Zum Inhalt springen

Die Macht des deutschen Liedes

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor:
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Die Macht des deutschen Liedes
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 45, S. 719-720
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1860
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite

[719] Die Macht des deutschen Liedes. Wenn auch dies Blatt in der Regel keine Uebersetzungen bringt, so darf davon doch einmal eine Ausnahme gemacht werden, sobald es gilt, ein merkwürdiges Actenstück zu veröffentlichen, welches darthut, wie doch auch in Frankreich die deutsche Begeisterung der Befreiungskriege ihr Echo und gerechte Würdigung gefunden hat. Es ist jetzt vielleicht gerade die rechte Zeit, diese Erinnerung aus ihrem Grabe hervorzuholen, Das Epitaph desselben heißt: „Souvenirs de voyages et d’études“, par Saint Marc Girardin, (Mitglied der französischen Akademie.) 3. Theil, und dies Buch scheint allerdings ein wenig gelesenes und bekanntes zu sein; es ist in Brüssel ohne Jahrzahl erschienen.

„Der Krieg von 1813, der Befreiungskrieg, ist der Wendepunkt der Geschicke, der Grenzpfahl zwischen der alten und neuen Geschichte Deutschlands. Meines Erachtens datirt Alles in Deutschland seit 1813, und auf dieses Befreiungsjahr muß man zurückgehen, wenn man den Gang der politischen Verhältnisse in Deutschland in der ganzen neuen Epoche begreifen will. Wir wollen den Versuch machen, das Bild jenes gewaltigen Krieges zu skizziren, indem wir die Einzelnheiten deutschen Schriftstellern entlehnen, insbesondere den Gesängen Körner’s, eines jungen Dichters, der mit den Waffen in der Hand 1813 fiel und uns eine Sammlung von Gedichten voller Talent und Patriotismus unter dem Titel „Leyer und Schwert“ hinterlassen hat.

Seit 1810 war Deutschland unterworfen; die Fürsten und die Höfe schienen sich in ihr Schicksal gefunden zu haben und beugten sich Einem, der über ihnen stand kraft der Gewalt des Geistes und des Armes; aber nicht so das Volk: dies ertrug nur zähneknirschend die fremde Herrschaft, es gährte und grollte in ihm dumpf, aber immer mächtiger. Ueberall bildeten sich geheime Gesellschaften zur Befreiung des Vaterlandes; überall unterhielt man sich von den Heldenthaten Andreas Hofer’s, des Tyroler Bauern, der bis zum Augenblick, wo er schmählich füsilirt ward, frei blieb und Frankreichs Feind; von Schill, dem preußischen Major, der ganz allein nach dem schrecklichen Tage von Jena seinen Degen hoch zu heben wagte und ihn gar trefflich zu gebrauchen wußte. Auf den Universitäten schöpfte eine feurige Jugend aus den Quellen der Philosophie Freiheitsliebe und Haß gegen die fremde Herrschaft. Die deutsche Träumerei wurde zur Begeisterung, Körner’s Lieder wurden überall gesungen und entflammten die Geister. Bald war es ein Sang patriotischer Melancholie: der Poet denkt sich am Abend, wenn des Tages Stimmen schweigen, zur Ruhe gelagert unter einem alten Eichbaum. Die Eiche aber ist das Sinnbild von Deutschland, der Nationalbaum. Er betrachtet diese getreuen Zeugen alter Zeit, diese hundertjährigen und doch noch mit des Lebens frischem Grün geschmückten Bäume und denkt dabei daran, was Alles die Zeiten schon gebrochen haben, und an die Völker, die ein früher Sturz hinweggewischt hat von der Tafel des Bestehenden. So schließt er: „Deutsches Volk, du herrlichstes von allen, deine Eichen steh’n, du bist gefallen.“ – Bald sind es wiederum einige Verse vor Rauch’s Büste der Königin Louise von Preußen, dieser jungen, so schönen und so muthvollen Frau, die da starb am gebrochenen Herzen über ihres Vaterlandes Schmach: „Kommt dann der Tag der Freiheit und der Rache, dann ruft dein Volk, dann deutsche Frau, erwache, ein guter Engel für die gute Sache!“

Diese Verse, diese Gesänge liefen von Mund zu Mund. Am Morgen hörte der Student Maximen des modernen Stoicismus und jene großartigen Lehren, die in der Metaphysik wie in der Moral Alles der Macht des menschlichen Geistes zuschreiben, die ihm sagen, daß er mit seiner Intelligenz die Welt schaffen (?) und mit der Kraft der Jugend sie beherrschen kann, Lehren, welche, indem sie aus dem Menschen einen Gott machen, gerade der Jugend den Gedanken an ihr Sclaventhum um so unerträglicher werden ließen. Aber am Abend, in den Kneipen, bei geschlossenen Thüren, sangen sie in hellem Chor die Hymnen von Körner. Nichts hier von der pittoresken Scenerie des Grütlischwures im Mondschein, im Schirm eisiger Alpenhäupter: nein, ein niederes Schenklocal voll Tabakrauch, rohe, zerrissene Tische, hölzerne oder irdene Bierkrüge, ein ungeheuerer Ofen und der ganze Raum angefüllt mit jungen Leuten, die da unaufhörlich trinken; sie stoßen an: „Heil Deutschland, Tod den Tyrannen!“ – „Cameraden,“ ruft plötzlich einer unter ihnen, „es steigt das Lied von Körner: Männer und Buben!“ und alsbald erzittern die Wände von dem gewaltigen Chor: „Das Volk steht auf, der Sturm bricht los, wer legt noch die Hände feig in den Schooß?“[1]

Und was machten während dieser Zeit unsere jungen französischen Gesandten und Beamten, die nach Deutschland geschickt worden waren, um die Völker regieren zu helfen? Mit wegwerfendem Ton, halb demjenigen eines literarischen Pedanten, halb dem des bewaffneten Siegers, riethen sie den guten Deutschen, sich dem Esprit Voltaire’s und den Verwaltungsmaßregeln des Kaisers anzubequemen. Aber, guter Gott, wie [720] sehr mußten sie dem Volk mißfallen und dessen Herz verwunden, wenn sie, die hochmüthigen Eroberer, die witzigen Materialisten, über Deutschlands Niederlagen lachten, die Träume seiner Denker und die Wehmuth seiner Dichter verspotteten; wenn sie, stolz auf unsere französische Sprache, die Nasen rümpften über das, was sie den deutschen Jargon nannten. Aber mittlerweile schliffen diese Besiegten ihre Säbel, diese Philosophen exercirten Rekruten ein, diese Poeten dichteten Kriegslieder, dieser Jargon bereicherte sich an Worten der Verwünschung und der Rache, und eines Tags, als das Zeichen aus Norden kam, als die Flammen von Moskau bis nach Deutschland herüber leuchteten: „Frisch auf, mein Volk!“ rief Körner. „Zu den Waffen!“ dröhnte es im Volk – „der Freiheit eine Gasse! die Flammenzeichen rauchen, die Saat ist reif, ihr Schnitter zaudert nicht! der Himmel hilft, die Hölle muß uns weichen, drauf wackres Volk!“ –

Mit einem Schlag erhebt sich ganz Deutschland, überall Soldaten und Waffenlärm; überall ertönt der Befreiungsruf, der den Ohren der Fürsten diesmal wohlklingt, und das Geschrei des Fanatismus, das den Philosophen gefällt (?): „Krieg den Tyrannen, Krieg den Gottlosen!“ Die Fürsten werden Demagogen, die Professoren Officiere und ihre Zöglinge Soldaten. Man geht zur Schlacht wie man gestern in’s Colleg ging. Die Vorlesungen werden auf dem Wahlplatz gehalten, Vorlesungen über Ruhm und Freiheit. Alte Veteranen der Caserne und Biwacht mischen sich unter diese jungen Schwärme der Theologen und Philosophen, und Blücher marschirt neben Jahn. „Gott ist auf unserer Seite!“ rufen die Proclamationen der Könige. „Wir fürchten nicht die Hölle und ihre Verbündeten. Jeder Unterschied der Geburt, des Standes und der Heimath ist aus unseren Legionen verbannt, wir sind alle gleich und freie Männer!“ – O glaubt es nur, ihr Jünglinge, und kämpft in diesem Glauben, sterbet in diesem Glauben; Euch beklage ich nicht, denn auf Euch lastet kein Meineid und Alle, lebend oder todt, habt Ihr gehalten, was Ihr verspracht, nämlich das Vaterland zu retten!

Edles Deutschland, welche Tage der Begeisterung sahst du damals! Und für uns in Frankreich, welche Zeit der Trauer und des Unheils! denn während die Aufrufe der Könige und der Dichter alle deutschen Herzen erweckten, schlichen unsere Soldaten matt und halb erfroren langsam durch diese Dörfer, diese Flecken, welche fast schon Feindesland waren. Ueberall auf ihrem Durchzug wilde zornige Blicke, Hände, die sich ballten und nach einer verborgenen Wehr suchten, überall nur Rache, während sie doch des Mitleids bedurften; und keine Ruhe, keine Rast! Hinter ihnen her scholl, wie um ihre Flucht zu beschleunigen, der langgezogene Schrei des Aufstandes und des Krieges: „Nach dem Rhein, in’s Feld, in’s Feld! Nach dem Rhein!“ Das war der Refrain Körner’s, der furchtbare Refrain, den eine ganze Nation nachsang. Umsonst versuchten wir bei Lützen und bei Dresden einen Augenblick lang diesen furchtbaren Liedern Schweigen zu gebieten; sie kamen wieder mit wer weiß wie viel hunderttausend Stimmen mehr, und gar bald erklangen sie zu unserem Schrecken an den Ufern des Rheins. Es gibt ein Lied von Körner, welches die poetische Darstellung der Geschichte dieses wunderbaren deutschen Volkskrieges und seiner verschiedenen Phasen vom Beginn an bis zum endlichen Triumph zu sein scheint. Das ist das Lied von den schwarzen Jägern, von Lützow’s wilder, verwegener Jagd. Alle Volkskriege fangen an mit Aufständen und Revolution. Das Vaterland hat im Anfang kein regelmäßiges Heer bereit zum Dienste seines Zorns; es hat zuerst nur Abenteurer, Guerilleros, Räuber zur Verfügung – denn mit diesem Namen bezeichnen die Sieger immer und überall in ihren Bulletins die Volkskämpfer. So begann auch der Widerstand Deutschlands, so beginnt Körner’s Lied. Da sind zuerst die freien Schaaren versteckt im Dunkel der Wälder: näher und näher braust es heran; in düsteren Reihen mit Hörnerklang; und wenn ihr die schwarzen Gesellen fragt: „das ist Lützow’s wilde, verwegene Jagd!“

Der Genius Körner’s entspringt seiner Vaterlandsliebe und seiner Begeisterung; das ist kein Tyrtäus der warmen Stube, der am Ofen, nach reichlicher Mahlzeit, Kriegslieder macht; er ist ein Soldat, Freiwilliger bei den schwarzen Jägern, Schwert an der Seite, Gewehr auf der Schulter; er ist eingetreten, um sein Vaterland zu retten, um dessen Tyrannen zu züchtigen. Poet und Soldat, entflammt sich sein Genie wie sein Muth an der Fackel des Kriegs. Alles wird für ihn zur Poesie: der Blitz des Gewehrs ist der Funken der Freiheit, das Blut, welches den Wahlplatz röthet, ist der Purpur der Morgenröthe, der Morgenröthe der Freiheit. Ist er verwundet und glaubt sich dem Tode nah, so umgibt sich ihm dieser Tod für das Vaterland mit Bildern und Illusionen. Seine letzten Gedanken, wie alle seines Lebens, sind ganz in die Farben der deutschen Dichtkunst getaucht. Vor seinen Augen sieht er reizende Gestalten schweben, der Todesschrei der Sterbenden verwandelt sich ihm in melodische Klänge, was er geträumt, was er im tiefen Herzen getragen, er wird es sehen, er wird es auf immer besitzen; schon sieht er den Gegenstand seiner jugendlichen Flammen, ob er ihn nun Freiheit, ob Liebe nannte, als lichten Seraph vor sich stehen – und mit solchen Gedanken starben damals diese begeisterten Jünglinge. Wahrhaftig, das ist nicht der Tod eines Grenadiers von der Garde, der in seinem Glied fällt und stirbt mit dem Trost, weder gegen Pflicht noch Ehre gefehlt zu haben; nein, das ist ein Tod wie ein Traum und ein Gedicht, das ist ein deutscher Tod.

Nur einmal scheint sich Körner über den Tod zu beklagen, nur einmal findet er ihn nicht schön und süß. Er stand Schildwache am Elbufer und hörte von fern her den Donner der Kanonen und das Schmettern der Trompeten; man schlug sich, und er, er mußte ruhig bleiben und des Stromes Wächter sein. „Soll ich in der Prosa sterben? Poesie, du Flammenquell, brich nur los mit leuchtendem Verderben, aber schnell.“

Körner’s Wunsch ward erfüllt; er starb in der Schlacht bei Dresden am 26. August 1813, aber das war ein Tag der Niederlage, das hieß beinahe in Prosa sterben. (Bekanntlich fiel Körner nicht bei Dresden, sondern bei Gadebusch, in einem siegreichen Treffen: die nonchalante Behandlung der Geschichte, die sich nicht die Mühe nimmt, bekannte Daten nachzuschlagen, kennzeichnet den Franzosen.) Einige Stunden vor seinem Tode dichtete er ein Lied, vielleicht sein schönstes und originellstes, das, welches die Begeisterung des Poeten, des Kriegers und des Jünglings am feurigsten malt, das Schwertlied.

Wir haben uns so lange bei Körner aufgehalten, weil er unbekannt in Frankreich war, und weil seine Gesänge uns eine lebendige Idee davon geben, was der Krieg von 1813 und 1814, der Befreiungskrieg, in Deutschland eigentlich war. Es ist weder unnütz, noch beleidigend für Frankreich, zu erfahren, daß zu seiner Besiegung es weniger der Staaten und Nationen, sondern der Begeisterung und der Hingabe für’s Vaterland bedurfte. In Moskau warf uns die Natur nieder; in Deutschland wurden wir besiegt durch eine viel edlere und größere Sache, durch eine übernatürliche Macht, welche Frankreich begreifen und bewundern lernen muß, selbst in einem Feinde, durch die religiöse und patriotische Erregung eines großen Volkes, das seine Unabhängigkeit, seinen Geist und seinen Nationalcharakter siegreich wieder erobert.“



  1. Poetische Licenz! Dies Lied fand sich bekanntlich erst in dem Nachlasse Körner’s.