Zum Inhalt springen

Die Heimath in der neuen Welt/Zweiter Band/Einunddreißigster Brief

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dreißigster Brief Die Heimath in der neuen Welt. Zweiter Band
von Fredrika Bremer
Zweiunddreißigster Brief
{{{ANMERKUNG}}}
Textdaten
<<< >>>
Autor: Fredrika Bremer
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Die Heimath in der neuen Welt, Zweiter Band
Untertitel: Einunddreißigster Brief
aus: Vorlage:none
Herausgeber:
Auflage:
Entstehungsdatum: 1854
Erscheinungsdatum: Vorlage:none
Verlag: Franckh
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Stuttgart
Übersetzer: Gottlob Fink
Originaltitel: Hemmen i den nya verlden. Andra delen.
Originalsubtitel: Trettiondeförsta brefvet
Originalherkunft: Schweden
Quelle: Scans auf Commons
Kurzbeschreibung: Erinnerungen über Reisen in den USA und Cuba
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite

Einunddreißigster Brief.
Arche Noä (auf dem Missisippi) den 18. Dec. 1850.

Vorgestern den 16. dieses verließ ich Cincinnati. Meine guten vortrefflichen Wirthsleute begleiteten mich an Bord des Dampfbootes und überhäuften mich noch im letzten Augenblick mit Beweisen ihres Wohlwollens, die alle leicht und angenehm zu tragen sind, denn sie wurden mit warmem Herzen gegeben, sie werden mich nach Schweden begleiten und allda an den schönen Ohio und meine Heimath in Cincinnati erinnern. Der gute Jothun, Mr. Stetson schenkte mir eine Sammlung von Muscheln aus dem Ohiofluß, wovon einige unendlich schön sind und auf weißem Grund in alle Farben des Regenbogens hinüberspielen.

Es war ein schöner sonnenwarmer Tag, als ich abreiste, und Cincinnati, seine rebenbepflanzten Höhn, seine schönen Landhäuser und der Ohiofluß leuchteten in der Sonne. Auch in meiner Seele war es sonnenwarm. Die Beweise von Freundlichkeit, die ich in den lezten Tagen von mehreren Freunden in der Stadt empfangen hatte, umschmeichelten mich wie lauwarme Sonnenwinde. Aber ich war sehr müde in Folge einer Migräne und der Anstrengungen des Tages. Ich sehnte mich nach Ruhe und Stille.

Das Riesendampfschiff Belle-Key bewegte sich langsam mit dumpfem Gedonner den hellblauen Fluß hinab; die hohen Ufer mit ihren wechselreichen Scenen glitten freundlich und schön vorüber. Der Fluß wurde breiter, die Höhen senkten sich, die Landhäuser verschwanden, die Farmen und Blockhäuser kamen zum Vorschein, die Ufer wurden waldiger und öder. Wir nähern uns dem Missisippi. Was ist da los? Warum springt alles Volk nach dem Hintertheil des Schiffs? Eine Jagd auf dem Wasser! … Ein Kronhirsch schwimmt über den Fluß von Kentucky her nach dem Ohioufer hinüber. Er ist nicht mehr weit von dem freien Strande. Aber zwei Boote setzen ihm nach von dem Ufer des Sklavenstaates her. Seine stolzen Hörner stehen hoch über dem Wasser. Er schwimmt rasch, vielleicht daß er sich retten kann. Jetzt ist er dem Ufer nahe. Ach! aber jetzt zieht ein Boot von dem freien Ufer gegen ihn aus. Wehe dem armen Flüchtling! Er kehrt um, die zwei Boote von Kentucky begegnen ihm. Jetzt ist er umringt. Ich sehe auf allen drei Booten Ruder sich erheben, um ihm den Todesstreich zu versetzen. Der schöne Kopf zeigt sich noch über dem Wasser. Jetzt fallen die Ruder über ihn herab! … Ich wende mein Angesicht weg… Das Dampfschiff biegt um eine Landspitze. Entschwunden ist das Schauspiel der wilden Jagd. Der wehrlose Flüchtling befindet sich in der Gewalt seiner Verfolger. Ich bin müde und niedergeschlagen. Die Luft ist lieblich, das Wasser hell und klar. Der Himmel ebenfalls klar. Findet nicht der Hirsch jenseits des Todesflusses irgend ein unverletzliches Gebiet, wo er nach der wilden Jagd ausruhen kann?! ……

Das Dampfschiff Belle-Key gehört zu der Familie der Flußriesen. Ich nenne es Arche Noä, denn es hat mehr als tausend Thiere von allerlei Arten an Bord, auf dem Verdeck unter und über uns. Ungeheure Ochsen[WS 1] (wahre[WS 2] Mammuthochsen, so fett, daß sie kaum gehen können), Kühe, Kälber, Pferde, Maulesel, Schafe, Schweine zu vielen Dutzenden, lassen sich vom untern Verdeck her vernehmen und schicken uns mitunter minder angenehme Düfte zu; und auf dem Verdeck über uns gackeln Truthähne, Gänse, Enten, Hennen; Hähne krähen und raufen sich, kleine Spanferkel springen munter herum zwischen den Ställen des Federviehs. Auf dem mittleren Verdeck, wo wir Adamssöhne und Töchter uns befinden, ist es mitunter äußerst angenehm. Der Damensalon ist groß und schön, die Reisenden nicht zahlreich und angenehme Personen. Ich bin allein in meiner Kajüte. Es ist mir wohl wie einer Prinzessin — im Mährchen. Mein Reisekavalier, Mr. Lerner Harrison gehört zu dem energischen und warmherzigen Schlag von Amerikanern und ist dabei ein sehr angenehmer Mann, mit der Mischung von brüderlich offener Herzlichkeit und ritterlicher Galanterie im Verhalten zu einer seinem Schutz anbefohlenen Dame, wodurch die Männer der neuen Welt zu den angenehmsten Gesellschaftern werden, die sich ein Frauenzimmer, zumal eine Ausländerin, nur wünschen kann. Keine kreischenden babies stören die Ruhe an Bord, und das Gegrunze der Schweine sowie andere Töne von den Thieren in unserer Arche Noä lassen wir uns nicht anfechten. All dieses Gethier ist für die Christmesse in Neu-Orleans bestimmt.

Den 19. December.  

Der Missisippi-Missouri fließt trübe und breit mit steigendem Wasser voll von Treibholz, Baumstämmen und Klötzen, die uns zuweilen tüchtige Püffe versetzen. Die Ufer sind niedrig und sumpfig, mit kahlem Laubwalde bedeckt, einer Art von Pappeln, die man hier coton wood (Baumwollholz) nennt. Dieß ist schauerlich einförmig. Das Wetter ist graukalt und Alles um uns her sieht grau aus. Wir haben jetzt Missouri zu unserer Rechten, Kentucky zu unserer Linken: es thut mir leid, daß ich nicht Zeit gehabt habe von Kentucky und seiner Bevölkerung mehr zu sehen. Die Leute sind eigenthümlich in Bezug auf Aussehen sowohl als auf Charakter. Sie sind hochgewachsene, in ihrer ganzen Erscheinung ungezwungene, freimüthige, redselige, lustige, gutartige, herzliche Gesellen, Leute, die mir gefallen würden. Und dann „Skyrners Handschuh,“ die Mammutgrotte und das grüne Flüßchen, das dahin führt — das hätte ich sehen müssen. Aber Harrison erzählt so anschaulich von der Grotte, daß ich beinahe meine, ich habe sie gesehen.

Ich muß Dir von einem Vergnügen erzählen, das er mir Abends auf dem Ohio bereitete. Er fragte, ob ich die Neger der Schiffsmannschaft singen hören wolle, dann führte er mich aufs unterste Verdeck und hier sah ich eine seltsame Scene. Der ungeheure Ofen, wo das Feuer zur Treibung der Dampfmaschine unterhalten wird, liegt ganz oben auf dem Verdeck, mit acht bis neun großen Oeffnungen neben einander, die nach der Vorderseite gekehrt sind; sie gleichen klaffenden Feuerschlünden, und bei jedem Schlund stand ein bis um den Leib nackter Neger und warf Scheiter hinein. Die Scheite wurden ihnen von andern Negern gereicht, die auf einem geräumigen freien Platz zwischen ihnen und einem Neger aufgestellt waren, der auf einer hohen Holzbeuge stand, von wo er mit raschen Armen die Nahrung für das Ungeheuer auf dem Verdeck herabreichte. Harrison forderte die Neger auf zu singen. Der auf der Holzbeuge stehende Neger begann sogleich ein improvisirtes Lied in Stanzen; wobei die unten auf dem Verdeck stehenden Neger in kräftigem Chor einstimmten. Es war ein fantastisch schönes Schauspiel, diese energischen schwarzen Athleten, beglänzt von den wildprasselnden Flammen aus dem Feuerschlund, zu sehen, wie sie während ihrer eben so fantastischen Gesänge mit ausgezeichnetem Takt und Rhythmus ein Scheit nach dem andern in den gefräßigen Schlund schleuderten. Alles gieng so lebhaft und so methodisch von Statten, und auch der Shauplatz war so geräumig und wohl geordnet, daß die Scene auf jedem Theater hätte Effekt machen müssen. Die Improvisation gieng endlich darauf hinaus, daß die Sänger noch einmal so lustig sein und noch einmal so schön singen würden, wenn sie bei ihrer Aukunft in Louisville ein wenig Branntwein bekämen, und daß sie Branntwein kaufen könnten, wenn man ihnen ein wenig Geld schenkte.

Mr. Harrison gestattete auch nicht, daß sie sich in ihren Hoffnungen täuschten.

Noch sind wir in Missisippis Kornregion; aber bald kommen wir in die Baumwollenregion. Wir haben jetzt Arkansas zur Rechten und Tennesee zur Linken, Sklavenstaaten mit reichen Mitteln, aber noch roh in Bezug auf geistige und materielle Kultur.

Den 20. December.  

Jetzt sind wir in der Baumwollenregion. Die Ufer sind noch auf beiden Seiten niedrig und sumpfig mit Baumwollpappelwäldern (cotton wood) bedeckt, die jetzt entlaubt sind. Da und dort werden sie von einer Baumwollenpflanzung mit weiß angestrichenen Sklavendörfern und Häusern der Plantagenbesitzer durchbrochen, und man sieht schwarze Gestalten auf der grauen Erde sich bewegen, die Baumwolle auflesend, die noch auf den schwärzlichen Büschen sitzt. Ich war heute mit Mr. Harrison auf dem Land in einer Baumwollenplantage und da brach ich von den Gebüschen um eine Sklavenhütte her einige Zweige, von denen Baumwollenflocken herabhingen. Die Baumwollenbüscheln kommen unendlich schön aus den geöffneten Kapseln des Samenhauses. Jeder Samen ist in Baumwollenpolster eingebettet, die Baumwolle ist die Umkleidung des Samens. Du sollst es sehen, wenn ich nach Hause komme.

Wir haben jetzt Arkansas zur Rechten und den Missisippistaat zur Linken. Am Fluß entlang zeigen sich die Cannebrakes, dicke schilfartige Rohre, die gleich festen Mauern zwischen dem Fluß und dem Lande stehen.

Soweit kam Pater Marquette auf seiner sonnenbeglänzten Missisippifahrt vom Norden her. Bis hieher kam auch vom Süden her der erste europäische Entdecker des Missisippi, der Spanier Ferdinand von Soto.

Die Entdeckung des Missisippi hat zwei Poesien. Die eine ist so schön und sonnenhell, wie seine idyllischen Inseln, seine klaren Wasser im Norden; die andere so melancholisch, so tragisch düster, wie die Farbe des Flusses und die Landschaft, die ich jetzt durchfuhr. Der Held der ersteren ist der sanfte anspruchslose Pater Marquette, von welchem ich Dir erzählt habe, der Held der letzteren ist der stolze Krieger Ferdinand von Soto.

Er hatte mit Pizarro Peru erobert; er hatte sich bei der Erstürmung von Cusco ausgezeichnet und zur Belohnung dafür wurde er von Ferdinand in Spanien mit Ehre und Schätzen überhäuft. Der König ernannte ihn zum Gouverneur von Cuba. Sein stolzes ehrsüchtiges Gemüth verlangte mehr. Bethört von falschen Propheten und zuvörderst von seinem eigenen Herzen, verlangte er auf eigene Kosten eine Expedition auszurüsten, die von Florida aus in Nordamerika eindringen und dort noch reichere Schätze und schönere Länder für Spanien erobern sollte, als man in Mexiko und Peru gefunden. Und bei seinem eigenen festen Glauben an das glückliche Unternehmen vermochte er eine solche Begeisterung dafür hervorzurufen, daß große Schaaren von Spaniens reichen Jünglingen herbeiströmten, um sich unter seinen Befehl zu stellen. Sie verkauften ihre Weinberge, ihre Häuser, ihr Geschmeide, um kostbare Rüstungen, Waffen und Pferde zu kaufen. Unter den Vielen, die sich zu der neuen Entdeckungsfahrt bereit erklärten, wählte Soto eine Schaar von sechshundert jungen Männern aus, waghalsig, unternehmend, stolz gleich ihm selbst.

Nichts war prächtiger als der Anblick der Landung dieser stolzen Cavaliere auf dem Ufer der neuen Welt, als sie ihre Fahnen und Standarten im Winde flattern ließen, in Floridas mildem Wind, so voll von Jugendleben und berauschendem Lebenselixier. So galoppirten sie in glänzenden Rüstungen und mit den kostbarsten Seidestoffen bedeckt auf dem Ufer zwischen dem Meer und dem unbekannten Lande hin, das sie sich voll von Gold und großen Städten dachten.

Ferdinand von Soto, der sich und den Seinigen die Möglichkeit eines durch Wankelmuth oder Furcht verursachten Rückzuges versperren wollte, schickte seine Schiffe nach Cuba zurück und drang mit seinen Kriegern in die Wildnisse der neuen Welt. Sie hatten alle Arten von Waffen und Werkzeugen bei sich, wie auch Ketten und Bluthunde für die Eingebornen.

Dieß geschah im Mai des Jahrs 1539.

Ueberall wohin sie in der Wildniß drangen, wurde die katholische Messe in der strengsten Form und mit der größten Pracht aufgeführt; überall aber begiengen sie auch übermüthige und grausame Thaten gegen die Einwohner des Landes. Im Lager fröhnten sie mit wahrer Wuth der Leidenschaft des Spiels.

Die westwärts gerichtete Expedition des ersten Jahres führte sie nach Georgien, damals noch gleich dem ganzen unbestimmten südöstlichen Festlande Florida genannt. Der Marsch war beschwerlich, oft gefährlich durch die Feindseligkeit der Indianer. Sie fanden Mais im Ueberfluß, aber kein Gold und keine Städte, sondern blos unansehnliche Indianerdörfer. Und die Indianer wußten kein Land anzugeben, wo Gold zu finden wäre. Einige aus der Schaar verlangten, ihr Anführer solle umkehren. Aber er antwortete:

„Ich werde nicht umkehren, bevor ich mich mit meinen eigenen Augen von der Armuth des Landes überzeugt habe.“

Und er ließ die Indianer, von denen er glaubte, sie haben ihn absichtlich auf falsche Spuren geführt; verbrennen oder verstümmeln.

Dadurch erschreckt gaben andere gefangene Eingeborene zu verstehen, daß weiter nordwestlich Gold zu finden sei.

Und Soto und seine Mannen wanderten weiter, überall verheerend und plündernd.

Die Expedition des zweiten Jahres führte sie in die Höhlande Georgiens, wo sie die friedlichen sanften Cherokeeindianer trafen. Ein Theil von Sotos Leuten wollte sich in diesen schönen Gegenden niederlassen, das Feld bestellen und das Gute genießen, das die Erde ihnen geben würde.

Aber Soto hatte Spanien Gold und große Städte verheißen. Der stolze Spanier wollte nicht ruhen, bevor er diese gefunden hätte. Er war ein hartnäckiger, wortkarger und mit starkem Willen begabter Mann. Seine Begleiter beugten sich vor diesem Willen.

Sie zogen weiter, kamen nach Alabama und dort in ein großes Dorf, Movila, später Mobile geheißen. Hier erhoben sich die Indianer gegen sie. In einem schrecklichen nächtlichen Blutbad verloren die Spanier einen Theil ihrer Leute, sowie viele Kleider und Vorräthe, die nebst der Indianerstadt ein Raub des Feuers wurden.

Spanische Schiffe kamen jetzt von Cuba nach der Pensacolabucht in der Nähe Movilas. Aber Soto hatte noch immer kein Silber und kein Gold gefunden; die Flammen Movilas hatten seine gesammelten Schätze verzehrt, und zu stolz, um das Fehlschlagen seiner Hoffnungen einzugestehen, beschloß er keine Nachrichten von sich zu geben, bis er das Gesuchte gewonnen hätte. Er wandte sich von der Meeresküste ab und drang im Nordwesten in den Missisippistaat ein. Sein kleines Heer war jetzt bis auf fünfhundert Mann zusammengeschmolzen.

Im nördlichen Theil von Missisippi wurde er von dem Winter mit Kälte und Schnee überrascht. Aber Mais stand noch auf den Feldern; die Spanier konnten sich für den Winter Nahrung und in den verlassenen Hütten der Chickasaw-Indianer Wohnungen verschaffen. Noch hatten sie kein Gold gefunden. Auch besaßen die Indianer kein goldenes Geschmeide. Sie waren arm, aber sie liebten die Freiheit. Als Soto im Frühjahr ein Geleite von zweihundert Mann von ihnen verlangte, um das Gepäck seiner Leute zu tragen, da zündeten die Indianer sein Lager an und ihre kriegerischen Rufe erschollen durch die Nacht und die Flammen hindurch.

Die Spanier verloren hier die Kleider und Vorräthe, die Movilas Flammen ihnen noch gelassen hatten. Sie waren nackter als die Eingebornen; sie litten von Hunger und Kälte.

Aber mit der Noth wuchs auch Sotos Stolz und Hartnäckigkeit. Sollte er, der die Schätze der Welt zu erobern versprochen hatte, mit halbnackten von Allem entblößten Leuten zurückkehren?

Er ließ den Gefangenen die Ketten abnehmen, er schmiedete neue Waffen, er kleidete seine Leute in Thierfelle und Epheuteppiche und er drang weiter westwärts, das Goldland zu suchen.

Sieben Tage lang wanderten sie durch Wildnisse von Wäldern und Morästen. So kamen sie zu indianischen Dörfern am Missisippiufer.

Ferdinand von Soto war der erste Europäer, der den gewaltigen Fluß sah.

Der Verlauf von drei Jahrhunderten hat den Charakter desselben nicht verändert. Er wird als breit und trübe geschildert mit starker Strömung und einer Menge von Baumstämmen, die den Fluß hinabschwammen.

Im Mai 1541 begaben sich die Spanier auf großen Barken, die sie selbst gezimmert hatten, über den Fluß. Soto drang in Arkansas ein. Hier wurden die Spanier von den Einwohnern als Kinder der Sonne begrüßt und man führte Blinde zu ihnen, damit sie durch die Söhne des Lichtes der Sehkraft theilhaftig werden möchten.

„Betet nur zu Gott, der im Himmel wohnt,“ antwortete Soto, „und er wird euch bescheeren, was ihr bedürfet.“

Seinem dunkeln Drange folgend, begab sich Ferdinand von Soto tiefer nordwestlich ins Land hinein und gelangte bis ins Hochland des weißen Flusses, 200 Meilen westlich vom Missisippi. Aber die Berge hier hatten weder Gold noch Edelstein.

Soto überwinterte mit seiner Schaar in einer Indianerstadt an dem weißen Fluß Washita, bei einem friedlichen Indianerstamm, der Ackerbau trieb und feste Städte hatte. Die jungen Cavaliere verübten gegen die friedlichen Einwohner alle Arten von Grausamkeit, die ihnen ihre Launen eingaben. Soto selbst hatte, sagt man, keine Freude an Grausamkeiten. Aber die Rechte und das Leben der Indianer wurden für Nichts angesehen.

Im Frühling des folgenden Jahres beschloß Soto den Washita bis zu seiner Mündung zu verfolgen, um Nachrichten vom Meere zu erhalten. Er verirrte sich in den Morästen längs dem rothen Fluß und seinen Nebenflüssen. In einer Provinz, genannt Guachoga, fragte er den Häuptling, wie weit es von da bis zum Meere sei. Der Häuptling konnte es nicht sagen. „Gibt es bis zur Mündung des Flusses bewohnte Orte im Lande?“ Man antwortete, das Land sei weiter nichts als eine unbewohnte Sumpfgegend. Soto wollte an eine so beängstigende Angabe nicht glauben und sandte Reiter aus, um das Land südwärts dem Missisippi entlang zu untersuchen. Sie konnten in 8 Tagen nicht über 30 Meilen weit kommen, da sie jeden Augenblick durch Moräste in den dicken Wäldern und durch undurchdringliches Geröhricht aufgehalten wurden.

Der Gouverneur vernahm ihren Bericht mit düsterem Schweigen. Pferde und Leute starben rings um ihn her und die Indianer begannen immer gefährlicher zu werden. Er versuchte einen Indianerstamm in der Nähe von Natchez dadurch zu ängstigen, daß er sagte, er sei von übernatürlicher Herkunft, und er verlangte von den Eingeborenen Gehorsam.

Der Häuptling antwortete: „Du sagst, daß Du der Sohn der Sonne seist. Trockne diesen Fluß aus und ich will Dir glauben.“

Ferdinand von Soto vermochte nicht mehr zu ängstigen oder zu strafen.

Sein hochmüthiger Eigensinn und Stolz hatte sich in düstere Melancholie verwandelt und seine Gesundheit begann im Kampf mit Widerwärtigkeiten aller Art zu leiden. Ein bösartiges Fieber verzehrte ihn, zumal da ihm die erforderliche Pflege gänzlich abging. Sein kleines Heer war jetzt auf 300 Mann zusammengeschmolzen.

Als er das Herannahen des Todes verspürte, berief er die Ueberreste seiner getreuen Begleiter, die ihm bis zum letzten Augenblick gehorchten, um sich und ernannte seinen Nachfolger.

„Tags darauf starb er. Seine Soldaten verkündeten sein Lob, indem sie seinen Verlust betrauerten. Die Priester sangen über ihm das erste Requiem, das an den Wassern des Missisippi gehört wurde. Um seinen Tod zu verbergen, legte man seine Leiche in einen Mantel, und in der Tiefe der Nacht trugen sie ihn hinaus auf den Missisippi und senkten ihn schweigend in die Mitte des Stromes hinab.“

Es war jetzt wieder Mai, und der Frühling brach herrlich auf über den Missisippi, aber Soto brach nicht mehr auf, um sich daran zu erfreuen.

„Der Entdecker des Missisippi,“ fügt sein Biograph hinzu, „schlief unter den Wassern desselben. Vier Jahre war er gewandert, er hatte einen großen Theil des Continents durchzogen, um Gold zu suchen. Und er hatte nichts so Merkwürdiges gefunden, wie die Stelle für sein Grab.“

Pater Marquette, der am Fuß des Altares ohne Krankheit und Kummer nach einem Leben voll friedlicher Eroberungen und ununterbrochenen Glückes entschlummert, und Ferdinand von Soto, der langsam unter Morästen und Widerwärtigkeiten dahin stirbt, das stolze Herz zerfressen von den Dämonen der Bekümmerniß und Demüthigung — welche Gemälde! Hat die Poesie wohl ein freundlicheres als das erstere, und ein düstereres als das letztere?

Den 21. Dezember.  

Der Missisippi fließt grau, trübe und breit, immer breiter, immer trüber meine ich, unter einem herbstgrauen naßkalten Himmel. Seine Wasser schwellen und steigen in dieser Zeit mit jedem Tage höher. Ueberall sind die Ufer niedrig und morastig, dabei mit cotton woods und Cannebrakes bedeckt. Auf dem Missisippi schwimmen große Zimmerblöcke und alle möglichen Dinge, die von Wracken und Zerstörung erzählen. Der große Fluß scheint mir eine Sündfluth zu sein und er hat auch ein großes Sündenregister. Aber unsre stattliche Arche Noä, die noch kosmopolitischer ist, als ihre älteste Vorgängerin, schwimmt auf den Wogen des großen Kosmopoliten Missisippi mit ruhigem Gewissen dahin und ist ein so angenehmer Platz, daß ich, obschon ich mitunter an Sündfluth und des Missisippis Sündenregister, sowie an Sotos Schicksal in diesen Gegenden denke und an der düstern Ländschaft, dem dunkelgrauen und dem gleichfarbigen Himmel den Stempel seines Geistes erblicke, gleichwohl mich ganz leicht und wohlgemuth fühle. Es schmeichelt mir, daß ich als Weltbürgerin von dem großen Weltbürger getragen werde, und es schmeichelt mir, daß ich jetzt seine geographische Geschichte bis an sein Ende kennen lerne, daß ich sodann das schöne Cuba und das Leben der tropischen Zone sehen werde, und darum denke ich — gar mancherlei Gedanken! …

Alles an Bord ist still und geht in Ordnung und Ruhe vor sich. Vormittags bin ich für mich selbst, lese ein wenig amerikanische Geschichte und Buchanans Journal of man und lasse meine Gedanken mit dem Strom auf den Ozean hinausfahren. Nachmittags und Abends genieße ich die Gesellschaft einiger angenehmen Reisegefährten an Bord. Wenn die Stunde der Mahlzeiten kommt, steht immer Mr. Harrison im Salon bereit, mich zu Tische zu führen, und Morgens reicht er mir mit brüderlicher Herzlichkeit seine Hand zum Frühgruß. Er setzt sich neben mich zu Tisch, nennt mir die Gerichte, sagt, was ich essen soll, und hat immer Recht, er ist in jeder Beziehung gemüthlich und angenehm; er erinnert mich in seinem Wesen oft an unsern Kapitän G. und hat auch die Aehnlichkeit mit ihm, daß er trotz einer sehr schönen Dosis von gesundem Verstand und Geist seinen eigenen Kopf als minder gut ausgestattet zu verläumden pflegt. Wie es mit seinen Kenntnissen bestellt ist, weiß ich nicht, aber das weiß ich, daß starke praktische Naturen, wie die seinige, wenn sie ein warmes Herz und eine edle Denkungsart damit verbinden, auf mich überaus beruhigend und zugleich erfrischend einwirken. Einen Mann, der von seinem selbsterworbenen Reichthum seinem Vater und seiner Schwester ein Haus kauft und ausstattet, möchte ich zum Bruder haben; aber nicht just um des Hauses willen.

Die Thiere über und unter uns belustigen mich gleichfalls mit Ausnahme der Schweine, die ich alle zusammen in dem Missisippi ertränken möchte, denn sie schicken widerwärtige Dünste mitunter bis zu unserer Piazza herauf. Die mannigfaltigen Töne dieses Gethiers sind aus der Entfernung nicht unangenehm zu hören und die Bestien sehen so behaglich und wohlhäbig aus, daß ich gewöhnlich einmal des Tags eine Runde mache, um sie zu begrüßen. Die Ochsen sind so fett, daß sie kaum aufstehen können, wenn sie sich gelegt haben, und sie müssen Morgens mittelst tüchtiger Liebkosungen mit der Peitsche dazu aufgefordert werden.

Ich muß Dir von ein Paar neuen Bekanntschaften erzählen, die ich an Bord gemacht habe. Zuerst nenne ich zwei junge Schwestern aus Vermont, wahre Rosenknospen in Bezug auf ihre äußere Erscheinung und Seelen vom reinsten Krystall, ächte Töchter Neuenglands, auch darin, daß sie zu Hause gemächlich leben könnten, aber es vorziehen, als Lehrerinnen ihr Brod und ihre selbstständige Existenz zu erwerben. Du würdest über sie entzückt sein, wie ich es bin. Die älteste Schwester ist fünfundzwanzig Jahre alt und steht im Begriff, die Leitung eines Frauenzimmerseminars im Missisippistaat zu übernehmen. Die jüngere zählt erst siebzehn Jahre und will als Schülerin in die Erziehungsanstalt treten, wo die Schwester Oberlehrerin sein wird. Beide sind allerliebst, Beide haben ihre Lieblingsbrüder, von denen sie nicht genug Liebes und Gutes erzählen können und deren Porträts sie mir gezeigt haben. Ihre Eltern sind gestorben. Hier auf dem Schiff sind sie auf eigene Faust. Sie stehen zuweilen mit einander auf der Piazza und singen liebliche Duette.

Die älteste gehört zum schönsten Typus der jungen Lehrerin der neuen Welt, dieser jungen Frau, die, obschon fein und schmächtig von Gestalt und mit allen weiblichen Reizen begabt, fester auf ihrem Boden steht, als die Alpen und Pyramiden der Erde; die den Euklid und die Algebra so gut als irgend ein Magister im Kopf trägt und die es besser als irgend ein Magister versteht, eine Schule von unbändigen Jungen im Zaume zu halten. „Oh, I love to rule little boys!“ (Oh, ich liebe es, kleine Jungen zu bändigen!) sagte Miß G. mit einem Lächeln, das in seiner Lieblichkeit viel schalkhaftes Machtbewußtsein hatte. Und mit dieser Macht der Güte und schönen Weiblichkeit zieht sie ruhig dahin, um ihren Beruf als Lehrerin zu übernehmen, aber nicht blos als Lehrerin, sondern mit dem Gefühl, eine der jungen Mütter der Menschheit zu sein.

Und ich kenne kein schöneres Bild. Solche junge Weiber sind die wahren Romanheldinnen unserer Tage.

Als ich fragte, woher die liebliche Jungfrau ihre Kraft und milde Anmuth, ihr hohes Gefühl vom Adel des Lebens und vom Ziele der Menschheit geschöpft hatte, da erhob sich in holder, aber ernster Schönheit das Bild ihrer dahingegangenen Mutter.

„Ich erinnere mich — erzählte sie eines Abends, als wir zur Dämmerungszeit in einer Causeuse saßen — ich erinnere mich, wie sie, als ich noch ein kleines Mädchen war, Morgens mit mir auszugehen und über die grünen Hügel hin zu spazieren pflegte, wenn der Thau noch im Gras glänzte, wie sie mir dann die kleine Kleeblume auf dem Feld zeigte, die mein Fuß zertrat, wie sie mir die Vollkommenheit derselben auseinandersetzte und mich kosten ließ, wie reich sie an Honigsaft war.“

Klare Perlen glänzten in den schönen Augen der Erzählerin. Die kleine Kleeblume hatte ihr Haupt erhoben. Sie war Mensch geworden.

Ich sah Powers Amerikanerin vor mir, aber nicht blos in Marmor, sondern leibhaftig und lebendig.

Meine andere angenehme Bekanntschaft an Bord ist ein Herr zwischen vierzig und fünfzig Jahren, mit einem jener reinen schönen Gesichter, zu denen man nothwendig Vertrauen fassen muß: er erinnert durch seine Offenheit und seinen Ernst an unsern König Gustav II., obschon seine Miene einen weniger kriegerischen Ausdruck hat. Mein neuer Freund hat etwas Phlegmatisches und Contemplatives. Seine Unterhaltung gewährt mir ungemeines Vergnügen. Erschrick nicht, wenn ich Dir sage, daß er lange als Plantagenbesitzer und Sklavenhalter in den südlichen Staaten gelebt hat. Du kannst an seinen schönen tiefblauen Augen sogleich sehen, daß er der beste Herr in der Welt gewesen ist. Erschrickst Du, daß ich mich in ihn verlieben möchte, und siehst Du bereits im Geist, wie ich ihm meine Hand reiche, um mich auf einer Baumwollenpflanzung am Missisippi, mitten unter den Negersklaven, niederzulassen?! …

Ja, wäre ich jünger und wäre mein Lebensziel weniger bestimmt, als es jetzt ist, so gestehe ich, daß sich unter diesen amerikanischen Herrn mit ihrer Energie, Herzlichkeit und Ritterlichkeit der Eine und Andere vorfindet, der meinem Herzen gefährlich werden könnte. Aber so wie es jetzt steht, nehme ich jedes Gefühl herzlicher Zuneigung, das Mann oder Weib mir einflößt, mit ruhiger Dankbarkeit hin als eine Würze bei dem guten Mahl des Lebens, wie den Sonnenstrahl und den Lenzwind, die den Tag verschönen. Ich suche sie nicht; aber wenn sie kommen, erfreue ich mich daran, wie an Blumen, welche die Hand des allgütigen Vaters geschenkt.

Was jetzt diesen angenehmen Herrn insbesondere betrifft, so ist er bereits verheirathet und reist der Gesundheit seiner Frau wegen mit seiner Familie über den Winter nach Cuba und von da nach Europa. Seine Frau ist kränklich, hat aber denselben Charakter ernster Milde, wie er. Beide Gatten scheinen einander innig zugethan. Warum müssen solche Menschen Sklavenhalter sein? oder vielmehr warum können nicht alle Sklavenhalter solche Menschen sein?

Die Frau des Plantagenbesitzers sagte mir, ihr Mann habe auf der Plantage nie rechten Seelenfrieden gehabt, weil der Gedanke an seine Sklaven, sowie der Wunsch ihnen ihr Recht und die gebührende Pflege zukommen zu lassen, ihn Tag und Nacht beunruhigt habe. Er fürchtete immer, nicht genug für sie gethan zu haben.

Wir sind jetzt in der Nähe von Wicksburg, einer übelberüchtigten Stadt am Missisippi, die aber auch die Fähigkeit der Nordamerikaner zur Selbstregierung beweist. Vor einigen Jahren hatte sich eine Bande desperater Spieler und Abenteurer da niedergelassen. Sie hielten Spielklubbe, verlockten junge Männer dahin, fiengen Schlägereien an, schoßen mit Pistolen auf den Straßen und in die Häuser hinein und erlaubten sich wilde Streiche aller Art. Die weisen Männer in der Stadt versammelten sich und gaben den Spielern zu verstehen, sie sollen binnen acht Tagen die Stadt verlassen, sonst werde man sie nach Verfluß von acht Tagen festnehmen und — aufknüpfen. Die Spieler verachteten die Warnung, spielten weiter, rauften sich herum und schoßen nach, wie vor. Als die achttägige Frist verlaufen war, versammelten sich die Männer der Ordnung, ergriffen sie, knüpften die Schlimmsten von der Bande auf, setzten die Uebrigen auf ein Boot und schickten sie auf den Missisippi hinaus. Ein solches Verfahren nennt man Lynchgesetz, und es ist die eigenmächtige Justiz des Rechtsgefühls an Orten, wo sich noch keine regelmäßige, bevollmächtigte Korporation befindet, die berechtigt ist, nach den gewöhnlichen Rechtsformen das Recht zu handhaben. Seit dieser Execution, die, glaube ich, im vorigen Jahre stattfand, ist Wicksburg ein ganz anständiges Städtchen.

Bald kommen wir aus der Baumwollenregion hinaus und in die Zuckerregion. Aber wann werden wir in die Sommerregion kommen? Es ist noch immer kühl und kalt.

Den 22. Dezember. 

Jetzt sind wir darin! jetzt sind wir darin! Und des Sommers Winde und Sonnenschein umgeben uns! Aber — ich muß Dir in Ordnung erzählen, was hier einen Wendepunkt in meinem innern Leben hervorgerufen hat.

Es ist der siebente Tag unserer Reise auf dem Missisippi hinab. Als ich heute früh auf die Piazza hinauskam, glaubte ich mich in eine verzauberte Welt versetzt. Die lieblichste Sommerluft umkoste mich; der mildeste blaue Himmel lachte über dem Missisippi und über den offenen angebauten Feldern auf seinen Ufern; weiße, sommerleichte Wolken wurden von dem lauen Winde gejagt, und auf den grünenden Gefilden glänzten zierliche Häuser in Hainen von Orangenbäumen, Rosenhecken, Cypressen und Cedern. Ein unbeschreiblich mildes und liebliches Schönheitsleben athmete in Allem und über Alles. Alles war verwandelt. Wir waren unter Memphis in die Zuckerregion gekommen oder in die Gegend, wo das Zuckerrohr angebaut wird, zugleich mit der Baumwolle und dem Mais. Wir waren an Natchez vorbeigefahren, wo ein mächtiger Indianerstamm vor Zeiten die Sonne anbetete und ein ewiges Feuer unterhielt; es war ein Ort voll blutiger Erinnerungen. Wir hatten die Stadt mit den blutigen Erinnerungen hinter uns gelassen. Wir hatten den Missisippi und die Staaten von Arkansas hinter uns gelassen. Wir waren jetzt in Louisiana, dessen Ufer den Fluß auf beiden Seiten umschlossen. Wir flogen mitten in den Shooß des Südens hinein. Und er empfing uns mit warmem Herzen. So empfand ich es und mein eigenes Herz öffnete sich für alle milden Mächte des Lebens und der Natur. Schweigend saß ich den ganzen Vormittag in einer Art von stillem Vergnügensrausch draußen auf der Piazza im Hintertheil des Schiffs, die liebliche Luft und die südliche Landschaft trinkend, wonneschauernd in dem entzückenden Anblick von Himmel und Erde, sowie in der unbeschreiblich weichen, milden Athmosphäre welche die Räume zwischen ihnen erfüllte.

Es war Mittagszeit. Immer lieblicher wurde die Luft, immer lebhafter das Schauspiel an den Ufern. Karawanen von schwarzen Männern und Weibern sah man von den Plantagehöfen her auf die Ackerfelder hinausreiten. Nach den Reitenden kamen ein Paar Bugies, kleine Kabriolets, worin vermuthlich die Aufseher und der Herr saßen. Ich betrachtete das Schauspiel in der philanthropischen Gemüthsstimmung, worin man, um sich selbst bei guter Laune zu erhalten, von allen Menschen das Beste glaubt und alle Dinge und Zustände von der Sonnenseite zu sehen sucht.

Ein paar Stunden später saß ich noch auf der Piazza hinten im Schiff und trank dieselbe milde zauberische Luft, sah dasselbe Schauspiel südländischer Schönheit, aber betrachtete es jetzt mit einem Herzen voll von Bitterkeit. Ja, denn vor meinen Augen hatte sich ein nächtliches Gemälde aufgerollt, ein Gemälde, das stets gleich einem Gespenst der Hölle zwischen mich und die Erinnerung an den freundlichen Schleier treten wird, der eine Weile meine Augen bezauberte und verdunkelte.

Ich saß da und betrachtete das schöne Schauspiel, wie man eine Theaterscene betrachtet. Ich erfreute mich mit kindlichem Gemüth an den Decorationen. Da kam mein neuer Freund, der Plantagenbesitzer, und setzte sich auf einen Lehnstuhl neben dem meinigen auf der Piazza. Wir sprachen einige Worte von der Lieblichkeit der Luft, die ihm eben so viel Freude machte wie mir, dann saßen wir still da und betrachteten den Auftritt an dem Ufer. Wir sahen die Karawanen der Sklaven und ihre Aufseher über die Felder hinziehen. In der menschenfreundlichen Gemüthsstimmung, von welcher ich soeben gesprochen habe, sagte ich zu meinem Nachbar:

„Dieß ist kein heiterer Anblick, und gleichwohl ist in diesem Leben (der Sklaven) vermuthlich mehr Glück und Wohlbefinden, als man sich gewöhnlich vorstellt.“

Der Pflanzer wandte sein schönes Haupt mit einem Blick gegen mich, den ich nie vergessen werde; es lag Ueberraschung, beinahe Vorwurf und eine tiefe Wehmuth darin.

„O,“ sagte er mit leiser Stimme, „Sie wissen nicht, was auf diesen Ufern vorgeht, sonst würden Sie nicht so denken. Hier ist viel Gewalt und viel Leiden. Um diese Zeit besonders und überhaupt von der Zeit an, wo die Baumwolle zum Pflücken fertig wird, geschehen große Grausamkeiten auf den Plantagen in dieser Gegend. Es gibt hier Plantagen, in welchen die Peitsche in diesen Monaten niemals ruht. Sie können sich von einem solchen Peitschen keinen Begriff machen.“

Ich will hier die Scene nicht wiederholen, die der Pflanzer vor mir enthüllte, und was er mehr als vierzehn Jahre lang von Gewalt, Grausamkeiten, und Leiden in diesen Gegenden gesehen hatte; Abscheulichkeiten, die ihn zuletzt soweit getrieben, daß er seine Plantage verkaufte und für immer die Sklavenstaaten verließ. Ich will blos einige von den Worten des redlichen Mannes anführen[1]: „Ich habe Männer und auch Weiber gekannt, die wahre Teufel gegen ihre Sklaven waren, die ihre Lust darein setzten, sie zu quälen.

„Man kann einen Sklaven beinahe zu Tode peitschen, ohne gleichwohl sein Blut fließen zu machen. Der Kuhhautriemen, den man im Hause braucht, kann schreckliche Schmerzen erregen, ohne daß die Spuren davon sichtbar werden.

„Die Frauen sind nicht selten die grausamsten Plagegeister der Haussklaven. Und lieber wollte ich eine Feldhand (field-hand), d. h. ein außer dem Hause arbeitender Sklave sein, als ein Haussklave unter einem reizbaren Weibe. Das Sklaverei-Institut scheint die Natur des Weibes gänzlich zu verkehren.

„Das Sklaverei-Institut verderbt die Weißen. Ich habe junge Männer und Frauen gekannt, die in jeder Beziehung liebenswürdig, gutherzig und einnehmend, nur gegen die Sklaven ungerecht und hart waren.

„Es gibt natürlich auch Ausnahmen; es gibt auch gütige Hausherrn und Hausfrauen; aber sie sind dünn gesät. Die große Regel ist, daß die Institution die Gemüther der Sklavenhalter schon von Kindesbeinen auf verblendet und verhärtet.

„Seit einigen Jahren ist der Zustand besser, bedeutend besser, und wird es immer mehr. Das Licht beginnt in diese Wohnungen zu dringen; man fürchtet sich nicht mehr so vor einem freien Worte. Noch vor etlichen Jahren würde ein Mann, der nur den sechsten Theil dessen veröffentlicht hätte, was ich jetzt zu Ihnen sage, ohne weitern Prozeß erschossen worden sein. Jetzt weiß der Sklavenhalter, daß die Augen aller Welt auf ihn gerichtet sind; das macht ihn behutsamer. Die Sklaven werden seit zwölf Jahren in diesen Gegenden besser gekleidet und ernährt als vorher. Aber gleichwohl kommen noch immer große Ungerechtigkeiten und Grausamkeiten vor, und sie müssen immer vorkommen, so lange diese Institution besteht. Und das ist meine Ueberzeugung, daß sie bald die Streit- und Lebensfrage (the question) in der amerikanischen Union sein wird.

„Auch jetzt macht sich ein Mann kein Gewissen daraus, einen Neger über den Haufen zu schießen, den er im Verdacht hat, daß er auf der Flucht begriffen sei, und das Gesetz schweigt zu allen solchen Gewaltthaten. Ich habe mehrere Sklaven durch Schüsse, die unter solchen Umständen auf sie abgefeuert wurden, schwer zugerichtet, aber nur einen einzigen getödtet gesehen.

„Ein wahrhaft wahnsinniger Jähzorn in Behandlung der Sklaven gehört zur Tagesordnung.

„Das Gesetz ist für den Sklaven keine Wohlthat, es gewährt ihm keinen wirklichen, sondern nur einen nominellen Schutz. Der Sklave hängt gänzlich von dem Herrn ab. Die Richter drücken die Augen zu, so lange sie können, und die Neger dürfen vor Gericht nicht zeugen.

„Man spricht von einer öffentlichen Meinung. Aber die öffentliche Meinung dahier wird meistentheils noch immer blos von Demagogen fabrizirt und das Baumwolleninteresse ist ihr einziges Gewissen. Mancher sieht das Uebel und grämt sich darüber, schweigt aber aus Furcht, er möchte sich in Widerwärtigkeiten verwickeln.

„Die Feste der Sklaven sind größtentheils bloße Fabeln. Auf einigen Plantagen läßt man sie an Weihnachten tanzen, wenn nämlich die Baumwolle gepflückt und der Zucker gemahlen ist. Aber wenn die Ernte spät ist, wie z. B. heuer, so wird das Fest ins Unendliche hinausgeschoben. Und meistens wird gar nichts daraus. Ist die Ernte gut und die Arbeit verrichtet, so gestattet man den Sklaven hie und da einen Tanz.

„Bisher war auf den Pflanzungen in Louisiana ein religiöser Unterricht für die Sklaven nicht gestattet und ist es noch bis zu dieser Stunde nicht. Aber Gott weiß, wie es kommt, daß die armen Leute dennoch einige Sagen von dem Erlöser erfahren haben. Und Sie machen sich keinen Begriff davon, mit welcher Begierde sie jedem Wort darüber lauschen. Ich kenne jetzt einige Plantagen, auf welchen man den Sklaven einen ordentlichen Unterricht im Christenthum ertheilt. Dieß wird wohl wahrscheinlich auch um sich greifen und eine Veränderung zwischen dem Sklaven und Herrn herbeiführen.

„Die Zeit ist vielleicht nicht mehr fern, wo die öffentliche Meinung ein wirklicher Schutz für den Sklaven wird, und zwar in höherem Grad, als das Gesetz es je werden kann.

„Man wird auch um seiner eigenen Sicherheit wegen zu größerer Gerechtigkeit und Milde genöthigt. Ich habe Zeiten hier gekannt, wo kein Plantagenbesitzer hier eine ruhige Nacht hatte, wo Keiner sich zu Bette legte, ohne scharf geladene Pistolen neben sich zu haben.

„Wollte man die Sklaven mit Verstand und Billigkeit behandeln, man würde staunen über den Erfolg dieser Methode. Die Neger haben ein äußerst empfängliches Gemüth für Güte und Gerechtigkeit. Sie sind gerne geneigt, einer wirklichen Ueberlegenheit sich zu unterwerfen. Wollte der weiße Mann eines solchen Mittels sich bedienen, so könnte er den Neger ohne einen einzigen Peitschenhieb beherrschen oder wenigstens für sich arbeiten lassen.

„Ich habe auf meiner Plantage niemals die Peitsche gebraucht, um zur Arbeit anzutreiben. Ich bedurfte ihrer nicht. Gerechtigkeit, Ordnung, Billigkeit gegen die Neger genügten, um sie zu tüchtiger Arbeit zu veranlassen. Ich habe die Peitsche (und auf einer Plantage kann man die Peitsche für die Neger in ihrem gegenwärtigen noch gänzlich ungebildeten Zustand nicht entbehren) nur als Strafe für Diebstahl oder Schlägereien angewandt. Um zur Arbeit zu treiben, bedarf es ihrer nicht.

„Ich bin überzeugt, daß die Sklaven zu freien Dienern gemacht werden könnten und dann eben so gut arbeiten würden. Alle Gefahren, die man von einer Emancipation vorspiegelt, sind nach meinem Dafürhalten nur Hirngespinnste. Wenn die Emancipation stufenweise und mit Verstand vorgenommen würde, so könnte sie ohne Gefahren und Schwierigkeiten vor sich gehen. Einige Personen und besonders die Herren Macdonough und Henderson haben mit ihren Sklaven Experimente gemacht, die es aufs deutlichste beweisen.

„Erziehung und eine damit verbundene Aussicht auf Befreiung würden das rechte Mittel sein. Aber Vieles muß sich hier verändern, bevor ein solcher Gedanke allgemein wird … Ich habe Geistliche gekannt, welche die grausamsten Sklavenhalter waren.

„Und wollte ich eröffnen, was ich in diesen Staaten gesehen habe was, wie ich genau weiß, hier geschehen ist und noch immer geschieht; ich sage Ihnen, allen rechtlich denkenden Menschen müßten die Haare zu Berge stehen.

„Die Erzählungen geflüchteter Sklaven, wovon ich einige gelesen habe, sind nicht immer glaubwürdig; ich sehe oft, daß sie dazu lügen. Aber es bedarf keiner Beigabe der Fantasie, um den Zustand des Sklaven als entsetzlich erscheinen zu lassen. Die Wirklichkeit ist schlimmer als jede Dichtung. Und wäre ich Sklave, so würde ich, o ich würde gewiß in den Fluß springen und meinem Leben ein Ende machen.“

Diese Worte und die mitfolgenden Erzählungen von den Abscheulichkeiten, die an diesen Ufern vorgefallen sind und noch täglich vorfallen, mischten sich wie ein giftiger Wind in die sommerlauen Lüfte, die mich umkosten. Ich sah einen alten Sklaven zu Tode gehetzt, weil er sich unterstanden hatte, seine Frau zu besuchen. Ich sah ihn zerfleischt, geschlagen, gefesselt sich in die Wasser des schwarzen Flusses stürzen, über welchen man ihn in die Gewalt seines unbarmherzigen Herrn zurückbringen wollte. Und das Gesetz schwieg.

Ich sah ein junges Weib wegen eines unbedachten Wortes über den Scheitel geschlagen, so daß es todt niederstürzte. Und das Gesetz schwieg.

Ich hörte das Gesetz durch den Mund von Geschworenen richten zwischen einem weißen und einem schwarzen Manne und den letzteren zu Ruthenhieben verurtheilen, welche der erstere verdient hätte. Und die Redlicheren unter den Geschworenen widersetzten sich vergebens! …

Ich sah hier — am Ufer des Missisippi erst vor wenigen Monaten — ein junges Mädchen sich von den Mißhandlungen ihres Herrn — und er war ein geistlicher Herr — losreißen und sich in den Fluß stürzen.

Ich sah Schaaren gefangener Männer und Weiber verurtheilt, früh und spät zu arbeiten, jeden Strahles von dem Lichte, das der Gefangenschaft einige Hoffnung geben könnte, beraubt, verhindert die Stimme dessen zu hören, der da ruft: „Kommet her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid!“ Davon ausgeschlossen von Menschen, die sich Christen nennen! — Aber verzeih, meine Agatha, warum sollen Deine Augen durch solche düstere Gemälde gequält werden? Wie froh wäre ich selbst, wenn ich sie nicht sehen müßte? Aber ihr Eindruck wird mich nie verlassen. Vorüber war für mich aller Genuß, welchen die Luft und Schönheit des Südens mir gewährt hatte. Ich empfand Haß gegen das Geschlecht, das solches Unrecht und solche Grausamkeiten ausüben konnte. Ich haßte diejenigen, welche solche Unthaten mit den Interessen des Handels beschönigen konnten. Ich zürnte mir selbst, daß ich, um mich zu schonen, eine Weile vor den nothwendigen Folgen der Sklaverei-Institution die Augen hatte verschließen wollen. Ja, ich hätte das Alles wissen müssen. Aber ich dachte nicht, daß es noch immer so sein könnte.

Georgien und Carolina haben indeß den Sklaven das Licht des Christenthums zukommen lassen. In Georgien und Carolina hatte ich die Kinder Afrikas in endlose Jubelhymnen auf ihren Erlöser ausbrechen gehört! …

Aber hier im schönen Süden des Missisippithales, hier ist Schlimmeres als Heidenthum! …

Missisippi, Du große Sündfluth, jetzt kenne ich Deine Geschichte zu Ende!

Aber mitten in ihrem dunkelsten Kreis habe ich dennoch das Gewissen des Südens in einem reinen Auge, in einem warmen und redlichen Herzen klar zum Himmel aufblicken gesehen; und dieß ist mein Trost und meine Hoffnung. Das Sonnenlicht über dem Missisippi ist nicht eitel Lüge.

„Und es war finster auf der Tiefe und der Geist Gottes schwebete auf dem Wasser.“

Den 23. Dezember. Auf dem Missisippi. 

Wir sind an Baton rouge — so heißt die auf einer Anhöhe am rechten Ufer des Missisippi gelegene politische Hauptstadt Louisianas — vorbeigefahren. Ein schönes Kapitol beherrscht die kleine Stadt und ein stattliches, neuerdings aufgebautes Staatsgefängniß steht mit seinem Fuße in den Wogen des Sündenflusses.

Der Missisippi ist sehr breit. Es sind Sandbänke und grüne Inseln in dem Fluß. Sein Wasser ist klarer, die Sonne scheint. Die Landschaft an den Ufern ist freundlich und mild. Plantagen, Pomeranzenhaine, weiße Sklavendörfer auf grünen Feldern, Großartige Aussichten unter sommermildem Himmel. Der Fluß ist voll von Dampfbooten und größeren und kleineren Fahrzeugen aller Art. Wir nähern uns der fröhlichen Stadt New-Orleans.

Heute wollte ich mit unserer Proviantmeisterin (stewardess), einem hübschen gutmüthigen Mulattenmädchen, etwas sprechen. Ich traf sie in ihrer kleinen Cajüte, wo sie häufig ein großes A B C studirte. Ich hatte sie schon vorher einigemal auf dieselbe Art beschäftigt gesehen.

Der Proviantmeister, sagte sie, habe ihr versprochen sie lesen zu lehren, aber im Geheimen. Er könne lesen, er. Sie sehnte sich so sehr lesen zu können. Eines Tags traf ich sie allein in unserm Salon, wo sie vor der aufgeschlagenen Bibel stand, die immer dort auf dem Tische liegt. Ich fragte sie, was sie mache.

„O dieses Buch!“ antwortete sie. „Ich wende seine Blätter um und um, und ich möchte so gerne verstehen können, was darauf steht. Ich versuche es immer wieder; — es würde mich so glücklich machen! Aber ich kann nicht lesen! …“

Wir nähern uns Neu-Orleans „der fröhlichen Stadt“. In ein paar Stunden sind wir dort. Alle Thiere in unsrer Arche Noä lassen ihre Töne vernehmen.



Neu-Orleans (Louisiana), Lafayette Square, den 25. Dezember. 

Weit im Süden, aber ohne Sonne, wenigstens für den Augenblick. Aber sie leuchtete klar über unsre Ankunft in der Halbmondstadt (the Crescent-City), die sich halbmondförmig auf einer breiten niedern Landzunge zwischen dem Mississippi und dem Pontchartrain ausbreitet, einem großen Binnensee, in welchen die Wasser des Mexikanischen Meerbusens eindringen.

Nicht weniger als drei Dampfboote waren kurz vor unsrer Ankunft in die Luft gesprungen; eines von ihnen war ganz neu und auf einer Lustfahrt begriffen. Es hatte mehrere vermögliche Männer von Neu-Orleans an Bord. Viele Passagiere sind schwer beschädigt worden. Einige sind dabei umgekommen.

Aber unsre Arche Noä hat uns mit heiler Haut an den Strand getragen und alles Gethier mit uns.

Der Hafen, wo wir einliefen, war schön und einladend in seiner weiten Neumondsform. Aber die Rhede war ziemlich schmucklos, das Kai war von Holz und schlecht gebaut.

Am Arm meines getreuen Caballero Harrison stieg ich ans Land und ging auf ein prächtiges Gebäude, dem römischen Pantheon ähnlich, zu, das weiß strahlte mit seinen massiven Säulen, jedoch nicht von Marmor, sondern von Gyps. Es war das Hotel Saint-Charles, und hier sollten wir für den Anfang wohnen.

Aber als ich fand, daß ich für ein kleines kaltes Stübchen mit einem ungeheuren Bett darin, drei Treppen hoch; ferner für das Recht mich im großen Salon aufzuhalten, wo ich nicht sein wollte, wenn ich es vermeiden könnte, und für das Recht, eine Menge Speisen zu essen, die ich nicht essen konnte, ohne mich übel zu befinden, und überdieß zu Zeiten, die mir nicht paßten: als ich fand, daß ich für all diese Herrlichkeiten drei Dollars täglich bezahlen sollte, ohne mir dadurch ein angenehmes Stündchen zu verschaffen, da ließ ich es mir angelegen sein, eine andre Wohnung zu suchen.

Und eine andre Wohnung erhielt ich bald durch die gütige Fürsorge meines freundlichen Landsmanns, des Herrn Carl Schmidt, eines Bruders vom Justizrath. Heute früh führte mich Harrison bei rauhem Regenwetter dorthin.

Ich wohne jetzt in einem einfachen boardinghouse (Kosthaus) bei einer ehrsamen Wittfrau. Ich habe ein großes schönes Zimmer mit Teppich und Kamin und zwei großen Fenstern, die auf einen mit jungen noch grünen Bäumen bepflanzten Markt hinaussehen, in dessen Mitte ein grüner Plan ist. Er heißt Lafayette Square und ist ein schöner sehr stiller Platz. Ich fühle mich ganz glücklich über meine neue Wohnung, für welche ich nebst der Kost blos zehn Dollars wöchentlich bezahle, was in Neu-Orleans wohlfeil ist.

Im Hotel Saint-Charles machte ich die Bekanntschaft einiger Personen, die für mich in Zukunft mehr als bloße Bekannte sein werden; es ist Mr. und Mrs. Geddes. Sie sind von Cincinnati, leben aber wie Mr. Harrison den Winter über in Neu-Orleans, wo die Herren Geschäfte machen. Harrison hatte mich darauf vorbereitet, daß Mrs. Geddes mir wohlgefallen würde.

Als ich am Morgen nach meiner Ankunft zum Frühstück in den großen Speisesaal hinabging, war noch Niemand da und ich nahm mir vor, die Freundin meines neuen Freundes, unter den Ankommenden zu errathen.

Ich sah die Damen eine um die andere hereinkommen, alle mit Kleidern, die hoch bis an den Hals gingen, mit kleinen Krägen, bloßem Haar, sämmtlich gekleidet, als wären sie in eine Form gegossen; alle waren fein, mager oder vielmehr dürr, sie sahen, wie mir schien, auch innerlich trocken aus. Aber darin kann ich mich täuschen. Soviel ist gewiß, daß ich nach etwas Leben, etwas Eigenthümlichkeit, nach etwas Individualität sowohl im Innern als im Aeußern dürstete. Die Quäckerinnen sind auch alle gleich gekleidet. Aber welche klar ausgeprägte Eigenthümlichkeit liest man nicht in ihren Gesichtern! Hier dagegen war das Einerlei charakterlos. Die Einfachheit war einförmig und langweilig. Mrs. Geddes hatte ich nicht entdeckt.

Ich sagte es Harrison, als er sich neben mich zum Frühstück setzte.

„Wenden Sie sich um,“ sagte er, „sie sitzt am Tisch hinter Ihnen“ (NB. wir aßen an langen schmalen Tischen). Ich wandte mich um und traf ein sanftes, ovales, etwas blasses Gesicht mit tiefen schönen Augen und einer klaren Stirne, über welcher das dunkelbraune Haar glatt die Schläfe hinabgekämmt war. Es war Mrs. Geddes. Sie war wie die andern Damen gekleidet, aber in kostbare schwarze Seidensersche; ihr Haar war gleich dem der andern gemacht und dennoch war ein großer Unterschied; sie schien mir etwas steif, aber nicht trocken, sondern sanft und edel.

Ich machte ihre nähere Bekanntschaft am Christabend, sowie am Abend des Christtags, den ich in Gesellschaft in dem großen Salon mit einem Theil der Bewohner des Hotels Saint-Charles zubrachte, und sie gefiel mir ungemein. Sie hat die feinen regelmäßigen Züge, welche der amerikanischen weiblichen Schönheit angehören, und damit verbindet sie die ruhige Haltung, die bescheidene würdevolle Anmuth, die man bei den Schönheiten der neuen Welt nicht so oft trifft. Mr. Geddes, der viel älter ist als seine schöne Frau, hat ein lebendiges Gesicht, das große Charakterkraft verräth, und ist ein starker Swedenborgianer, weßhalb ich voraussehe, daß wir über den Propheten in Streit gerathen werden. Aber dieser wird wohl gütlich ablaufen, denn er ist offenbar ein guter Swedenborgianer.

Man tanzte in dem großen Salon. Ein schönes, offenbar lungensüchtiges Mädchen walzte mit einer Leidenschaft, als wollte sie sich zu todt tanzen, und ihr Cavalier und Galan half ihr getreulich dazu. Ich war nicht vergnügt. Ich dachte an die Weihnacht in Schweden und an die Heimath. Hier versteht man sich nicht auf die Weihnacht, aber in Schweden verstehen wir dieses Fest.

Ich war am Christtag in der Kirche, einer hübschen Kirche, deren dunkelfarbige Glasfenster alles Licht wegnahmen; ich hörte eine trockene seelenlose Predigt, die mich ganz und gar nicht erbaute, und Neu-Orleans erschien mir als eine trockene langweilige Stadt. Ich dachte an die Weihnachtsmesse in unserer ländlichen Kirche, an die Schlittenfahrt dahin in der Morgendämmerung durch den Tannenwald in dem frischen Schnee, an die Waldhäuschen mit den flammenden Weihnachtslichtern, an den Zug kleiner Bauernschlitten mit lustigem Schellengeklingel; an die schöne einfache Kirche im dunkeln Hintergrund des Waldes, an die aus allen ihren Fenstern strahlenden Lichter, an den heitern Anblick des Lichtes und Volkes darin; an das gemüthliche Landvolk in seinen warmen Kleidern; ich sah den Reichstagsmann in Thyresta in seinem Wolfspelz durch die Kirchenthüre treten. Ich sah die Kinder mit leuchtenden Blicken, ich hörte den kräftigen lebensvollen Gesang.

„Gruß Dir, Du schöne Morgenstund.“

Ich sang ihn aus vollem Herzen mit. Ja, das war Weihnachtsleben und Weihnachtsfreude! …

In Neu-Orleans ist Weihnacht keine Weihnacht; ich meinte in einem heidnischen Lande zu sein.

Am Christtagabend unterhielt ich mich sehr angenehm mit einer redseligen originellen Dame (eine ziemlich seltene Gestalt unter den Damen der neuen Welt). Mrs. D. ist weltlich, aber geistreich und außerordentlich eigenthümlich; sie macht nicht viel Umstände mit der Welt, sondern hat den Muth, gleich ihr Capricen zu haben, auch in der Kleidung. Und ihre rothe Sammtbluse, die ohne Gürtel wie ein Mantel ihre Gestalt umfloß, mag dieß nun in der Gesellschaft passen oder nicht passen, paßte vortrefflich für ihre hohe kräftige Figur, die darin wahrhaft königlich aussah und für mich eine erquikende Erscheinung war. Dank Mrs. Duncan!

Wenn es sich heute Nachmittag oder morgen aufklärt, will Mr. Harrison mich auf den Sklavenmarkt führen, der zu den großen Sehenswürdigkeiten der fröhlichen Stadt gehört. Ich beginne jetzt zu ahnen, warum ich den Missisippi hinabfahren, warum ich nach Neu-Orleans kommen mußte.

Den 27. Dezember.  

Drei Tage lang kaltes Regenwetter in Neu-Orleans und heute ist es noch schlimmer, als in den vorhergehenden Tagen, denn es regnet und schneit zugleich und ist dabei kalt. Aber ich befinde mich wohl, mein Herzchen. Ich pflege mich in meinem gemüthlichen heiteren Zimmer und habe heute wieder einen jener innern Frühlingstage, die mich zuweilen mitten im Winter mit überwallendem Frühlingsleben überraschen, wo Alles in meiner Seele sich in einem geistigen Sonnenschein bewegt, wächst und blüht; wo alle Gedanken in Blüthen ausschlagen, sich verbinden, sich gleichsam mit einander vereinigen, auf eine Art, die mich selbst überrascht und entzückt; wo Kopf und Brust zu eng scheinen für die Gefühle und Ahnungen, die sich darin bewegen und sich gleichsam einen Weg hinaussprengen wollen; aber ich kann nicht beschreiben, wie dieses sich empfindet.

Ich umarme Dich und Mama in der Fülle meines Herzens und beendige jetzt diesen Brief und schicke ihn ab; denn ich glaube, es ist schon lange her, daß ich keinen Brief mehr nach Hause gesandt habe.

Den. 28. Dezember.  

N. S. Endlich ein heller schöner Tag nach unaufhörlichem dreitägigem Schnee und Regen. Und jetzt muß man thätig werden, muß Anstalten, Schulen, Gefängnisse besuchen und auch auf Plantagen hinausfahren. Gestern Nachmittag wurde ich mitten im Regen von unbekannten Freundinnen in Neu-Orleans mit einem Besuch überrascht und ihre warme Herzlichkeit machte mich ganz glücklich. Sie kamen mit Veilchen und der Einladung, mit ihnen den Missisippi hinan auf eine Plantage zu fahren, wo sie mir zeigen wollen, „was die Sklaverei in Wirklichkeit ist;“ so sprechen diese Leute, welche blos gesehen haben oder blos sehen wollen, wie es bei einem oder zwei sehr guten und rechtschaffenen Herren damit bestellt ist. Aber ich weiß jetzt genug, um mich selbst von guten Menschen nicht bethören zu lassen, daß ich das glaubte, was ein hübscher, aber dummer oder falscher junger Herr gestern Abend mich versicherte, nämlich daß die Sklaven in Amerika so glücklich seien, als man nur immer sein könne. Meine neuen Freunde in Amerika waren offenbar gute und warmherzige Menschen und vergaßen, wie oft Andere dieß nicht sind.

Wenn ich Dir das nächste Mal schreibe, werde ich Dir mehr von dem freien Volk, dem Sklavenvolk und der Sklaverei in der fröhlichen Stadt Neu-Orleans erzählen.

  1. Aber ich würde sie wohl jetzt nicht veröffentlichen, wenn ich nicht wüßte, daß er vor allen Unannehmlichkeiten geschützt ist, die seine Aufrichtigkeit ihm möglicher Weise zustehen könnte, wenn ich nicht durch meine Mittheilung seinen letzten Willen und — einen noch höhern Willen zu erfüllen glaubte.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Komma entfernt
  2. Klammer ergänzt
Dreißigster Brief Die Heimath in der neuen Welt. Zweiter Band
von Fredrika Bremer
Zweiunddreißigster Brief
{{{ANMERKUNG}}}