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Die Oberharzer Bergmannshäuser

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Textdaten
Autor: Alfred Lichtwark
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Titel: Die Oberharzer Bergmannshäuser
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Erscheinungsdatum: 1905
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Originalherkunft: Palastfenster und Flügeltüren
Quelle: Allgemeiner Harz-Berg-Kalender für das Jahr 1925
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: [1]
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Die Oberharzer Bergmannshäuser.


     Wenn wir im Nachfolgenden den Ausführungen des verstorbenen Hamburger Musseumleiters, dem norddeutschen Avenarius: Alfred Lichtvarck Raum geben, so aus folgendem Grunde: Mit den Augen des deutschen Künstlers und Kulturkenners hat Lichtvarck die Reize unserer bodenständigen Oberharzer Bauweise ins Sonnenlicht gerückt, ehe sie ganz zu verfallen drohten. Die letzten Jahre haben in erfreulicher Weise ein Wiederaufleben der alten Bauweisen gebracht; mögen nun diese Ausführungen unseren Oberharzern zeigen, was sie mit der ererbten Bauweise preisgeben oder wiedergewinnen können!

Gl.


     Es ist ein schöner Fleck Erde, der Oberharz, dessen Schönheit nicht den Ruhm hat, den sie verdient.

     Wer von Goslar aus das meilenweit sich ausdehnende Waldgebiet hinaufsteigt, kommt eine halbe Stunde vor Zellerfeld auf einen breiten Fußweg, der, fest und wohlgepflegt wie ein Stadtpark, vom Spiegeltal aus durch den Fichtenwald bergan führt. Auch der Wald selbst hat etwas parkartiges. Der Wind streicht wegesuchend durch den schüchtern über die Steinhalden verteilten Baumstand, und das Sonnenlicht dringt ungehindert überall bis zum Boden, ivo es im dichten Unterholz die silbrigen Rückseiten der Himbeerblätter aufleuchten läßt.

     Von der letzten Biegung aus sieht man die Fichtenstämme eine hohe grüne Masse überschneiden, ein paar Schritte, und man tritt wie durch eine Haustür aus dem Walde auf die ungeheure, sanft ansteigende Fläche der Zellerfelder Wiesen.

     In leichter Wendung, der Bewegung der Bodentfläche angeschmiegt, strebt der helle Weg auf die Höhe, Wo die lichte Unendlichkeit des Himmelsraumes sich austut. Ein Kind könnte meinen, der Pfad führe schnurstracks in den Himmel hinein. Luft und Licht spielen um diese Wiesenkuppe anders als in den Tälern oder auf den bewaldeten Bergen. Nicht zweimal habe ich dieselbe Stimmung angetroffen. Bei klarer Luft erscheint der Himmelsraum tiefer als anderswo. Weiße feste aufrechte Wolken, die mit leidenschaftlichen Gebärden nahebei vorüberziehen, haben etwas von persönlichem Dasein. Man möchte sie grüßen. In pathetischer Plastik bauen sich die dunklen Gewitterhimmel auf, wo sich ihr ganzer Aufbau überblicken läßt, und wenn ein durchsonnter Nebel die Riesenkuppe einhüllt, dehnen und strecken sich die Formen der Mäher und Heuwagen in phantastischem Schattenriß.

     Die Farbe aber wechselt auf dem Wiesengelände So oft und so stark, wie auf einer Wasserfläche. Morgens im Tau schimmert es bläulich, mittags dehnt es sich in tiefem Grün, beim Sonnenuntergang erscheint es wie von sattem Orange übergossen.

     Erst von der Bank aus auf der Kuppe sieht man die beiden Städte liegen. Zellerfeld breit gelagert den sanften Abhang hinab, Clausthal jenseits der Senkung, die der Zellbach durchfließt, in langem Straßenzuge den Berg hinaufsteigend. Der Ausblick ist sehr schön. Dicht zusammengedrängt liegen die Häuserreihen mit rotem Ziegel- oder schwarzem Schieferbach, vom dicken Grün der Baumkronen durchsetzt. Ringsumher erstrecken sich die Wiesen über das sanfte Hügelgelände, das in der Ferne von blauen Waldbergen eingeschlossen wird. Nach allen Seiten führen die dunklen Streifen der Alleen über das Wiesengelände, bis sie in der Ferne überall an die Waldberge stoßen.

     Auch diese Landschaft trägt bei jedem anderen Lichte einen anderen Ausdruck. Bald ist sie tonig zu einer ruhigen Einheit gestimmt, bald treten die Wiesenflächen, in leuchtendem Grün gegen ein starkes Blau der Waldberge heraus, während die Dächer mit scharfem Rot aus den Baummassen lugen. Ostwind und Westwind rufen hier so mächtige Gegensätze der Stimmung hervor, wie nur immer an der Nordseeküste: unter dem Westwinde ist alles tonig und weich, der Ostwind bringt alle Farben stark und leuchtend heraus, aber ohne Härte.

     Als ich den Weg zur Kuppe das erste Mal hinanstieg, war ich gespannt, ob in den beiden Bergstädten, den alten Kulturzentren der Umgebung, noch

ein Nest der alteinheimischen Bauweise

vorhanden wäre, und wie sie sich zu dem Charakter dieser Landschaft verhalten möchte.

     Die Kirche in Zellerfeid ragte mit einem schlichten monumentalen Kupferdach über Dächer und Baumwipfel empor, und ihr Dachreiter erhob ich darüber in so zierlicher Silhouette, wie sie sich bei Schieferdächern überhaupt nicht erreichen läßt.

     Älter als die Steinkirche von Zellerfeld ist die von Clausthal (erbaut 1624), in demselben Stil errichtet wie die Wohnhäuser. Man sieht von außen nur die graugrün gestrichene Bretterverschalung unter dem grauen Schieferdach. Hohe Fenster in weißgestrichenen Rahmen machen die Fläche lebendig, Dachreiter und Turm, dicht hintereinander – der Turm ist etwas jünger als die Kirche –, krönen das Gebäude mit ihren kräftiget Umriß.

     Was der Anblik der roten und schwärzlichen Dächer in den grünen Baumkuppen aus der Ferne versprach, hält die Behandlung der Häuserwände; in der Tat liegen in Clausthal und Zellerfeld die Daten einer charakteristischen mit reichen Mitteln ausgestatteten bürgerlichen Baukunst vor, die sich mit sehr feiner Empfindung dem Charakter der Landschaft einfügt.

     Vieles ist allerdings schon verschwunden und kann nur noch aus dem Rückschluß, aus dem Zustande der Hinterhäuser und der Architekturvertreter einzelner Höfe als ehemals im Straßenbau vorhanden erkannt werden.

     Das kommende Geschlecht wird, wenn nicht Einhalt geschieht, keine Ahnung mehr haben, wie schön die Städte einmal gewesen sind.

     Der heutige Zustand ist nicht so alt, wie es scheinen mag, denn Ziegeldach und Schieferdach sind erst durch den Einfluß der Versicherungsgesellschaften, also seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts, an die Stelle des früher hier allgemein verbreitet gewesenen Schindeldachs getreten. Auch die regelmäßige, auf das Vorbild des italienischen Palastes zurückgehende Verteilung gleich großer einzelner Fenster ist wohl kaum älter als ein Jahrhundert. In der Zellerfelder Apotheke, die aus dem Ende des siebzehnten Jahrhunderts stammt, sind die Fenster noch zu breiten Gruppen zusammengeschlossen, und an der Nordseite steht nicht weit davon noch ein Haus, dessen Fensteranlage noch den alten Typus vertritt, der nicht auf die äußere Regelmäßigkeit der Fassade zurückgeht, sondern auf die angemessene Beleuchtung der Innenräume. Breite nordische Fenster, [36] die viel Licht einlassen, sitzen genau da, wo bas Zimmer sie braucht. Wir müssen diese leider nur spärlichen Reste sehr sorgfältig beachten, denn sie geben uns die nationale Rückendeckung bei der Einführung einer praktischen bürgerlichen Bauweise.

     In der Behandlung der Außenwand lassen sich zwei Typen unterscheiben, die Einkleidung mit Holz und die mit Schiefer. Das unverkleidete Fachwerk, das sich in jüngster Zeit vordrängt – namentlich im Bergstädtchen Lautenthal –, scheint ursprünglich ganz unbekannt gewesen zu sein. Der Ziegelrohbau hannoverscher oder berlinischer Observanz bildet eine ganz seltene Ausnahme.

     Das Haus mit Holzverschalung überwiegt. Es hat in der Regel ein rotes Ziegeldach. Schieferdächer kommen seltener vor. Früher scheinen die Bretter der Holzverschalung in einem grünlichen oder gelblichen Ton gestrichen worden zu sein. In dieser grünlichen oder gelblichen Wand, die sehr feinfühlig zu dem roten Dach gestimmt war, standen die Fensterrahmen weiß und die Fensterläden und die Türen ochsenblutfarbig, auch wohl dunkelgrün und blaugrün.

     Ganz ähnlich wurde das auf Dach und Wänden in schwarze oder graue Schieferplatten gekleidete Haus behandelt. Bei den älteren Bauten pflegen die Schieferplatten der Wände dicker und derber gebrochen zu sein, bei den jüngeren sind sie glatter bearbeitet, was nicht so kraftvoll und malerisch mehr wirkt, und hier wird oft eine bunte Ornamentik ausgebildet, die an eine Leder- oder Fellmosaik erinnert.

     Bei den älteren Häusern wurde in der Regel ein schwärzlicher Schiefer gewählt, der aber nicht die sammetartige Tiefe hat wie in Bamberg und Umgebung. Neuerdings scheint man den grauen Schiefer zu bevorzugen. Auch bei der Schieferbekleidung sind die Fensterrahmen weißgestrichen, und die Läden und Haustüren standen wohl ernst, wie heute noch in den Rheinlanden, in einem passenden Grün dagegen. Zuweilen erhebt sich über den Schieferwänden ein leuchtend rotes Ziegeldach.

     Dieser Aufbau in kräftiger Farbigkeit ohne ornamentale Formen bleibt durch alle Stilwandlungen hindurch derselbe. Es ist einerlei, ob ein Haus dem siebzehnten, achtzehnten oder neunzehnten Jahrhundert entstammt. Dem Zeitgeschmack ist nur eine einzige Stelle zur Ausschmückung mit Zierformen überlassen: die Haustür. Und an dieser Stelle konnte die Phantasie sich ausgeben, ohne daß die Monnumentalität des Gesamteindruckes darunter zu Schaden gekommen wäre. Denn der grüne oder ochsenblutfarbene Gesamtton der Tür gab die einheitliche Wirkung in die gerne, und der Reichtum der Einzelheiten enthüllte sich erst dem Eintretenden. Keinem Teile des Hauses kommt man so nahe wie der Tür.

     Es ist ein Vergnügen, zu beobachten, wie reich vom ausklingenden Barock her die Türen der Bergstädte alle Motive der Zeitstile abwandeln. Die ältesten tragen einen Schmuck, der noch an die starke Blumenfreude des 17. Jahrhunderts erinnert. So steht in Wildemann ein Haus, dessen Türflügel mit Nelkentstöcken geziert sind. Dann folgt das Muschelwerf des Rokoko, die Urne des Zopfstils, und die Leier des Klassizismus. Griffe und Tirflopfer standen in blankem Messing als prächtige Flecke auf dem grünen Anstrich.

     Ebenso unermüdlich schafft die Phantasie an dem weißgestrichenen Gitter des Oberlichtes. Auch dieses verrät überall den Zeitstil. Hier und da trägt es als Mittelstück die Laterne, die ihr Licht zugleich dem Innenraum (der Diele) und der Haustreppe spendete. Selten geschieht es, daß für Oberlicht und Tür an zwei Häusern dieselben Erfindungen verwendet werden.

     Als besonderer Schmuck der Fassade kommt das Blumengitter vor den Schiebefenstern hinzu. Am vielseitigsten war es im Bergstädtchen Grund entwickelt. Es ist geradezu erstaunlich, in wieviel Motiven dort das einfache Gitterwerk umgeformt wurde. Meistens wird es grün gestrichert, gelegentlich mit weißen oder roten Köpfen. Die älteren haben noch das kräftige, kalte Oxidgrün, neuerdings liebt man wie überall die wärmeren Töne bis zum hellen moosgrün, die jedoch zu Blättern und Blumen nicht günstig stehen.

     Wie reizvoll dieser einfache Schmuck sich einfügt, wie stark der dunkelgrüne Fleck vor den weißgestrichenen Fensterrahmen mit den grünen Blättern und roten Blüten der Geranien wirkt, und wie lieblich die Gruppe des weiß gestrichenen Fensterrahmens und Blumengitters in der schwarzen Schieferwand oder der lichtgrünen Holzverschalung steht, kann man nur an Ort und Stelle empfinden. Wenn bei einem Häuschen ohne Stockwerk aus bem mächtigen roten Ziegeldach ein Erker mit weiß gestrichenem Fensterrahmen vorspringt, der unten durch das grüne Blumengitter mit seiner Fülle roter Geranien angeschlossen ist, so tut die Farbe unendlich viel mehr, als jede dentbare plastische Verzierung.

     Darin besteht überhaupt die Schönheit dieser Bauweise, daß alles auf einer Anwendung der Farbe in großem Stil gegründet ist. Wo Farbe so angewandt wird, kommt keinerlei Form dagegen auf.

     Am stärksten wirken die weißgestrichenen Fensterrahmen.

     Das Motiv zeigt von großer Feinheit der Empfindung. Wo es einmal da ist, kann man sich garnicht vorstellen, wie tiefe Dunkelheit, die die Fensteröffnung bildet, in eine schwarze Schieferwand, in eine rote Ziegelmauer oder in eine gelbe oder grüne Holzverkleidung feinfühliger eingefügt werden kann, als durch die weiße Umrahmung.

     Wir haben hier die letzten Reste einer im großen koloristischen Architektur vor uns, und können uns eben noch ein Bild ihrer Wirkung machen. Es waren genau dieselben Grundlagen, die vor einem Menschenalter überall in den kleinen Städten Norddeutschlands herrschten und die im letzten Grunde wohl aus Holland stammen.

     Es ist nun sehr lehrreich, zu beobachten, wie es möglich ist, diese herrliche alte Bauweise, die sich der Landschaft so lieblich einfügt, zu vernichten, ohne daß ein Haus eingerissen wird.

     Zuerst wird vorsichtig die Farbigkeit beseitigt. Gegenwärtig steht die alte Gewöhnung der Einwohner offenbar im Kampf mit der neuen Richtung der Anstreicher, die mit fortschrittlichen Vorstellungen von der Schule kommen. Noch sind hie und da die Fensterrahmen weiß und die Blumengitter grün. Aber die ehemals gelblich oder grünlich gestrichenen Wände, die ehemals rot, braun oder grün gestrichenen Haustüren und Fensterläden, tragen schon überall einen Anstrich in Steinfarben, die Türen sind hie und da dort Holzfarben gestrichen, was, an sich ein Unsinn und eine Geschmacklosigkeit zu den blanken Messinggriffen und den weißen Oberlichtern sehr schlecht paßt. Fast noch schlimmer sieht es aus, wenn die Füllungen oder die Ornamente der Türen in einem helleren Tone angesetzt sind.

     Wo man von den alten Schiebefenstern zu der neueren Vorrichtung der aufschlagenden Fensterflügel [37] übergegangen ist, pflegt das Holzwerk lakiert im Naturton stehen zu bleiben, oder man streicht es Holzfarben an. Es läßt sich garnicht sagen, wie furchtbar so ein modernisiertes Haus neben einem benachbarten wirkt, das der alten Weise treu geblieben ist.

     Eine vornehme, schlichte bürgerliche Architektur wird durch die blödsinnige Verzierungswut und die Verirrung des Farbengefühls ausgerottet. Und diese alte Architektur enthält alle Elemente, die zu einer modernen künstlerischen Entwicklung des Bürgerhauses nötig wären. Die kleinste alte Hütte wirkt monumentaler als irgendein überladener großstädtischer Prachtbau in deutscher Renaissance oder Barock.

(Aus: Palastfenster und Flügeltüren.

Bruno Cassirer, Berlin 1905).