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Die Kehlkopfkrankheiten und der Kehlkopfspiegel

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Textdaten
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Autor: Hermann Klemm
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Titel: Die Kehlkopfkrankheiten und der Kehlkopfspiegel
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 38, S. 632–634
Herausgeber: Ernst Keil
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1875
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Die Kehlkopfkrankheiten und der Kehlkopfspiegel.

So lange die Kehlkopfhöhle für das Auge des Arztes unzugänglich war, blieb auch die Kenntniß der Krankheiten dieses Organs, die zu den häufigsten Feinden der Gesundheit gehören und nicht selten lebensgefährlich werden, eine unvollkommene, weil die Diagnose derselben nicht auf direkter Anschauung beruhte. Erst mit Erfindung und Anwendung des Kehlkopfspiegels fiel auch diese Schranke für die ärztliche Kunst, und das Auge ist seitdem im Stande, unbehindert in die Tiefe dieses wunderbaren Organs der Tonbildung und Sprache einzudringen, ja selbst noch weiter hinab bis in die große Luftröhre, die wie der Kehlkopf [633] selbst häufig genug der Sitz mannigfacher Uebel ist. Durch diese neue, directe Untersuchung, die alle Theile des Halses für den Arzt genau sichtbar macht, vervollkommnete sich die Kenntniß der Krankheiten ganz wesentlich; besonders gewann die Diagnose einen sicheren Boden, und auch die Therapie, die Lehre von der Heilung, wurde eine fast völlig neue und erfolgreichere. An die Stelle der früheren inneren Behandlung mit Medicin trat auf Grund der directen Besichtigung die örtliche, indem die Heilmittel-Stoffe unmittelbar mit Pinsel oder Instrument in den erkrankten Kehlkopf eingeführt werden. Auf diese Weise gelingt es jetzt, Krankheiten des Halses zu heilen, denen früher nur unvollkommen oder gar nicht beizukommen war, und es ist daher wohl erklärlich, wenn die neue Behandlungsweise rasch das Vertrauen der Aerzte sowie der Kranken gewonnen hat.

Fig. 1. Künstliche Beleuchtung des Kehlkopfes.

Zum besseren Verständnisse hier einige Bemerkungen über die Halskrankheiten selbst. Wenn wir zunächst von denen des Kindesalters (Bräune, Diphtheritis) und den selteneren der Erwachsenen (Lähmungen, Polypen, Krebs) absehen, so sind besonders drei Arten wegen ihrer Häufigkeit und Hartnäckigkeit wichtig.

Fig. 2. Das Innere des Kehlkopfes, im Spiegel besehen.
a. Aufgeklappter Kehldeckel. b. Rechtes Stimmband, der Zwischenraum zwischen beiden: die Stimmritze. c. Raum unter den Stimmbändern: die Luftröhre. d.Seitenwand der Kehlkopfhöhle.

I. Der chronische Katarrh (oder Entzündung), chronische Heiserkeit. Er ist fast immer begleitet von Hustenreiz und Abgang eines zähen, schleimigen oder schleimig-eitrigen Auswurfs, ferner von Schling- und Athembeschwerden (Kurzathmigkeit). Bei geringeren Graden ist die Stimme nur wenig heiser oder belegt, aber immer unrein, rauh und klanglos, und der Kranke leidet an zu reichlichem Schleime im Halse sowie an Beschwerden beim Sprechen; in schwereren Fällen ist dagegen die Stimme dauernd heiser, dabei besteht oft starke Verschleimung sowie schmerzhafte Empfindung, und das Uebel ist dann schwer heilbar. Sein Entstehen verdankt er fast immer einem nicht rein abgeheilten acuten Katarrh. Jeder weiß, wie häufig im Winter und Frühjahr Erkältungen des Halses mit Heiserkeit, Husten etc. sind. Sie werden oft zu wenig beachtet und verschleppen sich deshalb leicht über Wochen und Monate, das heißt sie werden chronisch. Während nun die acuten (frischen) sich bei gehöriger Schonung und Warmhalten rasch verlieren und ohne Gefahr sind, ist der chronisch gewordene Katarrh (Heiserkeit) fast immer ein hartnäckiges Leiden, das im besten Falle leicht Rückfälle macht und nicht selten zu bleibenden Störungen des Stimmorgans (Geschwür, Anschwellung, Lähmung der Stimmbänder) führt. Die Hauptgefahr derselben liegt aber darin, daß sich der chronische Entzündungsproceß des Kehlkopfes längs der Luftwege nach unten fortsetzt und endlich in der Lunge zur chronischen Entzündung, der Lungenschwindsucht, führen kann, welche dann den Schlußact eines vernachlässigten Halskatarrhs bildet. Hierin liegt der Grund, weshalb die Halskatarrhe vom Laien sehr gefürchtet werden; und wenn der Zusammenhang beider Uebel nicht immer augenfällig ist, so trägt daran nur der Umstand die Schuld, daß oft Jahre bis zur Ausbildung der Lungenkrankheit vergehen, und weil das Weitergreifen nach den Lungen nicht von sehr auffälligen Symptomen begleitet ist. Nur zu oft wird der Kranke erst zu spät aufmerksam, wenn nämlich bereits Abmagerung, Entkräftung, eitriger Auswurf oder Blutspucken eingetreten sind und keine Hülfe mehr möglich ist.

II. Die Kehlkopfschwindsucht entsteht meist nur bei gleichzeitiger Lungenkrankheit und ist die gefährlichste Halskrankheit. Wo nämlich Lungenschwindsucht vorhanden, tritt oft Heiserkeit, Stechen und Hustenreiz im Halse, Schmerz beim Schlucken etc. ein, weil sich der gleiche Proceß wie in der Lunge auch im Kehlkopfe entwickelt hat und bald zu eiterigem Katarrh, bald zu Geschwüren und Substanzverlusten führt. Zum Glück tritt dieses so gefürchtete und oft unheilbare Leiden nur selten bei einem sonst gesunden Menschen ein, sondern fast immer nur im Gefolge der vorher vorhandenen Lungenkrankheit. Daß sich aber auch hin und wieder bei ganz Gesunden aus chronischen Katarrhen des Kehlkopfes die schwereren Formen der Kehlkopfschwindsucht entwickeln können, so daß also die Schwindsucht (Geschwürsbildung) im Kehlkopfe zuerst auftritt und sich dann auf die Lungen ausbreitet, wurde bereits oben erwähnt und davor gewarnt.

Hier kann sich der Kranke vor den Schädlichkeiten des Klimas und der Luft nicht genug schützen, und besonders müssen sich Brustkranke sorgfältig vor Rauch, Staub und Zugluft hüten, wenn sie sich vor einem Kehlkopfleiden bewahren wollen. Vor Allem ist aber auch vor dem zu reichlichen Gennß des Lagerbieres und anderer erhitzender Getränke zu warnen, wegen der damit verbundenen Aufregung des Nervensystems und der Herabsetzung der Ernährung. Der Respirator bleibt aber im Winter das beste Schutzmittel, besonders wenn er bei Zeiten und dauernd in Anwendung kommt.

III. Die letzte Kategorie der Halsleiden endlich sind die nervösen, meist hartnäckige, doch nicht gefährliche Uebel. Sie sind ebenfalls charakterisirt durch Beeinträchtigung der Stimme, welche leicht rauh, klanglos, heiser wird, sowie durch Neigung zum Hüsteln und ein Gefühl von Drücken oder von Trockenheit im Halse. Hier liegt weniger ein katarrhalischer Proceß, als eine Erschlaffung der Stimmbänder und ihrer Muskeln zu Grunde; man trifft daher diese „Schwäche“ oder Reizbarkeit der Stimme häufig bei Sängern, Geistlichen und Lehrern, welche die Stimme anstrengen. In Folge dieser Ursachen oder klimatischer Einflüsse, besonders in der rauhen Jahreszeit, treten diese nervösen Uebel bald als Ueberschnappen und Versagen der Stimme auf, wobei oft allerhand schmerzhafte Empfindungen beim Sprechen vorhanden sind, bald als Klanglosigkeit, Heiserkeit der Stimme, oft mit dem Gefühle eines fremden Körpers im Halse verbunden. Hier helfen in der Regel nur Curen mittelst des galvanischen Stromes, sowie eine zweckmäßige Kaltwasserbehandlung, oder auch Selters- und andere Mineralwässer mit heißer Milch getrunken. Von gutem Erfolge sind auch klimatische Curen bei gewissenhafter Schonung der Stimme.

Fig. 3. Kehlkopfspiegel in natürlicher Größe.

Die Technik der Kehlkopfuntersuchung ist nun im Wesentlichen [634] die folgende. Das Licht einer großen Flamme wird entweder direct mittelst eines großen Hohlspiegels oder, nachdem es durch ein Linsensystem und einen kleinen Hohlspiegel (Tobold’sche Lampe[1], Figur 1) concentrirt worden ist, in die weitgeöffnete Mundhöhle des zu untersuchenden Kranken geworfen, so daß dessen Rachen (Schlundkopf) von den concentrirten Strahlen hell erleuchtet wird. Der Arzt hält nun einen kleinen runden Planspiegel (Figur 3), der an einem längeren Griffe befestigt ist, so an die hintere Rachenwand, daß das in die Mundhöhle fallende Licht herab in die Kehlkopfhöhle geworfen wird, sobald der Kehldeckel durch Aussprechen des Lautes „Ae“ sich geöffnet hat. Dadurch wird dieselbe völlig erleuchtet und der Beobachter kann in dem kleinen Spiegel alle Theile bis herab in die Luftröhre genau abgespiegelt sehen. (In Figur 2 ist das so gewonnene Bild eines gesunden Kehlkopfes dargestellt, unter Beseitigung der aus der schrägen Lage des Spiegels hervorgehenden Verkürzung.) Noch günstiger ist das Sonnenlicht, das man entweder direct oder mittelst eines Planspiegels in den Hals fallen läßt.

Auf diese Weise gelingt es ohne Schwierigkeit, nicht blos die Krankheitserscheinungen (Entzündung, Anschwellung, Geschwür, Neubildung etc.) genau nach Sitz und Ausbreitung zu erkennen, sondern auch die Heilung durch unmittelbar dahin eingeführte Substanzen (vermittelst Einpinselung) zu bewerkstelligen. Am meisten hat sich diese Behandlung bisher bei der chronischen Heiserkeit, in Folge von Katarrh, wenn es noch nicht zu Geschwüren an den Stimmbändern etc. gekommen, bewährt, und hier übertrifft diese Behandlung jede andere an Sicherheit, weil durch das Einpinseln zusammenziehender Stoffe die Auflockerung und Absonderung der Schleimhaut am besten beseitigt wird. Durch die Beleuchtung des Kehlkopfes ist es ferner möglich, schneidende und kneipende Instrumente in denselben einzuführen, um kleine Geschwülste (Polypen) etc. auszurotten oder einen dahin verirrten Gegenstand (Gräte, Knöchelchen etc.) herauszuholen, oder endlich Geschwüre, die in Folge gewisser sexueller Leiden entstehen, mit ätzenden Mitteln zur Verheilung zu bringen. Nicht minder erleichtert der Kehlkopfspiegel die Behandlung mittelst des galvanischen Stromes, welcher bei Lähmung der Stimmbänder, wie sie nach Diphtheritis oder nach großer Anstrengung der Stimme nicht selten zurückbleibt, sowie bei nervöser Heiserkeit, angewandt wird. Noch ist freilich viel zu thun übrig: die schlimmsten Erkrankungsformen, besonders die mit Geschwürsbildung verbundenen und von Lungenkrankheiten begleiteten, sind zur Zeit noch meist unheilbar. Ihre Beseitigung glückt nur im Beginne der Krankheit, und darin liegt die ernste Mahnung bei verdächtigen Beschwerden, möglichst bald Hülfe zu suchen und vor Allem einen Respirator zu tragen sowie auch rauch- und staubgefüllte Räume unbedingt zu meiden.

Besonders ist aber die arbeitende Classe vor dieser schlimmsten Geißel der Menschheit zu warnen, weil sie unter ihr die meisten Opfer sucht. Der Grund davon liegt nicht blos darin, daß diese den Ursachen der Lungenkrankheit am meisten ausgesetzt ist, sondern gewiß auch in der großen Gleichgültigkeit, mit der man beginnende Leiden behandelt, und zum nicht geringen Theile ist auch die Abneigung schuld, welche jetzt Viele der unteren Stände gegen die wissenschaftliche Heilkunde erfüllt, sowie die Eitelkeit, Alles besser wissen zu wollen als der Arzt. Erst nachdem die für die Heilung günstige Zeit mit unnützen Quacksalbereien verloren worden ist, und die Krankheit das Leben bedroht, wird ärztliche Hülfe gesucht; so erklärt sich die traurige Wahrnehmung, die auch ich leider nur zu häufig in meiner Klinik für Halskranke gemacht habe, daß die Kranken erst dann zur Behandlung kommen, wenn sie unheilbar sind. –

Da nun die Heilung im entwickelten Stadium so schwierig ist, kommt Alles auf vorbauende Maßregeln an. Als wirksam haben sich im Anfange sowohl bei der Schwindsucht der Lungen wie des Kehlkopfes, im Uebrigen richtige Diät und Schonung vorausgesetzt, Einathmungen von Tannin, Salmiak- oder Kochsalz erwiesen, und neuere Erfahrungen haben gezeigt, daß vor diesen Stoffen die wegen ihrer desinficirenden Kraft jetzt viel angewendete Carbol- und Salicylsäure noch den Vorzug verdienen, welche, gehörig mit Wasser verdünnt, als Inhalation aus einem Einathmungsapparate mit bestem Erfolge im ersten Stadium dieser Krankheiten angewendet werden. Sind sie auch in vorgeschrittenen Fällen kein Heilmittel, so doch bei Beginn des Leidens das beste Schutzmittel, da sie die krankhafte (eiterige) Absonderung der Schleimhaut beseitigen und so den Husten und Auswurf am rationellsten bekämpfen. Jedenfalls ist von ihnen mehr zu erwarten, als von den sonst üblichen innerlich zu nehmenden Arzneistoffen, die den Hustenreiz nur zu lindern vermögen.

Selbstverständlich müssen diese Einathmungen unter Leitung eines Arztes und längere Zeit hindurch angewendet werden; ich bemerke ausdrücklich, daß sie nicht dann noch Wunder thun können, wenn bereits Geschwürszerstörungen im Kehlkopfe und in den Lungen eingetreten sind und der Organismus durch Fieber und Nachtschweiße zerrüttet ist. Am besten wirken sie im Beginne der Krankheit, wo die Kräfte noch gut erhalten sind, vorausgesetzt, daß der Kranke sonst vernünftig lebt und sich gehörig schont. Ich empfehle übrigens damit keineswegs eine neue Behandlungsweise, da sie schon längst und von vielen Aerzten gehandhabt wird; wohl aber ist ihre Anwendung insofern eine beschränkte geblieben, weil sie unbequemer ist als das Einnehmen von Medicin, und weil die Apparate nicht überall zu haben sind.

Auch gehört ja die Anwendung der Carbolsäure und besonders der Salicylsäure erst der jüngsten Vergangenheit an, da man erst seit kurzer Zeit ihre bedeutende antiseptische (fäulnißwidrige) Kraft zur Heilung zahlreicher Krankheitsprocesse verwerthen gelernt hat, und es ist begründete Aussicht, daß die Heilkunde mit dieser neuen Behandlungsweise, welche ihren Erfinder, Professor Lister, zunächst durch die Behandlung der Wunden so rasch berühmt gemacht, noch manchen schönen Sieg in der Heilkunde feiern wird.

Noch auf einen Hauptfehler in der Lebensweise der Brustkranken möchte ich aufmerksam machen: Die Kranken suchen den Ausfall der Kräfte und den Verlust des Appetites durch Reizmittel (scharfe, pikante, sehr gesalzene Speisen, in den niederen Classen durch Spirituosen) zu decken; das ist verkehrt und sehr nachtheilig. Die Reizmittel vermehren den Magenkatarrh, und die Nahrung geht dem Körper nicht zu Gute. Kräftige Kost ist wohl nöthig, aber leicht verdaulich muß sie sein, denn die Erhaltung des Appetits geschieht am besten durch passende Diät. Diät leben heißt aber freilich oft den liebsten Genüssen entsagen, und dazu will sich Arm und Reich nur schwer verstehen.

Dr. Klemm.


  1. Vergleiche die Abbildung, die mit gütiger Erlaubniß der Verlagshandlung dem „Lehrbuche der Laryngoskopie“ von Dr. A. Tobold (Berlin, Hirschwald) entlehnt ist.