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Die Kaiserkrönung in Moskau

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Textdaten
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Autor: Paul Lindenberg
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Titel: Die Kaiserkrönung in Moskau
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 25, S. 426–427, 428
Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1896
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[426]

Die Kaiserkrönung in Moskau.

Von Paul Lindenberg.

Ganz Rußland hallte in der letzten Woche des Mai wieder von dem festfreudigen Klang der Glocken, die in allen Städten, in allen Flecken und Dörfern des gewaltigen Reiches drei Tage hindurch von früh bis spät geläutet wurden, den zahllosen Millionen der Bevölkerung bis zu den unwirtlichsten, kleinsten und entlegensten Ortschaften an der äußersten Grenze Sibiriens verkündend, daß in der alten, ehrwürdigen Zarenstadt an der Moskwa die heilige Krönung an dem Beherrscher des Landes, dem jungen Kaiser Nikolaus, vollzogen worden war. Und endloser Jubel überall, rauschende Feste voll Glanz und Pracht wie großartige Wohlthätigkeitsausübungen, die Kirchen überfüllt von Gläubigen und alle Fenster der Häuser von Kerzenschein erleuchtet – eine tiefe und innerliche Bewegung ging durch das gesamte Volk.

Ganz Moskau war schon vom frühen Morgen an unterwegs, als am 21. Mai Kanonendonner und Glockenklang verkündeten, daß der Tag des Einzuges des Kaisers gekommen sei; aufs herrlichste war die endlos lange Feststraße vom Petrowskypalais, woselbst das kaiserliche Paar die letzten Tage vorher verbracht hatte, bis zum Kremlpalast geschmückt, und Hunderttausende und Aberhunderttausende säumten sie ein, geduldig viele Stunden in „drangvoll fürchterlicher Enge“ ausharrend, bis immer brausender heranschallendes Hurrarufen und tosendes Jubeln das Nahen des Zuges verkündeten. Derselbe war von einem Prunk, einer Feierlichkeit, einer so blendenden Eigenart, wie er noch nie durch Moskau gezogen und wie er durchaus geeignet war, eine Vorstellung von der militärischen Bedeutung des Reiches, wie seiner von den verschiedensten Völkerschaften bewohnten fernen und fernsten Landesteile zu geben, denn neben den Abordnungen der prächtigsten Garderegimenter und den in goldstarrende Gewänder gekleideten Adelsdeputationen ritten in dem Zuge auch die Abgesandten der Rußland unterthänigen asiatischen Länder, malerische, kriegerische Erscheinungen von seltsamem Reiz in fremdartigen Trachten und mit kostbaren, absonderlich geformten Waffen, die noch aus der Zeit der Tatarenkämpfe zu stammen schienen. Aber die Hauptaufmerksamkeit war doch auf den Kaiser und die beiden Kaiserinnen gelenkt, welche den Mittelpunkt des weit über eine Stunde zum Vorbeimarsch gebrauchenden Zuges bildeten und bei deren Erscheinen das Zujauchzen fast von elementarer Wucht war. Der Kaiser ritt ganz allein, auf einem stolzen, schlank gebauten Araberschimmel, er trug die dunkelgrüne Uniform des Ssemjonowschen Leibgarderegiments mit der schwarzen Fellmütze, über seine Brust zog sich das lichtblaue Band des Andreasordens.

Hinter dem Kaiser ritten zunächst die russischen Großfürsten, dann folgten in dichter Schar die fremden Fürstlichkeiten und Prinzen der verschiedensten Nationalität, hundert und mehr an der Zahl, denen sich die Adjutanten und sonstigen militärischen Begleiter in dem farbenfrohen Durcheinander ihrer Uniformen und Rangabzeichen anschlossen. Hierauf nahten die Wagen der beiden Kaiserinnen, derjenige der Kaiserin-Mutter Maria Feodorowna und der der regierenden Kaiserin Alexandra Feodorowna; die Karossen stammen aus der Zeit Ludwigs XV., und ihre goldüberladenen Außenteile waren nicht nur mit kunstreichen Zieraten in Gold und Silber, sondern auch mit anmutigen Malereien von Meisterhand versehen. Acht Schimmel mit wehenden weißen Straußenfederbüschen auf den Köpfen (vgl. die Abbildung S. 428) zogen die von Marstallbeamten zu Fuß und zu Pferde, von Pagen und Leibkosaken begleiteten Kutschen; die rotsammetnen Schabracken der edlen Pferde waren mit goldenen Stickereien besät und die dunkelroten ledernen Riemenzeuge verschwanden völlig unter den silbernen Verzierungen. Die beiden Kaiserinnen hatten silberbrokatene, mit den kostbarsten Stickereien bedeckte Courroben angelegt, dazu die Kakoschnik, einen altrussischen, diademartigen Kopfputz, mit Perlen besetzt und einem lang über den Rücken wallenden weißen Schleier.

Auf den glänzenden Tag des Einzugs folgten fröhliche Festtage, die ihren Höhepunkt am 26. Mai, dem Krönungstage, erreichten. Welch ein fesselndes Bild von phantastisch farbigem Reiz bot schon allein am sonndurchleuchteten Morgen des Tages der innere Kremlhof dar, der einerseits von dem kaiserlichen Palais, anderseits von der Uspenskij-Kathedrale, in welcher die Krönung stattfinden sollte, und den dieser gegenüberliegenden Archangel- und Verkündigungskirchen begrenzt wird. Elegante Tribünen, zum überwiegenden Teil von der vornehmsten Welt Moskaus und St. Petersburgs, sowie aus allen Weltgegenden herbeigeeilten Fremden besetzt, schlossen die übrigen Teile des Hofes ab, der dicht gefüllt war mit russischen Kleinbürgern und Bauern in ihren schlichten dunkeln Gewandungen und den breiten schwarzen Mützen. Durch diese enggedrängten Massen begaben sich auf erhöhten, rotausgeschlagenen, von Truppen besetzten Gängen die höchsten Würdenträger und Offiziere, die fremden Diplomaten und Militärs in ihren ordensbesäten, blitzenden Uniformen, unter denen die sämtlicher Kulturstaaten vertreten waren, und die Abgesandten der Rußland unterthänigen asiatischen Völker, Khiwaner und Bucharer, Tataren und Kirkisen, Ostjaken und Tungusen, in ihren seidenen und sammetenen absonderlichen Prunkgewändern und mit ihren kostbaren, altererbten Waffen, zu ihren Plätzen in der Kirche oder den im Hofe errichteten Diplomatenlogen. Auf diesen Podest mündete auch die vom Kremlpalast in den Hof herab führende Rote Treppe, die ihren Namen diesmal doppelt verdiente, da ihre rötlichen, links von goldenen Löwen flankierten Stufen mit rotem Tuch bedeckt waren; von ihrer obersten Terrasse, auf welche der Ausgang des Palais mündete, bis zu ihrer untersten Stufe und von dieser bis zum Eingangsportal der Uspenskij-Kathedrale bildeten Chevaliergardisten in ihren weißen Uniformen, mit den roten, den großen metallenen Adlerstern zeigenden Suprawesten, Spalier, große, kraftvolle Gestalten, den goldenen Helm mit dem fliegenden silbernen Doppeladler auf dem Haupte, den blanken Pallasch in der Hand.

Diese Treppe hinunter wallte kurz vor der zehnten Morgenstunde feierlich der durch schmetternde Trompetenfanfaren angekündigte kaiserliche Zug, nachdem den gleichen Weg kurz vorher die Mutter des Kaisers genommen. Eröffnet ward dieser Krönungszug durch einen glänzenden Schwarm von Kammerherren und Pagen, denen ungezählte Deputierte folgten, dann mehrere Herolde in altertümlichen, goldbrokatenen Gewandungen und die Krönungsceremonienmeister mit ihren hohen, goldenen, adlergekrönten Stäben, hierauf die in goldstarrende Uniformen gekleideten Träger der kaiserlichen Insignien, die auf goldenen Kissen ruhten, die große, nur aus Diamanten zusammengesetzte, sprühende und glühende Kaiser- und die zierliche Kaiserinnenkrone, das in silberner, edelsteinverzierter Scheide ruhende Reichsschwert, der goldene von drei diamantenen Gürteln umgebene Reichsapfel, das Reichsscepter, die beiden Krönungsmäntel, das Reichssiegel und die entfaltet getragene goldige Reichsfahne mit dem eingestickten schwarzen Reichsadler. Und jetzt hinter einem Zuge Chevaliergardisten und den Oberhofmarschällen der Kaiser und die Kaiserin, von brausendem, immer wieder sich erneuerndem Jubel begrüßt, der fast die ehernen Stimmen der Glocken und die von den Musikcorps gespielten vielfältigen Weisen der Nationalhymne übertönte und anhielt, bis das Kaiserpaar in dem Kirchenportal, an welchem die höchste Geistlichkeit des Reiches seiner harrte, verschwunden war. Der Kaiser trug die dunkelgrüne Uniform des Petersburger Preobrashenskyschen Garderegiments, seine Gemahlin ein silberbrokatenes Gewand mit reichen goldenen Stickereien, über die Brust zog sich das rote Band des Katharinenordens; von der unteren Treppenstufe schritten der Kaiser, ihm nach die Kaiserin, unter einem länglichen, an den Stangen und Quasten von zweiunddreißig Generaladjutanten getragenen goldbrokatenen Baldachin, dessen Bedachung zwischen den goldenen Kronen und Adlern dichte Büschel schwarz-gelb-weißer Straußenfedern schmückten.

Nicht minder malerisch und farbenreich wie dieses Bild hier draußen war das in der Kathedrale selbst, in welcher seit dem Ende des fünfzehnten Jahrhunderts sämtliche Zaren gekrönt worden sind. Inmitten derselben war das scharlachrot bedeckte Thronpodium errichtet, zu dem zwölf von goldenen Balustraden begrenzte Stufen hinaufführten; oben sah man unter einem größeren purpursammetnen, freihängenden Baldachin die elfenbeingeschnitzten, mit blauen Sammetkissen bedeckten Thronsessel für das kaiserliche Paar, rechts von diesen unter einem kleineren Baldachin denjenigen [427] für die Kaiserin-Mutter. Oben auf dem Podium standen um die kaiserlichen Herrschaften die sämtlichen Fürstlichkeiten und die ersten Vertreter der kaiserlichen Macht, die auch nebst mehreren Offizieren der Chevaliergarde die beiden Seiten der Stufen besetzt hielten, während an letzteren bis zum Allerheiligsten längs des schmalen Ganges die Geistlichen Aufstellung genommen hatten.

Nicht weniger als drei Stunden nahmen die umständlichen, durch die Tradition festgesetzten Krönungsceremonien in Anspruch, von denen hier nur die feierlichsten Augenblicke hervorgehoben seien. Nachdem der Kaiser sich die vom Petersburger Metropoliten gesegnete Krone auf das Haupt gesetzt und den Krönungsmantel umgethan, kniete die Kaiserin vor ihm nieder, und ihr Gemahl setzte ihr die kleine Kaiserinnenkrone auf das Haupt, zog sie zu sich empor und drückte ihr einen Kuß auf die Wange – eine Scene von rührender Innigkeit. Nicht weniger ergreifend war es, als der Kaiser niederkniete und mit bewegter Stimme den Höchsten anflehte, ihn für sein verantwortungsvolles Amt mit Kraft und Gnade zu erfüllen: „Mein Herz lege ich in Deine Hand, damit sie mich lenkt, alles zum Besten der mir anvertrauten Menschen und zu Deiner Verherrlichung zu verrichten, daß ich Dir am Tage des jüngsten Gerichts ohne Scham Rechenschaft über meine Thätigkeit ablegen kann.“ Hierauf fielen sämtliche Anwesende auf die Kniee und beteten für das Wohl des Kaisers, an welchem kurz danach unter Glockenklang und dem von draußen hereintönenden Donner der Geschütze die Salbung vor dem Allerheiligsten durch den Petersburger Metropoliten vorgenommen wurde. Derselbe bestrich unter den Worten: „Das ist das Zeichen des Heiligen Geistes“ mit dem Salböl die Stirn, Augen, Nasenlöcher, Lippen, Brust und Hände des Herrschers und salbte dann auch die Stirn der Kaiserin. War das alles von getragenem Ernst und hoher Feierlichkeit, so berührte rein menschlich die Beglückwünschung des Kaiserpaares durch die nächsten Familienangehörigen und die übrigen Fürstlichkeiten, die meist durch Umarmung und Kuß stattfand und mit welcher die Ceremonie in dieser Kathedrale schloß. Denn von ihr aus begab sich noch das Kaiserpaar zu den bereits erwähnten beiden anderen Kremlkirchen, der Archangel- und der Verkündigungskirche, um den in denselben aufbewahrten Heiligenbildern seine Verehrung zu bezeigen.

Der Kaiser begiebt sich nach der Krönung in die Archangelkirche.
Nach einer photographischen Aufnahme.

Der Weg zu denselben wurde außerhalb des inneren Kremlhofes genommen, wo sich links vor den spalierbildenden Truppen mehrere Tribünen erhoben, rechts aber sich enggescharte Volksmengen drängten, die das Kaiserpaar mit frohlockendem Jubel begrüßten. Militär, Hofbeamte und hohe Geistliche eröffneten den Zug; unser Bild läßt einen der Metropoliten mit zwei leuchtertragenden Diakonen erkennen. Der Kaiser schritt ernsten Angesichts unter dem Thronhimmel, er trug den goldbrokatenen hermelingefütterten Krönungsmantel mit dem Hermelinkragen, der von zwei der ersten Hofbeamten gestützt wurde – einer alten Ueberlieferung gemäß, da sich die früheren Zaren öffentlich nie ohne zwei Bojaren zeigten – während andere die Schleppe hielten; auf dem Haupte des Herrschers thronte die zweiteilige, das west- und oströmische Reich versinnbildlichende Krone, in der rechten Hand hielt er das Scepter, in der linken den Reichsapfel. Ihm folgte unter dem Baldachin die Kaiserin, gleichfalls mit dem Krönungsmantel und der Krone geschmückt, die lieblichen Züge zart gerötet. Nach dem Besuche der beiden Kathedralen kehrte das Kaiserpaar in das Palais zurück; orkanartig, ihr stürmisches Echo bei den sich außerhalb des Kremls stauenden Volksmassen findend, erschollen Hoch- und Hurrarufe, als sich Zar und Zarin auf der obersten Terrasse der Roten Treppe dreimal freundlich verneigten im goldigen Schein der Frühlingssonne, welcher die kronengeschmückten Häupter des Kaisers und der Kaiserin wie mit einer goldgesponnenen Aureole umgab.

Am Abend aber erglühte ganz Moskau, wie am Einzugstage, in einem strahlenden Flammengewande, dessen herrlichstes und stolzestes Schmuckstück der Kreml bildete. Hunderttausende weißer und bunter Flämmchen umrankten seine Zinnen und Mauern, kletterten an den Türmen hinauf und umspannen sie an ihren Galerien, ihren Fenstern, ihren Erkern bis zur höchsten Spitze mit einem glühenden Schleier; als wäre ein Sternenmeer auf sie herniedergefallen, so schimmerten die von unzähligen elektrischen Flammen besäten goldenen Kuppeln des Glockenturms Iwan Welikij und ließen die Kuppeln der benachbarten Kathedralen wie aus flüssigem Erz erscheinen.…

Leider – leider haben diese großartigen Freudenfeste einen ungetrübten Abschluß nicht finden können. Am 30. Mai sollte auf dem Chodynskifelde die herkömmliche Verteilung der Gaben unter das Volk stattfinden; auf Hunderttausende waren dabei die Menschenmassen angewachsen und in dem furchtbaren Gedränge fanden über zweitausend Menschen einen jammervollen Tod. Es möge uns erspart bleiben, diese schreckliche Katastrophe ausführlich zu schildern. Wie ein tiefer Schatten fiel sie auf den sonnigen Festjubel – fürwahr, eine bittere Fügung des Schicksals, das nur zu oft auf Erden die Trauer zur Begleiterin der Freude macht!


[428]

Die Kaiserin Alexandra von Rußland beim Einzug in den Kreml.
Nach einer Momentaufnahme gezeichnet von R. Mahn.