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Die Mitra mit dem Eichenkranz

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Textdaten
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Autor: Friedrich Hofmann
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Titel: Die Mitra mit dem Eichenkranz
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 3, S. 37–39
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1863
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[37]
Die Mitra mit dem Eichenkranz.
Von Friedrich Hofmann.
1


Ignaz Heinrich Freiherr von Wessenberg.
Nach einer Originalzeichnung von Fr. Pecht in München.

Den Mann, vor dem wir stehen, schmückt der Ruhm des seltensten Verdienstes: der Ruhm, als Priester, als Dichter und als Staatsbürger allezeit deutsch und frei gedacht und gelehrt, gesungen und geschrieben, gelebt und gewirkt zu haben. Nie ist der bischöfliche Schmuck, die Mitra, von einem deutscheren Haupte getragen worden.

Wer die Bedeutung dieses Mannes ’gerecht würdigen will, darf nicht den Standpunkt der Gleichgültigkeit einnehmen, auf welchen viele Leute des Fortschritts in der Gegenwart sich der Kirche gegenüber stellen. Wer sich von dem kirchlichen Gebiet kampfscheu mit der Phrase zurückzieht, daß mit der Freiheit im Staate sich die in der Kirche von selbst einfinde, der wird jeden Kampf für die religiöse Wohlfahrt der Geister als eine unnütze Bemühung ansehen und höchstens denjenigen Kampfmitteln, welche zugleich der Volksbildung dienen, seine Anerkennung schenken. Unseres Mannes höchstes Streben wird nur der gerecht würdigen, welcher mit Karl Hüetlin, dem Bürgermeister von Constanz, ausrufen kann: „Ich würde mich – schon um meiner Kinder willen – vor Gott und meinem Gewissen der Sünde fürchten, wenn ich dem pfäffischen Treiben gegenüber, dessen Fußstapfen überall nur geistiges und leibliches Elend folgt, müßig zuschauen wollte!”

Auf diesen Standpunkt drängt uns mehr und mehr die Einsicht [38] in das wahre Wesen unseres deutschen Volkes, das sich durch immer neue Erscheinungen von Tag zu Tag klarer darstellt. Es ist in der That, „wie kein zweites in der Welt, ein Volk aus einen Gusse – und, nach den drei Grundzügen seines Wesens, ein Volk von religiösem Bewußtsein, von unbegrenztem Wissensdrang, von opfermüthigem Freiheitsgefühl – und nur als ein solches darf es und will es genommen sein.“ Dieser patriotische Glaubens- und Lehrsatz unseres E. A. Roßmäßler,[1] der recht eigentlich als Motto gelten kann für eine Lebensbetrachtung, wie wir sie hier geben wollen, dieser Satz mahnt jeden Volkskämpfer an seine doppelte Pflicht: das Volk nicht wehrlos preiszugeben der rastlosen und bis in das Heiligste der Familie eingreifenden und einschleichenden Betriebsamkeit des Priesterthums, und vor Allem die Wiege unserer Volksbildung, die Schule, vom priesterlichen Gängelbande zu erlösen; denn nur der in seinem religiösen Bedürfniß nach seiner freien eigenen Gottesanschauung geschützte und vor jedem störenden Eingriff in seinen Bildungsgang gesicherte Deutsche wird mit ganzer Seele zum Vaterlande stehen. Wer daher für das Volk in den „strengen Dienst der Freiheit” geht, den muß die Einsicht leiten, daß beides, der Kampf auf dem politischen wie aus dem kirchlichen Gebiet, Schritt vor Schritt gemeinsam vordringen muß, wenn wir nicht abermals nur auf dem einen Flügel siegen wollen, während wir auf dem andern geschlagen werden. Man fürchte nicht, dadurch neue Feinde gegen das politische Streben des Fortschritts aufzuhetzen: nicht ein Feind kommt neu hinzu, sie stehen längst alle mitten im Kampf, nur daß die Heerschaaren des Priesterthums fast fröhlichen Sieges vorwärtsschreiten, weil sie auf so wenig geharnischte Gegner stoßen.

Diese Einsicht leitete den Mann, aus dessen edles Antlitz heute unsere Leser blicken: er verfolgte als Priester, Gelehrter und Bürger das eine Ziel der Volksbeglückung in der Kirche, in der Schule wie im Ständesaal, und wie er in seiner hohen geistlichen Stellung bei seiner kirchlichen Reformation das politische Feld nie außer Acht ließ, ebenso sollten unsere politischen Volksführer in ihrer hohen weltlichen Stellung nicht vom kirchlichen Gebiet so scheu, wie bisher, ihre geistigen Waffen zurückziehen. Das Volk denkt in dieser Hinsicht anders, als sie; und weil gerade jetzt in mehreren deutschen Ländern zugleich eine lebhaftere kirchliche Bewegung begonnen hat, so glaubten wir uns verpflichtet, gerade jetzt den einst von Hunderttausenden gesegneten und von Millionen gefeierten Wessenberg allen Deutschen wieder in das Gedächtniß zu bringen und allen deutschen Volkskämpfern als ein Vorbild auf die wohlverdiente Ehrensäule zu stellen.

Ignaz Heinrich Freiherr von Wessenberg ist der Sprosse einer alten Adelsfamilie, von deren Stammburg auf einem der Höhenzüge des Frickthals unweit Brugg, im heutigen Canton Aargau, nur noch wenige Trümmer zeugen. Er war der mittlere von drei Brüdern und am 4. November 1774 zu Dresden geboren. Sein Vater, Philipp von Wessenberg, bekleidete am kursächsischen Hofe die Stelle eines Conferenzministers und Obersthofmeisters der verwittweten Kurfürstin und leitete später die Erziehung des minderjährigen Kurfürsten Friedrich August, entsagte aber dem Hofleben im Jahre 1776 und zog sich auf sein Gut Feldkirch im Breisgau zurück.

Hier verlebte Heinrich seine Knabenjahre. Das Leben der Familie in Feldkirch, und während der Wintermonate im nahen Freiburg, war ein glückliches; selbst der ehrwürdige Schmuck eines Großvaters fehlte ihr nicht, eines neunzigjährigen Greises, der oft Heinrich‘s, seines Lieblings, Antlitz mit Freude streichelte und mit Stolz sagte: „Das ist noch eine rechte deutsche Stirn!”

Und diese Stirn log nicht; der Mann machte des Greises Ausspruch zu einem Prophetenwort.

Nachdem Wessenberg sich durch fleißige Studien auf den Schulen und Universitäten zu Augsburg, Dillingen, Würzburg und Wien für seinen Stand vorbereitet und schon im Jahr 1799 actives Mitglied der Domcapitel von Constanz und Augsburg geworden war, eröffnete ihm im Januar 1800 der Tod des Fürstbischofs von Constanz das Feld seines großen Wirkens. Dalberg bot ihm das Generalvicariat von Constanz an, und Wessenberg übernahm es, nachdem beide Männer in einer vertrauten Unterredung zu Augsburg sich den Plan über die zukünftige Gestaltung der Kirche gemeinsam vorgezeichnet hatten. „Nach jener Unterredung,” schreibt Wessenberg, „hatte ich nun meine Bestimmung, und mein Entschluß stand fest, ihr mein Leben und alle meine Kräfte zu widmen.”

Ehe er jedoch damit beginnen konnte, führte ihn die Nachricht von der Erkrankung eines Oheims nach Regensburg, und die Ereignisse der Zeit (der traurige Verlauf und Ausgang des österreichischen Kriegs gegen Frankreich, von den Schlachten von Marengo und Hohenlinden bis zu den Friedensschlüssen von Basel, Campo Formio und Lüneville, 9. Februar 1801) hielten ihn über ein Jahr dort zurück. Seine Bemühungen, den drohenden Säcularisationen geistlicher Herrschaften gegenüber „solche Stipulationen zu erhalten, wodurch die Selbstständigkeit der deutschen Kirche gesichert und zugleich die Interessen der Humanität und Bildung gefördert würden” – kurz, für die Kirche in Deutschland eine nationale Stellung und einen nationalen Charakter unter einem Primas zu erlangen – sie scheiterten an der persönlichen Bequemlichkeit und den politischen Nebenrücksichten der Kirchenhäupter jener Tage. – „Ueberhaupt war,” schreibt Wessenberg über jene Zeit, „im deutschen Vaterland, namentlich in gewissen Kreisen, aller Gemeinsinn und patriotische Geist erschlafft. Die heillose Schicksalsidee hatte sich, wie der dramatischen Dichtung, so auch des wirklichen Lebens bemächtigt. Entmuthigt und gedankenlos lebte man in den Tag hinein. … Die Wahrnehmung dieser Zustände erregte in mir einen wahren Ekel und die Sehnsucht, recht bald meine Kräfte einzig dem Berufe meines geistlichen Hirtenamtes zu widmen.”

Als Wessenberg die Verwaltung des Bisthums Constanz übernahm (so sagt Dr. Jos. Beck[2], der Biograph Wessenberg’s dessen vortreffliches Werk wir diesem Artikel zu Grunde gelegt haben), belief sich die Seelenzahl der katholischen Bewohner in den deutschen und schweizerischen Antheilen auf etwas über anderthalb Millionen, die gesammte Geistlichkeit umfaßte 6608 Personen, kam also auf etwa 233 Einwohner ein Kleriker! Der geistige Zustand der Diöcese war trostlos, von der geistlichen Regierung an bis hinab zu den untergeordneten Organen der kirchlichen Verwaltung. Hier lagen Schäden offen, die mit einer Gewalteur nicht zu heilen waren.

So begann er denn sein Reformationswerk mit der Berufsbildung der Geistlichkeit selbst. Um zunächst Ordnung und Pünktlichkeit in die Geschäfte zu bringen, entwickelte er eine riesige Arbeitskraft. Von Morgens fünf Uhr bis spät in die Nacht fand man ihn rastlos beschäftigt. Dadurch suchte er nicht nur die Unfähigen vor der Hand selbst zu ersetzen, sondern allen Geistlichen seiner Diöcese mit seinem Beispiel voranzuleuchten. Allmählich schritt er dann zu der Ausscheidung der durchaus Unbrauchbaren und Unverbesserlichen. Bei allen seinen Schritten aber ging er von dem Grundsatz aus: „Keine Reform vorzunehmen, die nicht eine Verbesserung wäre, und nichts zu ändern, was nicht einer Verbesserung bedurfte.”

Seinen Kampf gegen jenes hierarchische System, welches nur auf dem Boden geistiger Uncultur gedeiht, eröffnete er mit einem Regulativ, das den Studiengang der Candidaten der Theologie feststellte. Ueber die Aufnahme in das Seminar entschied fortan eine Hauptprüfung, welche Wessenberg, so oft als möglich, selbst leitete. Das Seminarwesen erfuhr eine völlige Neugestaltung, und insbesondere erhob er das Hauptseminar zu Meersburg zu einer Musteranstalt. Damit dies ganz in seinem Geist geschehe, zog er für einige Zeit selbst nach Meersburg, um das Ganze zu leiten und wichtige Lehrfächer so lange selbst zu übernehmen, bis er die rechten Männer für sie gefunden hatte. Sogar für eine Buchhandlung sorgte er, denn auch damit sah es in der Diöcese, bei dem gar zu geringen Bücherbedarf des bisherigen Priester- und Gelehrtenthums, schlimm genug aus.

Nicht weniger kräftig ging er an die Reformen in der Verwaltung des Bisthums, in der er vor Allem für einen bessern Organismus sorgte. Er strebte dahin, im Klerus wieder Sinn für christliches Gemeinleben zu wecken, rief die vergessenen Pastoralconferenzen wieder in’s Leben, gründete eine besondere Zeitung (Archiv für die Pastoralconferenzen etc.) für dieselben, deren Redaction er selbst fünfundzwanzig Jahre besorgte, richtete literarische Lesevereine und Capitelsbibliotheken ein, schrieb öffentliche Preisfragen aus, erneuerte die Concursprüfungen und suchte sogar die vielen geistlichen Müßiggänger, die sog. einfachen oder simplen Priester [39] (sacerdotes simplices), deren Tagewerk nur im Wesselesen besteht, zu nützlichen Menschen umzuschaffen.

Mit gleichem Eifer trat er in die Volksschule und forderte auch hier vor Allem Berufsbildung des Lehrers. Das ist das einzige Feld, aus dessen Saat ihm nur Freuden blühten, denn noch heute ist es Wessenberg’s anerkanntes Verdienst, daß das Schul- und Unterrichtswesen in Baden, theilweise auch in der Schweiz und mittelbar auch anderwärts auf der gegenwärtigen Höhe steht. Selbstverständlich drang Wessenberg auch auf die Schulbildung der Geistlichkeit, denn er wollte, daß der Geistliche nicht der herrische Gebieter des Lehrers, sondern sein erster Freund, sein fachkundiger Berather, sein Vorbild in Berufstreue und christlicher Humanität sei. Daß dieser Wunsch des edlen Reformators nicht in Erfüllung ging, ist die Schuld der Geistlichkeit, und der Ruf nach Erlösung der Schule von ihr wird so lange gerechtfertigt sein, als Beck’s Ausspruch gilt: daß Hierarchen so wenig wie Junker je angethan seien, sich selbst zu reformiren.

Von großer Bedeutung sind endlich Wessenberg’s gottesdienstliche Reformen, und obwohl in Folge äußerer Ereignisse mitten in ihrer Entwicklung aufgehalten, auch später von der kirchlichen Reaction zum guten Theil wieder beseitigt, haben sie dem deutschen Volk doch wenigstens zwei unschätzbare Errungenschaften gebracht: die Einführung des deutschen Kirchengesangs und den Gebrauch der deutschen Sprache bei der Liturgie. Sein deutsches Gesangbuch, in welches er das Beste aus alter und neuer Zeit und ohne Rücksicht auf die Confession der Versasser aufnahm, war eine große deutsche That, das Bestreben, der großen Hälfte des deutschen Volks seine Sprache für das religiös-kirchliche Leben zurück zu erobern, war der erste kühne Schritt auf der Bahn zu nationaler Selbstständigkeit.

In unseren Tagen mag es für Viele schwer sein, die Schwierigkeiten, ja Gefahren dieses Unternehmens zu würdigen. Diese mögen bedenken, daß Wessenberg nicht nur in einem sehr großen Theil der Geistlichkeit, sondern im Volke selbst hartnäckige Widersacher fand, gegen die er nicht die Bekehrungsmittel des Kurfürsten von Mainz anwenden durfte. Erthal hatte schon zu Anfang der neunziger Jahre in seinem Erzstift den deutschen Kircheugesang einzuführen gesucht. Da erklärten die Bewohner des Mainzischen Ortes Rüdesheim, ihre Eltern und Großeltern seien doch auch keine Narren gewesen und hätten kein Latein verstanden, wären aber doch selig geworden, wie der Herr Pfarrer sage; darum wollten auch sie mit ihrem lateinischen Gesang in den Himmel kommen. Gegen diesen Widerspruch versuchte das Hochstift erst das Mittel väterlicher Belehrung; als dieses nicht fruchtete, legten sich 600 Mann Executionstruppen in den Ort, und eine solche Last ertrugen diese Rüdesheimer neun volle Monate, ehe sie von ihrem geliebten Latein losließen.

Wessenberg durfte nur belehrend bekehren, denn er verfolgte ein höheres Ziel, als die bloße Einführung deutschen statt lateinischen Gesangs. Sein Streben war gegen den Aberglauben gerichtet, der sein Wesen in dem für den Laien geheimnisvollen Latein sogar noch gesetzlich trieb. Noch im Jahre 1781 war ein lateinisches liturgisches Handbuch im Constanzer Bisthum eingeführt, welches eine förmliche Theorie über Teufel- und Geisterbeschwörung und eine lange Reihe vorgeschriebener Formeln enthielt, um alles Mögliche, Menschen und Thiere, Haus und Stall, die Bettstätten der Eheleute, Milch und Butter u. s. w. zu beschwören. Und so mächtig wirke noch im Anfang des 19. Jahrhunderts der Wahn, daß Wessenberg selbst von Protestanten, namentlich aus der Schweiz, nicht selten Bittbriefe erhielt, ihnen diesen oder jenen Geistlichen oder Mönch, als den Mann ihres besonderen Vertrauens, zu einer Teufelsbeschwörung bald an einem kranken Kinde, bald an einem Stück Vieh und dergl. abzuordnen. Gegen solchen Unfug konnte Wessenberg anfangs nicht einmal verbietend auftreten, weil die Seelsorger und Mönche auf die einträglichen Geschäfte der Exoreismen als auf ihr Recht, ja ihre Pflicht pochten, die ihnen durch ihre lateinische Liturgie vorgeschrieben sei. Diesem konnte Wessenberg vor der Hand nur den Befehl entgegensetzen, für jede Teufelsbeschwörung erst die Erlaubniß der bischöflichen Oberbehörde einzuholen. Dadurch kamen wenigstens die meisten solcher Fälle zu seiner Kunde, und er beeilte sich dann, so oft wie möglich, persönlich die Irrenden, Priester und Laien, belehrend und ermahnend von ihrem Vorhaben abzubringen und gegen Widerspenstige strenge Zurechtweisung zu üben. Erst durch seine deutsche Liturgie legte er diesem durch Jahrhunderte von der Priesterschaft so sorgsam gepflegten Wahn das Beil an die Wurzel. Schon nach diesen wenigen Andeutungen wird auch der protestantische Norddeutsche keine Anmaßung mehr darin finden, daß man im katholischen Süddeutschland die Wessenbergische Einführung der deutschen Sprache in den Volksgottesdienst für ebenso epochemachend erklärte, als früher die deutsche Bibelübersetzung Luther’s. Beides waren deutsch-nationale Siege des Lichts gegen die jesuitisch-ultramontanen Dunkelmänner.

Zu demselben Zweck sorgte Wessenberg für die Verbreitung der deutschen Bibel in allen seinen Gemeinden; sie galt ihm als das „Buch der befreiten Menschheit”, als die „Magna Charta der christlichen Geistesfreiheit und der Brudergleichheit aller Menschen”, darum als die unversiechliche Quelle der Humanität. – Zu demselben Zweck ordnete er für die reifere Jugend an den Sonntagsnachmittagen erst einen „christlichen Lehrunterricht” an, aus dem sich nach und nach die so segensreich wirkenden Sonntagsschulen und endlich die Fortbildungsschulen und Fortbildungsvereine entwickelten.

So war einzig und allein das Volksglück durch Volksbildung, durch Volksveredlung das Ziel, das er mit eherner Beharrlichkeit anstrebte, für das er die zäheste Geduld der Belehrung, eine unermüdliche Kraft der Abwehr aufwandte, für das er auf dem Lehrstuhl der Schule wie auf der Kanzel, mit der Feder des Schriftstellers wie mit der Harfe des geistlichen Dichters das Beste seiner Seele und feines Herzens opferte. Und selbst wo er mit dem Eifer eines Kirchenhauptes die Selbstständigkeit und die guten Rechte der Kirche verfocht, wo er namentlich das Kirchengut und das Vermögen milder Stiftungen aus den habgierigen Fingern der damals so säcularisationsseligen Dynastien zu retten suchte, geschah dies nur, damit das eingezogene Kirchenvermögen einem bessern Zwecke, als fürstlicher Vererbung oder Vergeudung, damit es zur Förderung kirchlich-religiöser und humaner Zwecke diene, insbesondere für Erziehungs- und wissenschaftliche Anstalten verwendet werde. Daß gleichwohl bei der Zerrüttelung und dem Umsturz des deutschen Reichs durch Napoleon für die Volksbildung in Wessenberg’s Geist so wenig abfiel, das ist nicht blos die Schuld, das lag im wohlerwogenen Plane der höheren Hierarchie selbst: „denn die erkannte Wahrheit macht frei, wie das Evangelium sagt, und duldet in die Länge keine hierarchischen Fesseln.”

Trotzdem und ebendeshalb trug Wessenberg’s Saat tausendfältige Früchte. Ein neues frisches Leben zog in die Kirche ein und wirkte auf das Leben der Familie und der Gemeinde zurück. Mehr und mehr wich aus den Kirchen der handwerksmäßige Formendienst, jeder Tag wirkte in den Seminarien zur Verbesserung der Schulen, zur Veredlung des Cultus, die Laien überkamen das Geschenk einer neuen Zeit, die Alten ergaben sich ihr mit immer geringerem Widerstand, und in der Jugend ward der Keim gepflegt, der den Sieg des Lichtes für die Zukunft sichern mußte. Soweit die deutschen Grenzen des Bisthums reichten, wuchs von Tag zu Tag die Einigkeit, knüpften sich die innigsten Beziehungen zwischen dem Generalvicar und seinen geistlichen Dienern. Das stille, reformatorische Werk innerhalb der katholischen Kirche war zu so schöner Blüthe gediehen, daß es die Augen von ganz Deutschland, und nicht blos des katholischen, auf sich lenkte und daß es bereits die Kraft der Nachahmungswürdigkeit erlangt hatte. Noch heute sind jene Geistesblüthentage int Volke unvergessen, und heute mehr als je hat die katholische Kirche Deutschlands Ursache, das Zertreten jener Blüthe zu beklagen, das ein Unglück für ganz Deutschland war. Das Gefühl dieser Wahrheit ist es, das sich seit Wessenberg’s stillem Dahinscheiden laut ausspricht in dem Wunsche, die Stätte seines Wirkens mit einem Ehrenmale zu bezeichnen,[3] und es wird auch den Männern des deutschen Nordens wohlanstehen, dem süddeutschen Geisteshelden die andere Hälfte zum vollen Lorbeerkranz zu reichen.

Wir verlassen heute den großen Mann auf der Höhe seines nach von außen ungestörten Wirkens, während es schon von Rom her droht. Wir werden in einem zweiten Artikel unsern deutschen Priester und Mann zu seinem höchsten Streben nach einer nationalen deutschen Kirche, zu seinem Kampfe mit dem Papstthume in Rom selbst, zu seiner Unterdrückung, zu seinem bittern Entsagen begleiten, wir werden ihn als wackern deutschen Staatsbürger in der badischen Ständekammer wiederfinden und endlich in seiner stillen Dichterklause zu Constanz von ihm scheiden.


  1. Die Fortschrittspartei und die Volksbildung.
  2. Freiherr J. Heinrich von Wessenberg. Sein Leben und Wirken. Zugleich ein Beitrag zur Geschichte der neuern Zeit. Auf Grundlage handschriftlicher Aufzeichnungen Wessenberg’s. Von Dr. Jos. Beck, großherzogl. bad. Geh. Hofrath. Freiburg, Fr. Wagner. 1862.
  3. Zu Beiträgen fordert das „Central-Comit zur Errichtung eines Wessenberg-Denkmals in Constanz” auf und bittet alle Redactionen, sich der Sache und der Gabensammlungen anzunehmen.