Die Leuchtenburg
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Wieder einmal ein recht charakteristisches Bild aus dem Thüringer Lande! – Von Rudolstadt abwärts bildet das Saalthal mit den zunächst gelegenen Parthien einen Park, wie er nur aus der Hand des Meisters hervorgehen kann, der die Welt schuf und sie geschmückt hat. Bald macht der Strom eine enge Schlucht, bald durchfließt er breitere Auen, auf welchen von Gärten umgebene Dörfer, einsame Mühlen und Gehöfte, üppige Felder und Wiesen mit Baumgruppen und Wäldchen abwechseln. Die Bergrücken, welche das Thal einschließen, sind ganz mit Wald bewachsen; nur selten drängt der Getreidebau die Holzung von den Abhängen in die höheren Regionen zurück. Ungefähr anderthalb Stunden von Kahla, einem Altenburgischen, gewerbfleißigen und freundlichen Städtchen, verengt sich der Grund zu einer Schlucht, in der sich die Heerstraße von Rudolstadt nach Jena hinzieht. Bei einer plötzlichen Wendung, welche der Weg macht, überrascht den Reisenden eine wahrhaft entzückende Ansicht. Mitten zwischen hohen, waldbewachsenen Bergkegeln, ragt, in lichter Ferne, hoch oben auf der Spitze eines Berges, die Burg, deren Fenster, sichtbar von den meisten Höhen des Thüringer Waldes, im brechenden Strahl der Morgen- und Abendsonne noch jetzt so schön flammen, wie vor tausend Jahren. Es ist die Leuchtenburg.
Ihre Erbauung geschah im neunten Jahrhundert. Sie diente den Thüringern als Grenzveste gegen die andringenden Wenden und Ungarn. Herren von der Leuchtenburg erscheinen in Urkunden lange vor des Habsburgers Zeit.
Um 1360 kam sie pfandweise an die Grafen von Schwarzburg, die sie, später, an einen reichen Erfurter Bürger versetzten. Das war ein stolzer, jähzorniger Mann. Er ertappte einst einen fremden Bauer beim Fischen in einem zur Burggemarkung gehörigen Bache, schlug ihn, und als sich der Angegriffene zur Wehre setzen wollte, packte der baumstarke Erfurter ihn bei der Gurgel und knüpfte ihn am nächsten Baume auf. Die That wurde ruchbar beim Landesherrn des Gemordeten, Friedrich dem Streitbaren, Markgrafen zu Sachsen, und dieser, dem jede Gelegenheit zu Fehde und Kampf willkommen war, machte sich sogleich auf und zog vor die Leuchtenburg, um Genugthuung zu fordern. Es war im November 1392. Die Erfurter rüsteten sich zwar, um ihrem Mitbürger beizustehen, [102] und riefen die Schwesterstadt Mühlhausen zu Hülfe: aber da sie merkten, daß sich Friedrich durch ihre Demonstrationen nicht irre machen ließ, vielmehr größere Heermassen herbeizog, und die reichen Besitzungen der Erfurter in ganz Thüringen zu plündern drohte, – überließen sie die Leuchtenburg ihrem Schicksale. Sie wurde nach einer kurzen Belagerung erobert, und der Markgraf machte sie zu seinem Eigenthum.
So kam die Leuchtenburg an das sächsische Haus, und sie blieb bei demselben bis auf den heutigen Tag. Die Versuche der Grafen von Schwarzburg, in Wiederbesitz der Burg zu gelangen, hatten, oft wiederholt, doch niemals Erfolg.
Als im 15. Jahrhundert die Brüder Friedrich und Wilhelm von Sachsen, der Erbtheilung ihrer Länder wegen, in Krieg mit einander geriethen, versetzte Wilhelm die Burg an einen reichen und mächtigen Vasallen, Apel von Vitzthum, der sie erweiterte und befestigte. Nach dem Frieden verlangte Wilhelm die Zurückgabe; umsonst! Apel bot seinem Herrn mit den Waffen Trotz, warb ein kleines Heer, und trieb Raub und Wegelagerei im Großen. Der Kurfürst hatte eine Gesandtschaft an Karl den Kühnen geschickt, welcher mit großem Gefolge burgundischer Herren zurückkehrte, um für ihren Herzog am sächsischen Hofe eine Braut zu werben. Apel, davon benachrichtigt, vermeinte, einen guten Fang zu machen, und legte sich unweit Erfurt auf die Lauer. Als nun der Zug des Wegs kam, brachen die Räuber hervor, plünderten die Karavane rein aus und schleppten die vornehmsten Ritter und Herren gefangen auf die Leuchtenburg, um ein hohes Lösegeld zu erpressen. Doch so ruchlose und verwegene That trug verdiente Frucht. Apel wurde in die Acht und aller seiner Güter verlustig erklärt, und Herzog Wilhelm von Sachsen zog aus mit einem Heere, die Acht zu vollstrecken. Eine Burg nach der andern fiel, trotz der hartnäckigsten Vertheidigung. Nur die Leuchtenburg widerstand lange. Endlich übergab sie die Besatzung gegen Gewährung des Lebens, und die Fürsten von Sachsen ließen die Veste fortan durch Vögte verwalten. In spätern Jahrhunderten hat sie zur Aufbewahrung von Staatsgefangenen gedient, und einige Zimmer sind noch jetzt diesem Zwecke ausschließlich bestimmt.
Gegen das Jahr 1720 (nach dem Aussterben der Altenburg-Sächsischen Linie) fielen deren Länder an Gotha, und der uralte Rittersitz wurde in eine Zucht-, Arbeits- und Irrenanstalt des Landes verwandelt. 1744 bekam dieselbe eine vortreffliche Neu-Organisation; es wurden mehre neue Gebäude aufgeführt, unter andern die Kirche.
Die Leuchtenburg hat jetzt nur ein einziges Thor, und schon beim Anblick desselben wird man ihres unheimlichen Inhalts inne. Es ist verwahrt wie der Zugang einer Citadelle. Dem Eintretenden empfängt ein weiter Burghof. Rechts ist das Zuchthaus für männliche Sträflinge, und das Hospital für die Irren; die Gebäude links schließen die weiblichen Verbrecher und Geisteskranken ein. Im Vordergrunde aber erhebt sich das Herrenhaus, wo der Commandant, der Prediger und die übrigen Offizianten wohnen. Dieß ist der älteste, unversehrt erhaltene Burgtheil. [103] Die Mitte des Gebäudes schmückt ein runder, fester Thurm, mit 10 Fuß dicken Mauern. Diese ersteigt man auf einer schönen Wendeltreppe, und wird für die Mühe durch eine köstliche Aussicht belohnt. Zunächst öffnet sich das romantische Saalthal, zu dessen Seite sich die Berge und Wälder Thüringens und des Voigtlandes ausdehnen. In den vielen Waldblößen sind Flecken und Dörfer gebettet, und auf den Höhen erkennt ein scharfes Auge 17 Ruinen von Burgen und Kapellen. Vorzüglich schön nehmen sich die Trümmer der Lobdaburg und des Fuchsthurms in der Gegend von Jena aus, und in südlicher Richtung die alte Weißenburg und die Städte Orlamünde und Kahla.
Die Besatzung der Burg besteht aus zwanzig Mann; die Zahl der Sträflinge und Irren wechselt zwischen 100 und 130 – und, einschließlich der Offizianten, steigt die gesammte Bevölkerung nicht selten auf 200 an. Die Verbrecher werden sehr zweckmäßig beschäftigt, und mit der in allen Strafanstalten der sächsischen Länder gewöhnlichen Humanität behandelt und gut genährt. Nur die ganz unverbesserlichen und verstockten sind zu harter Arbeit gemüßigt, und eine häufig zu hörende Bemerkung ist wohl nicht immer unbegründet, daß Mancher die im Zuchthaus verlebten Tage unter seine besten zähle, und zum Zweiten- und Drittenmale nur darum stehle, um jene zu erneuern. Dem Tadler aber rufe ich zu:
Nenne ein Land mir nicht glücklich, bevor du sein Strafbuch geprüft hast,
Und seine Kerker beschaut; – zweifle, wenn Menschlichkeit fehlt.