Die Luftfahrertruppe
A. Entwicklung und Gliederung.
[Bearbeiten]Den ersten Versuch, Luftfahrzeuge in den Kriegsdienst zu stellen, hat Deutschland bei Beginn des Krieges gegen Frankreich im Jahre 1870 unternommen. Da es deutsche Fachleute nicht gab, wurde der englische Luftfahrer Coxwell mit dem Auftrage gewonnen, 2 Abteilungen mit allem erforderlichen Gerät aufzustellen. Unter dem Kommando je eines Ingenieuroffiziers traten 2 Abteilungen zu je 20 Mann zusammen, denen die von Coxwell in England gefertigten Fesselballone von 1150 und 650 cbm Gasinhalt übergeben wurden. Da es sich aber schon bei den in Cöln vorgenommenen Übungen herausstellte, dass 20 Mann zur Bedienung eines Ballons nicht hinreichten, wurden die beiden Abteilungen zu einer vereinigt und dann ins Feld zur Belagerungsarmee nach Strassburg gesandt. Die ersten mit Leuchtgasfüllung erfolgenden Aufstiege mit einem Generalstabsoffizier an Bord verliefen günstig. Später gelang mit einer selbst aus Schwefelsäure und Zink bereiteten Wasserstoffgasfüllung zwar noch ein Aufstieg, aber infolge heftigen Windes war keine Erkundung möglich. Der Ballon wurde verankert, und durch den Sturm zerrissen. Die Abteilung erhielt dann, da während der Instandsetzung des Materials die Festung kapitulierte, den Befehl, vor Paris zu rücken. Hier war es jedoch nicht möglich, ds erforderliche Füllgas zu beschaffen, so dass das Hauptquartier sich genötigt sah, schon am 10. Oktober 1870 die neue Truppe wieder aufzulösen.
Dieser Misserfolg schreckte vor weiteren Versuchen mit einer Luftfahrertruppe ab. Erst durch die Erfolge der französischen Hauptleute Rénard und Krebs mit ihrem Lenkballon „La France“, der bei 7 Aufstiegen fünfmal wieder sicher in seinen Hafen gesteuert werden konnte, wurde das preussische Kriegsministerium veranlasst, am 9. Mai 1884 den Befehl zur Bildung eines „Ballon-Detachements zur Anstellung von Versuchen mit Captiv-Ballons“ zu geben. 4 Offiziere: Hauptmann Buchholz als Kommandeur sowie Premier-Leutnant v. Tschudi, die Seconde-Leutnants v. Hagen und Moedebeck, 4 Unteroffiziere und 25 Mann begannen mit einem Jahresetat von 50 000 Mark unter Anleitung des Berufsluftfahrers Opitz mit ihrem Dienst, der zunächst nur technischer Natur war. Im Beobachten aus dem Fesselballon wurden nur die Offiziere geübt und zwar indem von Opitz an Sonntagen für Biergartenaufstiege im „Schwarzen Adler“ zu Schöneberg benutzten Ballon. Im nächsten Jahre schon war die Truppe so weit, dass sie zu Übungen mit anderen Waffen hinzugezogen werden konnte. Sie betätigte sich im August an einer bei Cöln stattfindenden Belagerungsübung und im November und Dezember an den Schiessübungen der Artillerie-Schiessschule. Durch Kabinettsordre vom 11. März 1887 erfolgte die erste Vermehrung auf 1 Major, 1 Hauptmann, 3 Leutnants, 50 Unteroffiziere und Mannschaften unter Umbenennung in „Luftschiffer-Abteilung“ und Zuweisung eigenen Ersatzes.
Erst durch die Möglichkeit, nach englischem Muster das Füllgas in verdichtetem Zustande in Stahlflaschen auf Fahrzeugen mitzuführen, konnte die Tätigkeit bei Feldmanövern in Frage kommen. 1889 beteiligte sich die Truppe auch an den Kaisermanövern des X. u. VII. Armeekorps bei Nordstemmen, und vom Jahre 1893 an wurde die Abteilung, die im Februar zum ersten Male vom Kaiser besichtigt worden war, zu allen Kaisermanövern befohlen. Am 1. Oktober 1893 erfolgte infolge günstiger Beurteilung ihrer Tätigkeit eine Vermehrung auf 140 Mann, am 1. Oktober 1901 endlich die Umwandlung in ein Bataillon zu 2 Kompagnien und einer Bespannungsabteilung. Hiermit schliesst der erste Abschnitt in der Entwicklungsgeschichte der Luftschiffertruppe ab, die sich zwar der grössten Beachtung seitens des Chefs des Generalstabes der Armee, Grafen von Schlieffen, erfreute, deren Tätigkeit aber, man kann fast sagen, an den meisten Stellen im Heere, zu gering eingeschätzt wurde.
[305] Mit dem Jahre 1905 setzt dann der Zeitraum schnellster Entwicklung ein. Dem eigenen Landsmann, Grafen Zeppelin, hatte man mit seinem Voraussagen der Zukunft der „Lenkballone“, jetzt im technischen Sprachgebrauch „Luftschiffe“ genannt, nicht geglaubt, aber die Fahrten des Brasilianers Santos Dumont in Paris und des Ingenieurs Juilliot (Brüder Lebandy) zwangen auch die deutsche Heeresverwaltung, dem Luftschiffbau Aufmerksamkeit zuzuwenden. Der Kommandeur des Luftschifferbataillons, Major v. Besser, dessen Name der Vergessenheit entrissen zu werden verdient, ordnete die nötigen Massnahmen an, Oberingenieur Basenach, unterstützt durch Ingenieur Eberhard, wurde mit dem Bau beauftragt und Hauptmann Gross, der bis dahin die Ansicht verfochten hatte, der Gedanke an ein Luftschiff bliebe eine Utopie, wurde die Leitung übertragen. Die Versuchsfahrten mit dem 1907 fertiggestellten Schiff unternahmen hauptsächlich Hauptmann Sperling, Oberleutnant George und Ingenieur Basenach. Gleichzeitig wurden auch Versuchsfahrten durchgeführt mit dem von der Motorluftschiff-Studiengesellschaft erworbenen Luftschiff des Majors v. Parseval. Der erweiterte Dienstbetrieb machte eine fernere Vermehrung der Truppe notwendig. Wir haben jetzt 5 Luftschiffer-Bataillone, die einer Inspektion der Luftschiffertruppen unterstellt sind, die wiederum der Inspektion des Militär-Luft- und Kraft-Fahrwesens und als oberster Behörde der Generalinspektion des Militär-Verkehrswesens untergeordnet ist.
Im Jahre 1910 kam man endlich zu der Überzeugung, dass auch die Flugzeuge militärische Bedeutung besitzen. Hierzu hatten wesentlich die auf Veranlassung von August Scherl vom Verfasser geleiteten Flüge von Orville Wright über dem Tempelhofer Felde beigetragen. Es wurde eine besondere Fliegertruppe gebildet, die selbständig gemacht wurde, weil der damalige Kommandeur der Luftschiffer die Ansicht vertrat, Flugzeuge würden niemals brauchbare Kriegsfahrzeuge werden. Die schnelle Entwicklung der Flugtechnik hat es mit sich gebracht, dass wir heute 4 Flieger-Bataillone haben, die der Inspektion der Fliegertruppe sowie als höheren Behörden den oben schon genannten Behörden unterstellt sind.
B. Verwendung der Luftfahrertruppen.
[Bearbeiten]Die Truppen sind in der Hauptsache für die Aufklärung bestimmt, in zweiter Linie für den Kampf, und zwar Abwerfen von Sprengmunition, die Flugzeuge endlich auch für die Beförderung von Nachrichten und Meldungen.
Der ursprünglich allein zur Anwendung gelangte Fesselballon ist durch Luftschiffe und Flugzeuge sehr in den Hintergrund geraten. Im Frieden dient er vornehmlich der Ausbildung der Offiziere im Beobachten; der Aufenthalt im schwankenden Korbe führt gleichzeitig Gewöhnung und Vertrautheit mit dem ungewohnten Element der Luft herbei. Bei künftigen Festungskriegen wird aber auch er noch eine Rolle spielen, wenn die anderen Luftfahrzeuge für wichtigere Aufgaben zur Verfügung gestellt werden müssen. Auch für Signalgebung auf weite Entfernung kann er verwendet werden. Die Sicherheit, mit der Artillerie jeden in Schussbereich gelangenden Ballon herabschiesst, zwingt aber, sehr weit von den feindlichen Reihen abzubleiben, so dass klares Wetter für die Aufstiege Bedingung ist.
In den letzten Jahren hat man begonnen, den manntragenden Fesseldrachen, der in den Heeren einiger fremder Armeen eingeführt ist, auch bei uns als Ersatz des Ballons zu benutzen. Auf Schiffen, an der Küste und da, wo stärkere Luftbewegung die Regel ist, leistet dieses einfache und billige Fahrzeug ausgezeichnete Dienste. Vorzüglich geeignet ist der Drache ferner zur Signalgebung auf weite Entfernung; bei Nacht an ihm angebrachte Lichter waren bis 50 km weit sichtbar. Für koloniale Zwecke wird man sicher mehr denn bisher auf den wohlbekannten Drachen zurückgreifen.
Der Freiballon, der fast willenlos vom Winde dahingetrieben wird, ist für den Feldkrieg überflüssig. Im Festungskriege wird man ihm aber wieder dieselbe Rolle zuteilen, die er schon 1870/71 bei den Franzosen in so ergiebigem Masse und mit so grossem Erfolge gespielt hat: die Verbindung der eingeschlossenen Festung mit der Aussenwelt zu unterhalten. Kein anderes Luftfahrzeug ist aber besser geeignet, die Luftfahrer mit dem Verhalten der Atmosphäre vertraut zu machen, als der Freiballon. Den unbemannten freifliegenden Aerostaten kann man auch dazu verwenden, Sprengstoffe [306] in die Reihen des Feindes zu lanzieren. Bei genügender Aufmerksamkeit wird man sicher bessere Erfolge damit erzielen, als die Oesterreicher 1849 vor Venedig erzielt haben.
Fallschirme haben nur eine sekundäre Bedeutung, indem sie entweder als Rettungswerkzeuge dienen oder dazu verwendet werden, Beobachtungsoffiziere herabschweben zu lassen, die ihre Meldungen persönlich abgeben sollen, wenn eine Landung des Luftschiffes zu zeitraubend sein würde.
Die Haupttätigkeit fällt in einem zukünftigen Kriege den Luftschiffen und Flugzeugen zu, die sich wirksam ergänzen. Diese haben in den meisten Fällen die grössere Geschwindigkeit für sich, jene dafür die Möglichkeit, das Ergebnis der Erkundung durch Funkspruch sofort zu melden. Das grosse Ziel, das Luftschiffe für die Beschiessung bieten, zwingt sie weiter vom Gegner abzubleiben oder sich in niedrig ziehenden Wolken zu verbergen, was in den Manövern schon vielfach mit Erfolg versucht worden ist. Luftschiffe sind hinwiderum für die Nacht geeigneter als Flugzeuge, ausserdem können sie ein weit höheres Gewicht von Sprengmunition an Bord nehmen. Ihre Flugsicherheit ist überdies viel grösser als diejenige der Flugdrachen. Diese werden namentlich in schwer begangbaren, durch Sümpfe, dichte Wälder, Flüsse usw., durchsetzten Gelände auch der Beförderung von Befehlen und Meldungen dienstbar gemacht werden. Die Verbindung der eigenen Truppe mit dem Oberkommando wird durch Flugzeuge schneller als durch Kavallerie erfolgen können. Ihre grosse Schnelligkeit erhöht noch die Vorteile, die die Wahl des direkten Luftlinienweges mit sich bringen.
C. Der Zukunftskrieg.
[Bearbeiten]Sofort nach erfolgter Mobilmachung werden alle Luftgeschwader an die bedrohten Grenzen befohlen. Im Frieden schon sind genau die Aufgaben festgelegt, die den Luftschiffen und Flugzeugen zufallen. Die Verwendung im Osten gegen Russland wird wegen der weiten Ausdehnung dieser Grenze und aus anderen Gründen wahrscheinlich nicht so umfassend ausfallen können, wie im Westen gegen Frankreich und England. Mit grossen Mengen Sprengstoffen an Bord werden die Luftschiffe, von Strassburg, Baden-Oos, Mannheim, Frankfurt a. M. und Cöln nach Frankreich fliegen, um Brücken, wichtige Eisenbahnverbindungen, Tunneleingänge sowie Luftschiffhallen und Flugzeugschuppen durch Bombenwurf zu zerstören. Alle Privatluftschiffe, also vornehmlich diejenigen der Delag werden sofort vom Heere übernommen. Ein Teil der Luftschiffe wird nach England entsandt, dessen insulare Lage durch die Möglichkeit eines Luftkriegs tatsächlich ernstlich bedroht ist.
Zur Abwehr der Angriffe hat der Feind an allen wichtigen Punkten Abwehrgeschütze, Posten und Scheinwerfer aufgestellt. Vornehmlich werden nämlich die Luftschifführer ihr Ziel bei Nacht zu erreichen suchen, wenn niedrig ziehende Wolken sie tagsüber nicht der Sicht entziehen. Das Geräusch der Luftschrauben erleichtert allerdings die Abwehr, aber die eigenen Scheinwerfer müssen versuchen, baldmöglichst den Standpunkt der feindlichen Geschütze zu finden, damit sie die Bedienung durch ihr eigenes Licht blenden können. Sicher wird es gelingen, den einen und anderen Punkt plangemäss zu zerstören, sicher wird aber auch das eine und andere Luftschiff von feindlichen Geschossen aus der Luft herabgeholt werden.
Die Flugzeuge, die geschwaderweise zur Erfüllung einer Aufgabe bei Tage hauptsächlich entsandt werden, werden ähnliche Aufgaben wie die grossen Luftschiffe erhalten. Der Funkspruchverkehr des Oberkommandos mit den Luftschiffen wird eine einheitliche Operation erleichtern. Bei Tage werden Flugzeuge ausgesandt werden, die feindlichen Luftschiffe zu bekämpfen, aber hierdurch wird hinwiederum die eigene Artillerie an der Beschiessung gehindert; überhaupt wird der Kampf von unten nach oben ausgeschlossen, wenn sich die Luftschiffe von Flugdrachen begleiten lassen, und wenn infolgedessen von unten nicht zu erkennen ist, ob man eigene Fahrzeuge vor sich hat, die zur Bekämpfung der fremden Schiffe entsandt sind, oder ob es der Feind ist!
Besonders aussichtsvoll erscheint der Kampf gegen englische Kriegsschiffe. Die Treffsicherheit der Luftschiffe ist ziemlich gross und den Schiffen ward es nicht leicht sein, in voller Fahrt die Geräusche der Luftschrauben rechtzeitig zu vernehmen. Ein von Luftfahrzeugen unbemerktes Heranfahren der englischen Flotte dürfte in Zukunft so gut wie ausgeschlossen sein. Im rasend [307] schnellen Sturzflug wird sicher der eine und andere unserer deutschen Flugführer, das eigene Leben nicht achtend, sich auf das Deck eines feindlichen Schiffes stürzen und bei der Landung seine gesamte Sprengmunition zur Explosion bringen. Die Hauptsache wird aber auch hier die Aufklärung bleiben, weil den gepanzerten Schiffen durch Sprengstoffe immerhin schwer beizukommen ist, diese werden wirksamer gegen Docks, Hafeneinrichtungen, Magazine usw. zur Anwendung gelangen.
Die zweite Aufgabe der Luftfahrzeuge wird es sein, den strategischen Aufmarsch zu erkunden. Wir Deutsche sind unter allen Umständen besser dran als unsere Feinde. Der Rückflug mit der Meldung wird sich meist schneller vollziehen, da westliche Winde vorherrschend sind. Der Kavallerie werden Flugzeuge mitgegeben werden, die die Erkundungsergebnisse schnell zurückbringen, denn die Tätigkeit der Kavallerie bleibt nach wie vor eine äusserst wichtige, die durch die Indienststellung von Flugzeugen nicht überflüssig geworden ist.
Die Schwierigkeiten des Luftkrieges sind nicht gering. Unmöglich ist es, ein abschliessendes Urteil zu gewinnen, da genügende Kriegserfahrungen fehlen. Die Tätigkeit der Flugzeuge im Balkankriege lassen noch keinen Schluss ziehen; sie war zu gering. Sicher werden wertvolle Erkundungsergebnisse geliefert werden; ob aber die beiden Parteien tatsächlich vollkommen mit offenen Karten gegeneinander operieren, weil jede Bewegung rechtzeitig gemeldet wird, wie es vielfach behauptet wird, das erscheint denn doch fraglich. Für koloniale Zwecke dürfte dagegen der Wert der Luftfahrzeuge nach vielen Richtungen hin fraglos sehr hoch sein, so dass es bedauerlich ist, dass wegen Geldknappheit so wenig getan wird, sie dort einzuführen.