

Polynices.
 Manchmal hatt’ ich
auf einen Tag zu leben, manchmal nicht.

Jokaste.
Nahm denn kein alter Gastfreund deines Vaters,
kein andrer Freund sich deiner an?

Polynices.
 Sei glücklich!
Mit Freunden ist’s vorbei in schlimmen Tagen.

Jokaste.
Auch deine Herkunft half dir nicht empor?

Polynices.
Ach Mutter! Mangel ist ein hartes Loos!
Mein Adel machte mich nicht satt.


[24]

Jokaste.
 Die Heimat
ist also wohl das Theuerste, was Menschen
besitzen!

Polynices.
 O, und theurer als die Zunge
aussprechen kann!

Jokaste.
 Wie kamst du denn nach Argos?
Was für ein Vorsatz führte dich dahin?

Polynices.
Adrasten ward von Phöbus das Orakel:
ein Eber und ein Löwe würden seine
Eidame werden.

Jokaste.
 Sonderbar! Was heißt das?
Wie konntest du mit einem dieser Nahmen
gemeinet seyn?

Polynices.
 Das weiß ich selbst nicht, Mutter.
Das Schicksal hatte mir dieß Glück beschieden.

Jokaste.
Voll Weisheit sind des Schicksals Fügungen!
Wie aber brachtest du’s bis zur Vermählung?


[25]

Polynices.
 Es
war Nacht. Ich kam zur Halle des Adrast –

Jokaste.
Flüchtlingen gleich, ein Obdach da zu finden?

Polynices.
Das war mein Vorsatz. Bald nach mir kam noch
ein andrer Flüchtling.

Jokaste.
 Wer war dieser Andre?
Auch ein Unglücklicher, wie du?

Polynices.
 Er nannte
sich Tydeus, Oeneus Sohn.

Jokaste.
 Wie aber konnte
Adrast mit wilden Thieren euch vergleichen?

Polynices.
Weil wir um’s Lager handgemein geworden.

Jokaste.
Und darin fand der Sohn des Talaus
den Aufschluß des Orakels?


[26]

Polynices.
 Jedem von uns
ward seiner Töchter eine zur Gemahlinn.

Jokaste.
Und diese Ehe – schlug sie glücklich aus?

Polynices.
Bis diesen Tag hab’ ich sie nicht bereuet.

Jokaste.
Wodurch bewogst du aber die Argiver,
mit dir herauf zu ziehn?

Polynices.
 Adrastus schwor
es mir und diesem Tydeus zu, der jezt
mein Bruder ist, jedweden Eidam in
sein vaterländisch Reich zurückzuführen,
und mich zuerst. Es sind der argischen
und griech’schen Fürsten viel im Heer, mir diesen
nothwendigen, doch traur’gen Dienst zu leisten;
denn wider meine Heimat führ’ ich sie
herauf. Doch die Unsterblichen sind Zeugen,
wie ungern’ ich die Waffen gegen meine
Geliebtesten ergriff. Dir, Mutter, kommt es
nun zu, den thränenvollen Zwist zu heben,
zwei gleich geliebte Brüder zu versöhnen,

[27]

und dir und mir und unserm Vaterland
viel Drangsal, viele Leiden zu ersparen.
Es ist ein altes Wort, doch bring’ ich’s wieder:
Die Ehre wohnt bei’m Reichthum. Reichthum übt
die größte Herrschaft über Menschenseelen.
Ihn zu erlangen, komm’ ich an der Spitze
so vieler Tausende. Der Arme, sei
er noch so groß gebohren, gilt für nichts.

Chor.
Sieh! Eben naht sich Eteokles selbst
zur Friedenshandlung. Königinn, nun ist’s an dir
der Ueberredung kräft’ges Wort zu führen,
das deine Kinder zur Versöhnung neige.


Vierter Auftritt.

Eteokles zu den Vorigen.

Eteokles.
Da bin ich Mutter. Dir zu lieb’ erschein ich.
Was soll ich hier? Man lasse hören. Eben
hab’ ich mein Volk und meine Wagen vor den Mauren
in Schlachtordnung gestellt – noch hielt ich sie
zurück, das Wort des Friedens erst zu hören,
um dessentwillen dem vergönnet ward,
mit sicherem Geleit’ hier zu erscheinen.


[28]

Jokaste.
Gelaß’ner. Uebereilung thut nicht gut,
Bedachtsamkeit macht alle Dinge besser.
Nicht diesen finstern Blick! Nicht dieses Schnauben
verhaltner Wuth! Es ist kein abgerißnes
Medusenhaupt, was du betrachten sollst,
dein Bruder ist’s, der zu dir kam – Auch du,
Polynices, gönn’ ihm dein Angesicht;
weit besser spricht sich’s, weit eindringender,
wenn deine Blicke seinem Blick begegnen,
weit besser wirst du ihn verstehn. Hört Kinder!
Ich will euch eine kluge Lehre geben.
Wenn Freunde, die einander zürnen, sich
von Angesicht zu Angesicht nun wieder
zusammen finden, seht, so müssen sie,
uneingedenk jedweder vorigen
Beleidigung, sich einzig dessen nur,
weßwegen sie beisammen sind, erinnern!
(Zu Polynices.)
     Du hast das erste Wort, mein Sohn. Weil dir
Gewalt geschehen, wie du sagst, bist du
mit dem Argiverheer heraufgezogen.
Und möchte einer der Unsterblichen
nun Schiedsmann seyn, und eure Zwietracht tilgen!

Polynices.
Wahrheit liebt Einfalt. Die gerechte Sache
hat künstlich schlauer Wendung nicht vonnöthen.

[29]

Sie selbst ist ihre Schutzwehr. Nur die schlimme,
siech in sich selbst, braucht die Arznei des Witzes.
Weil ich es gut mit ihm und mir und mit
dem Vaterland gemeint, verbannt’ ich mich,
den Flüchen zu entgehen, die der Greis
auf uns gewälzt, freiwillig aus dem Reiche,
ließ ihm den Thron, den er nach Jahresfrist
abwechselnd mich besteigen lassen sollte,
noch damals weit entfernt, mit Blut und Mord
zurückzukehren, Böses zuzufügen,
und Böses zu empfangen. Ihm gefiel
die Auskunft, er beschwor sie bei den Göttern,
nun hält er nichts von allem, was er schwor,
und fähret fort, den Thron und meinen Theil
am väterlichen Reich sich zuzueignen.
Doch selbst noch jezt bin ich bereit – gibt man
was mein ist, mir zurück – der Griechen Heer
aus diesem Land’ in Frieden wegzuführen,
mein Jahr, wie es mir zukommt, zu regieren,
und ihm ein Gleiches wieder zu gestatten.
So bleibt mein Vaterland von Drangsal frei,
und keine Leiter naht sich diesen Thürmen.
Verschmäht man das – nun! So entscheide denn
das Schwert! Doch meine Zeugen sind die Götter,
wie billig ich es meinte, und wie höchst
unbillig man der Heimat mich beraubet!
Das ist es, Mutter, Wort für Wort, was ich

[30]

zu sagen habe, kurz und ungeschraubt,
doch klar und überzeugend, wie mir däucht,
dem schwachen Kopf, wie dem Verständigsten!

Chor.
Ich finde diese Rede voll Verstand,
wiewohl mich Griechenland nicht auferzogen.

Eteokles.
Ja wenn, was Einem schön und löblich dünkt,
auch jedem andern schön und löblich dünkte,
kein Streit noch Zwist entzweihte denn die Welt!
So aber sind’s die Nahmen nur, worüber
man sich versteht; in Sachen denkt man anders.
Sieh, Mutter! Zu den Sternen dort – ich sag’
es ohne Scheu – dort, wo der Tag anbricht,
stieg ich hinauf, vermöchten’s Menschenkräfte,
und in der Erde Tiefen taucht’ ich unter,
die höchste der Göttinnen, die Gewalt,
mir zu erringen! Mutter, und dieß Gut
sollt’ ich in andern Händen lieber sehn,
als in den meinigen? Der ist kein Mann,
der, sich des Größern entäußernd, an
dem Kleinern sich genügen läßt – Und wie
erniedrigend für mich, wenn dieser da
mit Feu’r und Schwert, was er nur will, von mir
ertrotzen könnte! Wie beschimpfend selbst

[31]

für Theben, wenn die Speere der Argiver
das Scepter mir abängstigten! Nein, Mutter!
Nein! Nicht die Waffen in der Hand, hätt’ er
von Frieden sprechen sollen! Was ein Schwert
ausrichten mag, thut auch ein Wort der Güte.
Will er im Lande sonst sich niederlassen?
Recht gern! Doch König wird er nicht! So lange
ich es zu hindern habe, nicht! – Ihm dienen,
da ich sein Herr seyn kann? – Nur zu! Er rücke
mit Schwert und Feuer auf mich an, er decke
mit Rossen und mit Wagen das Gefilde!
Mein König wird er niemals! Nie und nimmer!
Muß Unrecht seyn, so sei’s um eine Krone,
in allem andern sei man tugendhaft.[1]

Chor.
Zu schlimmer That schön reden ist nicht gut.
Das heißt Gerechtigkeit und Tugend höhnen.

Jokaste.
Mein Sohn! Mein Eteokles! Alles ist
nicht schlimm am Alter. Die Erfahrung krönt’s

[32]

mit mancher Weisheit, die der Jugend mangelt.
Warum von der Göttinnen schlimmster, von
der Ehrbegierde dich beherrschen lassen?
O meide die Abscheuliche! In manch
glückselig Haus, in manch glückselig Land
schlich sie sich ein, doch wo man sie empfieng,
zog sie nie anders aus, als mit Verderben.
Sieh, und nach dieser rasest du! Wie viel
vortreflicher ist Gleichheit! Gleichheit knüpft
den Bundsverwandten mit dem Bundsverwandten,
den Freund zusammen mit dem Freund, und Länder
mit Ländern! Gleichheit ist das heilige Gesetz
der Menschheit. Dem Vermögenderen lebt
ein ew’ger Gegner in dem Aermern, stets
bereit, ihn zu bekriegen. Gleichheit gab
den Menschen Maaß, Gewicht und Zahl. Das Licht
der Sonne und die strahlenlose Nacht
läßt sie in gleichem Zirkelgange wechseln –
und, keines neidisch auf des andern Sieg,
wetteifern beide nur, der Welt zu dienen.
Und dich befriedigt nicht der gleiche Theil
am Throne, du mißgönnst ihm auch den seinen?
Ist das gerecht, mein Sohn? Was ist so großes
denn an der Macht, der glücklichen Gewaltthat,
daß du so übermäßig sie vergötterst?
Der Menschen Augen auf sich ziehn? Ist das
das Herrliche? Das ist ja nichts! Bei vielen

[33]

Besitzungen viel Müh’ und Angst empfinden?
Denn was ist Ueberfluß? Sprich selbst. Ein Nahme!
Just haben, was er braucht, genügt dem Weisen.
Und Schätze sind kein Eigenthum des Menschen,
der Mensch verwaltet nur, was ihm die Götter
verliehn, und, wenn sie wollen, wieder nehmen.
Ein Tag macht den Begüterten zum Bettler.
Nun laß ich unter Zweien dir die Wahl.
Was willst du lieber? Deine Vaterstadt
erhalten oder herrschen? – Du willst herrschen!
Wie aber, wenn der Sieger wird, und seiner
Argiver Scharen deine Heere schlagen,
willst du dann Zeuge seyn, wie Thebens Stadt
zu Grunde stürzet, seine Jungfrauen,
ein Raub des Siegers, in die Knechtschaft wandern?
Ehrgeitziger, das leg’ ich dir an’s Herz,
so theu’r muß Thebe deinen Golddurst zahlen!
(sich zu Polynices wendend)
Und du, mein Sohn Polynices – dir hat
Adrastus einen unverständ’gen Dienst
erzeigt und von dir selbst ist’s unverständig,
dein Vaterland mit Krieg zu überziehn!
Gesezt (wofür die Götter uns bewahren!)
du unterwärfest dir die Stadt, was für
Trophäen willst du deinem Sieg errichten?
Mit welchen Opfern den Unsterblichen
für deines Vaterlandes Umsturz danken?

[34]

Mit welcher Aufschrift die gemachte Beute
am Inachus aufstellen? „Diese Schilde
weiht nach Einäscherung der Vaterstadt
Polynices den Göttern?“ – Das verhüte
der Himmel, mein geliebter Sohn, daß je
ein solcher Ruhm dich bei den Griechen preise!
Wirst du besiegt, und krönet den das Glück,
sag’ an, mit welcher Stirne willst du dich,
nach so viel tausend hier gelaßnen Todten,
in Argos sehen lassen, wo man deinem
Adrast entgegen schreien wird: „Verfluchtes
Ehebündniß, das du stiftetest! Um einer
Vermählten willen muß dein Volk verderben!“
So rennst du in die doppelte Gefahr,
den Preis sowohl, um den du kämpfen willst,
als der Argiver Beistand zu verlieren.
O zähmet, Kinder, dieß unbänd’ge Feuer!
Kann wohl was ungereimter seyn, als zwei
Unsinnige, die um dasselbe buhlen!

Chor.
O wendet Götter dieses Unheil ab,
und stiftet Frieden unter Oedips Kindern!

Eteokles
(aufbrechend.)
Mit Worten wird hier nichts entschieden, Mutter,
die Zeit geht ungenüzt vorbei und dein

[35]

Bemühen, siehst du, ist umsonst – Ich Herr
von diesem Land’, sonst kein Gedank’ an Frieden!
Verschone mich mit längerer Ermahnung!
(zu Polynices)
Du, räume Theben oder stirb!

Polynices.
 Durch wen?
Wer ist der Unverlezliche, der mich
mit mörderischem Stahl anfallen darf,
und nicht von meinen Händen gleiches fürchtet?

Eteokles.
Er steht vor deinen Augen. Siehst du hier?
(er streckt seinen Arm aus.)

Polynices.
Ich sehe – doch der Ueberfluß ist feig,
und eine böse Sache liebt das Leben.

Eteokles.
Drum rücktest du mit so viel Tausenden
herauf? Um eine Memme zu bekriegen!

Polynices.
Weil kluge Vorsicht mehr als toller Muth
den Feldherrn ziert.

Eteokles.
 Wie übermüthig! Dank’
es dem Vertrag, der dir das Leben fristet.


[36]

Polynices.
Noch einmal fordr’ ich mein ererbtes Reich
und meinen Thron von dir zurück.

Eteokles.
 Es ist
hier nichts zurückzufordern. Ich bewohne
mein Haus, und fahre fort es zu bewohnen.

Polynices.
Wie? Mehr als deines Antheils ist?

Eteokles.
 So sagt’ ich.
Und nun brich auf.

Polynices.
 O ihr Altäre meiner Heimat!

Eteokles.
Die du zu schleifen kamst.

Polynices.
 O höret mich!

Eteokles.
Dich hören, der sein Vaterland bekrieget!

Polynices.
Ihr Tempel meiner heim’schen Götter!


[37]

Eteokles.
 Sie
verwerfen dich.

Polynices.
 Man treibt mich aus der Heimat!

Eteokles.
Weil du gekommen bist, sie zu verheeren.

Polynices.
Höchst ungerecht verstößt man mich, ihr Götter!

Eteokles.
Hier nicht, in deinem Argos ruf’ sie an!

Polynices.
Ruchloser!

Eteokles.
 Doch kein Feind des Vaterlandes
wie du!

Polynices.
 Gewaltsam treibst du mich hinaus!
Gewaltsam raubst du mir mein Erbe!

Eteokles.
Und auch das Leben hoff’ ich dir zu rauben.


[38]

Polynices.
O hörst du, was ich leiden muß, mein Vater?

Eteokles.
Er hört auch wie du handelst.

Polynices.
 Und du, Mutter?

Eteokles.
Du hast’s verscherzt, der Mutter heilig Haupt
zu nennen.

Polynices.
 Vaterstadt!

Eteokles.
 Geh in dein Argos
und bethe zu der Lerna Strom!

Polynices.
 Ich gehe.
Sei unbesorgt – Dir tausend, tausend Dank,
geliebte Mutter –

Eteokles.
 Geh von hinnen, sag’ ich.

Polynices.
Ich gehe. Meinen Vater nur vergönne
mir noch zu sehen.


[39]

Eteokles.
 Nichts.

Polynices.
 Die Schwestern doch?
Die zarten Schwestern!

Eteokles.
 Nie und nimmermehr!

Polynices.
O meine Schwestern!

Eteokles.
 Du erfrechest dich,
ihr ärgster Feind, bei’m Nahmen sie zu rufen?

Polynices.
Leb’ froh und glücklich Mutter.

Jokaste.
 Froh mein Sohn?
Sind’s etwa frohe Dinge, die ich leide?

Polynices.
Dein Sohn? – Ich bin es nicht mehr!

Jokaste.
 O ihr Götter!
Zu schwerem Drangsal spartet ihr mich auf!


[40]

Polynices.
Du hast gehört, wie grausam er mich kränkte!

Eteokles.
Du hörst und siehst, wie reichlich er’s vergalt!

Polynices.
Wo wird dein Posten seyn vor diesen Thürmen?

Eteokles.
Was fragst du dieses?

Polynices.
 Weil ich im Gefechte
dir gegenüber stehen will.[2]

Eteokles.
 Den Wunsch
nahmst du aus meiner Seele.

Jokaste.
 O ich Arme!
O meine Kinder! meine Kinder! Was
beginnet ihr?

Eteokles.
Die That wird’s lehren!


[41]

Jokaste.
 Fürchtet
ihr eures Vaters Furien nicht mehr?

Polynices [3]
Sei’s drum! Des Lajus ganzes Haus verderbe!


Anmerkungen:

  1. Nam si violandum est jus, regnandi gratia violandum est; in aliis rebus pietatem colas, Cic. Offic. L. III. Cap. 21. Capitalis Eteocles, vel potius Euripides, setzt er hinzu, quid unum, quod omnium sceleratissimum fuerat, exceperis. Es ist immer zu verwundern, daß diese ganze starke Rede des Eteokles, wenn gleich der Chor sie nachher tadelt, auf einem griechischen Theater hat gesagt werden dürfen.
  2. Pour m’y trouver et t’y percer le coeur. Brumoy.
  3. Andre Ausleger geben diese Rede dem Eteokles, weil sie ihnen dem sanftern Charakter des Polynices zu widerstreiten scheint. Es kann ein Fehler des Abschreibers seyn, aber warum es einer seyn muß, sehe ich nicht ein; und man raubt dem Dichter vielleicht eine Schönheit, um ihn von einem anscheinenden Widerspruch zu befreien.