Zum Inhalt springen

Die Malzextractomanie

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: Carl Ernst Bock
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Die Malzextractomanie
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 19, S. 296-297
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1862
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite


[296]

Die Malzextractomanie.

Braunbier, Bitterbier, Braunschweiger Mumme, Porter, Hoff'sches Malzextrakt, Trommer’sches concentrirtes Malzextrakt.

Nachdem die Revalenta arabica, Goldberger’s Rheumatismusketten und das Anacahuiteholz glücklich beseitigt sind, nachdem der Stern des Aepfelweins, des Bullrich’schen Salzes, der Strahl’schen und Morrison’schen Pillen im Untergehen begriffen ist, sind wir nun in die Aera des Malzextraktes eingetreten. Und diese Aera wäre wirklich nicht so übel, wenn dabei nur Schwindelei und Aberglaube nicht gar so arg mitspielten. Denn als leichte Nahrungsmittel sind die verschiedenen Malzpräparate und Bierarten allerdings nicht zu verachten, nur dürfen sie nicht über den Spahn bezahlt und als heilkräftige Medicin, wohl gar als Universalheilmittel ausposaunt werden, wie dies eben der Fall ist.

Daß manche Kranke nach dem Gebrauche des Malzextractes Besserung ihres Leidens eintreten sahen, ist durchaus nicht wegzuleugnen oder wunderbar; doch braucht deshalb daran das Malzextrakt noch lange nicht schuld zu sein. Trotzdem ist es dem Laien zu verzeihen, wenn er diesem Extrakte seine Besserung zuschreibt, da ja selbst die meisten Aerzte ebenso wie die Charlatane und Homöopathen denjenigen Mitteln und Hokuspokusen, die sie gerade vor dem Besser- oder Gesundwerden eines Kranken anwendeten, den glücklichen Erfolg zuschreiben, während doch neben dem Naturheilungsprocesse (s. Gartenl. 1855, Nr. 25) noch eine Menge anderer günstiger Umstände die Besserung oder Heilung veranlaßten.

Wann wird denn wohl endlich einmal der Mensch in der Schule mit Hülfe der Kenntnisse der göttlichen Naturgesetze so zum Denken erzogen werden, daß er über Ursache und Wirkung (über post hoc, ergo propter hoc, weil darnach, also auch darum, weil’s darauf kommt, darum’s auch daraus kommt; s. Gartenl. 1859, Nr. 33 u. 38) vernünftiger als jetzt urtheilen lernt? Sobald sicherlich noch nicht! Und darum wird man auch noch lange, sogar von Seiten sogen. gebildeter Leute, den Geheimmitteln und den Heiltausendsasas, wie dem Herrn Postsecretär und Sanitätsrathe Dr. Lutze in Cöthen, dem Herrn Schuster und Heildirector Lampe in Goslar, der Frau Müllerin Graf in Schleiz und noch vielen andern heilkünstelnden Laien mehr Vertrauen, als wissenschaftlich gebildeten Aerzten schenken. Daß Hrn. Lutze’s mit Lebensmagnetismus zusammengerührte homöopathische, entweder auf die rechte oder auf die linke Körperhälfte wirkende Arzneien oder dessen lebensmagnetischer Hauch und meilenweit wirkender Willensmagnetismus wirklich unglaubliche Heilwunder verrichten können, das ist Vielen weit glaubhafter, als daß dieser ihr Glaube Blödsinn ist. – Daß der Schuster Lampe, der vorzugsweise mit einer Abkochung von Faulbaumrinde und aromatischen Kräutern curirt, die Krankheiten blos durch Besehen des Auges und Befühlen des Hinterhauptes und Nackens des Patienten sicherer erkennen soll, als ein wissenschaftlich gebildeter Arzt mit Hülfe der physikalischen Diagnostik, das werden sicherlich viele Leser der Gutzkow’schen „Unterhaltungen am häuslichen Heerde“, wo dieser Lampe als „Ritter vom Geiste“ verherrlicht wird, ganz natürlich finden. – Und daß Frau Graf durch Besichtigen des Urins eines Kranken sofort nicht nur die Krankheit, sondern auch das entsprechende Abführmittel wirklich weiß (denn ohne Abführung bei dieser Künstlerin keine Heilung), das muß doch wohl auch geaberglaubt werden, denn sonst hätte diese Purgirheilkünstlerin nicht auf Lebenszeit die Concession erhalten, im ganzen reußischen Lande zu curiren und sogar einen Handel mit selbstbereiteten Geheimmitteln (wie mit Choleratropfen, Flußtropfen, Augentinctur) zu treiben, was geprüften Aerzten nicht erlaubt ist. – Aber zu was wären denn die dummen Gedanken da, wenn sie nicht gedacht werden sollten?

Daß nun nach dem Gebrauche von Malzextrakten, ebenso wie nach Anwendung von tausend anderen Firlefanzereien, Besserung und Heilung einer Krankheit eintreten kann, hat seinen Grund, wie oben schon gesagt wurde, im Naturheilungsprocesse, der aber auf mannigfache Weise und durch mancherlei Zufälligkeiten und Umstände unterstützt, von hemmenden Einflüssen befreit oder wohl auch überhaupt erst in Thätigkeit gesetzt wurde. – Gar häufig kommt z. B. vor, daß gerade in dem Momente, wo der Krankheitsproceß seine höchste Höhe erreicht hat und die Naturheilung eintritt, irgend ein neuer Arzt oder ein besonders angepriesenes geheimes oder öffentliches Medicament herbeigeholt wird. Diesem wird dann natürlich die ganz aus freien Stücken eintretende Aenderung des Leidens zum Bessern zugeschrieben. Und solche, sogar ganz plötzliche Aenderungen werden sehr häufig bei acuten, fieberhaften, entzündlichen und krampfhaften Krankheiten (zumal bei Brustleiden) beobachtet. – Es sind ferner die Fälle gar nicht selten, wo ein Kranker durch unzweckmäßige, wirklich wirksame allopathische Heilmittel, falsche Diät und Curen längere Zeit maltraitirt wurde und dann, sobald er von diesen absteht, durch den nun freiwaltenden Naturheilungsproceß geheilt wird. Daß man nun diese Heilung irgend einem angewendeten unschädlichen Etwas zu verdanken aberglaubt und nicht der Natur, ist bei der Urtheilslosigkeit der meisten Menschen ganz natürlich. Zu den Krankheiten, welche sich in der Regel sofort bessern, wenn der Kranke zu quacksalbern aufhört, gehören vorzugsweise die Magen- und Darm-, überhaupt die Unterleibsleiden. – Sehr oft tritt Besserung und Heilung einer Krankheit deshalb ein, weil Patient unter günstigern, dem Naturheilungsprocesse förderlichen Umständen zu leben beginnt. So wirkt z. B. heilsam: der Luft- und Temperaturwechsel auf Hustekranke, die veränderte Diät auf Magenleiden, eine sonnigere, wärmere und trocknere Wohnung auf Schmerzkrankheiten, eine ruhigere Lebensweise auf Nervöse und Schwächliche, das Vergessen von Kränkungen, Verlusten u. dgl., sowie überhaupt die Befreiung von Sorgen etc. auf Hirnleidende u. s. f. Aber freilich werden solche Umstände beim Schwinden des Leidens ganz ignorirt und dafür irgend ein gebrauchtes lebendes oder todtes Heilding als Helfer ausposaunt. – Manchmal spielt auch die Phantasie des Kranken beim Besserwerden eines Leidens nach der Anwendung eines übersinnlichen, sympathetischen, lebensmagnetischen, somnambülischen oder homöopathischen Hokuspokus die Hauptrolle, und Patient jubelt viel zu frühzeitig über seine Heilung. – Es passirt ferner auch, daß ganz zufällig gerade zu der Zeit, als ein Kranker ein neues Etwas in Gebrauch zog, der Krankheitsproceß einen naturgemäßen Stillstand machte, und nun muß natürlich jenes Etwas die Ursache davon sein. Solche Stillstände kommen bei Lungenschwindsucht gern vor, und darum werden als ganz ausgezeichnet gegen diese Krankheit oft die allerblödsinnigsten Curarten gerühmt. – Kurz, in nur äußerst wenigen Fällen von Heilung und Besserung eines Leidens hat das Arzneiliche oder Quacksalbrige, was geholfen haben soll, wirklich Hülfe gebracht.

Mit den Malzextracten als Heilmittel hat es nun auch keine andere Bewandniß, als mit allen andern unschädlichen Quacksalbereien; man schreibt ihnen ganz mit Unrecht Heilkraft zu und aberglaubt, daß alles Gute, was nach ihrem Gebrauche im Verlaufe der Krankheit zu Tage tritt, durch sie auch veranlaßt sei, während man dies doch dem Naturheilungsprocesse und diesem oder jenem andern günstigen Umstände zu danken hat. Höchstens nützen die Malzpräparate als schwache, leicht verdauliche Nahrungsmittel, die um so nahrhafter sind, je mehr Malz sie enthalten, wie das Trommer’sche concentrirte Malzextrakt und die Braunschweiger Mumme. Jedoch ist ihr Nahrungswerth stets und insofern ein nur geringer und einseitiger, als sie vom Hauptnahrungsstoffe, von der (stickstoffhaltigen) Eiweißsubstanz nämlich, nur äußerst wenig enthalten, und von (stickstofflosen, kohlenwasserstoffigen) fettbildenden und zur Wärmeentwicklung verwendbaren Substanzen auch nicht gerade viel besitzen. Jedenfalls müßte man zur richtigen Kräftigung des geschwächten Körpers neben einem Malzextracte noch eiweißhaltige Nahrung (Milch, Ei, Fleisch) zu sich nehmen.

[297] Uebrigens können unter Umständen Malzextracte nicht nur nicht nützen, sondern sogar schaden. So ist z. B. bei Magenleiden das Trinken kalten Extractes (Bieres) insofern von Nachtheil, als die Kälte auf die krankhafte Veränderung der Magenschleimhaut und auf deren Heilungsproceß störend einwirkt. Eben solchen nachtheiligen Einfluß übt bisweilen auch noch die fixe Luft (Kohlensäure) des Malzextractes auf ein Magenübel aus, und deshalb ist Magenkranken anzurathen, das Malzextrakt (Bier) verschlagen und abgestanden zu genießen. Auch Brustkranken mit Heiserkeit ist dieser Rath nützlich. – Für Kinder und leicht erregbare Personen, besonders für Frauen, ist nicht selten der, wenn auch nur geringe, Spiritusgehalt eines Malzextraktes doch nicht zusagend und häufig sogar unangenehme Beschwerden (Herzklopfen, Hitze, beschleunigtes Athmen) verursachend.

Von allen Malzextrakten ist, wenn sich ein Geschwächter denn durchaus mit Hülfe von Bierstoffen und nicht durch Milch, Ei und Fleisch stärken will oder kann, das Trommer’sche concentrirte Malzextrakt (welches vom Brauereibesitzer Heinrich in Greifswalde bereitet und verkauft wird) das am meisten nahrhafte und, weil es ganz rein und frei von Weingeist und Kohlensäure ist, auch das unschädlichste. Es ist deshalb dem kohlensäurereichen, spiritushaltigen und mit Kräutern versetzten Hoff’schen Malzextrakte (was vielleicht Biertrinkern besser munden wird, als das Trommer’sche) weit vorzuziehen. Auch hat das Trommer’sche Extrakt, dem übrigens auch eine entsprechende Quantität des reinen bittern Extraktivstoffes des Hopfens zugesetzt ist, den Vortheil, daß es sehr haltbar und deshalb auf Reisen verwendbar ist, daß es mit jeder beliebigen Flüssigkeit, sogar mit kalter und heißer Milch, gemischt und nach Belieben verdünnt werden kann. Die große Wohlfeilheit des Trommer’schen Extractes gestattet ferner auch, daß dasselbe auf längere Zeit als diätetisches Mittel selbst von Unbemittelten gebraucht werden kann, was von dem bei weitem weniger nahrhaften Hoff’schen Malzextracte, von welchem ein kleines Fläschchen 71/2 Ngr. kostet, obschon es kaum 2 Ngr. werth ist, nicht gesagt werden kann. Außer dem Trommer’schen Malzextracte sind noch die Braunschweiger Mumme, das Bitterbier und der Porter zu empfehlen, nur enthalten diese Biere viel Kohlensäure und etwas Spiritus.

Das Hoff’sche Malzextract, welches nach der von Hoff selbst bekannt gemachten Analyse des Prof. v. Kletzinsky in Wien nur als ein einfaches Braunbier bezeichnet werden kann, dem wahrscheinlich noch eine Abkochung einiger unschuldiger Kräuter (von Faulbaumrinde, meinen einige Chemiker) beigegeben ist, wird von Hrn. Hoff leider als ein Geheimmittel (dessen Zusammensetzung- und vegetabilische Zuthat auf geheimer Wissenschaft beruhen sollen.) für einen unverhältnißmäßig hohen Preis verkauft und in den Zeitungen auf eine ganz widerwärtige Weise als eine Universalmedicin, „von welcher der Prinz von Dänemark erst kürzlich eine größere Nachbestellung telegraphirte“, ausposaunt. Es soll besonders bei Brust. und Unterleibsbeschwerden, sowie bei Körperschwäche und Nervenleiden Wunder thun, und „erst vor wenigen Wochen nahm Seine Durchlaucht der Prinz von Bentheim die innern Räume der Hoff’schen Brauerei persönlich in Augenschein, um die Fabrikationsquelle des ihm so wohlthuenden Gesundheitsbieres kennen zu lernen; auch sprach sich Seine Durchlaucht sehr belobigend über die zweckmäßige und geschmackvolle Einrichtung aus-“ Der Werth des angeblich wohlschmeckenden Hoff’schen Malzextract-Gesundheitsbieres, „was einzig und allein in Berlin bereitet wird, weil seine Fabrikation ein Geheimniß in sich birgt“, und was nach dem Ausspruche des Dr. Raudnitz in Wien „eine neue Aera im medicinischen Kreise hervorrufen wird“, soll sich übrigens, wie ein Lobhudler dieses Bieres in der Volkszeitung schreibt, in überzeugendster Weise aus dem Range der Kundschaft des Hrn. Hoff beweisen lassen, denn im östlichen Theile Europa’s sind es der Kaiser von Oesterreich und der König von Griechenland, in der entgegengesetzten Seite dieses Welttheils die Könige von Belgien, Holland, Dänemark und Hannover, sowie der Kaiser von Frankreich, welche Hrn. Hoff Anerkennung zollten. Telegraphisch nach Wien berufen, wurde Hr. Hoff zu einer Audienz vor den Kaiser befohlen; ebenso huldvoll wurde er in den Tuilerien empfangen, und erst neuerdings hat der König der Belgier demselben „ein ungemein schmeichelhaftes Schreiben zugesandt“.

Wären bei der Hoff’schen Malzextractwirthschaft diese widerlichen und sich immer und immer wiederholenden Reklamen und Lobhudeleien, der übermäßige Preis und die Ansprüche dieses Extractes auf ein Geheim- und Universalheilmittel nicht, so könnte sich das Herz eines mittelscheuen Heilkünstlers wirklich über den abergläubischen Gebrauch dieses Braunbieres freuen, denn lieber als Arznei ist’s dem Verfasser bei allen den Krankheiten, wo es heilsam sein soll, aber niemals ist, in jedem Fall, und daß es verlantschten aristokratischen, sowie überhaupt verquacksalberten Mägen wohler als nippernäppische Päppelein und Mixturen thut, steht auch fest. So wie die Sachen aber jetzt stehen, muß man die Hoff’sche Malzextracterei in den Grund hinein hassen, obschon die so und so oft abgedruckten Atteste von angeblich Geheilten durch dieses Braunbier sicherlich ganz echt und wohlgemeint sind. Daß übrigens auf die vereinzelten Glücklichen, denen das Malzextract angeblich geholfen haben soll, viele Tausende kommen, denen es nichts genützt, ja vielleicht sogar geschadet hat, ist in der Ordnung und kommt bei allen fanatisch und käuflich gelobhudelten Modemitteln vor. Und nun schließlich noch Hoff’schen Malzextractomaniacis den Rath: „Man wolle sich zur Garantie der Echtheit dieses Extractes stets vom Vorhandensein des Hoff’schen Etiquetts und Siegels überzeugen“, denn man bedenke, „daß sich an den Namen, Hoff’scher Malzextract, bereits eine Geschichte knüpft, die in den medicinischen Annalen mit unvergänglichem Ruhme bei der spätern Nachwelt glänzen wird“, und daß, „als Seine Majestät, der jetzt regierende König von Preußen, noch als Prinz, sein Dienstjubiläum feierten und die Stadt Breslau demselben eine Deputation zusandte, das Deputations-Mitglied Hr. Hoff hervortrat und dem Prinzen einen Pokal mit Malzextract überreichte, der dem hohen Jubilar so lieblich schmeckte, daß er ihm die schmeichelhaftesten Lobeserhebungen deswegen machte.“ Kurz, es steht das Hoff'sche Malzextract als ein „Unicum da, welches als solches noch die größten Erfolge erzielen wird.“ Nun, Leser, hast Du hoffentlich genug von dieser Braunbierlobhudelei!

Bock.




Erinnerungen.

Von Franz Wallner.
Nr. 3. Originale aus Alt-Wien
Saphir – Bäuerle - Castelli – Graf Schandor – Raimund und sein „Thal der guten Leute“.

Wer jetzt die Kaiserstadt besucht, wird es kaum für denkbar halten, wenn man ihm erzählt, daß Wien vor kaum zwanzig Jahren die billigste Hauptstadt Europas gewesen. Die fröhlichste, die vergnügungssüchtigste und gastfreundlichste ist sie noch immer, nur übersteigen die Preise, welche der Wiener jetzt für seine Vergnügen zu zahlen hat, die der Pariser und Berliner Amüsements um das Doppelte. Die Volksfeste in der Brigittenau, im Augarten sind verschwunden, der „Wurstlprater“ hat seine originelle Physiognomie verloren, und mit diesen Herrlichkeiten ist einer der pikantesten Reize der Hauptstadt für den Fremden verschwunden, nämlich die Beobachtung des Volkes in seiner ungebundensten Fröhlichkeit. Der Wiener Pöbel ist von einer Gemüthlichkeit, von einer Harmlosigkeit, die man nie im Norden, am allerwenigsten aber in Berlin findet. Das sogenannte „Volk“ in Wien verhält sich zu dem in Berlin, wie Milch zu Blausäure. Bei dem tollsten Uebermuth wird man beim Oesterreicher selten eine Rohheit, ein Ausarten gegen den Gebildeteren treffen, während der „richtige“ Berliner ohne „Keilerei“ kein Zusammensein der Massen denken kann. Die neueste Zeit hat traurige Beispiele für meine Behauptung geliefert, und zwar bei Gelegenheiten, welche ihrer Natur nach zu nichts weniger als zu Ausbrüchen der Gemeinheit Veranlassung gaben. Ich erinnere an die Säcularfeier der Universität, an das Leichenbegängniß Humboldt’s, an das Schillerfest, an die Einzugsfeierlichkeiten bei der Krönung etc.