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Die Königin Victoria als Gattin und Mutter

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Titel: Die Königin Victoria als Gattin und Mutter
Untertitel:
aus: Illustrirte Zeitung, Nr. 7 vom 12. August 1843, S. 97–98
Herausgeber: Johann Jacob Weber
Auflage:
Entstehungsdatum: 1843
Erscheinungsdatum: 1843
Verlag: J. J. Weber
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: MDZ München, Commons
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Die Königin Victoria als Gattin und Mutter.

Alexandrine Victoria I., Königin des vereinigten Reichs Großbritannien und Irland, wurde geboren am 24. Mai 1819, bestieg den Thron am 20. Juni 1837, ließ sich krönen am 28. Juni 1838, heirathete am 10. Febr. 1840 den am 26. Aug. 1819 geborenen Prinzen Albert von Sachsen-Coburg-Gotha und gebar am 21. Nov. 1840 die Kronprinzessin Victoria, am 9. Nov. 1841 den Thronerben Prinz von Wales und am 5. April 1843 eine zweite Prinzessin. Diese Chronik umfaßt die Hauptereignisse ihres bisherigen Lebens. Sie hat den Vorzug, daß sie wahr ist und doch der Königin zum Ruhme gereicht.

Es giebt Länder, wo die Herrscherwürde den höchsten Preis bildet und Demjenigen zufällt, der ihn zu gewinnen weiß. Anderswo ist der Fürst ein geborener Heerführer und steht persönlich gleich einem Feldherrn an der Spitze seines Volks. In England ist weder das Eine, noch das Andere der Fall. Das Königthum nimmt dort den ersten Platz ein, ohne die Stellung eines Befehlshabers zu besitzen. Der Bewerbung steht nur die Ministermacht offen, diese hat aber auch die wirkliche Leitung des Staats. Das Kämpfen und Streiten bewegt sich in kleineren Kreisen; der Königsthron ist ihm entrückt und auf immer vergeben. Ihn ruhig zu besitzen und um alles Uebrige unten frei ringen zu lassen, ist die Aufgabe seiner Inhaber. Deswegen können auch Frauen ihn einnehmen, deswegen kann aber auch Victoria als Königin dort nichts Großes thun.

Königin Victoria als Mutter.

[98] Ihr bleibt eine schönere Aufgabe: sie kann das Ideal einer Gattin und Mutter sein. Wer möchte leugnen, daß Gift und Arznei den Körper bewältige, Gesundheit und Krankheit die Seele umstimme? Wo die Noth ihre dürren Finger hinstreckt, wo Dienstbarkeit die Seele mit Schwielen bedeckt: wie soll da das Schönste und Edelste der menschlichen Natur zur vollständigen Entwickelung und Ausbildung gelangen? Wirkt aber Alles zusammen, um die herrlichste Lebensatmosphäre zu bilden, bietet sich überall dar, was die höchste Vollkommenheit hat: dann kann in einem Kreise voll Licht und Farbe und Ton und Duft, wie die Erde sie klarer und reiner und schöner nicht hat, erhaben über jede niedrige Annäherung, jede störende Einwirkung, jede verderbliche Verunstaltung, die höchste Stufe der Entwickelung und Ausbildung erreicht werden.

Und wo ist ein Standpunkt, der in dieser Beziehung mit der Stellung des Thrones von England vergleichbar? Was die Erde zu bieten vermag, ist ihm zugänglich; alle Welttheile bringen ihm ihre Schätze dar. Keine Bedrängniß trübt dort die Klarheit des Lebensstromes, in edler Freiheit können sich alle Kräfte entfalten: Wo wäre Harmonie und Ebenmaß zu suchen, wenn nicht in solchem Kreise!

Diese Vorzüge ihrer Stellung hat die Königin Victoria auch stets bewiesen. Fest und ruhig in allen Beziehungen, zu denen ihre Herrscherstellung sie führt, lebt sie naturtreu ganz ihrem Berufe als Gattin und Mutter. Im schönsten Gleichklang fließt ihr Leben dahin. Einem herrlichen deutschen Jüngling von edlem Herzen und gebildetem Geiste, dem Geliebten ihrer Kindheit, reichte sie in blühender Jugend die Hand. Liebliche Kinder scharen sich um die glücklichen Aeltern. Ihr Familienleben gilt dem ganzen englischen Volke, das dieses Erdenglück vor allen andern würdigt und genießt, als Muster und Vorbild.

Dieses heitere und reine Dasein ist aber keineswegs eintönig. Menschliche Schwächen und irdische Unvollkommenheiten sorgen schon dafür, daß es auch ihm nicht an den Anregungen fehlt, die zur Prüfung und Läuterung erforderlich scheinen. Die Königin war wiederholten Versuchen ausgesetzt, liebgewordene Freunde von ihr zu entfernen, ihr den gewohnten Umgang zu entziehen und abgeneigte Personen in ihre Nähe zu bringen. Schon ehe die Prinzessin Victoria zur Selbstständigkeit gelangt war, suchte man deren Mutter alles Einflusses auf die Erziehung ihrer Tochter zu berauben und die von ihr gewählten freisinnigen Lehrer durch Anhänger der Torypartei zu verdrängen. Nur der rasche Tod des Königs und ihre eigne Thronbesteigung rettete die achtzehnjährige Prinzessin vor der Umgebung mit einem widerwärtigen Hofstaate, den man ihr auswählen und aufdringen wollte. Ein Toryministerium verlangte von ihr die Aufopferung der vertrautesten weiblichen Umgebung, und ihre Weigerung führte jahrelange Parteikämpfe herbei, die erst mit der Niederlage und dem Ausscheiden ihrer liebsten Räthe endeten. Die der Macht sichern Gegner begnügten sich jetzt zwar mit milderen Bedingungen, doch ward der Fürstin die Aufopferung einzelner Freundinnen nicht erspart. Der Parteihaß tastete selbst ihren Ruf an, und ehe ihre Liebe zum Prinzen Albert, ihre Bekanntschaft mit ihm seit früher Jugend, kund geworden, verbreiteten die Gegner ihrer Freunde die seltsamsten Sagen, unter denen eine zärtliche Neigung zu dem in Ostindien angestellten Lord Elphinstone am bekanntesten wurde. Durch glänzende Huldigungen, welche der verwittweten Königin geflissentlich dargebracht wurden, suchte man die absichtlichste Vernachlässigung der jugendlichen Herrscherin in einen grellen Contrast zu stellen. Den Stolz des Weibes und der Königin verletzte die Weigerung des Parlaments, dem Auserwählten und Geliebten den Rang ihr zunächst zu bewilligen, sowie die gehässige Verkürzung des für ihn verlangten Jahrgeldes um 20,000 Pfd. Strl. Das immer neue Auftauchen wahnsinniger Liebeserklärer war weniger lästig, als lächerlich; gefährlich aber wurde die politische Tollheit, die nun schon zu wiederholten Malen Kinder und Narren gegen das Leben der Königin bewaffnet hat. Am empfindlichsten aber berührte das reine Herz der unschuldigen Fürstin der Tod eines Hoffräuleins, Flora Hastings, deren Todeskrankheit durch Körperverunstaltung einen Verdacht erregt hatte, den beachtet zu haben die Verleumdung der Königin mit solcher Gehässigkeit zum Vorwurf machte, daß alle Genugthuung, die sie dem unglücklichen Opfer eines unverschuldeten Irrthums zu Theil werden ließ, nicht genügend erschien.

Doch solche Wolken vermochten die Seele der Königin wohl augenblicklich zu umschatten, nicht dauernd zu trüben, und für den Haß der Tories wird sie durch die begeisterte Liebe des Volkes, welche bei jeder Gelegenheit, wo sie sich öffentlich zeigt, unaufhaltsam hervorbricht, reich entschädigt, und bei keinem Volke haben öffentliche Ehrenbezeigungen so hohen Werth, als in England, welches dem Enthusiasmus schwerer als irgend ein anderes zugänglich ist, und wo auch die entgegengesetzte Stimmung sich aussprechen darf, und sowohl gegen Georg IV. als Wilhelm IV. nicht selten auf sehr ernste Weise sich ausgesprochen hat. Deshalb die Erziehung der englischen Thronerben zu einer Festigkeit, die auch in den Zügen der Königin, bei aller Milde und Freundlichkeit, sich unverkennbar ausprägt. Die jüngste Prinzessin, vor Kurzem getauft, erhielt die ächt englischen Namen Alice Maud Mary. Ihr älterer Bruder, der Prinz von Wales, zu dessen Taufe Friedrich Wilhelm IV., König von Preußen, als Pathe nach London kam, führt die Namen Albert Eduard und die Titel: Herzog v. Cornwall, Herzog v. Sachsen, Herzog von Rothsay, Graf v. Carrick, Baron v. Renfrew, Lord der Inseln, Großstewart von Schottland, Prinz v. Wales und Graf v. Chester. Die erstgeborene Prinzessin heißt Victoria, wie ihre Mutter.