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Die Morgenröthe (Zerstreute Blätter)

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
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Autor: Johann Gottfried Herder
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Titel: Die Morgenröthe
Untertitel:
aus: Zerstreute Blätter (Dritte Sammlung) S. 276-277
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Erscheinungsdatum: 1787
Verlag: Carl Wilhelm Ettinger
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Erscheinungsort: Gotha
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Originalherkunft:
Quelle: ULB Düsseldorf und Commons
Kurzbeschreibung:
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[276]
Die Morgenröthe.


Hast du die schöne stille Morgenröthe gesehn? Sie leuchtet hervor aus Gottes Gemach, ein Stral des unvergänglichen Lichts, die Trösterin der Menschen.

Als David einst, verfolgt von seinen Feinden, in einer schauerlichen Nacht auf dem Berge Hermon saß, und den Trauervollsten seiner Psalmen seufzte: „Löwen und Tiger brüllen um mein Ohr, der Bösen Rotte hat mich rings umgeben und ich seh keinen Helfer!“ siehe da ging die Morgenröthe auf. Mit glänzenden Augen sprang sie hervor, die frühgejagte Hindin, und hüpfte auf den Bergen und sprach zu ihm wie ein Engel auf den Hügeln: „Was grämst du dich, daß du verlassen seyst? Ich riß hervor aus dunkler Nacht; aus Grauenvoller Finsterniß ward Morgen.“

[277] Getröstet hing an ihrem Blick des Traurigen Auge, bis sie zur Sonne ward und Heil der Welt aufging mit ihren mächtigen Flügeln. Frohlockend änderten sich die Töne seines Gesanges, den er das Lied der Morgenröthe nannte, der frühe gejagten Hindin. Auch späterhin sang er ihn oft und dankte Gott für die Bedrängungen seiner Jugend; und jedesmal kam mit demselben neues jugendliches Morgenroth in seine trüb’ - umhüllete Seele.

Tochter Gottes, heilge Morgenröthe, blicke mich täglich an, und weihe wie den Himmel und die Welt, so auch mein Herz zu deiner stillen Wohnung.