Zum Inhalt springen

Die Kaiserburg in Wien

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
CCCXCII. Das Rathhaus in Brüssel Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Neunter Band (1842) von Joseph Meyer
CCCXCIII. Die Kaiserburg in Wien
CCCXCIV. Die Burg von Trient in Tyrol
  Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal Korrektur gelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
[Ξ]

DIE HOFBURG IN WIEN

[57]
CCCXCIII. Die Kaiserburg in Wien.




Der Kampf verneinender Kräfte und Bestrebungen auf dem Uebergange aus einer alten Zeit in die neue dauert fort und zieht Alles in seinen Strudel hinein. Die Fermentation breitet sich mit jedem Jahre in weiter gezogene Kreise aus, die fernsten Reiche und Völker hat sie ergriffen, das Festeste ist erschüttert und beweglich geworden und der Umschwung der zersetzenden Ideen wird in steter Zunahme beschleunigt. Von den Völkerleben wird der Bann gelöst; alle Pulse schlagen schneller, voller, gespannter; die erhöhte Kraft verleiht den Nationen Selbstgefühl und Selbstständigkeitsstreben gegenüber den Regierern: aber die bessere Einsicht schützt zugleich vor dem Mißbrauch der gewonnenen Kraft. Selbst der Adel wirft seine todten Glieder ab und sucht seine Verjüngung im allgemeinen Lebensstrome. Er ist gewerblich und handelnd, er ist bürgerlich geworden, und in der Behaglichkeit des bürgerlichen Wesens und Treibens, oder schiffend auf dem Meere des beweglichen Reichthums, verliert er nach und nach die Vorurtheile und Gewohnheiten, die ihn den andern Ständen so lange entfremdeten. Seine alten Pergamentblätter gönnt man ihm gern; auch daß er sie forterbe von Geschlecht zu Geschlecht: – weiß man doch, daß ein besserer Geist aus seiner Mitte in die Zeit gestiegen, daß der alte Feudaldämon in Schrift und Druck, in Ablösungsgesetzen und Besteuerungsmandaten eingewickelt zu Grabe getragen wird, und der Adelstand seine Werkeltage hat, so gut wie die andern; – daß der Fluch: „Du sollst im Schweiße deines Angesichts dein Brod essen!“ an den hochgebornen Adamskindern nicht mehr leicht vorübergeht. Ja, sogar die Dynastien, die Fürstengeschlechter machen keine Ausnahme mehr von der allgemeinen Regel. Die Lotterbetten hat die Zeit den Thronen abgerissen, sie hat sie hart gepolstert; die uralten Sitze der Lust und des Vergnügens nimmt die Arbeit, nimmt die Sorge ein. Der Fürsten Anspruch auf Macht und Herrlichkeit mag immerhin als von Gott kommend gepredigt werden: die Meinung legt ihnen jetzt ganz andere Basen unter. Sie zieht sie vor ihren Gerichtshof wie andere Menschen. Ein thatenloser, fauler, oder unsittlicher Fürst stirbt jetzt schneller als eine Eintagsfliege in der Achtung seiner Unterthanen, und für einen solchen öffnet sich nirgends mehr der Mund der Sänger zu Lügen-Lob und Preis. [58] Wahrlich! die goldenen Tage der fürstlichen Gewalt sind vergangen. Die Dichter ziehen nicht, wie sonst, lakayenmäßig im Gefolge der Höfe umher; die Kunst hat aufgehört, in ihrer Courfähigkeit ihr Höchstes zu finden, und die Weltgeschichte ist etwas Besseres geworden, als eine Hofhistorie, die, wie eine Mätresse, dem beszepterten Laster lächelt und gekrönter Verruchtheit dienstfertig in goldenen Schalen Weihrauch spendet. Noch sind zwar die Heere, Garden im großen Styl! als bestellte Hüter der Gewalt da: aber auch sie verrücken unvermerkt ihren Standpunkt, und Hüter des Staats sind schon die meisten viel mehr, als die der Dynastien. Der unbedingten Herrschaft entfallen selbst in den absolutesten Reichen die Stützen, der willenlose, leidende Gehorsam fesselt die Nationen immer weniger.

Wenn man einerseits übelbefestigte Gewalten, welche die Zeit nicht begreifen, mit immer matterem Herzschlage gegen die vereinten Massen von Licht, Recht, Kraft und Festigkeit ankämpfen sieht, – so wird auf der andern Seite der Blick durch das Schauspiel erfreut und gehoben, daß der Regenten und Staatsregierungen immer mehre sich des Widerspruchs mit der Natur der Dinge zu entledigen trachten, und statt ihre und ihrer Völker beste Kräfte im unnützen Kampfe zu verwüsten, die Sicherheit der Throne und Dynastien dadurch neu zu begründen suchen, daß sie die Sache des Volks aufrichtig zu ihrer eigenen machen, und so den großen Rechtsstreit verjährter Gewaltstheorien mit unverjährbaren Freiheitsansprüchen weise beendigen. Wo wir diese Bahn aufrichtig einschlagen sehen, da sehen wir auch die Keime des Hasses in den Völkern gegen die historischen Rechte der Herrschaft bald wieder welken und die Anhänglichkeit zu den angestammten Fürsten wiederkehren in alle Herzen.

Habsburg’s Fürstenhaus ist reich an solcher Liebe und war immer reich in der Treue seiner Völker. Keins auch hat ruhiger, fester in den Stürmen der Zeit gestanden und bei allen ihren Wechseln voll Glück und Unglück und allen ihren Versuchungen den Gleichmuth besser bewahrt. Nur eine schwache Stunde hat Habsburg gehabt, eine Stunde ohne Würde: auf die Tage der Volkserhebung von 1809 folgten Tage tiefer Schmach. Am Morgen nach der Schlacht von Eßlingen war der Genius des alten deutschen Reichs zum Letztenmale an dem deutschen Kaiserhause vorübergegangen; es war voller Furcht; es hat ihn nicht beschworen. Doch die Woge der Zeit hat diese schlimmen Tage, und auch jene spätern, wo Oesterreich, dem neuen, sich verjüngenden Deutschland fast fremd geworden, sich in der Abgeschiedenheit von den Brüderstämmen so sehr gefiel, fortgespühlt. Das Kaiserhaus hat seine sociale Bedeutung in Deutschland nicht für immer vergessen, und deutsches Volk, froh, daß die Entfremdungs- und Isolirungsidee von ihm gewichen ist, kommt ihm mit offnen Armen auf halbem Wege entgegen. Wie nur mit Oesterreich die Sicherheit Deutschlands wohl bestellt ist, so ist auch die höchste Entwickelung seines innern [59] Wohlstands nur mit Oesterreich möglich und kann sich die nationelle Einheit Deutschlands groß, gewaltig, die übrige Welt zügelnd, vollkommen ausbilden. Die Zolllinien und die Schlagbäume, welche noch immer Oesterreich von den übrigen Gliedern der deutschen Familie auf eine so unnatürliche Weise getrennt halten, müssen ebenfalls fallen; sie werden fallen und wenn dann das von dem deutschen Fleiß erworbene Kapital an Geld, an Können und Wissen im allgemeinen, fessellosen Verkehr durch des weiten Vaterlandes Adern kreißt, dann wird die rechte Lebenswärme in alle Theile kommen und damit der vereinten deutschen Nation das klare Gefühl einer innern Sicherheit, einer vollen Geltung, eines festen Rückhalts, eines verborgenen Lebensfonds, der, bei zustoßenden Unfällen, seine Schatzkammern aufthut, seine Heilkräfte offenbart und Unheil abwendet oder austilgt. Dieses Gefühl den deutschen Völkern zu geben: das ist des Habsburger Kaiserstamms schönster Beruf; in ihm liegt seine höchste Bedeutung zum Vaterlande, und es wird ihn – die neuesten Zeit-Erscheinungen sind dafür Bürgen! – nicht unerfüllt lassen.

Die kaiserliche Residenz, gewöhnlich die Burg, auch die Hofburg genannt, liegt am Südwestende der eigentlichen Stadt Wien, zwischen der Esplanade und einem weiten Kranze von Vorstädten, der Wien von allen Seiten umgibt. Die Burg imponirt nicht durch ihre Bauart; mehr durch ihre, doch von keiner Seite her ganz zu übersehende, Masse. Ihre ältesten Theile standen schon im dreizehnten Jahrhundert. Ein Babenberger, Leopold VII, gründete sie; seitdem ist, in dem Maße, als das Ländergebiet des österreichischen Hauses wuchs, ein Theil, ein Flügel nach dem andern angebaut worden, und so entstand allmählig die jetzige Residenz, ein Agglomorat von mehr oder minder prachtvollen Gebäuden, ein Quodlibet der Baustyle vieler Jahrhunderte. – Die Gebäudefronten schließen den Burgplatz und andere, kleinere Höfe ein, oder richten sich gegen die benachbarten Plätze und Straßen. Sämmtliche Gebäude sind durch Gallerien und Thorwege mit einander verbunden. Im Innern der Residenz herrscht Wohnlichkeit und Bequemlichkeit mit fürstlicher Pracht. Der älteste Theil heißt vorzugsweise die alte Burg, oder der Schweizerhof, und hier, im zweiten Geschosse, wohnte, in häuslicher Einfachheit, Vater Franz mit seiner Gemahlin bis an seinen Tod. Gegenwärtig bewohnt ihn noch seine Wittwe, die Kaiserin Mutter. Auch befinden sich daselbst die Schatzkammer und die kostbaren Privatsammlungen des Kaisers. Am Burgplatz, der sich links nach dem Volksgarten und dem Theseustempel (mit Canova’s berühmter Marmorgruppe: Theseus, den Centauren bekämpfend) öffnet, rechts aber zum kaiserlichen Hofgarten, an dessen Eingang die Reiterstatue Kaisers Franz des Ersten steht, führt, gewährt die südliche Fronte, mehr durch ihre Masse als durch ihren Styl, jenen imposanten Anblick, den der Künstler im Stahlstich verbildlicht hat. Sie ward unter Kaiser Leopold gebaut und wurde von der Maria Theresia und von Joseph II. bewohnt. Sie ist auch [60] Residenz des jetzigen Kaisers. Am Ende dieser Fronte springt ein neuerer Anbau hervor, der 1805 für große Hoffeierlichkeiten erbaute Rittersaal, über welchem, im zweiten Stocke, der alte Held, Erzherzog Karl, seine Zimmer hat. Durch einen niedrigen, schmalen, unscheinlichen Thorweg gelangt man zu dem innern Burgplatz, einem Viereck, dessen eine Seite von dem erwähnten Schweizerhof, die andere gegenüber vom Amalienhof und die übrigen vom sog. Leopoldinischen Bau und der prächtigen, von Fischer von Erlach erbauten Reichskanzlei umgeben sind. Vor letzterer prangen schöne Marmorgruppen – die Thaten des Herkules vorstellend: – keine unglückliche Allegorie auf die übermenschliche Kraft, welche dazu gehören wurde, diesen Augiasstall zu fegen, und Ordnung und Klarheit in das hier bewahrte Aktenchaos zu bringen, unter dem der letzte Lebenshauch des deutschen Reichs erstickte, und wo die Vermögen und die Hoffnungen von tausend Familien in hundertjährigen Prozessen begraben liegen. Die Auferstehungsverheißung, sie wird hier wohl nimmer erfüllt! Alle Prozeßakten und Papiere des Reichsarchivs wurden bei dem Andrange der Franzosen in große Kisten gepackt, um sie zu flüchten; aber die Eroberer kamen auf Windesflügeln, die Kisten blieben da, und unter Schloß und Siegel sind sie hier hoch aufgestapelt: ein merkwürdiges Memento mori des heiligen römischen Reichs. – Einen Blick noch in die Schatzkammer, ehe wir aus diesem Theile der Burg scheiden! Auch sie ist eine Grabhalle, und nicht blos für das heilige römische Reich; denn da liegen die Kleider, Kronen, Königsmäntel der Gewaltigen vieler Länder und Jahrhunderte; da sieht man Wallenstein’s Horoskop, Timur’s und Saladin’s Schwert; die silberne Wiege des Königs von Rom; Napoleon’s Degen, Krone und Krönungsgeräthe; den Schlüssel zu der Kaisergruft bei den Kapuzinern; den Krönungsornat der deutschen Kaiser. Unter dem österreichischen Kronschatze wird auch der Diamant gezeigt, den einst Karl der Kühne in der Schlacht bei Granson gegen die heldenmüthigen Schweizer verlor. Ein Bauer fand ihn; er hielt ihn für Glas und verkaufte ihn einem Juden um einen Gulden. Sein jetziger Werth ist auf 1 Million 643,394 Gulden geschätzt.

Ein Thor des Schweizerhofes führt zu dem Josephsplatz. Prachtgebäude umschließen ihn von drei Seiten: die Hofbibliothek, mit ihrem 240 Fuß langen und 54 Fuß breiten Saale, geschmückt mit den Marmorstatuen von 12 Habsburg’schen Kaisern; sodann die Reitschule, die mit Säulen und Statuen überreich dekorirt ist, und die Augustinerkirche (Hofkirche), noch aus der Blüthenzeit der gothischen Architektur. Ihr Erbauungsjahr ist 1330. In einer Kapelle (der Lorettokapelle) stehen die Herzen der erstorbenen Habsburger in silbernen Urnen; die Leiber derselben ruhen in der Gruft bei den Kapuzinern. – Doch hinweg von diesen modernden Ueberresten irdischer Größe, und hinaus, wo ein frohes, freies Himmelsblau sich aufthut! Auf dem herrlichen Josephsplatz angelangt, da schaut eine Menschengestalt hoch zu Roß herab: Kaiser [61] Joseph’s Bild ist es, von Erz. In würdevoller Haltung, den Lorbeer um die Schläfe, streckt er seine Rechte segnend über sein Volk aus. „In den Regententafeln heißt er der Zweite; in den Herzen seines Volks, in Deutschlands neuerer Geschichte, in der Meinung der Welt ist er der Erste unter allen Fürsten.“ Ja, er war noch mehr. Erhoben nicht an ihm alle Edlen seiner Mitwelt den Vorblick in die Zukunft zu Hoffnungen, die nur sein Wille erwecken konnte? Messiashoffnungen waren es – seine Erscheinung dämmerte wie Morgenroth über die halbe Erde. Leuchtend strahlte sie in die Nacht hinein, aber ach! – der Tag blieb aus. Tausendfach umschlungen von einer Riesenschlange, mit welcher der Held einen Kampf auf Leben und Tod begonnen hatte, starb Joseph, und über seinem Sarge – einem Kindersarge voller Menschheitshoffnungen! – schloß sich das alte Chaos wieder. Joseph’s heiliger Geist ist indeß nicht gestorben, dieser wirkt lebendig fort. Wie eine weiße Taube zieht er am Sternenhimmel. Zu ihr richten sich die Augen aller Guten und Edlen fort und fort empor, und aus ihrem Anblick kommt Trost, kommen Muth und Begeisterung zum Beharren im verwandten Streben. –