Die Heidenlöcher bei Ueberlingen
Die Heidenlöcher bei Ueberlingen.
- „Drüben, am Ueberlinger See, wo die Felswand sich steil in die Fluth herabsenkt, ist aus alten Zeiten mancherlei Gelaß zu menschlicher Wohnung in den Stein gehauen.“
Scheffel’s „Ekkehard.“
- „Drüben, am Ueberlinger See, wo die Felswand sich steil in die Fluth herabsenkt, ist aus alten Zeiten mancherlei Gelaß zu menschlicher Wohnung in den Stein gehauen.“
Ich kam mit einem guten Freunde vom Hohentwiel. Der „Ekkehard“ hatte es uns angethan.
Es ist überhaupt mit dem „Ekkehard“ eine gar böse Sache. Wer ihn mit einem bischen Liebe zu den kräftigen Gestalten der alten deutschen Geschichte gelesen und sich in unserer nervös hastenden Zeit noch etwas Sinn bewahrt hat für die letzten, ehrfurchtgebietenden Reste einer weit zurückliegenden Vergangenheit, der ist einem bestrickenden Zauber verfallen, der ihn bei Tag und Nacht verfolgt. Ihm ist ein wunderlich Traumbild erstanden, nicht mehr Sage und doch auch nicht Geschichte; all die Personen, die schon längst zu Staub geworden, umringen ihn wie gute alte Bekannte und nehmen ihm die Sinne gefangen; er kann sich von ihnen nicht trennen, bis er selbst dort gewesen, wo sie dereinst geschaltet, bis er mit eigenem Fuß die Scholle betreten, auf der sie gewandelt, und mit vollen Zügen die Luft geathmet, in welche sie der Dichter versetzt.
Wir waren nun endlich oben gewesen auf dem wunderbaren Berge mit seinen unendlichen Trümmermassen und hatten in Romantik geschwärmt. Wohl sind von der Burg der gestrengen Frau Hadwig kaum noch einige Grundmauern zu erkennen – aber was thut’s? Aus dem Dunkel des Kellers leuchtete uns des ewig durstenden Spazzo Nase; im Flüstern des Windes hörten wir bald das silberne Lachen des fröhlichen Griechenkindes, bald Virgil’s schön gebaute Verse. Und dazu dröhnten Kanonen eines fernen Manövers, Salve auf Salve, und zwei unserer Begleiter, [46] bekannte Berliner Virtuosen, schickten Trompetenfanfaren hinunter in die Thale und hinüber zum Hohenkrähen und bliesen uns dann schöne patriotische Weisen.
Es war Mittag, als wir uns zur Thalfahrt rüsteten, und dann ging’s nach Radolfzell, wo im neunten Jahrhundert der heilige Ratold sein clausnerisch Dasein gefristet und jetzt im neunzehnten der Dichter unseres „Ekkehard“ haust, und weiter längs des pfahlbaubesetzten Ufers, vorbei an der uralten Abtei Reichenau, wo einst der blöde Heribald als Einziger die Hunnen erwartet, nach Constanz.
In Constanz wußten anthropologische Studien und Interessen den Hohentwiel mit all seinen guten und bösen Geistern in den Hintergrund zu drängen; nahm doch dort das Museum im Rosgarten, eine Musteranstalt ersten Ranges, unsere vollste Aufmerksamkeit in Anspruch. Die reichen Schätze aus den Pfahlbauten, die seltsamen Funde aus Thayingen in der Nähe des Hohentwiel gaben uns viel zu staunen und zu denken, und wir merkten, daß wir uns doch auf einem eigenthümlichen Fleckchen Erde befanden, das mancherlei Zeiten durchgemacht hatte, deren Denkmale uns der Rosgarten aufbewahrt: aus deutscher Geschichte und Römerherrschaft, aus der Pfahlbauperiode und weiter zurück, als noch mächtige Gletscher den Bodensee deckten, aus der Renthier- und Höhlenzeit. Und lange vorher waren schon die Saurier dagewesen.
Wir suchten spät Abends noch Erholung und stilles geistiges Ausruhen auf dem lieblichen Eiland der Mainau. Und doch gab es wüste Träume in der Nacht: der Eindrücke waren zu viele und zu verschiedenartige gewesen für einen Tag, und die Meersburger Auslese, welche das Tagewerk krönte, hatte auch nicht sonderlich die erregten Geister beschwichtigt. Der brave Ekkehard war mit seinem Weltschmerz unter die Renjäger gerathen, und der stolze Hohentwiel schrumpfte sichtlich zusammen zu einem wohlgefügten Holzbau im See, gerade vor unserem Hôtel und darauf hantirten biedere Pfahljungfrauen und Hadumoth trieb die Gänse über den künstlichen Steg; da kamen die Hunnen; es gab ein böses Durcheinander – ich glaube, ich habe selbst mit gestritten – und endlich ritt er an, den sie für den Erzengel Michael gehalten, und der die Hunnenschlacht entschieden: der Alte aus der Heidenhöhle.
Am Morgen aber stiegen wir auf den ersten Dampfer, der sich von Constanz löste, dem alten Herrn den schuldigen Besuch abzustatten, und hatten eine reizende Fahrt auf dem Ueberlinger See, der von den Touristen viel zu wenig besucht und gewürdigt wird. Zuerst hinüber nach dem romantischen Meersburg mit seinen uralten Schlössern und Thürmen, dann weiter, während drüben im Morgensonnenschein die Mainau leuchtete, an einer ganzen Reihe von Pfahlbaustationen vorbei, die alle leider hohes Wasser deckte, nach dem interessanten Städtchen Ueberlingen, das, terrassenförmig am Ufer hinaufgebaut, ebenfalls gar trutziglich mit seinen Thürmen und Zinnen sich im Wasser spiegelt.
Und hier ging’s auf die terra firma, das heißt auf den Molassesandstein, der schon längst dem Ufer seinen eigenthümlichen Charakter aufgeprägt hatte. Als mächtige freie Mauer erhebt er sich über den schmalen Saum des See-Ufers – mußten ja doch schon die Stadtgräben von Ueberlingen in ihn eingehauen werden, und immer näher drängt sich seine Wand an’s Wasser, je weiter wir nun auf der neuen Landstraße wandern, die von der Stadt nach Sipplingen und Ludwigshafen führt. Wohl liegen anfangs noch reiche Obst- und Gemüsegärten zu beiden Seiten unseres Weges mit schönen Häusern, bald aber bleibt kaum mehr Platz für ein schmales ansteigendes Aeckerchen oder einen kleinen Weinberg. Dabei ist das Gestein vielfach von Rissen durchzogen und zeigt mancherlei Höhlenbildung, mit theils natürlicher, theils künstlicher Rundung, den Feld- und Weinbauern ein geeigneter Keller oder Lagerraum, zu dem sie oft schwindelnde Steige angelegt haben. Endlich ist selbst die Straße dem Felsen abgerungen, der hier, glatt abgearbeitet, senkrecht in die Höhe strebt, ja stellenweise die Straße überdacht.
Nach kurzer Wanderung kamen wir, die plätschernden Wogen des Sees immer hart auf unserer linken Seite, zum Dörfchen Goldbach, von dem ich außer einem freundlichen Wirthshause und, irre ich mich nicht, einer kleinen Capelle – nicht viel Weiteres entdeckt habe. Die Bergwand war hier wieder ein wenig zurückgetreten; sie selbst erschien bekleidet von einer Anzahl breiter, gleichmäßig gehauener Treppenfluchten, welche die steile Wand auf und ab, hinüber und herüber führten und jedenfalls blos für Schwindelfreie gebaut waren. Sie schienen uns eine weitere Bedeutung zu haben, als blos den dürftigen Verkehr zwischen dem schmalen Küstensaum und dem rebenbedeckten Plateau zu vermitteln; auch das blondhaarige, liebliche Wirthstöchterchen vermochte uns keine genügende Auskunft zu geben, als wir in der nächsten Minute bei einem guten Markgräfler saßen, um uns für den Besuch beim Alten in der Heidenhöhle zu stärken. – Die seltsame Clause, in welche der Dichter den weltverschollenen, dicken Kaiser versetzt hat, liegt nur wenige Schritte hinter dem Wirthshause und führt den prosaischen Namen der Heidenlöcher. Der Fels, in seiner unteren Hälfte von der Straße aus zum Theil durch Bäume und Gesträuch versteckt, springt hier in einzelnen schrägen Abtheilungen vor, mannigfach zerrissen und zerklüftet, aber durchsetzt mit Gemächern und Gängen, Thüren und Fenstern, Bögen und Nischen, Façaden und Treppen – daß der Wanderer sich mit staunender Ehrfurcht gebannt fühlt. Man wird auch wohl in ganz Deutschland nichts Aehnliches wiederfinden; treten doch selbst die berühmten Zellen in der Nagelfluewand des Leichenhofes St. Peter in Salzburg vollständig gegen diese Gebilde zurück. Daß die Arbeit sehr alt ist, zeigt sich auf den ersten Blick, aber sie ist zum großen Theil nichts weniger als kunstlos, und bald glaubt das Auge hier römischen Stil, dort sogar beginnende Gothik zu erkennen. Viel schon freilich ist abgebröckelt und niedergestürzt im Laufe der Zeiten und bei der Weichheit des Gesteines; am meisten zu bedauern ist der Verlust der zweiten größeren Hälfte dieser „Heidenlöcher“, die sich in Form einer großen Capelle mit [47] Nebengemächern in einem mächtigen über den See ragenden Vorsprung des Felsens befunden haben soll, welcher den nüchternen Forderungen der Jetztzeit, dem Bau der neuen Straße, geopfert werden mußte und nach Angabe der Anwohner einen um Vieles imposanteren und eigenthümlicheren Eindruck machte, als die jetzt noch erhaltenen Reste.
Schon auf der Thalsohle zeigt die Felswand eine Reihe einzelner, mehr oder weniger tiefer Höhlenbildungen, bei welchen allen die menschliche Hand abrundend, glättend und erweiternd eingewirkt hat; an den Wänden finden sich noch verschiedentlich Spuren der ursprünglichen steinernen Bänke. Eine im Vordergrunde stehende isolirte Zwischenwand ist sogar zur kurzen Säule bearbeitet, mit nach oben sich ausbreitendem mächtigem, zwar kunstlosem, aber doch gleichmäßigem Capitäle. Eine defecte Kellerthür, den einen Höhlenzugang nothdürftig schließend, lehrt die neue Verwendung der alten Wohnplätze.
Nun aber steigen wir nach oben, wo die Flucht der alten, steingehauenen Gemächer in einer annähernden Horizontale sich durch das helle Molassegestein mit dunkelgähnenden Thüröffnungen und Fenstern hindurchzieht.
Ein schmaler, ausgetretener Treppenweg, der tief in den Sandstein eingeschnitten ist, ermöglicht uns den Zugang. In Stockwerkhöhe führt er vor eine glattgehauene Felswandung mit regelrecht viereckiger Nische in Form einer Thür, die der Fels in mächtiger Ausdehnung überragt, dann in steiler Wendung hinauf zum Portale des ersten der noch erhaltenen Räume. Wir sind erstaunt, vor einem rein romanischen Thorbogen zu stehen, der in exacter Weise ausgearbeitet ist mit einfacher Ornamentik und von gleicher Höhe wie das ganze, ziemlich quadratische Gemach, das, wie die anderen, nach oben die erste Anlage eines Klostergewölbes zeigt. Es ist leer; die Sitzbänke scheinen weggebrochen worden zu sein; Fenster sind nicht vorhanden; dagegen befinden sich an der Außenwand Nischen verschiedener Größe, nicht ohne Spuren ehemaligen Ladenverschlusses. Von der kleinen Plattform vor dem Thore führt ein ebenso schmaler Treppenweg an der Felswand erst ab-, dann wieder aufwärts zum zweiten Gelasse, dessen Thoröffnung schon ziemlich verfallen ist, das aber durch einige Fenster erhellt wird und im Innern Sitzbänke und Nischen, groß und klein, und allerhand Wandvorsprünge zum Hinstellen und Legen enthält – Alles aus dem Steine herausgearbeitet. Merkwürdig ist, daß die hinaufführende Treppe eine Doppeltreppe ist, da die erhalten gebliebene Steinbrüstung derselben ebenfalls in Stufen gehauen war. Die Außenwand dieses Gelasses zeigt sorgfältige Glättung und Spuren streifenartiger Verzierung, die sich über den Eingang und die Treppen hinzieht.
Ein großes, oben abgerundetes Fenster, oder eine Thür in einem schön concav ausgebuchteten Felsvorsprunge mag früher den Uebergang von dieser Wohnung zur nächsten vermittelt haben – jetzt geht eine ziemliche Kluft zwischen den beiden hindurch, welche die ganz eigenthümlich gestaltete, entgegenstehende Seite des dritten Gelasses bloßlegt. Möglich, daß hier eine Palissadenbrücke hinüberführte. Eine weitere Communication besteht aber zwischen beiden Gemächern durch einen niedrigen, engen Gang, der, durch den Fels getrieben, von hinten einmündet und nur ein gebücktes Durchgehen gestattet. Das dritte Gemach endlich ist das größte von allen; es besitzt auch einen Herd mit Rauchfang; im Uebrigen ist seine Einrichtung die gleiche wie im vorhergehenden Gemach, auch hat dasselbe ebenso seiner Eingangsthür gegenüber eine zweite; neben dieser aber hat ein Bergrutsch alle alten Culturanlagen vor langer Zeit vernichtet. Sehr interessant ist die Façade dieser dritten Felswohnung; sie macht mit ihren kleinen, fast spitzbogig zulaufenden Fenstern den Eindruck einer alten christlichen Kirche.
Nachdem wir von den Steingemächern Abschied genommen und auf demselben Wege hinabgelangt waren, wie wir hinaufgestiegen, betrachteten und bewunderten[WS 1] wir von unten aus noch lange die Heidenlöcher. Wie packend mag hier der Anblick erst in der Nacht sein, wenn der Mondschein auf den Wellen des Sees zittert und durch die Bäume hindurch sein fahles Licht über
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: bewunderteten
[50] die zerfallenden Steindenkmäler längst entschwundener Zeiten gleiten läßt! –
Um Alles zu kosten, ließen wir uns von dem schönen Wirthstöchterlein auch den berühmten Sipplinger credenzen. Das Mägdlein that’s mit großem Sträuben, und ich möchte auch Jedem rathen, von diesem Weine abzusehen; denn er ist noch heute der sauern sauerster am Bodensee. Aber er schafft ruhiges Ueberlegen, und so einten wir uns denn dahin, daß die Heidenlöcher in ihrer ursprünglichen natürlichen Höhlenform gerade so, wie andere in ihrer Nachbarschaft den ältesten Einwohnern des Landes, den Kelten oder Urgermanen und allen später folgenden Heidengeschlechtern ein willkommener Wohnplatz gewesen sein mögen. Später, zur Zeit der Römerherrschaft und des beginnenden Christenthums, mögen sich dort Christen angesiedelt haben – nicht als Märtyrer; denn dazu wäre ihr Versteck zu Wasser viel zu leicht zu erreichen gewesen, wohl aber als Anachoreten, die mit römischer Kunst und mit römischem Meißel im höhlenreichen Steine sich jene Gelasse schufen und in diesem traumverlorenen Erdwinkel ihrem Cultus, ihrem Gotte lebten. Von jener Zeit an blieben die Heidenlöcher wohl nie ganz unbewohnt und haben zumal während des Dreißigjährigen Krieges, in welchem die weite Umgegend harte Unbilden erlitt, wohl mancher bedrängten Familie ein schützendes Obdach geboten. Auch heute noch deuten frische Rauchspuren auf zeitweilige Insassen.
Der Dichter aber konnte jedenfalls für seinen alten Kaiser kein besseres Plätzchen stiller und einsamer Abgeschiedenheit finden, als diese verwitterten, sagenhaften Höhlen, und wir wollen ihm Dank wissen, daß er durch seinen „Ekkehard“ auch sie der Vergessenheit entrissen hat.
Wir sind noch länger in Goldbach sitzen geblieben und haben dem Sänger des „Ekkehard“ noch manches volle Glas dargebracht – aber nicht in Sipplinger.