Die Landenge von Panama
Die Landenge von Panama.
Nicht Meeresräume, und seien sie auch noch so weit und stürmisch, sind es, welche hemmend sich zwischen den Verkehr der Menschen miteinander legen, viel größere, schwerer zu bewältigende Hindernisse bietet das feste Land, das doch unsere eigentliche Heimath ist. Wenigstens gilt dies, wenn einmal die ersten Kulturstufen überwunden sind. Den Phöniciern wurde es leichter, von den fernen Gestaden Britanniens Zinn zu holen, als in das Innere ihres asiatischen Kontinents zu dringen. Sie brachten dem weisen König der Juden die Kostbarkeiten Indiens, sie umsegelten Afrika, aber weite Landexpeditionen waren ebenso unerhört, wie sie für unmöglich galten.
Nirgends scheint bei Gestaltung unserer Erdkruste die Natur launischer verfahren zu sein, als bei Verknüpfung der beiden Hälften Amerikas durch den schmalen Isthmus von Panama. Er zwingt die von Europa zur Ostküste Amerikas, zum Stillen Ocean, nach Australien und Ostasien fahrenden Schiffe zur Reise durch Mittelmeer, Rothes Meer und Indischen Ocean, verbietet dieselbe Seglern wohl ganz oder nöthigt sie, den Weg um die Südspitze Amerikas durch sturmgepeitschte, nebelreiche Meeresengen zu tasten.
Es war natürlich, daß man das Hinderniß zu beseitigen suchte. Der Besitz „der Pforte zu den Oceanen, des Schlüssels des Universums“ war freilich an sich schon wichtig genug, aber er mußte sich nach Beseitigung der hemmenden Schranken ins Unendliche steigern.
Dies Bestreben ist so alt wie die Entdeckung des Hindernisses selber. Aber obwohl bereits von den ersten spanischen Eroberern geplant und wiederholt zum Gegenstand vielseitiger Diskussion gemacht, ist die Inangriffnahme eines der vielen befürworteten Projekte erst in unserer neuesten Zeit erfolgt. Und auch seine Vollendung ist noch nicht sichergestellt. Die früheren unruhigen Zeiten waren solchen Unternehmungen nicht günstig. Als man endlich es gelernt hatte, die mächtige Kraft des Dampfes in den Dienst des Menschen zu bannen, da begnügte man sich mit einer leichter zu schaffenden Landstraße.
Der Versuch, die trennende Schranke zwischen dem Atlantischen und dem Stillen Ocean mittels eines Kanals zu durchbrechen, fällt erst in die allerjüngsten Jahre. Wann und wie derselbe mit Erfolg gemacht sein wird, dies entzieht sich freilich auch heute noch der Berechnung, nun das großartige Unternehmen des Franzosen Lesseps, des berühmten Urhebers des Suezkanals, dem Scheitern nahe ist.
Angesichts dieser alle Welt bewegenden und in ihren Folgen noch unabsehbaren Thatsache scheint es angezeigt, jenem Isthmus unsere Aufmerksamkeit zuzuwenden, dessen Fahrbarkeit für die Schifffahrt dem Weltverkehr und Welthandel ganz neue Bahnen zu weisen bestimmt ist. -
„An Kastilien und an Leon gab eine neue Welt Colon“, so lautet die Inschrift, mit welcher König Ferdinand den Sarg des großen Entdeckers ehrte, den wir gemeiniglich Columbus nennen.
Und doch war der große Mann aus der Welt geschieden ohne eine Ahnung, daß er einen neuen Welttheil gefunden habe. Hartnäckig hielt Columbus bis zu seinem letzten Athemzuge an dem Wahne fest, daß Kuba ein vorgestrecktes Glied des asiatischen Festlandes, eine Provinz des chinesischen Reiches, und Hispaniola oder, wie wir heute sagen. Hayti, Marco Polos Zipangu oder Japan sei, daß zwischen dem karibischen und bengalischen Golfe keine wasserbedeckte Halbkugel liege. Und als ob seine Ansicht dadurch festeren Boden gewinnen könnte, ließ er sie sogar von seinem gesammten Schiffsvolk feierlich beschwören. Selbst als er die Ostküste des Isthmus van Darien betrat und Kunde erhielt von dem nicht fernab liegenden westlichen Meere, wurde sein Vertrauen auf die asiatische Zugehörigkeit der von ihm entdeckten Länder nicht erschüttert. Er glaubte sich dem goldenen Chersonnes nahe und meinte, daß nur wenige Tagereisen ihn von der Mündung des Ganges trennten. In diesem glorreichen Wahne befangen, stieg er ins Grab, und wohl für ihn, daß es so sich fügte, denn tief erniedrigt wäre ihm seine That erschienen, hätte er jenseit des amerikanischen Festlandes ein neues Weltmeer gewahren müssen.
Erst sieben Jahre nach dem Tode des großen Genuesen wurde es dem Spanier Balboa vergönnt, den Großen Ocean zu erreichen und den Irrthum des Columbus nachzuweisen. Doch war es nicht der Drang, durch Erschließung neuer unbekannter Gebiete unsterblichen Entdeckerruhm zu erwerben, sondern der längst alle edleren Regungen zurückdrängende Hunger nach Gold, welcher zu solcher That trieb. Denn überall auf den Inseln und an den Küsten Amerikas fand man in verschwenderischer Fülle in den Palästen der Häuptlinge wie in den Hütten ihrer Unterthanen das edle Metall, das die Eingeborenen leicht an die Spanier hingaben, deren Goldgier ihnen völlig unverständlich erschien. Immer und immer wieder drängt sich uns bei der Betrachtung jener Zeiten die Wahrnehmung auf, daß nur niedrige Habsucht es war, welche das Vorrücken abendländischer Gesittung bewirkte.
Vasco Nunez Balboa gehörte zu jener zahlreichen Klasse von Abenteurern, welche die Kunde von den Schätzen des westlichen Wunderlandes aus der Dürftigkeit der Heimath übers Meer führte. Und wie so viele andere wurde er bitter enttäuscht. Auf Domingo hatte er viele Jahre Feldbau getrieben, gerieth hier aber in drückende Schulden denen er sich gern durch Flucht entziehen wollte. Aber er mochte nicht nach Spanien zurückkehren um in Gesellschaft von Leidensgefährten seine Armuth auf öffentlichen Plätzen, an den Thüren der Kirchen, insbesondere vor dem Herrscherpaar Ferdinand und Isabella vorwurfsvoll zur Schau zu tragen, er wünschte die Neue Welt nicht zu verlassen, die ihm noch verheißungsvoll genug erschien er wollte nur ein neues Feld seiner Thätigkeit aufsuchen und damit seinen immer dringender werdenden Gläubigern entgehen. In gleicher Lage befand sich noch mancher andere Pflanzer auf Domingo, aber ihre Absicht, das lästige Schuldbuch in dieser einfachsten Weise gründlich zu tilgen, wurde durch die Wachsamkeit des Admirals Diego Colon vereitelt: denn es bestand in der spanischen Kolonie, dem Sitz zahlloser Abenteuerer, ein weises Gesetz, nach dem kein Schuldner ohne Wissen seiner Gläubiger die Insel verlassen durfte. Nur Balboa gelang es, in einer Tonne versteckt, sich als Passagier eines nach Darien absegelnden Schiffes durchzuschwärzen, freilich nicht, ohne sich der Beschimpfung seitens des Kommandanten auszusetzen.
Bolboa war von guter, wenn auch nicht vornehmer Abkunft, hoch und kräftig gewachsen, stand er damals in der Blüthe seiner Jahre, im Ertragen von Entbehrungen und Beschwerden kam ihm keiner gleich. Mit durchdringendem Verstande begabt, dabei furchtlos jeder Gefahr ins Auge schauend, wußte er geschickt seine Gefühle zu verbergen und die Vergeltung für empfangene Kränkungen hinauszuschieben, geduldig wartend auf die Zeit, die ihm die Mittel zur Heimzahlung in die Hand gab. Wenigstens fügte er sich dem bestehenden Regimente, bis seine Stunde schlug. Es wurde dem ehrgeizigen Manne nicht allzu schwer gemacht, sich zum Haupte der Ansiedelung in Darien empor zu schwingen, waren doch die spanischen Auswanderer immer eher geneigt, sich den Führer aus ihrer Mitte zu wählen, und hingen sie doch stets weit treuer an den Offizieren, die sie zum Aufruhr verführt hatten, als an den Obrigkeiten, die mit Pergament und königlichem Brief unter sie traten. Freilich ruhte auf der Umsicht und Tapferkeit Balboas bald die ganze Wohlfahrt der neuen Kolonie, ihn allein fürchteten die Indianer mehr als hundert Degenspitzen.
Der königliche Statthalter zögerte nicht, den erfolgreichen Usurpator obrigkeitlicher Gewalt mit der Ernennung zum Generalkapitän des eroberten Gebiets zu belohnen, aber in Madrid war man weniger geneigt, zu verzeihen. Und als die Kunde von der Absendung eines neuen Statthalters als Richters des Geschehenen nach Santa Maria del Antigua, der kleinen Hauptstadt von Darien drang, da reifte in Bolboa der Entschluß, alle seine Ankläger durch eine ungewöhnliche That zum Schweigen zu bringen.
Auf Seinen Streifzügen hatte ihm ein freundlicher Häuptling von einem Meere jenseit des vor seinen Blicken sich erhebenden [44] Bergkammes gesprochen, welches von Fahrzeugen nicht geringer als die spanischen Karavelen befahren werde, die wie diese auch Segel und Ruder führten. Ueber diese Berge, zu jenem Meer sollten die Spanier ziehen, wollten sie ihren Heißhunger nach Schätzen befriedigen. Balboa hatte sich früher zu schwach gefühlt, jetzt trieb die Notwendigkeit, er beschloß, das geheimnißvolle Meer zu erreichen, von dessen Gold- und Perlenschätzen er so berauschende Dinge erfahren hatte, obschon er sehr wohl wußte, daß ihm die Straße über unwegsame Gebirge von kriegerischen Fürsten streitig gemacht werden möchte, deren Muth und Kräfte man allmählich achten gelernt hatte.
Denn während jetzt eine fast menschenleere Wildniß die schmale centralamerikanische Landenge erfüllt, waren diese Thäler zu Balboas Zeit noch dicht bevölkert. Können wir den spanischen Geschichtschreibern nicht unbedingten Glauben schenken, wenn sie uns versichern, daß der Isthmus von zwei Millionen Menschen bewohnt gewesen sei, so wissen wir doch, daß im Thal des Chucunaque allein ein Dutzend Häuptlinge residirte, von denen jeder einige hundert Streiter ins Feld stellen konnte.
Die braunen, wohlgebauten Bewohner dieser Landschaften verdienten damals keineswegs den Namen von Wilden, mit denen der europäische Kulturmensch gern alle Naturvölker brandmarkt. Verschmähten es auch die Männer, ihre oft herkulischen Gestalten in die ihnen unbequeme Kleidung zu zwängen, so gefielen sich doch die Frauen aus berechnender Eitelkeit in Schnürbrüsten aus Gold- blech, oft kunstvoll mit getriebenen Thiergestalten verziert, und in baumwollenen Gewändern, die bis zu den Knöcheln herabfielen. Die Paläste der Fürsten zeugten von nicht gemeiner Kunstfertigkeit. Vier Flügel bildend von 150 Schritt Länge und 80 Schritt Breite, waren sie mit Steinmauern umgürtet und die Gemächer kunstreich mit einem Dachstuhl überbaut. Hier und da erhoben sich über die Wohnungen Thurmspitzen. Die Magazine fand man mit Brotfrüchten, Fischen und Wildbret gefüllt, die Keller mit Chicha, einem gegohrnen Getränk aus Mais und Früchten, das die Spanier für trefflicher erklärten als baskischen Apfelmost oder flandrisches Bier. In den Todtenkammern der Dynasten hingen in baumwollenen Schlingen, belastet mit Geschmeide und Talismanen, die Mumien der Ahnherren des Reichs, „gleichsam als Urkunden und Pergamente ihrer eigenen Königszeit, während geheiligte epische Gesänge, annalenartig das Gedächtniß des Vergangenen rettend, um die Grüfte schwebten.“
Balboa wählte zur Durchquerung die schmalste Stelle des Isthmus, an der sich die atlantischen und pacifischen Gewässer einander bis auf neun Meilen nähern. Man darf aber nicht die Schwierigkeit des Unternehmens nach der Meilenzahl abschätzen. Ist auch die Erhebung der Cordillera, welche den Isthmus durchzieht, eine so geringe, daß nirgends die Gipfel 1200 Meter erreichen, liegen auch die Joche kaum mehr als 300 Meter über dem Meeresspiegel, so bedeckte doch ein Urwald von mächtigen Stämmen, gefesselt und umwoben von Schlingpflanzen und Schmarotzerreben, das Land von einem Ocean zum andern. Wochenlang mochte sich der Wanderer durch diese Wälder bewegen, ohne daß sich ihm eine Lichtung öffnete, und selbst von den höchsten Baumwipfeln suchte das forschende Auge vergebens etwas anderes zu erblicken, als die ununterbrochene Oberfläche eines endlosen grünen Laubmeeres. Hier gab es keine anderen Wege, als die schmalen versteckten Kriegspfade, auf denen ein Kazike zum Ueberfall auf den anderen sich heranzuschleichen pflegte. Noch im Jahre 1853 hat der bekannte Reisende Karl von Scherzer vergeblich den Versuch gemacht, an einer anderen Stelle den Isthmus zu überschreiten. Nach mühevoller Arbeit von 16 Tagen mußte er, obwohl von 30 Trägern begleitet und von Ingenieuren unterstützt, sein Vorhaben aufgeben. „Der Wald war überall so dicht, daß nur ein fahler Schein, der durch die Blätternacht brach, die Tageszeit verkündete.“
Am 1. September 1513 segelte die aus 190 Spaniern und 600 eingeborenen Lastträgern bestehende Expedition den schmalen Meereseinschnitt hinauf bis zu dem Punkte, wo die Landenge ihre größte Verjüngung findet. Nachdem Balboa eine Abtheilung zurückgelassen, setzte er seinen Marsch am 6. September fort. Wohl stellten sich ihm die Kaziken an der Spitze ihrer Krieger entgegen, aber was vermochten ihre Keulen und Holzspeere gegen europäische Feuerwaffen, welche die Indianer mit dem unheimlichen Glauben erfüllten, daß die Fremdlinge Blitz und Verderben aus ihrem Munde zu schleudern vermöchten? Und nicht am wenigsten furchtbar als Mitkämpfer der Spanier waren jene mächtigen Bluthunde, welche diese in allen Kriegen gegen die Indianer mit sich führten, die auch nur zu oft das Henkeramt an den Unglücklichen verrichteten, welche spanische Habsucht oder Politik zum Tode verdammte.
Am 25. September morgens erreichte die Expedition den waldentblößten Kamm, von welchem das andere Meer erblickt werden konnte. Die indianischen Führer hatten Balboa schon früh dessen Nähe angezeigt; in kurzer Entfernung vom Gipfel gebot er seinen Leuten Halt und schritt allein vorwärts, um der Erste zu sein, welcher das östliche Weltmeer begrüßte. Und wie nun in den Strahlen der Sonne ein gliederreicher Golf vor seinen entzückten Blicken sich ausbreitete, da warf sich der Entdecker auf die Kniee und mit erhobenen Armen jauchzte er den australischen Gewässern zu, indem er in unbegrenzten Dank für die göttliche Gnade ausbrach, die ihn, „einen so gering begabten Mann unadeliger Abkunft“, eine solche That vollbringen ließ. Dann rief er seine Leute herzu, mit ihm in ein diesmal aus innerstem Herzen kommendes Tedeum einzustimmen und auf dem höchsten Punkte des Uebergangs das Symbol des christlichen Glaubens aufzurichten.
Nun ging es abwärts, und als man am vierten Tage an den Ufern des Savanasflusses lagerte und das Meer fluthend in das durch die Ebbe geleerte Bett heraufstieg, da erfaßte Balboa eine Fahne mit dem Bilde der Jungfrau und des Jesusknaben, zu dessen Füßen das Wappen von Kastilien und Leon prangte, sprang hinunter in das Wasser und nahm im Namen der Krone Spanien feierlich Besitz von „diesen australischen Meeren, Ländern, Gestaden, Häfen und Inseln“ und forderte laut jeden zum Kampfe heraus, der dieses gute Recht bestreiten wolle. Die einsame Wildniß blieb die Antwort schuldig, und so war das spanische Königreich um eine große Provinz reicher.
Noch zog Balboa an den Golf hinunter, dessen Gestade er in indianischen Barken umschiffte, wobei er sich von dem ungeheuren Reichthum des neuen Meeres an Perlen überzeugte, dann trat er seinen Rückmarsch an und erreichte nach einer Abwesenheit von mehr als 100 Tagen am 19. Januar 1514 glücklich wieder Santa Maria, mit kostbarer Beute beladen und ohne den Verlust eines einzigen Spaniers zu betrauern.
Wohl war die durchzogene Strecke eine geringe, aber groß waren die Hindernisse, welche der furchtlose Entdecker glücklich zu überwinden wußte, und noch größer die Resultate des Unternehmens, welches mit einem Schlage die neue Welt von der ihr irrigerweise aufgezwungenen Verbindung mit der alten loslöste. War Columbus der Entdecker des westlichen Welttheils, so war es Balboa, der seine Selbständigkeit feststellte. Aber noch bitterer als jenen sollte Balboa das Los treffen, welches zu dieser Zeit so manchen verdienstvollen Mann als Lohn seiner Mühe erreichte. Hartnäckig wurde er von dem argwöhnischen Gouverneur verfolgt, und aus nie bewiesene Anklage fiel sein Haupt im Jahre 1517 auf dem Marktplatz von Santa Maria del Antigua, dem langjährigen Schauplatz seiner bewährten Thätigkeit.
Die Handel treibenden Seefahrer überzeugten sich aber bald, daß die mit Urwald bedeckte Landenge für ihre Unternehmungen ein unüberwindliches Hinderniß bildete. Jahrzehnte lang wurde im Norden und Süden von Panama ein Wasserweg nach dem Stillen Ocean gesucht. Wohl löste später Magalhàes das „Geheimniß der Durchfahrt“, indem er die Südspitze von Amerika umschiffte, aber diese Lösung entsprach nicht den gehegten Erwartungen. Was das große Zeitalter der Entdeckungen hoffte, das sollte erst das noch gewaltigere Zeitalter des Dampfes vollbringen. Es ward dazu berufen, die Schranken niederzuwerfen, welche die Natur dem Verkehr entgegensetzte, es legte den sicheren Schienenweg über den unzugänglichen Landstreifen, und es reiht eben an die Großthat Balboas jenes große Unternehmen des Panamakanales, mit dessen Vollendung das „Geheimniß der Durchfahrt“ durch den Spaten der Arbeiter und die Schaufeln der Maschinen ebenso kraftbewußt gelöst sein würde, wie einst der Gordische Knoten zerhauen wurde durch das Schwert des großen Alexander.
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Die Entdeckung des Zusammenhanges zwischen der nördlichen und südlichen amerikanischen Festlandhälfte machte es den Seefahrern jener Zeit klar, daß der Weg zu den gesuchten ostasiatischen Reichen nur um den Norden oder den Süden des langgestreckten neuen Kontinents führen könne, denn an ein Ausschiffen auf der einen Seite der schmalen Landenge und ein Einschiffen auf der andern durfte bei der unwegsamen Natur des Landes und den unentwickelten Verkehrsverhältnissen jener Zeit durchaus nicht gedacht werden. Und hatten auch die Indianer sich Balboa gegenüber gefügig genug gezeigt, so fingen sie, aufgereizt durch die brutale Raubgier seiner Nachfolger, doch bald an, das Betreten ihrer Territorien zu einem Unternehmen gefährlichster Art zu machen.
Dennoch gediehen die spanischen Niederlassungen an beiden Ufern des schmalen Isthmus, Panama zumal, von wo aus Pizarro [59] seinen denkwürdigen Zug machte, durch den im Süden das große Reich der Inkas zerstört wurde, wie durch Hernan Cortes im Norden das der Azteken gefallen war. Ungeheure Reichthümer, die Ergebnisse ebenso verwegener wie erfolgreicher Raubzüge, lagen hier aufgehäuft. Aber kurzsichtig suchte Spanien alle fremden Flaggen von seinen amerikanischen Kolonien fernzuhalten und lockte dadurch gerade jene kühnen Piraten herbei, welche als Flibustier, Bukkanier, Küstenbrüder die amerikanischen Meere durchschwärmten, überall brandschatzend oft tief ins Land hineindrangen und manche reiche Silbergallone wegnahmen. Der gefürchtete Morgan erstürmte 1670 Puerto Bello, drang im nächsten Jahr über die Landenge von Panama vor und machte, dabei unermeßliche Beute.
Noch immer zogen nur schmale Saumpfade durch die dichten Wälder, auf welchen mit Hilfe indianischer Träger der ganze Verkehr vermittelt wurde; aber wollte man sich nicht zur gefahrvollen Fahrt um die von Stürmen gepeitschte, in Nebel gehüllte Südspitze Amerikas entschließen, so bot die Landenge den einzigen Weg, auf welchem der ungeheure Raub des Inkareichs der alten Welt zugeführt werden konnte.
Unter dem Zauber von Gold, Silber und kostbaren Perlen blühte Panama schnell auf. Prächtige Kirchen in Porphyr, in rothem oder grünem Basalt erstanden, zahlreiche Orden schufen sich wohldotirte Klöster, eine große Stadt baute sich auf nach maurischem Muster aus Häusern, deren dicke Mauern die Hitze abhielten und in deren weiten Patios unaufhörlich rauschende Springbrunnen erfrischende Kühle verbreiteten. Seine hohen stattlichen Gebäude gaben Panama ein Ansehen, durch welches es sich wesentlich von allen andern Städten Centralamerikas unterschied, denn nur auf diesem in Centralamerika allein von der Erdbebenplage verschonten Gebiet sind solche Bauten möglich.
Aber die eifersüchtige und niedrige Politik, welche Spanien seinen Kolonien gegenüber verfolgte, und die unglücklichen Kriege mit England legten den Grund zum Ruin des damals besuchtesten Ein- und Ausfuhrhafens Westamerikas. Häufige Feuersbrünste thaten außerdem das Ihrige, aber von Grund aus zerstört wurde die Stadt durch Morgans schon erwähnten Raubzug. Indeß wurde sie bald wieder aufgebaut und zwar nun einige Meilen westwärts auf einer felsigen, leicht zu vertheidigenden Halbinsel am Fuße des Cerro Ancon.
Hier schuf der berühmte Baumeister Don Alfonso de Villa Costa einen Platz, dem an Festigkeit in Südamerika damals keiner gleichkam. Mehrere Meter dicke Mauern wurden auf drei Seiten auf dem Terrain der Ebbe gegründet, und an jedem Endpunkte erhob sich eine mächtige Bastion gegen den Ocean. Heute sind die Festungswerke unbewehrt und baufällig; zerstörend prallen die Wogen an die mächtigen Mauern; von der Brandung unterspült, von Ranken und Mauerpflanzen zerklüftet, liegen Steine und Balken zerstreut auf dem Strande, den die Ebbe periodisch freilegt. Eine einzige Bastion ist noch leidlich erhalten, und hier lustwandeln allabendlich die Kreolen und athmen in vollen Zügen die erquickende Meeresbrise ein, während sie den herrlichen Blick auf das entzückende Panorama der Reede und ihrer grünschimmernden Inseln genießen. Leider sind Miethskasernen an die Stelle der malerischen maurischen Bauten getreten, nur hier und dort geben Häuser mit steinernem Erdgeschoß und hölzernen, rings weit überstehenden Stockwerken der Stadt einen eigenartigen Anstrich.
Von den Dutzenden von Kirchen, welche die Stadt birgt und die mit ihren zugehörigen Klöstern den früheren Reichthum Panamas ahnen lassen, dienen nur noch wenige ihrer ursprünglichen Bestimmung. Die meisten Kirchen sind in Wohnhäuser umgewandelt oder in Trümmer zerfallen, die Klöster zu Magazinen oder Kasernen geworden. Aber hoch und gesund gelegen, stand Panama selbst in seiner tiefsten Erniedrigung weit über dem Fiebernest Chagres, dem Hafen der atlantischen Küste, dem die Landenge vornehmlich ihren traurigen Ruf verdankt.
An diesem von verpesteten Sümpfen umschlossenen Platze ausgeschifft, mußten die Reisenden fünf schreckliche Tage die Windungen des Chagresflusses hinauffahren; in enge Pirogen ohne Schutz gegen Regen und Sonne eingeschachtelt, kamen sie schon elend in Gorgona, dem Endpunkte der Schifffahrt, an, und um Panama zu erreichen, hatten sie noch zwanzig volle Stunden unter tausend Beschwerden des Bodens und der Witterung zu marschiren. Abends kein stärkendes Mahl, nachts kein Lager, bis auf die Haut durchnäßt und doch nicht im Stande, die Kleider zu wechseln, wie konnte ein Organismus, und war er noch so stark, diesen Angriffen widerstehen! Und dennoch begann seit Entdeckung der fabelhaft reichen Goldschätze Kaliforniens ein immer stärker anschwellender Strom von Abenteurern über den Isthmus sich zu bewegen. Führte doch damals über die weiten Prairien des „Westens“ und die schneebedeckten, rauhen Grate der Rocky-Mountains noch kein bequemer Schienenweg und waren doch die mit müder Qual über die unwegsamen Landschaften Nordamerikas hinziehenden Ochsenkarawanen nur zu häufig den mörderischen Angriffen räuberischer und grausamer Rothhäute ausgesetzt.
Freilich fehlte es auch auf dem Isthmus an solchem Gesindel nicht, sobald eine rückläufige Strömung einsetzte und glückliche Digger (Goldgräber) mit dem Erlös ihrer Arbeit in die Heimath zurückzukehren begannen. Sehr bald wurde die Straße durch Banden gefährdet, welche den Heimziehenden auflauerten und so auf bequemere Art an den kalifornischen Schätzen theilnahmen. Dies Unwesen mit der Wurzel ausgerottet zu haben, ist das Verdienst eines kaum zwanzigjährigen Amerikaners. Mit einigen kühnen Genossen drang er in die Wälder und lynchte ohne Erbarmen die Banditen, die er in ihren Schlupfwinkeln überraschte; in wenigen Monaten hatte dieser neue Herkules das Land gründlich gesäubert.
Der Verkehr über die Landenge war in dieser Zeit ungeheuer gestiegen. Während 1849 nur 800 Menschen die Straße gezogen waren, zählte man bereits im nächsten Jahr nicht weniger als 13 484 und 1851 gar 21 180 Reisende. Amerikanischer Unternehmungsgeist wußte sehr bald von den neuen Verhältnissen Nutzen zu ziehen. In New-York bildete sich eine Gesellschaft von Kapitalisten, welche zuerst sorgfältige Untersuchungen über die Ausführbarkeit einer Eisenbahn durch den Isthmus anstellte und, nachdem dieselben zur Befriedigung ausgefallen, mit der Regierung Neugranadas einen Vertrag abschloß, wonach ihr 200 000 Acker Landes an der vorgezeichneten Bahnlinie und ein Privilegium zugesprochen wurde, das die Regierung nach Ablauf der ersten 20 Jahre, von Vollendung der Bahn an gerechnet, für 5 Millionen Dollars einzulösen befugt war.
Machte sie von diesem Rechte keinen Gebrauch, so sollte das Privilegium auf weitere zehn Jahre verlängert werden. Nach Ablauf dieser zweiten Frist sollte die Regierung die Bahn für 4 Millionen, und nach Ablauf einer dritten gleich langen für 2 Millionen Dollars einlösen können. Aber bei dem politischen Zustand des Landes war von vornherein nicht zu erwarten, daß die Regierung das Geld je für die Ablösung werde aufbringen können, und bis dahin war die Gesellschaft unter den Schutz der Vereinigten Staaten gestellt. Bemerkenswerth ist noch, daß die Gesellschaft das Monopol des Transits über den ganzen Isthmus, also auch die Entscheidung über die Kanalfrage, für sich in Anspruch nahm.
Die Bahnlinie begann bei der Stadt Panama; zum Endpunkt wählte man nicht das ungesunde Chagres, sondern die Manzanillo-Insel in der Navybai, wo dann der Ort Aspinwall entstand, so getauft nach einem der Mitglieder des Konsortiums. Doch hat dieser Name in neuerer Zeit mehr und mehr der Bezeichnung Colon Platz machen müssen. Manzanillo ist ein gehobenes Riff von Madreporenkorallen, zum großen Theil von einem Sumpfe erfüllt, aus dem sich das Geripp einer riesigen Mangrove erhebt, deren vielverzweigte Wurzeln einen willkommenen Ruhesitz für die zahlreichen Geier bilden, welche die sonst von niemand geübte Wegereinigung in dankbarer Weise übernehmen. Die ganze Insel ist nackt und kahl, doch hat man mit großer Mühe an der im amerikanisch-englischen Stil aus rothem Porphyr erbauten Kirche, am Bahnhof und am Leuchtthurm einige Kokospalmen groß gezogen und rings um die Insel zieht sich eine schöne von der Eisenbahngesellschaft angelegte Promenade.
Die mit Balkonen und Veranden geschmückten Häuser der Bahnbeamten, Kaufleute, Agenten erbaute man auf der festen und trocknen Nordwestspitze der Insel, dahinter in den Sumpf hinein erstrecken sich, auf Pfählen oder fragwürdigen Erdaufschüttungen ruhend, Magazine, Quais, der Bahnhof und die ganze elende Ansammlung von Hütten und Buden, deren hauptsächliches Material alte Kisten und Lianen bilden, die Wohnungen der zahlreichen Schwarzen und Braunen. Zwischen beiden Theilen der Stadt sind zur besseren Drainirung zwei große Teiche gegraben worden, welche das Meer und die gleichfalls als Unrathsvertilger verdienstvollen Alligatoren einlassen. Hier erhebt sich, durch eine leider [60] allzu hohe Einfriedigung eingeschlossen, die prächtige Bronzegruppe: „Christoph Columbus bringt Amerika seinem Europa dar“, ein Geschenk der Kaiserin Eugenie an den Präsidenten Mosquera, ihren entfernten Verwandten.
Vom hohen Meer aus giebt es nichts Reizenderes als den Blick auf die Stadt und die Reede von Colon. Links erscheinen die niedrige Insel Manzanillo und die weißen, von Kokospalmen beschatteten Häuser der Stadt, rings umher ist die Ebene mit Wäldern bedeckt, welche die Limonbai umgürten, rechts und links von dieser steigen in einiger Entfernung die Höhen von Mindi und Puerto Bello auf, während geradeaus im bläulichen Hintergrund niedrige Hügel den Rücken bilden, der die Ebenen der atlantischen Küste von denen der pacifischen trennt.
Der Bau der Bahn wurde im Januar 1850 in Angriff genommen, am 28. Januar 1855 konnte sie eröffnet werden. Es sind ungeheure Anstrengungen nöthig gewesen, um diese doch nur 75 Kilometer lange Strecke zu vollenden, und Tausende von Menschenleben wurden dabei geopfert. Gerade das Letzte ist aber ebenso häufig bestritten wie arg übertrieben worden. Gehört es auch ins Bereich der Fabel, wenn man rührend erzählte, wie vom Heimweh ergriffene Chinesen sich während der Ebbe an die Küste des Stillen Oceans setzten und ohne Klage, ohne ein Wort, ohne eine Bewegung die steigende Fluth erwarteten, bis sie der feuchte Tod aus ihren Sklavenketten befreite – denn die Chinesen arbeiteten im Mittelpunkt des Isthmus –, so ist es doch sicher, daß viele von ihnen, sobald sie das Fieber in ihren Gliedern spürten, sich selbst ums Leben brachten oder sich von ihren Landsleuten den Tod geben ließen. Man holte Engländer, Deutsche, Irländer, Franzosen, Neger, ostindische und chinesische Kulis herbei, aber unter allen räumte das Klimafieber in grauenerregender Weise auf. In der ersten Zeit, in der gerade die schwersten Arbeiten zu verrichten waren, hatte man nicht die geringsten Anstalten getroffen, die Kranken zu pflegen, erst 1852, also volle zwei Jahre nach Beginn des Unternehmens, fing man an, einen Sanitätsdienst einzurichten; auf Manzanillo erhoben sich einige Holzbaracken, die Magazine von Colon wurden mit den nöthigen Vorräthen ausgestattet und längs der Bahn schlug man Schuppen auf, in denen die Arbeiter Schutz vor Sonne und Regen finden konnten. Nach den Angaben der Eisenbahngesellschaft freilich sollen während des Baues nur 293 Weiße gestorben sein und doch waren häufig bei 7000 Arbeiter zu gleicher Zeit auf den Bauplätzen.
Die Kosten des Baues stellten sich trotz der geringen Länge außerordentlich hoch; sie beliefen sich auf über 8 Millionen Dollars. Die ersten 19 Kilometer von Colon aus führen durch überaus sumpfiges Terrain, in welchem die Schienen zum Theil auf eingerammten Pfählen liegen; zur Ueberschreitung der mäanderartig die Landschaft durchschlängelnden Flüsse waren nicht weniger als 170 Brücken von 4 bis 200 Meter Spannweite nöthig. Die größte derselben ist die Brücke über den Chagres, die jetzt, um den zerstörenden Einflüssen der Insekten und der Witterung zu trotzen, wie die meisten anderen aus Eisen erbaut ist. Zu diesen Einflüssen kommt eine mächtig wuchernde Vegetation, in deren Umarmung die Bahn sehr bald verschwinden würde, führte nicht ein Heer von Arbeitern mit derselben einen unablässigen Kampf um das Terrain. Die Bahn ist eingeleisig, hat aber bequeme Ausweichstellen und alle 61/2 Kilometer befindet sich ein Haus für den Bahnwärter. Früher nahm man dazu Weiße, später wurde ersparnißhalber die Pflege der Bahn ausschließlich Negern anvertraut. Ueberhaupt ist der Betrieb der denkbar einfachste. Es giebt nur eine Wagenklasse und von Bahnhöfen und Billetschaltern ist keine Rede. Die Passagiere steigen ungehindert ein und wählen selbst ihre Plätze, erst unterwegs wird die Zahlung gefordert; nur höchst selten sieht sich der Zugführer gezwungen, zu halten und einen Zahlungsunfähigen der freien Luft und dem Urwald zu übergeben.
Die Zahl der Reisenden, welche den Isthmus benutzten, wuchs mit der Eröffnung der Bahn sogleich in außerordentlicher Weise, zumal zu den vielen schnell gebildeten Dampferlinien noch die trat, welche Europa über Panama und Tahiti mit dem gleichfalls unter dem Zauber reicher Goldfunde schnell aufblühenden Australien verband. Im Jahre 1859 erreichte der Personenverkehr seine höchste Ziffer mit 46 976 Fahrgästen. Dazu kam der Transport der kolossalen Gold- und Silbermassen und Edelsteine, während der von anderen Waaren bei den sehr hohen Spesen ein geringer war.
Nach dem Bericht des Ingenieurs Totten, des Erbauers der Bahn, wurden in den 12 Jahren von 1855 bis 1866 befördert 396 032 Reisende, für 501 Millionen Dollars Gold, für 147 Millionen Dollars Silber, für 7 Millionen Dollars Juwelen und 614 535 Tonnen Güter.
Seitdem aber nahm der Verkehr gewaltig ab, namentlich seit Eröffnung der nordamerikanischen Pacificbahn und der bald darauf folgenden Verlegung der Station für die australischen Dampfer nach San Francisko und der Eröffnung zahlreicher Dampferlinien um das Kap Horn nach der Westküste Südamerikas. Noch immer freilich wußten Reisende die Fahrt über den Isthmus mitten durch Wälder, die noch in ihrem herrlichsten, in keinem Theil der Erde übertroffenen Urschmuck prangten, als eines der sinnberauschendsten Schauspiele zu preisen, welche das Auge des Naturfreundes zu genießen vermag, aber das praktische Interesse an dieser Bahn nahm immer mehr ab, so daß schließlich die bisherige jährliche Zahlung von einer Viertelmillion Dollars an die columbianische Regierung eingestellt werden mußte und die Verwaltung sich unschwer entschloß, ihren Besitz und ihre Gerechtsame an die von Lesseps zur Durchstechung des Isthmus gebildete Gesellschaft abzutreten.
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Der Gedanke an einen Kanal zur Verbindung des Caraibischen Meers mit dem Stillen Ocean ist so alt wie die Entdeckung der Landenge selber. Schon Cortes befragte den unglücklichen Montezuma nach dem vielgesuchten „Geheimniß der Durchfahrt“ und faßte auch an der Hand einer ihm übergebenen Karte den Plan, den Isthmus von Tehuantepec schiffbar zu machen. Dieser Plan wurde jedoch nie in Angriff genommen und schließlich ganz aufgegeben, als man sich von der Verjüngung der Landenge nach Süden zu überzeugte.
Nun wies Karl V. den Statthalter von Panama an, die passendsten Mittel vorzuschlagen, um eine Verbindung des schiffbaren Theils des Chagresflusses mit dem Stillen Ocean zu bewerkstelligen. Aber zu einem Versuch, ein solches Projekt auszuführen, kam es damals ebensowenig wie in späteren Zeiten, die sich immer noch ab und zu mit allerlei ähnlichen Entwürfen beschäftigten. Mit der Regierung des zweiten Philipp erlosch dann in Spanien das „heilige Feuer der Thatkraft“ wie für vieles andere so auch für dies große Unternehmen.
Freilich ließ Spanien 1781 einige Vermessungen machen, aber nun trat die französische Revolution mit den großen darauf folgenden Kriegen, dann der Abfall der spanischen Kolonien dazwischen, und die darauf in den neukonstituirten Republiken Centralamerikas gebildeten Gesellschaften arbeiteten ohne Erfolg. Ein 1830 im Namen des Königs von Holland mit Nicaragua abgeschlossener Vertrag führte wohl zu einigen Vorarbeiten, aber die Revolution, welche Belgien von Holland trennte, machte der Sache ein Ende.
Zwölf Jahre später wurde das Projekt in Amerika selber abermals aufgenommen. Nun bewarb sich der Mexikaner Garay bei seiner Regierung um ein Privilegium zur Herstellung einer interoceanischen Verbindung. Der Präsident Santa Ana erklärte in hochtönenden Worten, es sei die Absicht, vermöge derselben Mexiko zum Mittelpunkt des Handels und der Schifffahrt der ganzen Welt zu machen. Dabei wußte man von den Niveauverhältnissen des zu durchstechenden Landes blutwenig und dem Urtheil des deutschen Ingenieurs Cramer, welcher 1774 einen Kanal ohne Schleusen für möglich erklärt hatte, trat der Ingenieur Moro mit der Behauptung entgegen, daß man mindestens 150 Schleusen werde erbauen müssen.
Das Privilegium ging durch Kauf von einem Unternehmer zum andern, bis es schließlich sehr zum Mißvergnügen der Mexikaner in die Hände der Yankees gerieth, ohne daß aber das Unternehmen selber dadurch irgendwelche Förderung erfuhr. Und es dauerte nicht lange, so präsentirte sich der Welt Projekt auf Projekt, bis deren Zahl endlich bis zu achtzehn heranwuchs.
Aber gethan wurde nichts; am ernsthaftesten nahm die Sache wohl der Erbauer der Panama-Eisenbahn Totten, welcher sogleich nach Vollendung der Bahn an die Ausführung eines Schleusenkanals zwischen Colon und Panama dachte, denn die Idee eines Durchstiches hatte man bereits für ganz Centralamerika aufgegeben. Ein Schleusenkanal kann aber für den interoceanischen Verkehr eine verhältnißmäßig nur geringe Bedeutung haben; die Amerikaner in der Union freilich sind es schon zufrieden, wenn derselbe nur ihrem Handelsverkehr zwischen den östlichen und südlichen Staaten einerseits und jenen der pazifischen Küste andererseits sich förderlich erweist.
Bis aber Lesseps, der geniale Erbauer des Suezkanals, der Sache näher trat, kam man über Erwägungen, Untersuchungen und Berichte wenig hinaus, kein endgültiger Plan wurde aufgestellt, kein Schritt gethan, dem Unternehmen die nöthige finanzielle Grundlage zu sichern. Erst im Jahre 1876 bildete sich zu Paris ein internationales Komitee, um von neuem selbständige Forschungen zu beginnen und namentlich die Ausführbarkeit eines Kanals im Niveau der Oceane, also ohne Schleusen, ins Auge zu fassen, da nur ein solcher dem Weltverkehr in ausgiebigstem Maße zu nützen vermag. Man beauftragte nun die Schiffslieutenants Wyse und Reclus, eine genaue Aufnahme derjenigen Linien zu machen, welche über die Landenge an ihrer engsten Stelle gehen.
Als am 15. Mai 1879 die Generalversammlung der internationalen Gesellschaft in Paris zusammentrat, lagen acht Projekte vor. Sieben davon gingen durch kolumbisches Gebiet, eines führte durch Nicaragua. Fast alle bedurften zu ihrer Ausführung der Tunnels und eines mehr oder weniger umfangreichen und kostspieligen Schleusensystems. Aber gegen ein solches war die Versammlung fast einstimmig; nach lebhafter und eingehender Diskussion wurde am 29. Mai mit 74 von 98 Stimmen der Kanal im Meeresniveau und ohne Tunnel durch den eigentlichen Isthmus von Panama, und zwar längs der Panama-Eisenbahn, wie Wyse und Reclus es empfohlen hatten, beschlossen. Man verwarf alle Schleusenkanäle, gegen die das schwerwiegende Bedenken sich erhob, daß kaum mehr als 12 Schiffe täglich durch die Schleusen würden fahren können. Die Ausführung des Projektes wurde in die Hände Ferdinands von Lesseps gelegt.
Der Kanal sollte eine Länge von 75 Kilometern haben, wovon die ersten 23 Kilometer von Colon aufwärts, sowie die letzten 11 Kilometer gegen Panama zu aus weichen Bodengattungen bestehen, welche mit Maschinen ausgehoben werden können, während der mittlere Theil durch den Bergrücken des Cerro Culebra aus hartem dolomitischen Gestein gebildet wird, das durch Sprengungen entfernt werden muß. Man berechnete die Masse des auszuhebenden Gesteins auf 100 bis 120 Millionen Kubikmeter, wovon 40 Millionen aus Dammerde, Konglomerate, thonige Schiefer und Schlammboden unter Wasser, dagegen 80 Millionen auf sehr harte eruptive Gesteine kommen. Die Arbeiten wurden durch Lesseps’ unermüdliche Thätigkeit, der die ersten Schwierigkeiten bei Beschaffung des nöthigen Kapitals glücklich überwand, im Jahre 1882 begonnen und sollten 1888 beendet sein. Wir wissen heute, daß man von der Eröffnung des Kanals noch recht weit entfernt ist. Es ist die Vollendung dieses großartigsten Unternehmens der Neuzeit jetzt zu einer Kapitalfrage geworden, deren endliche glückliche Lösung man erwünschen mag, wenn man dieselbe auch als höchst zweifelhaft, zum mindesten als in eine recht weite Ferne gerückt bezeichnen muß.
Der Anfang des Unternehmens ließ sich sehr ungünstig an. Lesseps hatte die Gesammtkosten auf 780 Millionen Franken veranschlagt und bezeichnete eine Summe von 400 Millionen als vorläufig völlig ausreichend, allein trotz des Vertrauens, das man ihm allseitig aussprach, war die Theilnahne der Finanzwelt, namentlich der amerikanischen, eine so geringe, daß die Zeichnung auf die 800 000 ausgegebenen Aktien zu je 500 Franken höchst dürftig ausfiel und die Anzahlungen zurückgegeben werden mußten.
Aber Lesseps’ unermüdliche Thätigkeit überwand im Verein mit seinem großen Ruf als Sachverständiger alle sich entgegenstellenden Schwierigkeiten, so daß 1882 die Kanalgesellschaft sich konstituiren konnte, allerdings mit einen Aktienkapital von nur 300 Millionen Franken. Die Arbeiten konnten nun aber [77] doch in Angriff genommen werden und die Trace wurde wie folgt festgestellt:
Der schleusen- und tunnellose Kanal sollte im wesentlichen der Eisenbahn folgen, und zwar von Colon ab zunächst dem Rio Chagres, dann dessen Nebenfluß Obispo, sollte dann 20 Kilometer von Panama die Cordilleren im Bergkamm Culebra durchbrechen und dem Rio Grande bis zum Stillen Ocean folgen. Die Breite des Wasserspiegels sollte in der Ebene 50, im Gebirge 28 Meter betragen, hier würde der tiefste Durchstich 87 Meter messen. Das fortzuschaffende Terrain berechnete Lesseps auf 120 Millionen Kubikmeter und glaubte, die Arbeiten mit einem Kostenaufwand von 600 Millionen Franken vollenden zu können.
Diese Arbeiten begreifen aber noch anderes außer dem eigentlichen Kanalbau. Der Rio Chagres, weit entfernt, eine Hilfe zu sein, ist ein höchst gefährlicher Begleiter des Kanals. Er steigt während der hier gewaltigen Regenzeit mehr als 14 Meter über seinen gewöhnlichen Wasserspiegel und führt bisweilen in der Sekunde 1200 Kubikmeter Wasser. Wollte man solche Massen in den Kanal leiten, so würde sich der Wasserspiegel desselben gelegentlich um 8 Meter erhöhen und die Strömung eine Geschwindigkeit von 5 Metern in der Sekunde erreichen. Um der dadurch entstehenden Gefahr für die Schifffahrt zu begegnen, faßte Lesseps den großartigen Gedanken, den unbequemen Gefährten unschädlich zu machen. Er beschloß, den Chagres in zwei Theile, einen westlichen und einen östlichen zu spalten. Der letztere würde der bei weitem stärkere sein. Wollte man ein genügendes Bett für die gelegentlichen Fluthwasser schaffen, so würde das der Ausschachtung eines zweiten Kanals gleichkommen, deshalb sollte der Zufluß mittels einer Thalsperre so aufgespeichert werden, daß dem Kanal nicht mehr als 400 Kubikmeter in der Sekunde zugeführt würden.
Ein solcher Damm würde alle derartigen bisher geleisteten Arbeiten in den Schatten stellen. Es würden dazu 7 Millionen Kubikmeter Steinwerk nöthig sein, und man veranschlagte die Kosten dieses Werkes auf 6½ Millionen Mark. Der höchste Wasserstand des aufgestauten Sees würde 67 Meter über der Kanalsohle, die Krone des Sperrdammes 5 Meter höher liegen. Der Wassergehalt des Bassins wurde auf 600 Millionen Kubikmeter berechnet.
Selbstverständlich ließe sich ein solches Riesenwerk in einem Sommer nicht herstellen. Sollten aber die ersten Arbeiten dem gewaltigen Druck der Hochfluthen widerstehen, so müßten sie in einer außerordentlichen Stärke hergestellt werden. Es sind allerdings ähnliche Thalsperren in Amerika bereits ausgeführt worden, keine aber von solchem Umfang und unter so ungünstigen Verhältnissen. Die Schwierigkeiten sind in den jährlich der Versammlung von Aktionären vorgelegten Berichten kaum gestreift und in den allmählich immer höher sich stellenden Nachforderungen gar nicht in Betracht gezogen worden. Auch die Kosten des Kanals selber hatte man weit unterschätzt.
Auf die erste Emission von 300 Millionen Franken folgte bald eine zweite von 109 375 000, eine dritte von 171 Millionen, eine vierte von 158 969 871, eine fünfte von 206 439 900, eine sechste von 220 Millionen Franken, so daß sich das gesammte bisher aufgewandte Kapital auf rund 1200 Millionen Franken beläuft. Man erinnere sich, daß der erste Kostenanschlag nur die Hälfte dieser Summe forderte. Aber auch diese riesige Summe genügte noch nicht und im Sommer 1888 mußte der Verwaltungsrath abermals die Aktionäre angehen, ihm zu gestatten, die Genehmigung der Regierung zu einer Anleihe in Prämienobligationen im Betrag von 600 Millionen Franken einzuholen. Das war die letzte Thätigkeit der Gesellschaft. Nach kurzer Frist sah sie sich genöthigt, die Regierung um ihre Beihilfe anzugehen, und als diese verweigert wurde, war der Zusammenbruch unvermeidlich. Lesseps trat von der Leitung zurück und an 600 000 Besitzer von Aktien und Obligationen (denn man hatte sich vornehmlich an kleine Kapitalisten und Rentiers gewandt) sehen sich mit dem Verlust ihrer Einlagen bedroht. Der Verlust betrifft fast ausschließlich Franzosen, aber auch die Bewohner der jetzigen Reichslande sehr hart. Dennoch sprach eine große Versammlung von Aktionären [78] unbedingtes Vertrauen in Lesseps aus und erklärte, auf jegliche Zinszahlung vorläufig verzichten zu wollen. Aber die Katastrophe ist eine so ungeheure, daß sich ihre Folgen noch gar nicht übersehen lassen. Jedenfalls hatte Lesseps mit allen ihm zur Seite stehenden Berathern und Ingenieuren sich einer großen Selbsttäuschung hingegeben.
Ueber die Größe der Arbeit hatte man sich ganz irrige Vorstellungen gemacht. Wenn schon die Chagresstrecke recht große Schwierigkeiten aufweist, so sind dieselben in der 16 Kilometer langen Gebirgsstrecke noch viel bedeutender. Denn hier sind Einschnitte von mehr als 100 Metern zu machen und die Böschungen reichen bis zu 170 Meter hinauf. Man erinnere sich, daß der ursprügliche Plan nur 87 Meter als tiefsten Durchstich angenommen hatte.
Zwar konnte man die Masse des auszuhebenden Terrains durch verschiedene Veränderungen im Programme von 120 Millionen Kubikmeter auf 108 Millionen herabsetzen, aber am 2. März 1888 waren davon erst 30 Millionen ausgehoben, denn die heftigen Fluthen der Regenzeit zerstörten wiederholt, was während der trockneren Zeit geleistet worden war. So wurde es denn bereits im Anfang des verflossenen Jahres klar, daß an eine Eröffnung des Kanals am 1. Januar 1889, wie versprochen, nicht gedacht werden könne. Man setzte den Termin nun auf den 1. Juli 1889 fest.
Aber auch für diesen Zeitpunkt war der Kanal nicht nach den ursprünglichen Plänen zu vollenden. Lesseps mußte den Aktionären den Vorschlag machen, die Höhen des Culebra-Kammes vermittelst Schleusen zu überfahren, und zwar sollten 9 Schleusen angelegt werden von Dimensionen, welche es den größten Schiffen ermöglichen, den Kanal von einem Ende bis zum andern zu befahren. Allerdings wollte man den ursprünglichen Plan nicht aufgeben, der Kanal sollte später nach dem früheren Projekt fertiggestellt werden und zwar aus seinen eigenen Einnahmen.
Die Schätzungen dieser Einnahmen haben mit dem Anwachsen der Ausgaben gleichen Schritt gehalten. Anfänglich meinte man, daß man nach Eröffnung des Kanals im Jahre 1889 auf einen Durchgangsverkehr von 7 250 000 Tonnen rechnen könne. Allein der letzte Jahresbericht der Gesellschaft spricht bereits von 17 Millionen Tonnen, ohne zu zeigen, wie diese riesige Zunahme zu erklären sei. Ganz kühle, dem Kanalunternehmen nicht unfreundlich gegenüberstehende Sachverständige glaubten, nur 5½ Millionen Tonnen als voraussichtliche Verkehrsmenge des Kanals annehmen zu dürfen. Diese ansehnlichen Schwankungen in den Schätzungen sind nicht gerade Vertrauen erweckend.
Auch darf der Verwaltung der Vorwurf nicht erspart bleiben, mit den ihr übergebenen Millionen wenig haushälterisch verfahren zu sein. Man hat prunkvolle Gebäude für die Direktoren in Panama errichtet und dieselben dann wieder aufgegeben, mit riesigen Kosten Baggermaschinen, die unbenutzt daliegen, angeschafft u. dergl. m., man hat freilich auch manches Nützliche geschaffen. Auch die Vorarbeiten erforderten außerordentlich viel Zeit.
Tausende von Arbeitern waren anzuwerben und an die vorher zu bestimmenden Arbeitsplätze zu befördern, an denen man umfassende Vorkehrung zu treffen hatte, um Schutz gegen die Hitze der trocknen und die schweren Regengüsse der nassen Jahreszeit zu gewähren. Der Transport der großen Baggermaschinen von ganz besonderer Konstruktion, für die man bis 200 000 Dollars per Stück zahlte, zum Aushub der Erdmassen bot ganz außerordentliche Schwierigkeiten, bis durch Beseitigung der Barre des Chagresflusses dieser dienstbar gemacht worden war.
Mit lobenswerther Vorsicht errichtete man in der neben Colon schnell entstandenen Stadt Neu-Columbus ein Hospital, auf der Insel Taboga eine Heilstätte und warb für die verschiedenen Arbeitsplätze einen Stab von Aerzten an. Und doch starben in dem zweiten Halbjahr des Jahres 1884 nicht weniger als 1100 weiße Arbeiter, der Tausende von Negern, Mulatten und Chinesen gar nicht zu gedenken.
Einen großen Theil der Arbeiten, insbesondere den bedeutendsten Theil der Ausschachtungen, überließ die Direktion an englische, holländische, französische, amerikanische, italienische, kolumbische und schwedische Unternehmer. Aber damit durch Versagen der Maschinen und Geräthe dieser Leute die Arbeiten nicht ins Stocken gerathen konnten, ließ die Gesellschaft überall selbst Maschinen zum etwaigen Eingreifen aufstellen. Das ausgehobene Terrain verdünnte man zu einem flüssigen Brei und lagerte dasselbe auf den sumpfigen Ländereien ab, wo sich dann nach Abfluß des Wassers ein fester und für spätere Benutzung sehr werthvoller Boden bildete.
Was den Panamakanal wesentlich von seinem großen Vorläufer und Vorbild, dem Suezkanal, unterscheidet, das sind die Niveauverhältnisse der Meere, welche er verbindet. Während sie bei dem letzteren völlig gleich bleiben, sind sie bei dem ersteren infolge der Ebbe und Fluth und des ungleichmäßigen Eintretens derselben völlig verschieden. Der Unterschied der Gezeiten beträgt bei Colon nur 0,58 Meter, bei Panama dagegen 2 bis 4, ja zu Zeiten sogar 6 Meter. Ferner tritt die Fluth in Panama bereits neun Stunden früher ein als in Colon. Um daher starke Strömungen im Kanal selbst zu verhindern, welche die Durchfahrt periodisch sehr erschweren, wenn nicht hemmen, auch den Kanal selbst gefährden würden, hatte man sich mit dem Plan befreunden müssen, bei Panama am Ausgang des Kanals drei mächtige Fluththore zu errichten.
Aber vor dem Suezkanal hat der Panamakanal das voraus, daß ihn weder hüben noch drüben eine enge, nur mit Dampfern zu befahrende Meeresstraße, wie das Rothe Meer, erwartet, daß er also auch für Segelschiffe benutzbar sein wird.
Die Länge der wichtigsten Verbindungsstraßen wird der Kanal aber sehr bedeutend abkürzen und so durch ermöglichte Beschleunigung und Vermehrung der Geschäfte wie durch Verminderung der Assekuranz den Reedern große Vortheile zuwenden. Nehmen wir als Ausgangspunkt den britischen Kanal, so berechnet sich die Entfernung
um das Kap Horn | durch den Panamakanal | ||||
nach | Valparaiso | 20 000 | km | 13 000 | km |
„ | Callao | 22 000 | „ | 11 000 | „ |
„ | Panama | 23 500 | „ | 8 500 | „ |
„ | San Francisko | 27 500 | „ | 13 000 | „ |
Was die Verbindung mit Ostasien und Australien anlangt, so würde die Linie Liverpool-Auckland (Neuseeland) durch den Panamakanal um 1850 km kürzer sein als via Suez, und um 820 km kürzer als via Kap Horn. Von New-York würde man gegen die Suezkanalroute nach Yokohama nicht weniger als 6250 km ersparen, und nach Auckland gegen die jetzt kürzeste Route um das Kap Horn 4220, nach Melbourne, der Hauptstadt der englischen Kolonie Viktoria in Australien, 4670 km.
Den Vereinigten Staaten würden also die größten Vortheile durch Vollendung des Kanals erwachsen. Indessen hat man dort nie aufgehört, Konkurrenzprojekte zu planen, namentlich seitdem die von Washington aus erhobenen Ansprüche auf eine der Union ausschließlich zustehende Kontrolle der Durchfahrt, welche man durch die Anlage von Forts an beiden Meeren zu beherrschen dachte, von England und in der Folge von den übrigen europäischen Mächten zurückgewiesen wurden. Die Amerikaner haben dem Unternehmen des Panamakanals seitdem immer feindlich gegenüber gestanden. Vergeblich hat Lesseps durch persönliche Agitation den amerikanischen Geldmarkt zu gewinnen gesucht, vergebens hat er jährlich anderthalb Millionen zur Dotirung des „amerikanischen Komitees“, das heißt zur Beeinflussung der Presse und maßgebenden Persönlichkeiten, in den Vereinigten Staaten verwandt. Die Amerikaner wollen nichts von einem internationalen Kanal wissen in einem Gebiet, das sie als ausschließlich ihrer Interessensphäre anheimfallend betrachten. Ganz besonders hat die Amerikaner der Gedanke erregt, daß eine der europäischen Regierungen den Bau des Kanals in die Hand nehmen könnte, eine Möglichkeit, die nach dem Zusammenbruche der Panamagesellschaft vorübergehend allerdings zur Erörterung kam. Sie würden ein solches Eingreifen Enropas als den gerechten Interessen der Union nachtheilig und als eine Bedrohung ihres Wohls betrachten, wie dies Anfang dieses Jahres in einem Beschluß des Senats zu Washington zum Ausdruck kam und sämmtlichen europäischen Regierungen mitgetheilt wurde. Sie haben daher dem Panamakanalprojekte zwei eigene entgegengestellt, von denen eins bereits in die ersten Stadien der Verwirklichung eingetreten ist.
Das eine Projekt, herstammend von dem berühmten Baumeister Eads, bezweckt die Beförderung der Seeschiffe in besonders konstruirten Fahrzeugen auf einer Eisenbahn von einem Meer zum andern, das andere plant die Durchstechung der Landenge von Nicaragua mit Benutzung der Flüsse San Juan und Rio Grande und des Nicaraguasees. Und dies letztere Projekt ist es, welches [79] nach dem Zusammenbruch des Panamakanal-Unternehmens wieder eifrigst aufgenommen wurde. Denn das erste Projekt, das ja in kleinem Maßstabe bereits bei dem Elbing-Oberländischen Kanal in Ost- und Westpreußen zur Anwendung gekommen ist, wird sicherlich nie einem Seekanal ernstliche Konkurrenz machen können, selbst wenn es gelänge, die Bedenken gegen eine solche Beförderung schwerbeladener Vollschiffe außerhalb des sie stützenden Elementes vollständig zu beseitigen.
An der Ausführbarkeit eines Kanals dagegen ist nicht zu zweifeln. Dies Projekt, schon längst beifällig in Amerika aufgenommen, ist nach der Inangriffnahme des Panamakanals dort besonders beliebt geworden und scheint nach dem Zusammenbruch jenes Unternehmens feste Gestalt gewinnen zu sollen.
Die beiden Endhäfen sind Greytown am Atlantischen Ocean, an welcher Stadt der aus dem großen Nicaraguasee strömende San Juan mündet, und Brito am Stillen Meer. Die Länge des hier herzustellenden Kanals beträgt 272 km, von denen 62 km im Querschnitt völlig auszuheben sind, während 210 km von Flußläufen und Seen eingenommen werden. Da der Nicaraguasee 33 m über dem Meere liegt, sind Schleusen nöthig, und zwar vom See nach dem Stillen Ocean vier, nach dem Atlantischen Ocean drei, eine jede von 195 m Länge.
Die zu durchfahrende Strecke des Nicaraguasees mißt 90 km, sie bedarf aber noch der Vertiefung. Den San Juan dagegen will man auf halbem Weg bei Ochoa abdämmen und damit das ganze Flußthal in einen weiten Binnensee verwandeln, der als Halte- und Ausweichestelle dienen kann. Von da ab kommt die eigentliche, völlig auszuhebende Kanalstrecke mit den drei Schleusen bis Greytown, dessen Hafen jetzt ganz versandet und daher vollständig neu zu schaffen ist. Ebenso ist bei Brito ein Hafen herzustellen; hier soll durch zwei Wellenbrecher ein Becken von 25 Hektar Fläche gewonnen werden, das gegen alle Winde geschützt ist.
Der Kanal soll mindestens 9 m Tiefe haben, im Nicaraguasee und im Becken des San Juan geht die Wassertiefe über 16 m hinaus. Man erinnere sich, daß die Tiefe des Suezkanals nur 8½ m beträgt. Die Durchfahrtszeit mit allem Zeitverlust wird auf 30 Stunden berechnet. Die Schleusen sollen zwei Schiffe auf einmal aufnehmen können und jede Schleusung wird 45 Minuten beanspruchen. Aber wenn auch nur ein Schiff auf einmal durchgelassen werden sollte, so ergiebt das 32 Schiffe für den Tag oder 11 680 Schiffe im Jahre, die einen Gesammtgehalt von 20½ Millionen Tonnen repräsentiren würden; das ergäbe bei einer Abgabe von 10 Schilling pro Tonne, wie im Suezkanal, 10 250 000 Pfund Sterling oder 205 Millionen Mark Einnahmen.
Die Gesammtkosten des Unternehmens werden auf 65 Millionen Dollars veranschlagt, doch will die Gesellschaft, welche bereits vom Kongreß der Vereinigten Staaten dem Repräsentantenhaus zur Gewährung des nöthigen Freibriefs empfohlen ist, und die selbst von vornherein auf jede Unterstützung seitens des Staates verzichtet hat, sich auf ein Kapital von 100 Millionen Dollars stützen. Der obige Anschlag schließt freilich weder die Kosten für den zu erwerbenden Grund und Boden ein, noch Entschädigungen, die an die Eigenthümer zu zahlen sein werden, welche durch die Stauungen der Flüsse jedenfalls bedeutende Schädigungen erleiden müssen.
Hinsichtlich der Zeitersparniß welche er gewähren würde, müßte dieser Kanal hinter dem Panamakanal nicht weit zurückbleiben. Und so scheint es denn nun, daß trotz der anfänglich gegen das Schleusensystem erhobenen Einwände und der Opposition, welche die großen Eisenbahngesellschaften dem Kanalbau entgegenbrachten, dies Projekt doch eine Verwirklichung erfahren soll. An den nöthigen Mitteln wird es heute nach der Stockung der Arbeiten am Panamakanal gewiß nicht fehlen, wenn nicht etwa der Fall eintreten sollte, daß die Amerikaner das Erbe Lesseps’ und seiner Aktionäre antreten und der Westen das vollendet, was der Osten nicht vermochte. Es wäre das nur ein weiterer Triumph der Monroe-Lehre, welche behauptet, daß in Amerika Europa nichts zu schaffen habe.