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Die Nähmaschine

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Textdaten
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Autor: Friedrich Georg Wieck
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Titel: Die Nähmaschine
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 44, S. 478-480
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1853
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Aus der Gewerbswelt

Mitgetheilt von Friedrich Georg Wieck
Die Nähmaschine

Sehr viel hört man jetzt von der „amerikanischen Nähmaschine“ reden. Während der eben geschlossenen Leipziger Messe sahen wir Abbildungen von ihr auf den Aushängeschildern eines Berliner Kleiderhändlers und einer Bude auf dem Roßplatze, in der allerlei Automate und sonstige Merkwürdigkeiten zur Schau gestellt waren. Dort versicherte man mit gewohnter Ruhmredigkeit, daß die mit der Maschine genähten Kleider viel besser und wohlfeiler seien, als die mit der Hand genähten, und hier lockte man durch lauten Ausruf und durch Schilderungen der Wunderwirkung der Maschine die Künstler und Künstlerinnen von der Nadel an, sich die gefährliche Nebenbuhlerin in der Nähe zu betrachten. In Berlin selbst sucht man, zum Theil wohl nur auf ängstliche Gemüther behufs der Verminderung von Nählöhnen zu wirken, die Nähmaschine recht in den Vordergrund zu stellen. Es befindet sich dort unter Anderem ein glänzend gaserleuchteter Laden mit großem Schaufenster, in dem ein sauber gekleideter Schneidergeselle vor den Augen der Vorübergehenden mit bewunderungswürdiger Gewandtheit und Geschwindigkeit Hosenbeine und Rockärmel von der Maschine zusammennähen läßt. Ein Beweis unserer ruhigen und vernünftigen Zeit ist es, daß alle diese offenen Kundgebungen von Leistungen einer Maschine, welche droht, die Nähnadel aus der arbeitenden Hand zu nehmen, mit so viel guter Laune betrachtet wird. Es ist dies ein Zeugniß von gesundem Sinn, der zu begreifen scheint, daß ein verbessertes Werkzeug, und nichts weiter ist die Nähmaschine, endlich doch der arbeitenden Hand – und ohne diese ist die Nähmaschine nichts – zu Gute kommen muß.

Aber man wird fragen: was denn eigentlich an der Sache sei? Ob sie nicht vielleicht lediglich ihren Ursprung in amerikanischem Puff, in Wind und Schwindel habe? Wir fühlen uns verpflichtet, unserer Auffassung der Sache nach, die letzte Frage zu verneinen und die Nähmaschine als eine sinnreiche mechanische Zusammenstellung und ein in vielen Fällen nützliches Werkzeug zum Nähen zu erklären. In der verbesserten Gestalt, namentlich wie sie unser geschickter und denkender Mechaniker Herr Christian Hoffmann in Leipzig jetzt ausgeführt hat, macht sie bei guter Behandlung und unter günstigen Umständen bis 500 Stiche einer schönen festen Steppnaht in allerlei Zeuge, und, je nachdem die Einrichtung getroffen wird, in feinem und starkem Stoff, enge und weite Stiche mit Seide, leinenem und baumwollenem Zwirn. Man kann gerade und in Bogen nähen. Bei guter Führung ist das Aussehen der Naht auf beiden Seiten gleich. Dahingegen kann man nicht überwendlich nähen, demnach auch nicht säumen. Gewiß wird nun aus diesen wenigen Andeutungen über die Fähigkeit der Maschine jeder denkende Kleidermacher, jede aufmerksame Näherin, selbst einen Schluß ziehen können, in wie weit die Maschine die einfache Nähnadel zu ersetzen vermag. Wir wollen hier nicht vorgreifen, sondern zu einer Beschreibung der Maschine übergehen, so weit sie sich ohne Bezugsnahme auf genaue Werkzeichnungen eben geben läßt.

Das Nachdenken der Erfinder hat sich schon seit längerer Zeit angestrengt, ein Verfahren zu ersinnen, die einfache Arbeit des Zusammennähens von Zeuglagen durch Maschinen rascher als mit der Hand verrichten zu lassen. Zum Vorschein kamen die Ergebnisse dieses Strebens zumeist auf der Londoner Ausstellung. Dort zeigte ein gewisser Mathee, wie man mittelst einiger Räder und einer Nadel die zwei Enden von Zeugen sehr schnell zusammenriegeln könne. Der Franzose Senechal nähte dort grobe Leinwand zu Säcken, indem er die in der Mitte geöhrte Nadel mit Hülfe von Zangen hin und her durch das dichte Zeug führte. Er mochte dadurch wohl das Nähen erleichtern, nicht [479] aber sehr beschleunigen. Durch eine Art Kettenstich mit der Häkelnadel nähte Magnin von Villefranche auf mechanische Weise, während Judkins von Manchester, Blodget von Neuyork und Morey von Boston in Nordamerika Nähmaschinen ausgestellt hatten, deren Prinzip ganz dem ähnlich ist, wie es jetzt in unserer amerikanischen Nähmaschine unter dem Namen der Singer’schen zu Tage liegt. Diese Maschine ist zuerst von Herrn G. A. Müller, Direktor der deutschen Bekleidungsakademie in Dresden, aus Amerika in Deutschland eingeführt und Jedem frei und offen gezeigt, auch in allen ihren Einzelnheiten in der deutschen Gewerbezeitung 1853, Heft 4 veröffentlicht worden, so daß Jeder sie frei nachbauen und benutzen kann, wenn er es sonst in seinem Interesse findet. Diese Nähmaschine ist nicht groß. Sie hat vollkommen Platz auf einem Nähtischchen, und kann dieses so eingerichtet werden, daß die Maschine mit dem Fuße wie ein Spinnrad in

Die Nähmaschine

Bewegung zu setzen ist, während das zu nähende Zeug mit den Händen unter die Nadel geführt wird. Diese arbeitet senkrecht, sticht aber nicht ganz durch, sondern nur so weit hinunter, daß ihr, durch ein Oehr etwas unterhalb der Spitze gezogener Faden unterhalb des Zeugs eine Schleife bildet. Durch diese Schleife drängt [480] sich dann ein kleiner Schützen, in welchem sich eine Spule mit Nähfaden befindet. Wird nun die Nadel wieder zurückgezogen, so zieht zu gleicher Zeit der Nadelfaden den Schützenfaden mit in’s Zeug hinein, so daß jeder Stich gleich zwei in einander gehängten Fadenschleifen ist. Nach jedem Stich wird das Zeug durch eine Klinkvorrichtung um eine Stichweite vorgeschoben, während es zwischen einem feilenartig aufgehauenen Rad und einem Stahlfinger gehalten wird. Aus dieser Beschreibung des Spiels der Nadel ergiebt sich von selbst: daß die Nadel aus demselben Stichloche, durch welche sie in das Zeug gegangen, auch wieder herauskommt und nicht wie gewöhnlich einen Stich weiter. Der Schützen geht, während die Nadel in die Höhe steigt, wieder an seinen alten Platz zurück, um, wenn die Nadel auf’s Neue durchsticht, sofort wieder durch die Schlinge zu fahren. Dieses Spiel wiederholt sich fortwährend. Es ist eine Art „Nahtweben“. Welche Mechanismen nun aber in Thätigkeit sind, um sowohl Nadel als Schützen sammt Fäden, jene auf und nieder, diesen hin und her, zu bewegen, darüber geben wir gern in unseren technischen Schriften und daheim in unserer schriftstellerischen Werkstatt Auskunft. Die Gartenlaube aber – wäre wohl dazu geeignet, wenn wir neben einer holden Fragerin säßen und ihr die Finger mit der Nadel führten, um zu zeigen, wie so wunderbar sich die Maschinenglieder bewegen, und um groß zu thun mit unserer Kenntniß von den Stichen, als z. B. Steppstich oder Hinterstich, Vorstich und Saumstich, Knopflochstich und Hexenstich, Kettenstich und Kreuzstich, Plattstich und Spitzenstich, Gobelinstich und Hohlstich, überwendlicher und geheimer Stich u. s. w. u. s. w.

Wenn wir nun aber in’s Gedächtniß zurückrufen, daß unsere deutsch-amerikanische Nähmaschine – denn wir haben den guten Glauben, daß sie ursprünglich eine deutsche, später ausgewanderte Erfindung ist – nur einen Stich, nämlich den Steppstich, und diesen nicht einmal ganz kunst- oder nadelgerecht zu machen versteht, so wird man uns gewiß beistimmen, daß den fleißigen Fingern noch eine Menge Nadelstiche übrig bleiben, und nur ein einziger nicht möglich sei, wie das spanische Sprüchwort, jedenfalls mit Unrecht, behauptet:

Zwischen des Weibes Ja und Nein
Geht kein Nadelstich hinein! –