Die Heimath in der neuen Welt/Zweiter Band/Sechsundzwanzigster Brief
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Bei Sonnenuntergang, am lieblichsten, herrlichsten Abend kamen wir aus dem kleinen buchtenreichen Feve-Fluß auf den großen Missisippi, der spiegelklar und breit dahin fließt mit seinen niedrigen, üppig grünenden Inseln, zwischen weit in der Ferne blauenden Höhen, unter dem milden, hellblauen Himmel, wo der Neumond und der Abendstern aufgingen, in Klarheit emporsteigend, während die Sonne tiefer hinter dem Berge sank. Der indianische Sommer warf seine dünnen Rauchschleier über die Gegend. Man hätte glauben können, es sei ein Rauchopfer der dankbaren Erde, das am Abend zum milden Himmel emporstieg. Kein Windhauch bewegte sich; Alles war schweigsam und still in dem großen Schauspiel. Es war unbeschreiblich schön. Da krachte ein Schuß, eine Rauchsäule stieg auf von einem grünen Inselchen, und Heerden von Enten und wilden Gänsen flogen ringsumher dem verborgenen Jäger zu entfliehen, der, hoffe ich, diesen Abend ohne einen Braten blieb. Darauf war Alles wieder schweigsam und still, und Menomonie schoß in stiller beständiger Eile den herrlichen Fluß hinan.
Ich stand auf dem obersten Verdeck neben dem Kapitän Mr. Smith und einem Repräsentanten von Minnesota, Mr. Sibley, der in Begleitung von Frau und Kind von Washington nach Haus zurückkehrte und jetzt mit mir das schöne Schauspiel betrachtete.
War dieses wohl der Missisippi, der wilde Naturriese, den ich mir so gewaltsam, so trüb und so grausam gedacht hatte? Hier war sein Wasser klar, von frischer, hellgrüner Farbe, und in dem herrlichen Rahmen der fernen, violettblauen Bergeshöhen lag er wie ein Himmelsspiegel, grünende, traubenreiche Inseln in seinem Schooß tragend. Der Missisippi war hier in seiner Jugend, noch im Zustand seiner Unschuld. Er ist noch nicht weit fort von seinen Quellen; keine Schaaren von Dampfbooten trüben seine Wasser (Menomonie und noch ein anderes kleines Boot sind die einzigen, die von Galena aus den Fluß aufwärts gehen), keine Städte werfen ihren Unrath hinein; nur reine Ströme ergießen ihre Wasser hinein, und Ureinwohner und Urwälder umgeben ihn noch. Später, weiter gegen das Weltmeer zu, wenn der Missisippi in’s Staatsleben hineinkommt, Staatsmann wird, 1200 Dampfboote, und ich weiß nicht wie viel tausend Schuten tragen, sich Städten und Städtern widmen, sich mit dem Missouri vermählen muß, da ist es anders, da ist es vorbei mit Missisippis Schönheit und Unschuld.
Aber jetzt, jetzt war er schön, und dieser ganze Abend auf dem Missisippi war für mich wie ein Zauber.
Die Entdeckung des Missisippi durch Europäer hat zwei Epochen und in jeder von ihnen einen Roman, einander so ungleich wie Tag und Nacht, wie die sonnbeglänzte Idylle und die düstre Tragödie, wie der Missisippi hier in seinem Jugendleben, und der Missisippi unterhalb Saint Louis – wie Missisippi-Missouri. Der erste gehört dieser nördlichen Gegend an, der zweite der südlichen; der erstere hat den sanften Priester, Pater Marquette zum Helden, der letztere den spanischen Krieger Ferdinand de Soto.
Frankreich war im Wetteifer mit England der erste Eroberer von Amerikas Land. Französiche Jesuiten waren die ersten, die durch die Wildniß nach Canada und zu den großen Seen des Westens drangen. Religiöser Enthusiasmus pflanzte die puritanische Kolonie auf Plymouths Klippe; religiöser Enthusiasmus pflanzte das Kreuz nebst Frankreichs Lilien an den Ufern des Sct. Lorenzo, am Niagara und bis nach Sct. Marie auf, unter den wilden Indianern am Superior-See. Der edle, ritterliche, von brennendem Eifer erfüllte Champlain hatte gesagt: „Die Rettung einer Seele gilt mir mehr als die Eroberung eines Königreichs.“
In dieser Zeit zogen Loyolas Jünger über die Welt aus, um sie dem Reich des Friedensfürsten zu erobern, und errichteten die Zeichen des Kreuzes in Japan, in China, in Indien, in Aethiopien, bei den Kaffern, in Californien, in Paraguay. Sie luden die Barbaren zum Frieden des Christenthums ein.
Die Priester, die in dieser Sendung westwärts in Amerikas Wildnisse von Canada her eindrangen, gehörten zu den edelsten ihrer Orden.
„Sie hatten,“ – schreibt Bankroft von ihnen – „Fehler, die dem ascetischen Aberglauben angehörten, aber den Schrecknissen eines Lebens in der Wildniß wußten sie mit einem unüberwindlichen passiven Muth und einem tiefen, innern Frieden zu begegnen. Fern von den Annehmlichkeiten des Lebens, fern von allen Gelegenheiten zu eitlem Ehrgeiz waren sie gleichsam todt für die Welt und hatten ihre Seelen in unerschütterlicher Ruhe. Die wenigen, die, obschon darniedergebeugt von den Mühen während der langen Mission alt wurden, brannten noch von dem Feuer des apostolischen Eifers. Die Geschichte von ihren Arbeiten steht in engem Zusammenhang mit dem Emporkommen jeder berühmten Stadt im französischen Amerika: nicht eine Spitze wurde umsegelt, nicht ein Fluß untersucht, ohne daß ein Jesuit den Weg führte.“
Die Jesuiten Brebeuf, Daniel und der sanfte Lallemand folgten einer Schaar barfüßiger Huronen durch gefährliche Wälder hindurch nach ihrem Land. Sie gewannen das Ohr und die Liebe der Wilden.
Brebeuf „ein Muster jeder religiösen Tugend“ lebte 15 Jahre unter den Huronen, sie auf Christus taufend und friedliche Gewerbe lehrend. Liebevolle Handlungen, harte Selbstkasteiungen, Gebete bis tief in die Nacht hinein – das war sein Leben. Dabei wuchs blos seine Liebe zu dem Herrn, dem er diente, sein Durst nach Leiden im Dienst desselben. Er sehnte sich darnach, wie Andre sich nach Wollüsten des Lebens sehnen. Er that ein Gelübde, niemals der Gelegenheit zum Märtyrerthum auszuweichen, den Todesstreich nicht ohne Freude zu empfangen.
Ein solcher Glaube mußte Berge versetzen. Er that noch mehr, er versetzte Jesu Liebesleben in die Herzen blutdürstiger Wilden. Der große Krieger Ahasistari sagte:
„Ehe ihr in dieses Land kamt, wo ich zuweilen großen Gefahren entgegenging, habe ich zu mir gesagt: irgend ein mächtiger Geist wacht über meinem Leben!“ Und er bekannte seinen Glauben an Jesum, als den guten Geist, an den er bisher unbewußt geglaubt hatte. Und nachdem er die Taufe empfangen hatte, sagte er zu einem Trupp neugetaufter Indianer: laßt uns die ganze Welt durchsuchen, um Jesu Lehre zu empfangen.
Weiter und weiter drangen die Missionäre gegen Westen. Sie hörten da von großen kriegerischen Indianerstämmen sprechen, von den mächtigen Sioux, die an dem großen Fluß Messipi wohnten, von den Stämmen Erie und Chippewas und Pottowatomis u. s. w., die an großen Binnenseen lebten. Die Gefahren, die Mühen, die Wildnisse, die Wilden, Alles stand drohend ihnen entgegen und zog sie nur um so mehr an.
Feindselige Stämme überfielen den Stamm, der sie begleitete. Die wilden Mohawks nahmen den Missionär Jogues und mit ihm den edeln Häuptling Ahasistari gefangen. Ahasistari hätte sich verbergen können, aber als er Jogues gefangen sah, trat er zu ihm vor und sagte: „Mein Bruder, ich gab Dir das Versprechen, daß ich Dein Schicksal im Leben und im Tod theilen wolle. Hier bin ich jetzt, um mein Versprechen zu halten.“
Die Grausamkeit der Wilden übte sich mehrere Tage und Nächte an ihnen. Als Jogues zwischen ihren Spalieren Gassen lief, sah er Erscheinungen der heiligen Jungfrau. Am Abend nach einem Tag der Qualen wurde eine Maisähre auf ihrem Stiel dem guten Pater zugeworfen, und siehe, auf dem breitesten Blatt saßen Tropfen von Thau, Wasser genug, um zwei neue Jünger des Christenthums zu taufen.
Ahasistari und zwei seiner Leute wurden verbrannt. Er ging dem Tode mit dem Stolz eines Indianers, mit der Ruhe eines Christen entgegen.
Jogues erwartete dasselbe Schicksal, wurde aber verschont und freigegeben. Allein in den stattlichen Wäldern des Mohawk-Thales umherstreifend, zeichnete er Jesu Namen und das Zeichen des Kreuzes in die Rinde der Bäume und ergriff in Gottes Namen Besitz von diesen Ländern. Offen erhob er seine Stimme im Lobgesang, sich in seinen Sorgen mit dem Gedanken tröstend, daß doch ein Mensch in dieser unabsehbaren Gegend den wahren Gott, den Schöpfer des Himmels und der Erde anbete.
Er kam glücklich zu den Seinigen in Canada zurück, aber nur um zwei Jahre später in demselben Dienst neue Gefahren zu suchen. „Ich gehe um nicht mehr wiederzukommen,“ sagte er damals. Bald darauf wurde er von Mohawks-Indianern gefangen genommen, welche behaupteten, daß seine Zaubereien ihren Aerndten schaden. „Furchtsam von Natur, aber muthig durch seinen Eifer, ging er dem Todesstreich ruhig entgegen.“
Brebeuf, Anthony, Daniel und der sanfte Lallemand erlitten sämmtlich den Märtyrertod unter solchen Qualen, wie nur Wilde sie zu ersinnen vermögen; sie erlitten ihn mit frommem Muth, wie nur die Liebe Christi ihn eingibt.
Die Dörfer und die Kolonien, welche die frommen Väter gegründet hatten, wurden verbrannt, die neugetauften Christen mit Feuer und Schwert getödtet. All die mehrjährigen Arbeiten der Jesuiten wurden vernichtet, und die Wildniß schien von Neuem auf ihren Spuren zu wachsen.
Man sollte glauben, so große Widerwärtigkeiten hätten sie zum Schwanken oder Weichen gebracht Allein sie wichen nicht einen einzigen Schritt. Sie gingen von Neuem vorwärts.
Während die wilden Nationen einander in grausamen Ueberrumplungen bekriegten und alle Wege durch die Wälder des Westens zu Todeswegen machten, wurde der Bischof von Quebec, Francis de Laval, vom Eifer verzehrt, die Lehre des Friedens bis zu den Ufern des großen Flusses zu tragen. Er wollte selbst gehen. Aber das Loos fiel auf René Mesnard. Alle Beweggründe persönlichen Interesses forderten diesen auf in Quebec zu bleiben, aber „mächtige Instinkte“ ermunterten ihn sein Leben bei dem Unternehmen zu wagen. Er war alt, als er den Weg betrat, der vom Blut seiner Vorgänger noch geröthet war: „In 3 oder 4 Monaten könnt Ihr mich “zu den Todten zählen,“ schrieb er unterwegs an einen Freund. Er ging um nie mehr wiederzukommen. Weit in den Wildnissen des Westens, während seine Begleiter sich eines Tags mit der Wegziehung eines Boots beschäftigten, ging er in einen Wald hinein und wurde seitdem nicht mehr gesehen. Sein Rosenkranz und Gebetbuch wurden einige Zeit nachher gefunden und von den Indianern als heilige Amulette betrachtet. Ein anderer Missionär fiel während des Kampfes zwischen feindlichen Stämmen unter den Pfeilen der Indianer.
Von den blutigen und grausamen Scenen, welche hier den ersten Besuch der europäischen Sendboten im Westen bezeichnen, wendet man sich mit einem Gefühl der Erquickung zu der idyllischen, friedlichen Episode der Missionsfahrt des Jesuiten Marquette. Mitten unter den wilden kriegerischen Indianerstämmen gleicht sie einem Sonnenstrahl unter gewitterschwangern Wolken.
Schon war der muthige Pater Alvuez zu den meisten Indianerstämmen um den Superiorsee gedrungen und hatte in zweijährigem Aufenthalt unter ihnen die Chippewas-Indianer das Paternoster und Ave Maria gelehrt, hatte von den Sonneanbetern, den Potowattomies, Einladungen nach ihren Hütten empfangen, hatte die Friedenspfeife mit dem Stamm Illinois geraucht, der ihm von seinen großen, mit hohem Gras bewachsenen Feldern erzählte, wo Schaaren von wilden Rehen und Büffeln waideten; er hatte auch die streitbaren, mächtigen Sioux getroffen, die von wildem Reis lebten, ihre Hütten mit Thierfellen bedeckten, statt mit Rinde, und im Prärienland lebten nah dem großen Fluß, welchen sie „Messipi“ nannten.
Marquette beschloß den großen Fluß zu entdecken und zu befahren.
Er hatte die Trümmer der huronischen Nation um sich gesammelt und mit ihnen sich am Ufer "des Michigansees niedergelassen, wo es einen Reichthum an Fischen gab. Dort bauten sie sich Hütten und Pater Marquette lehrte die wilden Naturkinder Gott verehren und im Frieden von friedlicher Handthierung leben.
Von da wollte Marquette, begleitet von dem Franzosen Joliet, und mit einem jungen Indianer des Illinois-Stamms als Wegweiser auf seine Entdeckungsreise ausziehen. Der französische Intendant in Canada, Talon, begünstigte Marquettes Unternehmen, da er zu erforschen wünschte, ob Frankreichs Banner auf dem großen Fluß nach den Küsten des stillen Meeres gebracht, oder zur Seite des spanischen am mexikanischen Meerbusen aufgepflanzt werden könne.
Marquette suchte auf seiner Fahrt die Ehre eines andern Herrschers: „Ich will freudig meinem Leben entsagen um Seelen zu erretten,“ antwortete er einigen Boten vom Potowattomies-Stamm, die ihn mit den Worten warnten: „Diese fernwohnenden Völker verschonen keinen Fremdling; ihre gegenseitigen Streitigkeiten erfüllen die Ufer mit Kriegern und der große Fluß ist voll von Unthieren, die sowohl Menschen als Boote verschlingen, und die große Hitze allda ist mörderisch.“ Auf Marquettes Bitte vereinigten sich die Kinder der Wildniß im Gebet mit ihm.
Marquette kam zum Foxstrom, wo die Indianerstämme Kickapoos, Mascoutiuns und Miamis zusammen auf einer schönen von Prärien und prachtvollen Hainen umgebenen Höhe wohnten, und wo Pater Alvuez bereits ein Kreuz errichtet hatte, das die Wilden mit hübschen Häuten und prunkenden Gürteln behingen, als Dankopfer für ihren Gott „den großen Mianitu.“ Die Aeltesten traten in einem Rath zusammen, die Pilger zu empfangen. „Mein Begleiter,“ sagte Marquette, „ist[WS 1] ein Abgesandter Frankreichs, um neue Länder zu entdecken; ich bin ein Abgesandter Gottes, um sie mit seinem Evangelium zu erleuchten.“ Und indem er ihnen Geschenke bot, erbat er sich zwei Wegweiser für den morgigen Tag. Die wilden Männer antworteten wohlwollend und schenkten ihm einen Teppich, um ihm als Bett zu dienen auf der langen Reise.
„Siehe da“ – ich folge jetzt dem Geschichtschreiber Bankroft, denn ich kann nichts besseres thun – „siehe da, am 10. Juni des Jahrs 1673, den reinherzigen, demüthigen, anspruchslosen, weltberühmten Pater Marquette, mit seinem Begleiter Joliet, fünf Franzosen und zwei Algonquins als Wegweisern, die zwei Kähne über die schmale Landzunge trugen, welche den Foxstrom von dem Fluß Wisconsin trennt. Sie erreichen das Wasser: sie stehen am Wisconsin, und während sie ein besonderes Gebet zu der heiligen Jungfrau emporsenden, verlassen sie die Ströme, die auf ihrem Lauf ihre Grüße nach Quebecs Schloß bringen konnten. „Die Wegweiser kehrten um,“ sagt der milde Marquette, „und ließen uns allein in dem unbekannten Land, in den Händen der Vorsehung.“
„Frankreich und das Christenthum standen im Missisippithal.
„Die Pilger fuhren hinaus auf den breiten Wisconsin und segelten westwärts allein den Strom hinauf zwischen wachsenden Prärien und Waldabhängen, ohne ein menschliches Wesen oder die gewöhnlichen Thiere der Wälder zu sehen. Kein Getön unterbrach die feierliche Stille, außer dem Geplätscher des Wassers um die Boote und dem Gebrüll des Büffels weit innen im Wald. Nach sieben Tagen „kamen sie glücklich in den großen Fluß mit einer Freude, die sich nicht beschreiben läßt,“ und die zwei Birkenboote schwammen, ihre heitern Segel vor den unbekannten Winden in einem neuen Himmelsstrich erhebend, den rühigen Meerfluß hinab, über den klaren, breiten Sandgrund, den Aufenthalt unzähliger Shwärme von Wasservögeln; sie glitten an kleinen Inseln vorbei, die aus dem Schooß des Stroms mit reichen Laubmassen emporzuschwellen schienen, und fuhren so zwischen den weiten Feldern des Illinois und Iowas, die von majestätischen Wäldern begrenzt oder mit Baumgruppen übersät waren, die mit den unendlichen Prärieräumen abwechselten.“
„Ungefähr sechzig Meilen unterhalb der Mündung des Wisconsin wurden im Sand am westlichen Ufer des Flusses Spuren von Menschen entdeckt. Ein kleiner Fußsteig führte durch eine schöne Prärie; und die Kähne sammt ihren Begleitern zurücklassend, beschloßen Marquette und Joliet allein eine Begegnung mit den Wilden zu wagen. Nachdem sie sechs Meilen ins Land hinein gewandert, sahen sie am Ufer eines Stroms ein Dorf, und etwas weiter weg zwei andere an Abhängen. Der Strom wurde Mou–ie–gou–e–na oder Moingona (später des Moines) genannt. Marquette und Joliet waren die ersten weißen Männer, die Iowas Erde betreten hatten. Sie befahlen sich Gott und erhoben einen lauten Ruf. Die Indianer hören es. Vier alte Männer treten langsam gegen sie vor, die Friedenspfeife tragend, glänzend von vielfarbigen Federn. „Wir sind Illinois!“ sagten sie, was verdolmetscht ist, „wir sind Männer!“ Ein alter Häuptling empfing sie in seiner Hütte und sagte, seine Hände erhebend: „Wie schön ist nicht die Sonne, Franzmann, da Du kommst uns zu besuchen! Unser ganzes Dorf erwartet Dich und Du sollst im Frieden wohnen in unsern Hütten.“ In ihrem großen Rath verkündigte Marquette die Lehre von dem einzigen wahren Gott, ihrem Schöpfer. Er sprach auch von dem großen Häuptling der Franzosen in Canada, der die feindlichen indianischen Nationen bestraft und Frieden befohlen habe; und er fragte sie um den Missisippi und die Volksstämme an seinen Ufern.
„Den Boten, welche verkündigten, daß die Irokesen besiegt worden, wurde ein prächtiges Gastmahl von Homonny und Fischen, sowie ausgewähltem Wildpret aus den Prärien bereitet.
„Nach sechstägigem Fest unter diesen Wilden fuhr die kleine Entdeckergruppe weiter. „Ich fürchtete den Tod nicht,“ sagte Marquette, „ich würde es als das höchste Glück betrachtet haben, zur Ehre Gottes sterben zu dürfen.“
„Sie zogen an den lothrechten Klippen vorbei, welche Ungeheuern glichen; sie hörten in der Ferne das Getöse von den Wassern des Missouri, den sie bis jetzt blos unter dem algonquinischen Namen Pekitanoni kannten; und als sie zur schönsten Vereinigung zweier Flüsse in der Welt kamen, zu derjenigen, wo der schnelle Missouri gleich einem Eroberer in den ruhigen Missisippi hineinrauscht und ihn so zu sagen mit sich reißt gegen das Meer hinab, da beschloß Marquette in seinem Herzen eines Tags den mächtigen Strom hinauf bis zu seiner Quelle zu fahren, über die Landstrecke hinzugehen, welche die Weltmeere trennt, und das Evangelium allen Völkern in der neuen Welt zu verkündigen.
„Vierzig Meilen weiter unten kamen sie an den Mündungen des Ohio vorbei, der damals Wabash genannt wurde. An seinen Ufern wohnten die friedlichen Shawnees, die vor dem Ueberfall der Irokesen zitterten.
„Die dicken Schilfrohre begannen sich am Fluß entlang zu zeigen, so dicht und stark, daß der Büffel nicht hindurchbrechen konnte. Die Hitze der Julisonne und die Insekten wurden unerträglich.
„Die Prärien verschwanden. Dichte, hohe Wälder von weißem Holz bedeckten die Ufer bis zum Rand des Wassers. Hier ist das Land der Chickesaws-Indianer, und die Wilden haben Büchsen.
„Sie kamen an das Dorf Milihigamea in einer Gegend, die seit den Tagen Ferdinands de Soto nicht besucht worden war. „Jetzt, in Wahrheit, müssen wir die heilige Jungfrau um Hilfe anrufen,“ dachte Marquette, als er die Indianer mit Bogen und Pfeilen, Streitäxten und Keulen bewaffnet unter unaushörlichem wildem Schlachtgesang seine Boote umschwärmen sah. Aber Marquette erhebt die Friedenspfeife, und bei ihrem Anblick wurden die Herzen der alten Krieger gerührt, sie halten den Eifer der jungen zurück; sie werfen Bogen und Pfeile in ihre Kähne und geben den Fremdlingen einen friedlichen Willkomm. „Die Reisenden segeln weiter zur Mündung des Arkansas-Flusses. Da sind sie in den milden Regionen, die beinahe keinen Winter, nur eine Regenzeit haben. Hier sind sie in der Nähe des mexikanischen Meerbusens und machen Bekanntschaft mit Indianerstämmen, die durch Handel mit den Spaniern europäische Waffen bekommen haben.
„Also nachdem er zu den wilden Völkern von Gott und den Mysterien des katholischen Glaubens gesprochen, wie auch sich versichert hatte, daß „der Vater der Flüsse“[WS 2] seinen Auslauf nicht in den Ocean östlich von Florida, und eben so wenig in die Californiabucht nehme, verließ Marquette nebst Joliet „Arkansea,“[WS 3] und segelte wieder den Missisippi hinauf.
„In der Breite des 38.[WS 4] Grades drangen sie in den Illinois-Strom ein und entdeckten ein Land, unvergleichbar durch die Fruchtbarkeit seiner schönen Prärien, die von Büffeln und Rehen wimmeln, sowie durch die hübschen, schönen Ströme und die Menge wilder Schwäne, Papageien und Truthähne an denselben. Die Illinois-Indianer luden Vater Marquette ein, zu kommen und unter ihnen zu wohnen. Einer von ihren Häuptlingen begleitete nebst einem jungen Mann den Franzmann über Chicago nach dem Michigansee; und vor Ende September waren sie alle glücklich zurück in der Kolonie an Green bay.
„Joliet kehrte nach Quebec zurück, um die gemachten Entdeckungen zu verkündigen, durch deren Berühmtheit Talon den Ehrgeiz Colberts stachelte.
„Der[WS 5] anspruchslose Marquette blieb da, um den Miamis-Indianern, die im nördlichen Illinois rings um Chicago wohnten, das Evangelium zu predigen.
„Zwei Jahre später, indem er von Chicago nach Makinaw segelte, drang er in einen kleinen Strom in Michigan. Dort errichtete er am Ufer einen Altar und las[WS 6] die Messe nach dem Ritual der katholischen Kirche. Darauf bat er die Männer, welche das Boot führten, ihn auf eine halbe Stunde allein zu lassen.
„Nach Verfluß dieser halben Stunde gingen sie, ihn zu suchen, und fanden ihn schlafend, aber um nicht mehr zu erwachen. Der gute Missionär, der Entdecker einer Welt, war zwischen dem Altar und dem Ufer eines Flusses, der jetzt seinen Namen trägt, entschlafen. An seiner Mündung gruben die Bootsleute sein Grab in den Sand. Seit dieser Zeit pflegten Waldausrotter in Gefahren seinen Namen anzurufen. Die Völker des Westens werden ihm ein Denkmal erbauen.“
So der Bericht von Vater Marquette.
Ein kleines Menschenleben, aber wie voll, wie schön, wie fertig und vollkommen!
Siehst Du nicht einen Strahl himmlischen Lichtes durch das nebelverhüllte, blutbesprengte Missisippithal leuchten?! — Weiter hinab am Missisippi will ich Dir von Ferdinand de Soto erzählen.
Frisch und kalt, aber die stattlichen Höhen, die sich immer höher auf beiden Seiten des Flusses erheben, von Eichwäldern bedeckt und in zierlichem Gelbbraun glänzend gegen den Herbsthimmel hin, und dazwischen Prärien mit unendlichen Aussichten, geben ein beständig schönes und wechselndes Schauspiel. Und dann ist Alles so jung, so neu, Alles noch jungfräulicher Boden. Da und dort am Fuß der hohen Ufer des Flusses hat ein Kolonist sein kleines Blockhaus erbaut und einen kleinen Acker urbar gemacht, den er neuerdings mit Mais bepflanzt. Die Luft ist grau, aber ganz ruhig. Wir fahren sehr langsam, denn das Wasser ist niedrig um diese Jahreszeit, und der Fluß hat viele Untiefen; er ist zuweilen schmal genug, oft aber auch sehr breit, mit einer Menge größerer sowohl als kleinerer Inseln. Diese sind voll von wilden Weinreben, die sich in Gewinden zwischen den zum großen Theil abgelaubten Bäumen hinziehen. Aber die Weinrebe ist noch grün. Wir fahren zwischen dem Wisconsin (zur Rechten) und dem Iowa (zur Linken). Kaum erst fuhren wir an der Mündung des Flusses Wisconsin vorbei, wo Pater Marquette in den Missisippi hinaussegelte. Wie gut verstehe ich seine Gefühle bei der Entdeckung dieses großen Flusses! Ich fühle mich hier 200 Jahre später beinahe so glücklich wie er, denn auch ich bin allein und auf einer Entdeckungsreise begriffen, obschon von anderer Art. Der Auslauf des Wisconsin in den Missisippi zwischen den Ufern hin, die mit laubigem Gebüsch und Bäumen bewachsen sind, gleicht einer schönen Idylle. Morgen kommen wir in wildere Gegenden und unter Indianer. Möchte nur das Wetter nicht allzu rauh werden!
Es sieht aus, als wollte es sich aufhellen. Die Sonne ist unter, der Mond ist aufgegangen, und der Mond scheint auf die Wolken zu wirken, so daß sie sich zerstreuen. Bei Sonnenuntergang legte Menomonie am Land an, um Holz einzunehmen. Es war am Ufer des Iowa. Ich stieg mit Mr. Sibley ans Land. Dort lag ein neues Blockhaus unter der Höhe, fünfzig Schritte vom Ufer. Wir gingen hinein. Wir trafen da eine schöne junge Frau mit einem tüchtigen kleinen Jungen, „a baby“ auf dem Arm. Ihr Mann war draußen im Wald. Sie waren erst seit einigen Monaten hier, waren aber wohl zufrieden und hofften gut auszukommen. Zwei fette Kühe mit Schellen gingen waidend auf dem durch keine Zäune eingegrenzten Feld um die Hütte her. Im Hause war Alles ordentlich, sauber und zeugte von einem gewissen Comfort. Ich sah einige Bücher auf den Schränken. Es waren die Bibel, ein Gebetbuch und amerikanische Lesebücher, ausgewählte Stücke der amerikanischen und englischen Literatur in Versen und Prosa enthaltend.
Die junge Frau sprach verständig und ruhig von ihrem Leben und ihrer Lage als Kolonisten im Westen. Als wir das Haus verließen, und ich sie mit ihrem schönen Kind auf dem Arm an der Thüre stehen sah, bildete ihre Gestalt im Rahmen der Stube, in der milden Beleuchtung vom westlichen Himmel, ein schönes Bild vom neuen Leben des Westens.
Die kräftig ernste junge Mutter, die das Kind trägt; die von dem Mann gebaute kleine Wohnung, welche die edelsten Schätze der Liebe und des Gedankens in sich birgt — siehe da die Pflanzenschößlinge, die allmälig die Wildniß erfüllen und sie gleich einer Lilie aufblühen machen werden.
Ein herrlicher, sommerwarmer Morgen! Es hat heute Nacht geregnet. Am Morgen klärte es sich auf. Die dichte, dunkle Wolkenmasse wurde von zuckenden Sonnenstrahlen durchbrochen und zerrissen. Und das war ein Spiel von kühnen Schatten und himmlischen Lichtern unter den immer kühneren, steileren, pittoreskeren Höhen. Das war ein Leben! Und ich war allein, mit Amerika, meiner geliebten, meiner großen, schönen Schwester, der Sibylle, zu deren Füßen ich lauschend sitze, mit liebevollen Blicken zu ihr hinaufschauend. O! … was sie mir alles sagte an diesem Tag, diesem an Inspirationen reichen Morgen, während sie durch Thränen das Licht des Himmels trank und die dunkeln Schatten wie Schleier von ihrem Antlitz zurückwarf, um es desto voller von göttlichem Lichte bestrahlen zu lassen! Diesen Morgen vergesse ich nie.
Sie kamen wieder und wieder die dunkeln Wolken, Nacht über die tiefen Klüfte breitend; aber sie mußte weichen, sie mußte der Sonne Raum geben, die zuletzt allein siegreich herrschte und im Glänz des schönsten Sommertags über dem Missisippi und seiner Welt leuchtete. Und das innere Licht in mir sprach mit dem äußern. Es war herrlich.
Die Höhe der Ufer wurde ebenfalls immer ungewöhnlicher und phantastischer durchbrochen und stellte die überraschendsten Gebilde dar. Die Hälfte der Höhen – ungefähr 4–500 Fuß über dem Fluß – war von goldnen Laubwäldern bedeckt, aus denen sich plötzlich nackte, ruinenartige Klippen emporrichteten, rothbraune Wälle, Thürme, halb niedergerissene Mauern, – wie von prächtigen Burgen und Schlössern der Vorzeit. Die Burgruinen des Rheinstroms sind Kleinigkeiten gegen diese gigantischen Ueberreste aus der Urzeit, wo noch kein Mensch sich vorfand, wo die Titanen der Urnatur, Megatherien, Mastodons und Missourien sich aus den Fluthen emporhoben und allein auf der Erde wandelten.
Es war schwer, sich bei mehreren dieser kühnen Pyramiden und gebrochenen Façaden zu überzeugen, daß sie keine Werke der Menschenhand gewesen, so regelmäßig, so architektonisch waren die kolossalen Bildungen. An ein paar Orten sah ich ein von Menschenhand erbautes Häuschen auf der Klippe; es sah aus wie ein Vogelnest auf einem hohen Dach. Aber das freute mich, weil es verkündete, daß diese prachtvolle Gegend bald Einwanderer bekommt und der Naturtempel Verehrer in dem begreifenden, dankbaren Menschengemüth. Die Gegend auf der andern Seite dieser steilen Klippen ist Hochland, ein herrliches, fruchtbares Prärienland, ein Land für viele Millionen Menschen; Amerikaner werden auf diesen Höhen schöne gastfreie Häuser erbauen, werden hier arbeiten, beten, lieben, genießen. Eine veredelte Menschheit wird auf diesen Höhen wohnen.
Unten im Fluß, zu den Füßen der Bergriesen, wurden die grünen Inselchen immer zahlreicher; alle hatten denselben Charakter, alle waren liebliche Oasen, umschlungen von Weinranken. Die wilden Trauben sind klein und sauer; aber man sagt, sie werden nach der Kälte süß. Es ist merkwürdig, wie hübsch überall in Amerika die Weinrebe ist. Amerika ist ein wahres Weinland. Ich sah hier die Prophezeiung von der Zeit und dem Land, „wo man in gutem Frieden unter seinem eigenen Weinstock sitzen, wo Wolf und Lamm zusammen spielen werden,“ und wo die Wüste wie eine Lilie blühen wird – Alles im Namen des Friedensfürsten.
Diese Höhen haben ungeachtet ihrer Verschiedenheit in den Formen und den Felsruinen, die sie tragen, eine Aehnlichkeit: sie sind beinahe alle von derselben Höhe und übersteigen nicht 8–900 Fuß; gute Republikaner alle zusammen.
Gestern Abend just beim Sonnenuntergang sah ich die erste Spur der Indianer in einem indianischen Grab. Es war ein kistenartig runder Sarg, auf ein Paar Bretter gelegt, die, von vier Stützen unter einem herbstgelben Baum getragen wurden. So setzen die Indianer ihre Todten bei, bis alles Fleisch von den Beinen verwest ist; dann begraben sie diese in der Erde oder in Löchern, unter Ceremonien, Tänzen und Gesängen. Ein Sarg unter dem herbstgelben Baum, in der blassen Abendsonne war also das erste Zeichen, was ich von diesem armen, absterbenden Volke gewahr wurde.
Bald darauf sah ich indianische Hütten an den Ufern. Sie werden von den Indianern hier Tepees (Wohnungen) und auf Englisch „lodges“ genannt, sind zeltförmige Hütten, mit Büffelfellen bedeckt, die um lange Stangen herumhängen, welche kreisförmig in der Erde stecken und sich in der Spitze vereinigen, wo der Rauch durch eine Oeffnung hinausgeht, – sie erinnern an die Hütten unserer Lappen, sind aber im größeren Styl gebaut. Eine niedrige Oeffnung mit einer Art Vorthüre befindet sich in jedem Zelt, welches, wenn man so will, mit dem Zipfel einer Büffelhaut bedeckt ist. Durch so geöffnete Thüren sah ich das Feuer in mehreren Hütten auf dem Boden brennen. Es sah friedlich aus. Kleine wilde Kinder sprangen am Ufer hin. Es ist der schönste, mondhelle Abend.
Sonnenhell, aber kalt. Wir haben auf dem ganzen Wege links indianisches Territorium, d. h. das Territorium von Minnesota, und wir sehen Indianer auf den Ufern in größern oder kleinern Lagern. Die Männer stehen oder gehen in rothe oder weißgelbe Filze eingehüllt. Die Weiber beschäftigen sich mit den Feuern außer oder innerhalb der Zelte, oder tragen ihre kleinen Kinder auf dem Rücken in dem gelben Filz, der sie ebenfalls umhüllt. Alle sind baarhäuptig, mit schwarzem, struppig herabhängendem, ziegenartigem Haar, das zuweilen geflochten ist. Eine Menge Kinder, besonders Knaben, sprangen lärmend am Ufer herum. Wir fahren sehr langsam, bleiben mitunter etwas stecken, und suchen unsern Weg zwischen Inseln hin. Mittlerweile zeigen sich kleine Kähne mit Indianern, schnell und gleichsam scheu da und dort längs dem Ufer und den Inseln, wo die Leute unter den Büschen etwas zu suchen scheinen. Nach meiner Ansicht sind es meistens Weiber in den Booten, aber es ist nicht so leicht einen Mann von einem Weib zu unterscheiden, da sie in ihre Filze eingehüllt mit entblößtem Haupt und buschigem Haar dasitzen. Es sind wilde Beeren und Pflanzen, die sie unter den Gebüschen sammeln. Wie wild und thierisch sie aussehen! Und wie wunderlich es ist, Menschen zu sehen, welche denjenigen, die wir täglich schauen und uns selbst so unähnlich sind!
Die Indianer, die wir hier sehen, gehören zu der Sioux (oder Dakotah) Nation, noch jetzt einer der mächtigsten Stämme im Land, welcher das Land um die Missisippiquellen (Minnesota) neben den Chippewas-Indianern bewohnt. Jede dieser beiden Nationen soll sich auf 25,000 Seelen belaufen. Die zwei Völker leben in beständiger Fehde mit einander, und neuerdings wurde nach einigen blutigen Ueberrumplungen ein großer Friedenscongreß beim Fort Snelling gehalten, wo die amerikanischen Behörden die blutgierigen Völkchen zwangen sehr gegen ihren Willen einander die Hand zur Versöhnung zu reichen.
Mr. Sibley, der mehrere Jahre unter den Sioux gelebt, wie auch an ihren Jagden und ihrem täglichen Leben Theil genommen, hat mir einige eigenthümliche Züge aus dem Leben und Charakter dieses Volkes erzählt. Eine gewisse Großsinnigkeit verkündigt sich darin, aber auf dem Grund eines großen Hochmuths; und die Rachsucht ist wild und auf unedle Art grausam. Mr. Sibley liebt jedoch die Indianer, und soll selbst bei ihnen in großer Gunst stehen. Wenn wir an indianischen Dörfern vorbeifahren, erhebt er zuweilen eine Art wilden Geschreis, das vom Ufer her mit Jubel beantwortet wird.
Mitunter sehen wir ein kleines Blockhaus und daneben 2–3 indianische Tepees. Es ist ein Halbblut-Indianer, der im Hause wohnt, das heißt ein solcher, dessen Vater ein Weißer und dessen Mutter eine Indianerin war, und seine Verwandten mütterlicher Seits, oder die Verwandten seiner indianischen Frau kommen und wohnen bei ihm. Er ist gewöhnlich ein Handelsmann und steht in Berührung mit Europäern.
Wir haben jetzt auch einige Indianer an Bord, eine Familie Winnebagoes, Mann, Frau und Tochter (ein 17jähriges Mädchen) und zwei junge Krieger aus dem Sioux-Stamm, mit hübschen Federn geschmückt, sowie mit Roth und Gelb und allen Farben, glaube ich, bemalt, so daß es köstlich aussieht. Sie befanden sich auf dem oberen Verdeck, wo auch ich mich der freien Aussicht wegen meistens aufhalte. Der Winnebagomann ist ebenfalls bemalt, und liegt auf dem Verdeck meistens auf dem Bauch, auf seine Ellenbogen gestützt und in seinen Fils eingehüllt. Die Frau sieht alt und abgelebt aus, ist aber munter und gesprächig. Das Mädchen ist groß, hat eine gute Farbe, aber plumpe Züge und einen breiten, gebeugten Rücken; sie ist sehr schüchtern und wendet sich ab, wenn man sie ansieht. Ich sah die drei ihr Mittagsmahl einnehmen, indem sie aus dem Sack ein Stück dunkles Fleisch hervorzogen (geräuchert, glaube ich) und abwechselnd ein Stück davon mit den Zähnen abrissen. Ich bot ihnen Kuchen und Obst an, was ich bei mir hatte. Die Frau riß sie mir lachend beinahe aus der Hand. Sie freute sich darüber, machte aber keine Miene zu danken. Die jungen Sioux-Krieger sehen wie eine Art großer, hübscher Hähne aus. Sie brüsten sich gewaltig, und schauen hoffärtig drein. Zuweilen aber hocken oder kauern sie sich nieder wie Affen und schwatzen unter sich mit sehr geläufiger Zunge, wie nur zwei Kaffeebasen schwatzen können. Alle Männer haben Habichtnasen, und ihre Mundwinkel sind abwärts gezogen, was ihrem Mund einen unangenehmen, höhnischen Ausdruck gibt. Nichts frappirt mich bei ihnen so sehr wie ihre Augen, denn sie haben einen gewissen harten, unmenschlichen Ausdruck. Sie scheinen mir gleich denen wilder Thiere kalt und klar mit einem festen und harten, beinahe grausamen Blick. Man glaubt zu sehen, daß sie auf irgend einen Gegenstand, einen Raub weit weg im Walde lauern. Dem Blick fehlt es nicht an schneller Fassung und Munterkeit, aber es fehlt ihm an Gefühl. Es ist ein himmelweiter Unterschied zwischen ihren Augen und denen des Negervolkes. Die ersteren sind ein kalter Tag, die letzteren sind eine warme Nacht.
Gestern Nacht fuhren wir im Mondschein durch den „Pepin-See“ hin, eine Erweiterung des Mississippi, so groß, daß sie einen weiten See bildet, umgeben mit hohen, gegen das Wasser beinahe lothrecht abfallenden Höhen, worunter eine ganz besonders hervorstehende, die Wenona-Klippe genannt wird nach einer jungen Indianerin, die hier ihr Todtenlied sang, und sich sodann in die Tiefe hinabstürzte, da sie den Tod einer Verbindung mit einem Manne vorzog, den sie nicht liebte.
Gegen Abend spät bemerkte ich einen hochgewachsenen Indianer, der mit gekreuzten Armen in seinen Fils eingehüllt unter einem großen Baum stand. Er stand so unbeweglich da, daß er mit dem Baum zusammengewachsen schien, an dessen Stamm er seinen Rücken stützte. Er sah recht stattlich aus. Auf einmal fuhr er heftig zusammen und begann unter gellendem Geschrei am Ufer hinzuspringen, und jetzt sah ich weiter weg ein Lager von ungefähr 20 Tepees im Wald, nah am Fluß, wo Feuer brannten und es von Leuten zu wimmeln schien. Am Ufer entlang lag eine Menge kleiner Kähne und ich vermuthe, daß der Warnruf des Mannes diesen galt, denn als unser Dampfboot am Platz vorüber schwenkte, – das Lager befand sich in einer Bucht des Flusses – erregte es ein wahres Erdbeben unter den kleinen Booten, die wie Nußschalen theils gegen einander, theils gegen das Ufer hin geschleudert wurden. Leute, die in den Booten saßen, sprangen auf das Ufer heraus, andere sprangen von den Zelten gegen die Boote hinab, das ganze Lager kam in Bewegung und man schrie und bellte, Menschen sowohl als Hunde, und man erhob gellende Rufe, die noch lange gehört wurden, nachdem Menomonie in brausender Schnelligkeit vorbeigeschossen war. Das Lager mit seinen Feuern, Zelten und Leuten war ein höchst wildes, lebendiges Schauspiel. An einem andern Ort sahen wir dieser Tage einen großen, hellrothen Stein auf einem Feld in der Nähe des Flusses. Man sagte mir, daß dieser Stein und alle großen Steine derselben Art den Indianern heilig seien, die darauf ihre Eide ablegen, um sie herum ihre Versammlungen halten und sie als von einer Gottheit bewohnt betrachten.
Heute Nachmittag werden wir nach Sct. Paul kommen, dem Ziel unserer Reise und der nördlichsten Stadt am Missisippi. Ich bedaure, daß ich so schnell vorankomme, ich wünschte, diese Fahrt den Missisippi hinauf könnte wenigstens noch acht Tage währen. Sie erfreut und interessirt mich unbeschreiblich. Diese neuen, so in jeder Beziehung neuen Ufer mit ihren beständig neuen Scenen, dieses wilde Volk mit seinen Lagern, seinen Feuern, Booten, seinen eigenthümlichen Sitten und Gebräuchen – das Alles ist für mich eine beständige Erquikung. Dazu kommt, daß ich dieß Alles in Frieden und Freiheit genießen kann in Folge der vortrefflichen Einrichtung der amerikanischen Dampfboote. Sie sind gewöhnlich dreieckig; das mittlere Verdeck ist hauptsächlich von denjenigen Passagieren besetzt, die, um es bequem zu haben, mehr bezahlen als die andern. Rings um dieses Verdeck geht eine breite Gallerie oder Piazza, die von dem obern Verdeck überschattet ist, und vor der Piazza sind die Kajüten der Passagiere, Seite an Seite, rings um das ganze Schiff her. Jede Kajüte hat eine mit einem Fenster gegen die Gallerie versehene Thüre, so daß man jeden Augenblick hinausgehen oder von seinem Zimmer aus das Schauspiel an den Ufern betrachten kann; und dann noch eine Thüre gegenüber nach dem Salon zu. Der Salon auf dem Hintertheil des Schiffs gehört beständig den Frauenzimmern, und rings um diesen sind ihre Kajüten; der andere größere Salon, der zugleich der Speisesaal ist, ist das Versammlungszimmer der Herrn. Jedes Stübchen, „State room“ genannt, hat gewöhnlich zwei Betten, das eine über dem andern. Aber wenn das Dampfboot nicht von Passagieren überfüllt ist, kann man leicht das ganze Zimmer für sich allein behalten. Diese Zimmer sind immer weiß bemalt, sauber, hell, freundlich; man kann auch den Tag über mit aller Behaglichkeit da sein. Der Tisch ist gewöhnlich gut und reichlich, die Reisekosten vergleichungsweise gering. So z. B. bezahle ich für die Reise von Galena nach Sct. Paul blos sechs Dollars, was mir in Vergleich mit all dem Guten, was ich genieße, und all dem Vergnügen, das ich habe, gar zu wenig vorkommt. Mein gemüthliches kleines „State room“ habe ich ganz für mich allein, und die wenigen Standespersonen, die jetzt an Bord sind, gehören nicht zur fragenden Sorte; einer der Passagiere, Mr. Sibley, ist ein kenntnißreicher, freundlicher Mann, der mir sehr interessante Aufschlüsse über die Völker und die Verhältnisse in diesen Gegenden gibt. Es sind auch einige Auswanderer-Familien da, die sich an den Ufern der Flüsse Sct. Croix und Stillwater niederlassen wollen, und diese gehören nicht zu der sogenannten guten Gesellschaft, obschon sie unter ihr sitzen – einige von den Frauenzimmern rauchen aus Meerschaumpfeifen. Besonders sind es ein paar halberwachsene Mädchen, die mir mitunter bedeutend im Wege stehen. Namentlich eine von ihnen, eine hochaufgewachsene, ungeformte Dirne, in einem hellrothen, ziegelfarbigen Kleid, und mit feuerrothem Haar, das quastenartig am Hals hinaussteht; dabei schielt sie noch, und so oft sie kommt, bleibt sie gerade vor mir mit gekreuzten Armen und offenem Munde stehen, um mich anzugaffen, wobei auch ihre Augen sich kreuzen, gleich als gaffte sie irgend ein ungewöhnliches Thier an; und mitunter kommt sie auf einmal mit irgend einer unnöthigen, unverständigen Frage an mich herangetappt. Ich betrachte diese Naturkinder als zu den mythologischen Wundern des großen Westens gehörig, als Töchter seiner Riesen und Jothune, und ich genire mich nicht, sie etwas kurz abzufertigen. Ach man mag mit noch so demokratischen Grundsätzen in diesen Weltheil kommen, man läuft immer Gefahr auf der Herumreise bis auf einen gewissen Grad Aristokrat zu werden. Bis auf einen gewissen Grad: mehr werde ich es nie, und wenn sich noch so viel Riesentöchter zeigen, daß sie mir die Aussicht ganz benehmen. Das ziegelfarbige, dummdreiste Mädchen hier würde — ich bin es vollkommen überzeugt — wenn man ihr einige wenige freundliche Worte der Erziehung sagte, andere Manieren und Sitten annehmen; und wenn ich länger bei ihr wäre, so dürften wir noch gute Freundinnen werden. Und da ist in einer dieser Auswandererfamilien eine alte — wiewohl nicht sehr alte Großmutter, so besorgt, so still, wirksam und geschäftig für alle die Ihrigen, so sichtlich gut und mütterlich in ihrer Natur, daß man ihr ihre Fragen und Unkenntniß in der Geographie gern zu gut halten müßte, wenn man selbst recht gut wäre. Aber das ist man nicht, wenn man durch die Façons der Riesentöchter um seinen Humor gebracht wird und gern Ruhe haben möchte.
Der Schiffskapitän, Mr. Smith, ist ein ausgezeichnet artiger und angenehmer Mann; er ist am Bord mein Cavalier, und auf seinem Boot herrscht die beste Ordnung.
Wir sehen jetzt auf den Ufern keine Spuren von europäischer Kultur mehr, nur indianische Hütten und Feuer. Vom Pepinsee her sind die Ufer auf der ganzen Fahrt niedriger und die Natur weniger großartig geworden.
Anmerkungen (Wikisource)
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