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Die Königin von neun Tagen

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Titel: Die Königin von neun Tagen
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aus: Die Gartenlaube, Heft 12, S. 184–186
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1869
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Die Königin von neun Tagen.

In einem der Thürme des Londoner Towers liest man an der Wand eines Zimmers, das früher zum Gefängniß gedient hat, die vier Buchstaben: Jane (Johanna). Sie erinnern an eine der unglücklichsten und lieblichsten Gestalten der englischen Geschichte, an eine Jungfrau, die, kaum dem kindlichen Alter entwachsen, ihr schönes Haupt auf den Block legen mußte, weil sie, von Verwandten und Großen des Reichs gedrängt, die Krone, die ihr zu gebühren schien, nicht zurückgewiesen hatte. „Jane“ ist Johanna Gray, die Königin von neun Tagen.

Auf Heinrich den Achten, den herrischen und grausamen Urheber der englischen Kirchenreformation, war Eduard der Sechste gefolgt. Man mußte darauf gefaßt sein, daß der schwächliche Knabe sterben werde, ehe er eine Heirath eingehen könne. Wem in diesem Falle die Krone gebühre, das vermochte der klügste Mann in England nicht zu sagen. Acht Personen, eigenthümlicher Weise lauter Frauen, konnten Anspruch auf die Krone machen. Die beiden ihrer Geburt zufolge nächsten Blutsverwandten, Marie und Elisabeth, Heinrich’s des Achten Töchter, waren von der Thronfolge ausdrücklich ausgeschlossen worden. Unter den übrigen berechtigten Frauen waren zwei, die beide auf dem Blutgerüst enden sollten: Maria Stuart und Johanna Gray. Die schottische Königin hatte Sünden begangen und Verbrechen wenigstens zugelassen und selbst begünstigt, so daß ihr gewaltsamer Tod als Buße betrachtet werde kann, Johanna Gray war so rein geblieben wie der junge Tag. Als Eduard der Sechste starb, zählte sie kaum sechszehn Jahre, die sie in Stille und Einsamkeit verlebt hatte. Lieblich und schön wie eine Rosenknospe, gewann sie die Herzen durch die Sanftmuth ihres Wesens. Obgleich sie eine Urenkelin Heinrich’s des Siebenten war, hatten ihre Eltern doch nie an den Thron gedacht und dieser Lieblingstochter eine fast gelehrte Erziehung gegeben. Fremder Ehrgeiz machte Johanna zu seinem Opfer. Ihr böser Geist war der Herzog Johann von Northumberland, ein kühner, hochmüthiger und schlechter Mann. Er war unter den englischen Großen der mächtigste. Um den Thron für seine Nachkommen zu erwerben, suchte er für seinen Sohn Guilford Dudley um die Hand Johanna Gray’s nach. Die Eltern fühlten sich durch den Antrag des Herzogs, der in ihren Augen der größte Mann Englands, ja Europa’s war, zu sehr geschmeichelt, um nicht mit Freuden ihre Einwilligung zu geben. Die stille und ernste, doch dabei wahrhaft liebenswürdige Johanna wagte keine Einwendungen zu machen. Sie hegte keine Neigung für den siebenzehnjährigen Guilford und hatte sogar ihr kleines Herzensgeheimniß, doch als sie hörte, daß auch der König ihre Verlobung wünsche, da neigte sie zustimmend den hübschen Kopf und folgte ihrem Verlobten zum Altar. Nach der Trauung bat sie, daß man sie mit ihrer Mutter fortgehen und so lange im elterlichen Hause bleiben lasse, bis sie und ihr Mann zu reiferen Jahren kämen. Ihr Wunsch war ein Befehl; vor der Kirche trennten sich die Neuvermählten. Sechs Wochen nach dieser Trauung war der Thron erledigt, und die Stunde für den kühnen Plan des Herzogs von Northumberland hatte geschlagen.

In einer Sommernacht (6. Juli 1553) entschlummerte König Eduard so sanft, daß sein Tod während dieser Nacht und des ganzen folgenden Tags verheimlicht werden konnte. Diese Zeit benutzte der Herzog von Northumberland für sich. Jedermann wußte, daß Johanna, die jetzige Gemahlin seines Sohnes Guilford, von königlichem Blut sei und ein gewisses Anrecht auf den Thron habe. Die Londoner Rathsherren und angesehensten Kaufleute, die in den Palast beschieden und dort zu dem königlichen Leichnam geführt wurden, schöpften deshalb keinen Argwohn, als der Herzog ihnen ein Papier zeigte und als eine von Eduard dem Sechsten aufgestellte Thronfolge-Ordnung, in der Johanna Gray für die rechte Erbin erklärt wurde, bezeichnete. Die Londoner Herren unterzeichneten dieses angebliche königliche Testament und versprachen, über den Tod Eduard’s so lange zu schweigen, bis die Lords ihn öffentlich bekannt gemacht hätten.

Der Herzog glaubte seinem Sohne Anhänger geworben zu haben und setzte seine Vorbereitungen in der Stille fort. Zwei Aufgaben waren für ihn die nächsten: die Königstochter Maria gefangen zu nehmen und Johanna Gray nach London führen zu lassen. Guilford’s jungfräuliche Gemahlin weigerte sich, das elterliche Haus zu verlassen. Als aber ihr Mann selbst erschien und sich auf ihre Pflicht, ihm zu folgen, berief, machte sie sich mit ihrer Mutter auf den Weg. Sie wußte nicht, daß der König seit drei Tagen todt sei. Plötzlich strömten die großen Lords des Reichs in ihr Zimmer, fielen vor ihr auf’s Knie und küßten ihr die Hand. Der erste von allen war der ewig lachende, ewig über Bösem brütende Graf von Arundel, der Todfeind ihres Hauses. Johanna wurde ohnmächtig, als man ihr sagte, daß sie Königin sei. Sie hatte den König wie eine Schwester geliebt, mit ihm gelesen, mit ihm gespielt, seine Geheimnisse und seine Hoffnungen getheilt, und als sie nun hörte, daß er todt sei, da schwanden ihr die Sinne. Die Lords knieeten noch vor ihr, als sie ihr Bewußtsein wieder bekam, und da alle bei ihrem Seelenheil betheuerten, daß sie kraft ihrer Geburt und nach Eduard’s Willen die rechtmäßige Königin sei, so erklärte sie sich bereit, die Krone, von der sie niemals geträumt habe, annehmen und zu Gottes Ruhm und des Volkes Wohl tragen zu wollen.

Der erste Tag dieser neuntägigen Regierung war ein schöner. Der hellste Sonnenschein strahlte vom Himmel nieder, als Königin Johanna in der königlichen Barke, von einer Flotte anderer Fahrzeuge begleitet, unter heiterer Musik, Glockengeläut und Kanonendonner die Themse hinab zum Tower fuhr. Der alte Bau war Schloß, Gerichtsgebäude und Gefängniß zugleich. Johanna landete an der königlichen Treppe, die nur bei feierlichen Gelegenheiten benutzt wurde, und schritt mit einem Gefolge von Herzogen und Grafen durch Reihen knieender Bürger in die Prunkzimmer des Schlosses. Während sie hier die Huldigungen der Großen annahm, [185] wurde sie in London unter lautem Jubel als Königin ausgerufen. Schön war der Tag, häßlich der Abend. Die arme Johanna sollte erfahren, daß sie ein Spielwerk fremden Ehrgeizes und an einen eiteln, eigensinnigen und schwachen Mann verheirathet sei. Man hatte ihr die Krone gebracht und dabei bemerkt, daß „die andere Krone“ schon bestellt sei. Für wen sollte diese zweite Krone gemacht werden? Für ihren Mann, Lord Guilford, wurde geantwortet, der mit ihr zugleich gekrönt werden solle. Verletzt und schweigend saß sie da, als ihr Gemahl in’s Zimmer trat. Da stand sie auf und sagte ihm, eine Krone sei kein Spielzeug für Mädchen und Knaben, zum Herzoge könne sie ihn ernennen, aber nur das Parlament habe die Macht, ihn zum König zu machen. Guilford begann zu weinen und lief aus dem Zimmer. Nach wenigen Minuten kam er mit seiner Mutter zurück und wiederholte schluchzend, König wolle er sein, Herzog sei ihm nicht genug. Die Königin blieb fest, und nach einer heftigen Scene führte die Herzogin von Northumberland ihren Sohn an der Hand mit sich fort, indem sie erklärte, daß er mit einer undankbaren Frau nicht leben sollte.

Am nächsten Tage kam eine böse Nachricht. Die Ritter, welche mit der Gefangennahme der Prinzessin Marie beauftragt worden waren, hatten das Nest leer gefunden. Trotz aller Veranstaltungen Northumberland’s war der Tod des Königs nicht verschwiegen geblieben. Der böse Graf Arundel hatte der Prinzessin Botschaft geschickt, daß ihr Bruder gestorben und sie in Leben und Freiheit bedroht sei. Rasch hatte sie sich auf’s Pferd geworfen und war die ganze Nacht durch geritten, bis sie jenseits der Ebenen von Suffolk ein festes Schloß erreichte, wo sie sich als Königin ausrufen ließ. Von dort erließ sie nach allen Seiten Aufforderungen, sich um sie, die rechtmäßige Königin, zu schaaren. Die Männer, welche ihr zuströmten, waren fast alle im Herzen gut englisch und gut protestantisch. Wohl befürchteten sie, daß Marie sich von ihren Beichtvätern und von ihren spanischen Freunden locken lassen werde, aber sie wollten es lieber auf diese Gefahr ankommen lassen, als auf einen Bürgerkrieg, der, einmal begonnen, lange dauern und einen furchtbaren Charakter annehmen konnte.

Noch hatte kein Monarch eines anderen Glaubens auf dem Thron gesessen, und erst die blutige Marie – diesen Namen hat die Geschichte ihr gegeben – sollte die Engländer durch ihre Scheiterhaufen belehren, was es heißen will, wenn eine Schülerin von Inquisitoren über ein protestantisches Volk herrscht. Jetzt glaubte man nicht, daß sie viel Schaden thun könne. Sie stand allein, war kränklich und starb wahrscheinlich bald, ohne einen Sohn zu hinterlassen. Dann fiel der Thron an ihre Schwester, die starke und schöne Elisabeth, die an Leib und Seele eine Engländerin war. Was Marie krumm gebogen hatte, richtete Elisabeth gewiß wieder gerade. Mithin war es besser, Mariens Regierung eine Zeitlang zu ertragen, als einen neuen Thronstreit hervorzurufen. Vor allen Dingen sprach das natürliche Recht für Marie. Sie war die älteste Tochter Heinrich’s des Achten, die nächste Thronerbin. Dieses Recht hatte ihr durch keine Scheidungsklage und durch keinen Parlamentsbeschluß genommen werden können.

Die vornehmen Herren hatten sich für Johanna erklärt, die Landedelleute, Bürger und Bauern sprachen sich für Marie aus. Kaum war ihr Banner erhoben, so strömte ihr das Volk in hellen Haufen zu und aller Orten riefen die Sturmglocken sie zur Hülfe. Die vornehmen Herren in Johanna’s Umgebung hielten einen Rath. Truppen mußten abgeschickt werden, aber wer sollte den Befehl übernehmen? Graf Arundel richtete seine Schlangenblicke auf den Herzog von Northumberland, den natürlichen Beschützer Johanna’s, den er entfernen mußte, um die Aermste verrathen zu können. „Der Herzog,“ sagte er, „sei der Feldherr der Partei, mit den aufrührerischen Gegenden bekannt und bei dem Volke wegen oft bewiesener Strenge in lebendigem Andenken.“ Northumberland fügte sich, indem er blos bemerkte: Er wisse ja, daß er die Königin in guten und treuen Händen lasse. Wenn große Namen und tüchtige Generäle den Ausschlag zu geben hatten, so war Marie jetzt verloren. Lauter große Herren, meistens in Kriegen bewährt, waren es, die mit dem Herzog in’s Land ritten, aber es waren Officiere ohne Soldaten, Lords ohne Gefolge. Northumberland bemerkte die Stimmung des Volks noch in London selbst. „Die Leute drängen sich auf unserem Wege zusammen,“ sagte er zu einem Begleiter, „aber nicht ein Einziger ruft: Gott sei mit Euch!“

Marie ergriff vor dem heranrückenden Feinde die Flucht. In einem einzigen Tage machte sie zu Pferde einen Weg von neun deutschen Meilen. Sie brachte sich dadurch in eine Gefahr, die so gut vorüber ging, daß sie nunmehr des glücklichen Erfolges sicher sein konnte. Sie begegnete nämlich Truppen, die der Königin Johanna zugeführt wurden, und sogleich gingen diese Soldaten zu ihr über, so daß die Officiere kaum schnell genug die Pferde herumwerfen und sich durch die Flucht retten konnten. Der Herzog mußte auf seinem Marsche bald genug nothgedrungen Halt machen. Er war unter lauter Feinden, sogar die Matrosen der königlichen Schiffe verließen die protestantische Königin. Nun wankten seine Soldaten, und die großen Herren in seinem Gefolge begannen ihn zu verlassen. Das kläglichste Schauspiel von Allem bot das Königsschloß in London dar. Die großen Herren hatten erkannt, daß das Spiel verloren sei. Diese Minister und Geheimen Räthe der Königin Johanna waren bis auf ihren Vater und einen Bischof alle falsch und suchten ihren Frieden mit der Königin Marie zu machen. Um die arme Johanna entstand eine Leere und am neunten Tage ihrer Regierung saß sie ganz allein auf ihrem Staatssessel unter dem Thronhimmel, als ihr Vater eintrat. „Komm’ herunter, mein Kind,“ sagte er, „dies ist kein Platz für Dich.“ Mild und ruhig, ohne einen einzigen Seufzer, stieg Johanna von ihrem Thron.

Graf Arundel war unter den ersten, welche Marie auf den Straßen von London als Königin ausriefen. Der böse Graf hatte noch ein Geschäft zu verrichten: seinen Feind Northumberland in Person zu verhaften. Dieser war inzwischen von Allen verlassen worden und hatte einen letzten Versuch zur Rettung gemacht. Mit einem Herold vor sich war er in drei Städten umhergeritten und hatte das Volk nicht für Johanna, sondern für die Königin Marie in Eid genommen. Er war jetzt in Cambridge und hatte sich nach diesem schändlichen Abfall von der Sache seines Sohnes und seiner Schwiegertochter zur Ruhe gelegt, als er im Vorzimmer schwere Tritte hörte. Böses ahnend, sprang er auf und öffnete die Thür. Graf Arundel stand vor ihm und sagte, während der Herzog vor ihm auf die Kniee fiel, mit rauher Stimme: „Mylord, die Königin schickt mich, und auf ihren Befehl verhafte ich Euch.“

„Ueben Sie Gnade gegen mich,“ stammelte der Herzog, dessen Muth vollständig gebrochen war.

„Mylord,“ antwortete der Graf, „Sie hätten früher um Gnade bitten sollen; ich muß nach Befehl handeln.“

Bis jetzt das Königsschloß Johanna’s, wurde der Tower jetzt ihr Kerker. Als eigentliche Gefangene wurde sie noch nicht behandelt, wohl aber hatten ihre Verwandten die ganze Härte des Schicksals von Besiegten zu empfinden. Die blutige Marie begann ihren Namen zu verdienen. Kein Engländer, sondern der spanische Gesandte Renard war ihr Rathgeber, und nicht mit englischem, sondern mit spanischem Maß wurde das Blut gemessen, das vergossen werden sollte. Keiner verdiente den Tod mehr, als der Herzog von Northumberland, der ehrgeizige Urheber der Thronbesteigung Johanna’s. Zum Tode verurtheilt, verscherzte er den letzten Rest von Achtung, auf den er vielleicht noch Anspruch machen konnte, indem er zum katholischen Glauben übertrat. Graf Arundel war sehr bereit, seinem Feinde das Abendmahl nach katholischem Ritus reichen zu lassen, aber er lud vierzehn der angesehensten Kaufleute Londons zu der feierlichen Handlung ein, damit Jedermann erfahre, daß der Herzog in der thörichten Hoffnung, begnadigt zu werden, seinen Glauben verleugne. Am nächsten Tage wurde er auf dem Hügel des Tower hingerichtet und in der Capelle des letzteren begraben.

Johanna hatte die Krone getragen und war wegen dieses Verbrechens, zu dem Andere die kindliche Jungfrau halb gezwungen hatten, zum Tode verurtheilt worden. Man hatte ihr einen Aufschub bewilligt, und die blutige Marie scheint den Tod dieser so harmlosen und edlen Nebenbuhlerin nicht gewollt zu haben. Der Gefangenen wurden ihre Edelfräulein gelassen und selbst ein gewisser Verkehr mit Fremden nicht abgeschnitten. Sie kam wohl die Treppe herunter, wenn bei ihrem Wächter Besuch aus London war, und bezauberte die Gäste durch ihre Jugend, ihre Bescheidenheit und Standhaftigkeit. Wenn sie nicht im Neuen Testament las, so beschäftigte sie sich mit Sorgen um ihren Vater, der ihretwegen [186] vom Tode bedroht war. An sich selbst dachte sie kaum, und ihr Mann war für sie blos ein Unglücklicher, dessen Geschick für einen Moment mit dem ihrigen verbunden gewesen war. Sie betrachtete ihn nicht mit der Liebe, welche sie für ihre Eltern und ihre Schwestern empfand. Sie hatte ihn nur aus Gehorsam geheirathet, niemals als seine Gattin mit ihm gelebt und ihn überhaupt nur wenige Tage gekannt. Daß ihr Gatte mit Liebe ihrer gedacht habe, möchten wir nicht behaupten, obgleich die Inschrift an einer Gefängnißmauer „Jane“ von seiner Hand herrührt.

Ein toller Aufstand brachte die arme Johanna fast in Vergessenheit. Die Männer von Kent erhoben sich, nicht für Johanna oder Elisabeth, auch nicht gegen die Königin Marie, sondern nur gegen den Plan ihrer Verheirathung mit dem spanischen Philipp. Den Anführer spielte ein Edelmann Wyat, ein Tollkopf und Lebemann, der bei der Flasche für sich warb. Die spanischen Rathgeber Mariens aus dem Lande zu jagen, war ein Plan, der unter den Landedelleuten und Pächtern den rauschendsten Beifall fand. Die Männer von Kent setzten sich in Bewegung und fanden einen solchen Zulauf, daß der Thron Mariens in ernstliche Gefahr gerieth. Wyat stand bereits vor London, dem Tower gegenüber, auf der anderen Seite des Flusses, als sein gutes Herz ihn einen verhängnißvollen Fehler begehen ließ. Vom Tower wurde ein Feuer auf die ärmlichen Häuser eröffnet, die er besetzt hielt, und die Eigenthümer baten ihn so flehentlich, sie nicht um ihr einziges Besitzthum zu bringen, daß er abzog, um den Uebergang über die Themse, der ihm an diesem Punkte sehr leicht geworden sein würde, weiter oben zu suchen. Dort fand er aber die Brücken abgebrochen, und als er endlich mit seinen stark zusammengeschmolzenen Männern von Kent das andere Ufer erreichte, stand ihm eine ganze Armee gegenüber, vor der er die Waffen streckte.

Der Tower bekam neue Bewohner. Der Aufstand der Männer von Kent machte die Königin den grausamen Einflüsterungen Renard’s geneigt. Die Hinrichtung Johanna’s, die doch vielleicht gefährlich werden konnte, wurde beschlossen. Am Aschermittwoch, sieben Monate nach ihrer neuntägigen Regierung, wurde ihr angezeigt, daß sie zu sterben habe. Pater Feckenham, der Beichtvater der Königin, ein rauher, kein schlechter Mann, übernahm die Botschaft. Er staunte über das demüthige Lächeln, mit dem Johanna seine Ankündigung annahm. Ihre Ergebenheit kam ihm unnatürlich, fast unchristlich vor. Was er auch mit dem Eifer eines Priesters, der die Macht, zu binden und zu lösen, in seinem Besitz weiß, zu ihr sprechen mochte, immer blieb sie ruhig und mild, mit Gott und mit der Welt im Frieden. Endlich bat sie ihn, sie zu verlassen, da sie die wenigen Stunden, die sie noch zu leben habe, alle zum Gebet brauche.

Pater Feckenham kehrte zur Königin zurück, um ihr mit Bestimmtheit zu erklären, daß die Hinrichtung am nächsten Morgen nicht stattfinden könne. Es sei nicht möglich, dieses Mädchen in einem kurzen Wintertage zu bekehren! Die Königin willigte ein, aber als ihr Beichtvater von einer zweiten Unterredung mit dem armen Opfer zurückkehrte und gestehen mußte, daß alle seine Bemühungen vergeblich gewesen seien, gerieth sie vor Wuth außer sich. Einer ihrer Secretäre mußte den Befehl zur Hinrichtung ausfertigen, ein zweiter Johanna’s Vater aus seinem Gefängniß in der Nähe von London herbeiholen. Es giebt Mittel, die Bitterkeit des Todes zu vermehren, und die blutige Marie studirte und benutzte sie alle. Sie konnte Johanna und ihren Mann in den letzten Lebensstunden von einander trennen; sie konnte Guilford unter Johanna’s Fenster zur Hinrichtung führen lassen; sie konnte Befehl geben, daß der Karren mit seiner Leiche vor ihrer Thür vorbeifahre; sie konnte das Blutgerüst vor Johanna’s Augen aufschlagen lassen; sie konnte den Vater zwingen, die Tochter sterben zu sehen; sie konnte Johanna einen Geistlichen ihres Glaubens verweigern; sie konnte sie durch Jesuiten und andere Bekehrer quälen lassen. Das Alles konnte Königin Marie thun, und das Alles that sie.

Die Priester, welche die Königin in den Tower schickte, waren Johanna’s schlimmste Folter. Sie ließen sich nicht abweisen, drängten die beiden Hofdamen zurück und gingen nicht wieder, wenn sie einmal im Zimmer waren. Die langen Berichte, welche diese Jesuiten über ihre mißglückten Bekehrungsversuche veröffentlicht haben, mischen Wahres und Falsches durcheinander. Am Montag sollte die Hinrichtung stattfinden und erst am Sonntag ließen die Peiniger von Johanna ab. Sie betete und sagte ihrem Vater, dessen Nähe sie nicht ahnte, und ihrer Schwester Katharine ein schriftliches Lebewohl. Eine letzte Zusammenkunft, um die ihr Gemahl bat, lehnte sie ab. Ein Theaterabschied schicke sich nicht für sie, ließ sie ihm sagen.

Am nächsten Morgen war es noch nicht Tag, als die Zimmerleute vor ihrem Fenster bereits das für sie bestimmte Blutgerüst errichteten. Als sie hinaussah, marschirten eben die Bogenschützen vorbei, die ihren Gatten zum Tode führten. Sie setzte sich mit gefalteten Händen nieder und wartete, bis die Reihe an sie komme. Eine Stunde ging langsam vorüber, und dann hörte sie einen Karren auf dem Pflaster rollen. Sie wußte, was er enthalte, und wollte an’s Fenster treten. Ihre Edelfräulein, beide in Thränen aufgelöst, suchten sie zurückzuhalten, aber Johanna schob sie sanft zur Seite, blickte hinaus und winkte der Leiche ihres Gatten ein Lebewohl zu.

Jetzt wurde sie geholt. Ihre Damen vermochten kaum zu gehen, aber sie schritt festen Ganges, mit dem Gebetbuch in der Hand, durch die Reihen der Soldaten, bestieg das Blutgerüst, wendete sich gegen den Haufen der Zuschauer und sagte mit sanfter Stimme: „Ihr guten Leute, ich komme hierher, um zu sterben. Was gegen der Königin Majestät geschah, war ungesetzlich, aber was meinen Antheil dabei betrifft, so wasche ich vor Gott und vor Eurem Angesicht meine Hände in Unschuld.“ Sie machte eine Pause und fuhr fort: „Ich bitte Euch Alle, Ihr guten christlichen Männer, mir zu bezeugen, daß ich als wahre Christin sterbe und meine Seligkeit blos von Gott und von dem Blut erhoffe, das sein Sohn, unser Herr Jesus Christus, für uns vergossen hat. Und nun, Ihr guten Leute, unterstützt mich, so lange ich noch lebe, mit Eurem Gebet.“ Sie kniete nieder und fragte den Pater Feckenham, der auf Marie’s Befehl allein neben ihr sein durfte: „Darf ich diesen Psalm beten?“

„Ja,“ stammelte der Priester, gerührt von der Unschuld und dem Muth dieses jungen Mädchens, und nun sprach sie mit heller Stimme:

„Gott, sei mir gnädig nach deiner Güte und tilge meine Sünden nach deiner großen Barmherzigkeit.“

Als sie die letzten Worte gesprochen hatte, stand sie auf, zog die Handschuhe aus, schenkte ihr Gebetbuch einem der Officiere, die im Gefängniß die Wache gehabt hatten, und knöpfte ihr Kleid oben auf. Dem Henker, der ihr helfen wollte, schob sie die Hände sanft zurück und band sich ihr weißes Taschentuch um die Augen. Der maskirte Scharfrichter sank ihr zu Füßen und bat sie um Verzeihung. Sie flüsterte ihm einige beruhigende Worte in’s Ohr und sagte dann laut: „Ich bitte Sie, verfahren Sie rasch.“ Vor dem Block niederknieend, fühlte sie mit geöffneten Händen nach ihm. Einer der Umstehenden führte ihre Arme nach dem Platze, den sie suchte, worauf sie das schöne Haupt niederlegte und mit den Worten: „Herr, in deine Hände befehle ich meinen Geist!“ zur ewigen Ruhe einging.