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Die Perle der Antillen

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Textdaten
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Autor: Gustav Diercks
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Titel: Die Perle der Antillen
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 27, S. 455–459
Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1896
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[455]

Die Perle der Antillen.

Von Gustav Diercks.


Der Befreiungskampf, welchen die eingeborene Bevölkerung Cubas mit zäher Kraft und wachsendem Erfolg gegen die Vorherrschaft der Spanier auf der Insel führt, hat neuerdings durch die Stellungnahme der Vereinigten Staaten von Nordamerika an allgemeinem politischen Interesse gewonnen. Das Verhältnis der letzteren zu Spanien ist infolge dieses Eingreifens ein gespanntes geworden, und mit Teilnahme verfolgt man in Europa die Entwicklung des Konfliktes, der sich auf das Schicksal einer Insel bezieht, die als Spenderin des besten Tabaks der Welt ohnehin in Europa besonderer Beachtung sich erfreut. Ein Charakterbild derselben dürfte daher gerade jetzt vielen Lesern willkommen sein.

Als der Entdecker der Neuen Welt, Columbus, auf seiner ersten Reise im Oktober 1492 zu der großen Antilleninsel Cuba gelangte, die er für eine Halbinsel Ostasiens hielt, soll er geäußert haben, daß er dieses Land für das schönste halte, das die Sonne bescheine, das menschliche Augen je erblickt haben, daß Cubanacan, wie die Eingeborenen es nannten, das irdische Paradies sei.

Dieses Urteil ist wohl etwas überschwenglich, und hätte Columbus mehr von der Neuen Welt gesehen, die er entdeckte, wäre es ihm vergönnt gewesen, andere Teile der Erde kennenzulernen, die uns heute leicht zugänglich sind, so hätte er vielleicht seine Meinung geändert; immerhin ist es nicht zweifelhaft, daß Cuba zu den schönsten Ländern der Erde gehört und in manchen Teilen wirklich paradiesisch ist. Gerade diese letzteren aber sind schwer zu erreichen, befinden sich in den Gebirgsgegenden, von denen selbst jetzt noch große Strecken völlig unerforscht, von europäischen Reisenden nie betreten sind. Dieser letztere Umstand mag bei der scheinbaren Kleinheit Cubas überraschen, denn, da die Maßstäbe der Karten unserer Atlanten sehr ungleich sind, so sind wir Europäer über die Größenverhältnisse der fernen Außenwelt häufig in völlig irrigen Vorstellungen befangen, die erst durch genauen Vergleich und durch Heranziehung statistischer Daten beseitigt werden können. Die scheinbar so kleine schmale eidechsenförmige Antilleninsel Cuba, von der wir uns nur schwer vorstellen können, daß sie in irgend einem Teile noch nicht völlig bekannt sei, erstreckt sich in Wahrheit über elf Längengrade, mißt vom Kap Antonio bis zum Kap Maifi an 1200 km Länge, hat zusammen mit der Nebeninsel de Pinos ein Areal von beinahe 119000 qkm und ist somit so groß wie ganz Süddeutschland oder wie ein Viertel des spanischen Mutterlandes. Nun ist das Eiland im Vergleich zu seiner außerordentlichen Länge zwar sehr schmal, denn seine Breite beträgt an einigen zu Landengen eingeschnürten [456] Stellen nicht mehr als 40 km, an den am meisten ausgedehnten nicht mehr als 120 km, so daß kein Ort von dem Meere weiter als höchstens 60 km entfernt ist, aber das Innere entbehrt guter Verkehrswege und ist zum Teil von undurchdringlichem tropischen Urwald bedeckt, der das Reisen erschwert. Auch die Bevölkerung ist, obgleich sie sich in den letzten vier Jahrzehnten außerordentlich vermehrt hat und zur Zeit auf 1600000 Seelen zu beziffern ist, im Verhältnis zum Areal doch sehr klein. Es sind überwiegend nur Kaufleute und Schiffer, die das Land besuchen und gelegentlich über die Küstenstriche hinaus Touren ins Innere unternehmen; die Herren des Landes, die Spanier, sind ohnehin bequem und ziemlich gleichgültig gegen landschaftliche Schönheiten, erschlaffen überdies rasch unter dem Einfluß des Tropenklimas, neigen auch wenig zu anstrengenden Forschungsreisen. Fremde Geographen aber sind im Laufe dieses Jahrhunderts kaum nach Cuba gekommen, weil die häufigen Aufstände und die Unsicherheit in Friedenszeiten nicht gerade zu langem Aufenthalt daselbst anregten. So ist es gekommen, daß diese herrliche Insel uns heute vielleicht gerade in ihren schönsten Teilen noch unbekannt ist. Das in Kultur genommene Land dürfte kaum zwei Drittel des Gesamtareals umfassen, abgesehen von dem unfruchtbaren Boden und den ausgedehnten Sümpfen und Lagunen, die sich tief ins Innere erstrecken und anderseits die Seeküste weithin schwer bestimmbar machen.

Eine Volante auf Cuba.

Der fruchtbare Boden, das feuchte gleichmäßige Seeklima sind unschätzbare Voraussetzungen nicht nur für die Ergiebigkeit der Insel, sondern auch für die Schönheit und Reichhaltigkeit der Flora, somit der landschaftlichen Reize Cubas. Mit Ausnahme des weitausgedehnten breiten östlichen Teiles der Insel, der aus Porphyr, Basalt, selbst Granit und anderen festen Gesteinmassen besteht und reich an metallischen Bodenschätzen, namentlich an Kupfer, ist, bildet Korallenkalk in den verschiedensten Graden der Zersetzung den Hauptbestandteil des Bodens der übrigen Insel, und zahlreiche Erdbeben haben dazu beigetragen, den grotten- und höhlenreichen Untergrund für die Kulturarbeit des Menschen geeigneter zu machen. Gleichzeitig hat die ungemein große Gewalt der tropischen Atmosphärilien, der Tropenregen, der Stürme und Orkane, der starken Temperaturwechsel, die mit diesen Erscheinungen verbunden sind, ihre zersetzende Wirkung von oben her ausgeübt und eine Humusschicht gebildet, in der so ziemlich alle Pflanzen der subtropischen und der tropischen Zonen in vorzüglichster Güte gedeihen.

Die Fruchtbarkeit des Bodens ist so groß, die Natur ist so verschwenderisch, daß es kaum der nachhelfenden Hand des Menschen und der Anwendung kräftiger Dungmittel bedarf, um reichlichen Bodenertrag zu erzielen. 3350 Pflanzenarten, darunter 30 verschiedene Gattungen von Palmen, hat man bisher auf Cuba gezählt, und ein gründliches Studium der dortigen Flora würde diese Masse wahrscheinlich noch beträchtlich steigern.

Die Kathedrale in Havanna.

Das Reliefbild des Columbus
 in der Kathedrale.

Fehlt es der Insel an schiffbaren Flüssen, denn nur der Rio Cauto im Osten ist bis tief in das Innere hinein mit Kähnen befahrbar, so ist sie doch ungemein wasserreich und dieser Umstand erhöht ihre Fruchtbarkeit wie ihre Schönheit, während er gleichzeitig freilich den Verkehr beträchtlich erschwert. Denn die meisten der zahllosen Bäche und Flüsse Cubas, welche die durch den höhlenreichen Boden bedingte Eigenart besitzen, daß sie oft auf weite Strecken von der Oberfläche verschwinden und zuweilen überhaupt nicht mehr zum Vorschein kommen, sondern in unbekannten unterirdischen Betten dem Meere zustreben, haben den Charakter von Berggewässern, schwellen bei Regengüssen stark an, treten über ihre Ufer hinaus, bilden Kaskaden und sind bei der Rauheit des Bodens und ihrem starken Gefälle ebensoschwer zu überschreiten Wie das tropische Gebüsch um sie herum mit Mühe zu durchdringen ist. Das Machete, das breite Faschinenmesser, ist ein unentbehrliches Gerät für jeden, der auf das Land hinausreitet, wie es anderseits auch die Hauptwaffe der Eingeborenen ist, wenn sie von neuem und immer wieder von neuem den Versuch machen, wie gerade jetzt, das unerträgliche Joch abzuschütteln, das das Mutterland Spanien ihnen auferlegt hat. Sind die klimatischen Verhältnisse überhaupt dem raschen Wachstume und dem Wuchern aller Pflanzen sehr förderlich, so tragen dazu ganz besonders die ungeheueren Niederschläge bei, welche in der Regenzeit vom Mai bis Oktober fallen und bei ihrer elementaren Gewalt zugleich alle Verkehrswege, die nicht ungewöhnlich fest und sicher hergestellt sind, binnen kurzem zerstören, in Wasserläufe verwandeln, unbenutzbar machen und unter einer dichten Vegetationsdecke zum Teil verschwinden lassen. Bei der reichen Küstenentwicklung – ist doch die Küstenlinie mit allen ihren zahllosen Einbuchtungen auf 3500 km berechnet worden – wirkt auch selbst das Seewasser bei hohem Wellengange und unter dem Einfluß der verheerenden Wirbelstürme jener Gegenden zerstörend auf die Kulturthätigkeit der Menschen ein und erweitert die Ciénagas, die Sümpfe und Lagunen, die sich an der Küste hinziehen. Und dies geschieht, obgleich die Küste gegen das offene Meer auf viele Hunderte von Kilometern hin von Korallenbänken, Felsenriffen, Klippen und Untiefen gegen die erste Wucht der Wogen und gegen ihre vernichtende Gewalt geschützt ist. An tausend Inseln und Riffe umgeben Cuba und bilden [457] zwischen sich unterseeische Gärten, die aus jenen Wundergebilden bestehen, die wir in unseren Aquarien anstaunen und die wir eher zum Pflanzen- als zum Tierreich zu zählen geneigt sind.

Dieser äußere Wall von Inseln und Riffen, den Cayos oder Kays, erschwert die Annäherung an die Insel zur See, macht die Küstenschiffahrt überaus gefährlich und hat auch seine strategische Bedeutung in den zahlreichen Aufständen dieses Jahrhunderts gehabt; denn erleichterte er einerseits den ortskundigen Lotsen und Fischern das Landen von Waffen und Leuten, welche von Ferne hergebracht wurden, um die Sache der Eingeborenen zu unterstützen, so war er anderseits den verfolgenden Spaniern gefährlich, welche sich mit ihren tiefgehenden Kriegsschiffen, Kanonenbooten und Barkassen nicht zu nahe heranwagen durften.

Die Schilderungen, welche die Eingeborenen von den zur Zeit den Ausländern ganz unzugänglichen Gebirgsgegenden des Südostens der Insel machen, deren weitausgedehnter Gebirgsstock der Sierra Maestra sich an manchen Stellen bis zur Höhe von 2000 und 2500 m erhebt, lassen bedauern, daß man diese Landschaftsbilder nicht sehen kann. Denn sie müssen danach sich sehr wohl mit denen der Urwälder Brasiliens und Centralamerikas messen können und dabei noch vor diesen den Reiz der Nähe des Meeres und der Durchblicke auf dasselbe voraushaben. Auch in den Provinzen Puerto Principe, Santa Clara und Pinar del Rio steigt der Boden zu beträchtlicher Höhe an, und auch diese Gebirgsmassen sollen des Schönen in unendlicher Fülle besitzen; doch gerade diese Provinzen sind jetzt die Hauptschauplätze des Krieges, den die Einheimischen gegen die Herrschaft der Spanier führen. Hier spielen sich die Guerillakämpfe ab, für welche die Manigua, das Tropendickicht, so sehr geeignet ist, das unter dem Einfluß der starken Niederschläge überall da rasch entsteht, wo der Boden nicht sorgfältig bebaut ist. Die genaueste Ortskenntnis ist erforderlich, um sich in diesem Busch zurechtzufinden, und die Natur ist somit den Eingeborenen in ihrem Kampfe gegen die Spanier dienlich, vor denen sie auch den Vorzug haben, ausgezeichnete Reiter zu sein.

Die Columbus-Kapelle in Habana.

Der Mangel an fahrbaren Landstraßen macht nämlich außerhalb der Städte und ihrer nächsten Umgebung das Reiten zum einzigen Verkehrsmittel, wodurch die Landbewohner von Kindesbeinen an daran gewöhnt sind, im Sattel sich heimisch zu fühlen, so daß sie beim Reiten mit ihren ausdauernden kleinen Pferden völlig verwachsen erscheinen. Letztere müssen auch als Lasttiere dienen, wo noch keine Eisenbahnen vorhanden, wo die Wege so grundlos sind, daß selbst die leicht beweglichen zweirädrigen Karren nicht verkehren können, wo Bäche und Flüsse zu passieren sind, was bei dem außerordentlichen Wasserreichtum der Insel sehr häufig der Fall ist. Karawanen sind erforderlich, um die Produkte des Landes aus den entlegeneren Gegenden nach den Stapelplätzen an den Küsten und die importierten Handelswaren von den Hafenstädten in die kleinen Ortschaften zu schaffen. Denn das Eisenbahnnetz ist trotz der großen Mittel, die im Laufe der verflossenen Jahrzehnte für seinen Ausbau ausgeworfen worden sind, noch völlig unzureichend, und es dürften zur Zeit kaum 2000 km Schienenwege im Betrieb sein.

Gute Heerstraßen, welche die für die Niederschläge der Regenzeit erforderliche Widerstandskraft besitzen, sind ebenfalls nur in geringer Zahl und Ausdehnung vorhanden, selbst viele der strategischen Wegbauten, der Trochas, welche während des letzten abgeschlossenen Aufstandes von 1868 bis 1878 angelegt wurden, sind inzwischen verfallen und müssen nun mit großen Kosten wiederhergestellt werden. Der Hauptverkehr erfolgt daher zur See und die Küstenschiffahrt ist dementsprechend hoch entwickelt.

Die Bevölkerung Cubas ist zwar nicht so buntscheckig wie die mancher anderer Länder Amerikas, immerhin setzt sie sich aus mehreren verschiedenartigen Elementen zusammen, deren Mischung zahlreiche Abstufungen in der Hautfarbe und im Charakter erzeugt hat.

Mit Futter beladene Pferde in Habana.

Von der ursprünglichen Indianerbevölkernng ist auf der Insel so gut wie nichts übrig geblieben, denn sie wurde im Laufe des sechzehnten Jahrhunderts vollständig ausgerottet, und nur wenige Familien erhielten sich darüber hinaus, mehr oder minder gemischt mit spanischen Elementen, in den Bergländern des Ostens. Man will zum Teil in den Guajiros, in den Blancos de tierra, den Weißen der Landdistrikte, Nachkommen dieser indianischen [458] Mischlinge erblicken, doch wird diese Behauptung von manchen anthropologischen Autoritäten bestritten; ja, man geht sogar soweit, die ganze weiße Landbevölkerung als Guajiros zu bezeichnen. In Wirklichkeit ist die Zahl der echten typisch unterscheidbaren Guajiros im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung der Insel sehr klein und sie zeichnen sich durch gewisse Charaktereigenschaften doch ganz wesentlich von der großen Masse der Kreolen aus. Straffes Haar und gewisse Gesichtslinien weisen auf indianischen Ursprung hin, ebenso die Schärfe ihrer Sinne, die sie im Kriege für den Kundschafterdienst ganz besonders befähigt. An Leidenschaftlichkeit, an fanatischer Vaterlands- und Freiheitsliebe übertreffen sie noch die Kreolen, und in den Aufständen dieses Jahrhunderts haben sie daher immer eine wichtige Rolle gespielt, durch ihren Todesmut, ihre Opferwilligkeit anfeuernd auf die übrigen Freiheitskämpfer gewirkt und nicht wenig dazu beigetragen, die Kriege in die Länge zu ziehen.

Den Hauptbestandteil der cubanischen Bevölkerung bilden die Kreolen, deren Zahl mehr als 900 000 beträgt; es sind Weiße, die nur unter dem langen Einfluß der Tropensonne gebräunt sind und überwiegend von spanischen, zum kleineren Teil von französischen und anderen europäischen Einwanderern abstammen. Außerordentlich reich begabt, würden sie bei tüchtiger Ausbildung sehr Bedeutendes zu leisten im Stande sein. Das Schulwesen ist jedoch von jeher auf Cuba völlig vernachlässigt worden und ist es auch jetzt noch derart, daß 76 Prozent der Bevölkerung des Lesens und Schreibens nicht mächtig sind. Die erschlaffende Wirkung des Klimas trägt das ihrige dazu bei, die Neigung der Kreolen zur Unthätigkeit zu befördern. Ihre Apathie weicht jedoch leicht der größten Leidenschaftlichkeit. Der stete Druck, unter dem sie gelebt haben und leben, hat sie unterwürfig gegen ihre Herren, hochmütig gegen ihre Untergebenen, außerdem reizbar, empfindlich und argwöhnisch gemacht. Feurige Patrioten und freiheitsliebend, sind sie stets mit voller Kraft und Beharrlichkeit für die Erringung ihrer Unabhängigkeit eingetreten. Ihre hohen natürlichen Geistesgaben bekunden sich – bei dem Mangel an Bildung – im allgemeinen nur in ihrem Witz, ihrer Schlagfertigkeit, ihrer Gedankenschärfe; zu ernsten Studien haben sie aus dem gleichen Grunde der mangelhaften Bildung kein Interesse und daher auch wenig Befähigung; dafür lieben sie Musik, Tanz, äußeren Glanz und verwenden große Sorgfalt auf ihre äußere Erscheinung. Wenngleich nicht so schön wie manche ihrer südamerikanischen Schwestern, namentlich die Chileninnen, sind die kubanischen Kreolinnen doch noch berückender als jene, weil sie die Hebung ihrer natürlichen Reize durch ihre Kleidung und Toilettenkünste noch mehr als jene zum Hauptgegenstand ihrer Beschäftigung machen, stets lebensfroh und heiter, dabei aber auch geistreich sind. Da sie die Bewegung jedoch aufs äußerste scheuen, werden sie sehr frühzeitig korpulent und altern rasch.

Ansicht von Santiago de Cuba.

Das farbige Element, welches sich auf nahezu 500000 Seelen beziffert, weicht in seinem Charakter beträchtlich von dem der Vereinigten Staaten wie des übrigen Westindiens und der central- und südamerikanischen Nachbarländer ab. Die Negersklaven sind auf Cuba im Durchschnitt zu allen Zeiten ziemlich milde behandelt worden, sie haben mehr Freiheiten genossen als die des übrigen Amerikas; sie haben daher auch stets mehr Anteil an dem Schicksal ihrer Herren und somit auch des Landes genommen, das ihnen, ihren Vorfahren und Nachkommen Heimat geworden ist; sie haben aus diesem Grunde auch nach Aufhebung der Sklaverei mehr Interesse an dem öffentlichen und politischen Leben gezeigt und die Freiheitsbestrebungen der Kreolen kräftig unterstützt.

Die Aufhebung der Sklaverei hatte die Einführung asiatischer Arbeiter, chinesischer und indischer Kulis, zur Folge, die sich bei der letzten Volkszählung von 1887 auf ungefähr 44000 Individuen bezifferten. Sie verschwinden jedoch in der Masse und spielen keine politische Rolle.

Den Kreolen gegenüber steht nun das eingewanderte und vorübergehend auf Cuba ansässige spanische Volkselement, das kraft der Kolonialgesetze das Herrenrecht über die Insel und ihre Bevölkerung genießt und dasselbe auch in ergiebigster Weise zu allen Zeiten ausgeübt hat und heute noch ausübt. Der Umstand, daß der Großgrundbesitz, das Kapital, der Großhandel infolge der staatlichen Bevorzugung der Spanier vollständig in den Besitz der letzteren übergegangen sind, daß die Verwaltung ganz ausschließlich in ihren Händen liegt und daß die Eingebornen stets von der Regierung ihrer eignen Insel ferngehalten worden sind, hat jenen Zwiespalt zwischen den Spaniern und den Cubanern erzeugt, der die Ursache aller der Aufstandsversuche gewesen ist, die im Laufe dieses Jahrhunderts auf der großen Antilleninsel stattgefunden haben. Tödlicher Haß gegen ihre Bedrücker erfüllt die ganze Masse der einheimischen Bevölkerung, und weil die letztere, so weit sie nur immer vermag, die Aufrührer im Kampfe gegen die Spanier unterstützt, weil sie ihnen immer und überall, wo sie es nur kann, Vorschub und Hilfe leistet, so haben die Bürgerkriege und Aufstände auf Cuba auch immer eine so lange Dauer gehabt; deshalb hat der letzte derselben volle zehn Jahre, von 1868 bis 1878, gedauert und deshalb zieht sich auch der am 24. Februar 1895 ausgebrochene jetzt so in die Länge.

Was die Cubaner früher verlangten: politische Gleichberechtigung mit den Spaniern, Teilnahme an der Verwaltung ihres eigenen Landes, war eine billige und leicht zu bewilligende Forderung. Die Nichtgewährung derselben hat den Gedanken der Befreiung Cubas von Spanien, der Erlangung der Selbständigkeit und Unabhängigkeit der Insel allmählich entstehen lassen und nunmehr zum Kriegsruf der Kreolen gemacht.

Die Zahl der großen volkreichen Ortschaften Cubas ist äußerst beschränkt; die Masse der Bevölkerung verteilt sich über das ganze ausgedehnte Land, dessen Bebauung die Haupteinnahmequelle der Insel bildet. Tabak, Zuckerrohr, neuerdings auch der Kaffeestrauch [459] sind die Pflanzen, denen die meiste Pflege gewidmet wird, und die hierdurch bedingte Plantagenwirtschaft hat das Entstehen vieler großer Orte verhindert. Die geringfügige Industrie der Insel – die Cigarren- und Cigarettenfabrikation einerseits, die Zuckerfabrikation anderseits – ist nicht imstande gewesen, eine andere Bevölkerungsverteilung herbeizuführen. Die alte Hauptstadt der Insel: Santiago de Cuba, die neue: La Habana, und die Hafenstädte Matanzas, Cienfuegos, daneben die beiden größten Ortschaften des Innern: Puerto Principe und Santa Clara dürfen als die großen Städte der Insel bezeichnet werden. Habana (die Aussprache ist Havanna) übertrifft die übrigen alle an Bevölkerung, denn es zählt an 200000 Seelen, während Matanzas und Santiago de Cuba an 30000, Cienfuegos an 22000 Einwohner haben mögen; ersteres steht den übrigen dagegen an landschaftlicher Schönheit nach. Teils am Meere, teils an dem tiefeingebuchteten großen Hafen gelegen, der als der größte der Neuen Welt gilt, bildet Habana ein großes flaches Häusermeer, über das sich nur die Forts del Morro, de la Punta, die Kastelle del Principe und de Atares erheben; erst in beträchtlicher Entfernung von der in der Ebene gelegenen Stadt steigt der Boden zu einer niederen Hügelkette an. Die Nachbarschaft ist gut bebaut, vermag dagegen nicht durch landschaftliche Reize anziehend zu wirken. Die letztern beschränken sich auf den Eindruck der schönen Promenaden des Prado, des Tacon, sowie der Gartenanlagen der großen Plätze des Marsfeldes, des Waffenplatzes und anderer. Im übrigen hat die Stadt mit ihren überwiegend engen und mit Sonnendächern versehenen, schlechtgepflasterten Straßen viel Aehnlichkeit mit den Provinzialstädten Spaniens. Gegenwärtig, unter dem Einfluß des Krieges, der sich selbst bis in die Nähe der Hauptstadt ausgebreitet hat, macht sich die gedrückte Stimmung aber auch in den Handelsstraßen wie auf den Promenaden in empfindlichster Weise bemerkbar. Während letztere sonst in den Nachmittagsstunden von der ganzen vornehmen Welt Habanas belebt waren, während die Herren zu Roß, die Damen in den eigenartigen mit übermäßig langen Deichselstangen versehenen, mit Silber reich verzierten Volantes in mehreren Reihen Revue passierten, sind die Korsostraßen jetzt vereinsamt. In der Opispostraße, in deren reichen Läden die schönen Kreolinnen sonst ihre Einkäufe machten, herrscht die Ruhe des Feiertags; die Theater sind leer, die öffentlichen Lokale, in denen man sonst die interessanten habanesischen Tänze und die reizvolle danza criolla sehen konnte, sind zum Teil geschlossen.

Das Fort del Morro bei Santiago de Cuba.

Die Liebe für Musik, Gesang und Tanz ist jedoch allen Cubanern angeboren und sie ist zu groß, als daß sie, namentlich im Volke, durch die ernsten Verhältnisse der Gegenwart erstickt werden könnte. Wo nur auf einer Guitarre die ersten Takte einer der berühmten alten spanischen Tänze: des Fandango, des Zapateado, der Malagueña oder vollends die der beliebten amerikanischen Cachucha und der einheimischen Habanera erklingen, da versammelt sich daher auch heute auf dem schattigen Hof eines Privathauses oder in dem Saal eines Volksrestaurants rasch ein großer Kreis von jungen Leuten, um, nach der Art der Vorfahren, wie es auf dem Bilde S. 452 und 453 dargestellt ist, sich dem frohen Genuß des Lebens für Augenblicke hinzugeben und die Tänze auszuführen, deren fascinierender berauschender Wirkung sich kein Einheimischer entziehen kann und die, solange sie sich in den Grenzen des Anstandes bewegen, durch ihre Anmut auch auf jeden fremden Zuschauer stets einen tiefen Eindruck machen.

Selbst die Kirchen, die 1724 erbaute große Kathedrale, in der sich die Ueberreste des Columbus befinden und in der ein gutes Reliefbild des Entdeckers der Neuen Welt angebracht ist, sowie die hübsche kleine Columbuskapelle, die neben dem Baum errichtet ist, unter dem die erste Messe auf Cuba gelesen worden sein soll, werden nur schwach besucht. Reges Leben herrscht in Habana zur Zeit nur in dem Palast des Generalgouverneurs, in der Umgebung desselben und auf den Bahnhöfen, auf denen ein beständiger Truppenverkehr stattfindet. Besonders interessant ist das Straßenleben in den frühen Morgenstunden, wenn die Landleute mit ihren Waren zur Stadt kommen, die ganz auf die Versorgung seitens der Nachbarschaft angewiesen ist. Da die Milch bei dem Transport sauer werden würde, so werden die Kühe selbst nach der Stadt getrieben, um dort nach Bedarf gemolken zu werden. Eier, Fleisch, Brot und alle für den Haushalt erforderlichen Vorräte werden feil geboten, so namentlich auch das Trinkwasser, das bei der großen Mäßigkeit der Cubaner eine wichtige Rolle spielt. In gleicher Weise wird das Futter für die Pferde herbeigeschafft, das untere Bild auf S. 457 zeigt, in welcher Weise dies geschieht. Die armen Lasttiere verschwinden oft unter der ungeheuren Masse von Marktwaren, Gemüse, Geflügel, Zuckerrohr und Futtergräsern, mit denen sie überbürdet werden. Und alle diese Waren werden unter den charakteristischen lauten Rufen seitens ihrer Verkäufer angepriesen.

Landschaftlich schöner als Habana ist, wie gesagt, Santiago de Cuba, die Hauptstadt der östlichsten Provinz gleichen Namens, gelegen. Wie die meisten Buchten Cubas ist auch die Santiagos von flaschenkürbisartiger Gestalt. Ein schmaler, durch das ebenfalls del Morro benannte Fort gedeckter, sich dann allmählich verbreiternder Kanal führt vom Meere aus in die tiefe weite Bucht, in deren nordöstlicher Ecke sich die hübsche kleine Stadt befindet, welche der Sitz der Provinzialbehörden und die zweite Hauptstadt der Insel ist. Am Fuße der Vorberge des ausgedehnten Berglandes der Sierra Maestra gelegen, bietet ihre Umgebung den Blicken des Beschauers ein prachtvolles Bild. Gegen Norden geschützt, hat sie ein ungleich wärmeres Klima als Habana, das den aus Nordamerika herüberwehenden Stürmen und Luftströmungen ausgesetzt ist, und die üppigste Tropenvegetation verleiht dem terrassenförmig ansteigenden Lande einen besonderen Reiz. Das in der Bucht bei Ebbe noch wahrnehmbare Wrack eines der Schiffe der unüberwindlichen Flotte Philipps II., des Santo Domingo, erinnert unmittelbar an die große Vergangenheit Spaniens, dessen riesiger Kolonialbesitz in Amerika, außer Puerto Rico, bis auf diese Perle der Antillen zusammengeschwunden ist, die es mit Aufgebot aller seiner Kräfte für sich zu erhalten bestrebt ist.