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Die Londonbrücke

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
CCLXXXVIII. Czaratzina Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Siebenter Band (1840) von Joseph Meyer
CCLXXXIX. Die Londonbrücke
CCXC. Göthe’s Gartenhaus in Weimar
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DIE NEUE BRÜCKE
in London

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CCLXXXIX. Die Londonbrücke.



Paris hat den größten Ruf, den größten Zeitungsnamen; es imponirt durch das ewige Gerede von einer Weltstadt; vergleicht man es aber, was Größe, Ausdehnung, Bevölkerung, Verkehr, Opulenz und Majestät der Anlage betrifft, mit London, dann schrumpft es zusammen und verliert den prunkenden Titel, der ihm nicht geziemt.

In der That, Paris und London verhalten sich nicht anders zu einander, als sich die Flüsse zu einander verhalten, an welchen jene Städte liegen. Wie ein großer Bach schleicht die trübe Seine dahin, die zierlichen Brücken mit den großen Namen nehmen sich recht hübsch aus, und die Kayen gar freundlich mit ihren ein- und ausladenden Booten und Barken, unter denen jedes kleine Dampfschiff einen Grandioso spielt. Leben ist genug da; aber ein zahmes, anmuthiges Residenzleben ist’s, nicht das große der Weltstadt. Wie ganz anders, wenn man vom Pont [29] neuf sich auf die Londonbrücke versetzt! Völlig betäubt wird das Ohr durch das Getöse, Gerassel, Getobe der unzählichen Fuhrwerke, die in zwei gedoppelten Reihen in der Mitte der Brude mit Sturmeseile hin und her fahren, und nur hinter einem Pfeiler der Balustrade kann man sich vor den Fluthen der Menschenwogen schirmen, welche in der ganzen Breite der Trottoirs unaufhörlich hin und her fluthen und Alles, was ihnen in den Weg tritt, mit sich fortreißen. Dichte, finstere Gebäudemassen strecken von beiden Ufern in scheinbarer Unermeßlichkeit sich aus. Links ragen Tower, Bank, Börse, Mansionhouse, St. Paul, die Denksäulen und die hunderte von Glockenthürmen hervor; rechts die rauchenden Thürme der Fabriken, jene Gruppen von gewaltigen Schlöten, unter denen die Dampfmaschinen, gleich dienenden Cyclopen, ihre Arbeit verrichten; aufwärts wölben sich majestätisch die vielen Brücken, eine hinter der andern, über die 1000 bis 1500 Fuß breite Themse, auf deren weitem Busen sich Barken und Nachen in ungezählter Menge nach allen Richtungen durchkreuzen: abwärts aber erscheint London in seiner ganzen Majestät: – 12,000 Schiffe drängen sich an seine Hüften, ein drei Stunden langer Mastenwald, belebt von 150,000 Menschen, redend in allen Zungen des Erdrunds, breitet sich aus, – man sieht den Hafen der Weltstadt.

Auch als Nachtstück ist die Scene effectvoll. Ueber der unendlichen, von drittehalb Millionen Gasflammen erleuchteten Stadt ist der Himmel wie von ungeheuerer Brunst geröthet, und lichte Streifen ziehen schimmernd durch das röthliche Dunstmeer, andeutend die Hauptstraßen, welche meilenlang sich fortziehen. Jeden Augenblick, so scheint’s, müssen Flammen emporschlagen, die glühende Häuserwelt zu verzehren. Der Lärm und das Leben auf der Brücke ist kaum geringer als am Tage; vom Brausen des Menschengewimmels in der Stadt erdröhnt die Luft; auf den strahlenden Lichtbogen, die geisterartig den Fluß überspannen, wogt hin und her die Volksfluth; nur in der Tiefe, auf dem Flusse selbst, ist’s öder geworden und stiller. Bald erkennt das von der Gluth des Himmels geblendete Auge nichts mehr im Dämmerdunkel unten, und wenn auch da und dort ein Lichtstrahl aus den kleinen Fenstern der Cajüten herüber schimmert, so ist er doch zu schwach, die Gegenstände deutlich zu machen. Allmählich schlummert alles Leben auf dem Strome dahin; allmählich wird’s auch stiller in der City, und in gleichem Verhältniß verödet auch die Brücke. Mitternacht naht und fast ängstlich horcht das vom Getöse des Tags noch bezauberte Ohr dem Wellengeplätscher, oder dem Ruderschlage des auf finsterer Fluth hingleitenden Kahne, oder dem schreienden Tau oder dem bald von nahe, bald von ferne vernehmlich herauf tönenden Gespräche der Schiffer. Eins schlägt’s; der Feuernimbus der City ist erblaßt und ihre Stimme ist verhallt; aber in vollem Glanze strahlen noch die westlichen vornehmern Theile der Stadt, wo Genuß und Vergnügen die Nacht zum Tage verkehren. Erst mit dem lichten Morgen wird’s auch dort stille, suchen auch dort die Menschen den Schlaf; aber dann ist es im Hafen schon wieder lebendig geworden, die rührige City ist erwacht und neu begonnen hat die Weltstadt ihres täglichen Lebens nimmer rastenden Kreislauf.