Die Mutter ist todt
Die Mutter ist todt.[1]
Wie vor der Königin am Trau-Altar
Die Fürstenfraun in Huldigung sich neigen,
Gehüllt in Demantschleier wunderbar,
So naht der Tag – die letzten Sterne bleichen.
Aus Purpurroth und azurblauem Licht
Sich rasch empor, um wechselvoll zu schweben
Wie Strahlenbündel, die ein Prisma bricht.
Ich staune nicht – was soll mir Morgenroth?
Die Nacht war lang; feucht ist der gelbe Sand;
In Nubiens Felsgestein fiel manche Thräne;
Die Flinte hält mechanisch meine Hand –
Sie lauert nicht auf Schakal und Hyäne.
Sie nahten, schwanden wie ein Traumgebild,
Indeß die Sehnsucht irrt in weite Ferne
Und sucht das Mutteraug’, so treu lind mild –
Der Stern erlosch, der alles Licht mir bot:
Es schweift mein Blick zurück in alte Zeit:
Wie Vieles, was ich fand, hab’ ich verloren!
Ich sucht’ ein treues Herz, doch keine Maid
Hielt mir den Treuschwur, den sie mir geschworen.
Unglück und Noth war mir der beste Freund.
Wenn in der Noth die Freunde mir zerstoben.
Bei Gott! ich habe nie darum geweint.
Was liegt mir an Enttäuschung, Unglück, Noth?
- ↑ Das obige stimmungsvolle Gedicht entnehmen wir dem handschriftlichen Nachlasse des in Folge seines tragischen Todes in den Fluthen
des Jordan unlängst so häufig genannten und so viel beklagten Afrikareisenden Dr. Friedrich Mook. Unsern Lesern dürfte die Mittheilung nicht
unwillkommen sein, daß die Gedichte des talentvollen jungen Gelehrten und Poeten demnächst unter dem Titel „Lieder aus der Fremde“ im Buchhandel
erscheinen werden. D. Red.