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Die Kaiserin von Trapezunt

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Textdaten
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Autor: Ludwig Storch
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Titel: Die Kaiserin von Trapezunt
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 25, S. 325-326
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1855
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Das Ende des byzantinischen Kaisertums 1461
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[325]
Album der Poesien.

     Die Kaiserin von Trapezunt.
 (1461.)
 Von Ludwig Storch.

Wer wandelt in des Tages erstem Grau
Durch’s Thor der Sultanstadt? – Der hohen Frau
Wird feucht der Fuß vom Morgenthaue.
Der Wind durchwühlt ihr härenes Gewand,
Und eine Haue trägt sie in der Hand.
Was will die Zarte mit der Haue?

Das ist kein Weib, das früh zu Acker geht!
Das ist ein Weib voll ernster Majestät!
Dort oben giebt’s kein Feld zu graben.
Sie klimmt so still und düstern Angesichts
Den Felsenpfad zur Statt des Hochgerichts,
Umkreist von Hunden und von Raben.

Im Westen hoch der Berge kahler Kranz,
Im Osten tief die Thürme von Byzanz
Und der Propontis blauer Spiegel.
Im Norden wälzt der enge Bosporus
Durch’s Felsenthor des Pontus schwarzen Fluß
Vorbei der Stadt der sieben Hügel.

Sie steht am Ziel. Hier starrt das Blutgerüst,
Auf dem ein Kaiserhaus erloschen ist,
Zwei hohe Männer und acht Knaben.
Am Boden liegt der Leichen bleiche Zahl.
Dazwischen Haupt und Haupt, ein kostbar Mahl
Der gier’gen Hunde und der Raben.

[326]

Das Griechenreich und das von Trapezunt,
Die Mutter und das Kind, vereint im Bund,
Zerschlug die Türkenfaust in Scherben.
Das ungeheure Trauerspiel ist aus,
Und der Erobrer ließ das Kaiserhaus
Vom Beil des Henkers elend sterben.

Hier David, der zuletzt den Purpur trug,
Den nach Johannes’ Tod mit List und Lug
Dem Bruderssohne er entwendet;
Alexios, sein Bruder, Beide feig,
Verräther am Altar und Thron zugleich,
Wie würdig haben sie geendet!

Und dort der Kaisersöhne reiche Zahl,
Der, dem der Ohm des Vaters Krone stahl,
und Davids eigner Söhne sieben,
So liegen sie umarmt vom Todesschlaf. –
Wie gestern sie der Schlag des Eisens traf,
So sind sie unberührt gebliehen.

Denn Mohammed, der Mann der blut’gen That,
Der dies Geschlecht mit stolzem Fuß zertrat,
Verbot die Leichen zu begraben.
Bei Todesstrafe, daß des Mitleids Hand
Auf sie nicht wirft die fromme Schaufel Sand!
Den Hunden sind sie und den Raben.

Wie hat der Tod sie friedlich doch vereint,
Nur von der Nacht mit Thränenthau beweint,
Auf hartem blutgetränkten Bette!
Des Sultans Spruch, dem Alles stumm sich beugt,
Hat jeden Menschenfuß von hier verscheucht.
Nur Hund und Rabe sind zur Stätte. –

Wer wandelt in des Tages erstem Grau
Am öden Felsenberg? – Der stillen Frau
Wird feucht das Haupt vom Morgenthaue.
Der Wind durchwühlt ihr härenes Gewand,
Und eine Haue trägt sie in der Hand.
Was will die Düstre mit der Haue?

Das ist kein Weib, das früh zu Acker geht!
Das ist ein Weib voll hoher Majestät!
Hier oben giebt’s kein Feld zu graben.
Sie klimmt so schwer und trüben Angesichts,
Den rauhen Pfad zur Statt des Hochgerichts,
Umkreist von Hunden und von Raben.

Des Kaisers Ehgemahl von Trapezunt
Ist dieses Weib. Wie herrlich thut es kund
Ihr stolzes Auge ohne Thräne!
Sie, die die blüh’nde Kinderschaar gebar,
Die Treue hielt dem Throne, dem Altar,
Sie ist’s, die Kaiserin Helene!

Sie tritt heran und wirft den trocknen Blick
Auf’s Leichenfeld, auf ihr gemordet Glück,
Auf ihre kalten stummen Knaben.
Sie reihet Haupt an Haupt und Leib an Leib.
Die Raben schrein; die Meute heult. Das Weib
Verscheucht die Hunde und die Raben.

Die hohe Frau im fahlen Morgenlicht
Nun mit der Hau’ die harte Scholle bricht
Und hackt und wühlet Stund’ um Stunde.
Kein Zucken ihres Munds verräth ihr Weh.
Sie gräbt ein Grab, die neue Niobe,
Und scheucht die Raben und die Hunde.

Die Sonne steigt und wirft den Strahlenbrand
Ihr auf das Haupt. Sie schaufelt mit der Hand
Die Erde aus der Gruft, die heiße.
Die Meute schnappt und fetzt ihr das Gewand,
Sie schützt die Leichen mit der treuen Hand
Und nimmt nicht Trank und nimmt nicht Speise.

Da naht die Nacht, um die erhabne Frau
Mit weichem Hauche und mit kühlem Thau
Mild zu erquicken und zu laben.
Sie schließt kein Aug’, nur kräft’ger ficht ihr Arm,
Denn größer wird und toller schreit der Schwarm
Der gier’gen Hunde und der Raben.

Sie schaufelt wieder, eh’ der Morgen graut,
Sie hackt und gräbt bis daß der Abend thaut
Und fertig sie das Grab gegraben.
Dann legt die Leichen sie zur ew’gen Ruh
Und schaufelt mit der müden Hand sie zu,
Und kämpft mit Hunden und mit Raben.

Von seinen Schergen hat der Padischah
Erkundet, was das Volk am Berge sah.
Er schweigt und wagt nicht sie zu stören.
Denn eine Mutter, eine Kaiserin
Begräbt ihr Haus. Solch hohem Frauensinn
Vermag selbst Mohammed nicht zu wehren.

Weich auf den Todten liegen Erd’ und Nacht.
Helene hat die letzte Pflicht vollbracht.
Was wär’s, das ihr zu thun noch bliebe? –
Sie senkt das Haupt und haucht die Seele aus. –
So starb in Schuld und Schmach ein Kaiserhaus,
Verklärt vom Abendroth der Liebe. [1]



  1. Den Untergang des byzantinischen Reiches und die Hinrichtung seines verworfenen Herrscherstammes durch Mohammed II. erzählt Hammer in seiner Geschichte des Osmanischen Reiches ausführlich. Die beiden kaiserlichen Brüder, ein Neffe und die sieben Söhne des Kaisers wurden an einem Tage hingerichtet. Nur ein einziges Glied der trapezuntischen Herrscherfamilie, eine Frau, die Kaiserin Helene, litt und starb wie die Mutter der Maccabäer, standhaft und rühmlich. Trotz des Befehls des Tyrannen, daß Niemand es wage, sich den Leichnamen zu nahen, damit dieselben von Hunden und Raben zerfleischt würden, ging sie mit härnenen Kleid angethan und eine Haue in der Hand, zur Schädelstätte ihrer Kinder und Liebsten, grub eine Grube, wehrte den Tag hindurch die Hunde und das Gevögel ab, und begrub Nachts ihre zehn Liebsten, bis sie bald hernach von Schmerz überwältigt ihnen in’s Grab nachsank.  D. N.