Die Gruft Friedrich’s des Großen
In Potsdam, wo vom hohen Thurm der Garnisonkirche das alte Glockenspiel in kurzen Zwischenpausen seine Choräle und Weisen niederschallen läßt, deren feierliche Klänge gleichmäßig und ohne Unterschied die bescheidene Hütte des Armen, wie das stattliche Schloß des Reichen erfüllen, und in leisen zauberischen Schwingungen über zahlreiche stille Wasserspiegel und durch anmuthige Gärten getragen werden, um endlich fern ab in stolzen Forsten wie Geistergruß zu ersterben, da ruht aus von seinem vielbewegten Erdenleben der große Preußenkönig, der „Philosoph von Sanssouci“!
Entsprechend den Neigungen, die ihn einst vor allen andern Fürsten auszeichneten, ruht er in einfacher Gruft im schlichten Sarge, aber Ehrfurcht gebietend noch kommenden Geschlechtern.
Das Grabgewölbe, in welches Friedrich der Große beigesetzt wurde, hatte Friedrich Wilhelm I. für sich und seine Gemahlin mit großen Kosten errichten lassen. Dasselbe befindet sich gerade unterhalb der Kanzel, sodaß diese den oberen Theil des prachtvollen Marmorbauwerkes bildet. Durch eine Gitterpforte tritt man in das zu ebener Erde gelegene Gewölbe.
Nur sehr spärlich wird der enge abgeschlossene Raum durch das von der Kirche aus eindringende Dämmerlicht erhellt, und längere Zeit gebraucht das Auge, um die sich ihm darbietenden Gegenstände genau unterscheiden zu können.
Nachdem man von der Pforte aus zwei Schritte in das Gewölbe hineingethan, befindet man sich am Fußende zwischen zwei Särgen. Links in einem mächtigen Marmorsarkophag, der fast die ganze Länge der Gruft ausfüllt, ruht Friedrich Wilhelm I. Er ruht in einem der historischen Särge, deren er in der Vorahnung eines nahen Todes, der aber in der That erst sechs Jahre später erfolgte, zwei bestellte und endlich auch nach vielfachen eigenhändigen Schreiben erlangte. Er entspricht bis in’s Kleinste den in einem Schreiben an den Residenten Luiscius in Holland vom Könige selbst gestellten Anforderungen: „Ich will gerne zwei große Ausgehauene Särge von schwartzem Marmor haben mit einem gantz Platten Deckel und ohne Zierrathen.“
Rechts, dem Marmorsarkophag gegenüber, schläft im unscheinbaren zinnernen Sarge Friedrich der Große. Was sich im Leben getrennt von einander hielt, das hat hier der Tod vereinigt: hier der unerbittlich strenge Vater, dort der zuerst verkannte, dann so ruhmreiche Sohn. –
Angesichts der Vergänglichkeit aller irdischen Größe versinkt man unwillkürlich in tiefe Betrachtungen. – Die schmucklosen Wände, die sich in niedrigen Bogen über Beide wölben, erweitern sich, und vor dem geistigen Auge rollt ein Jahrhundert vorüber. –
Die Annahme, daß Friedrich der Große den Wunsch ausgesprochen habe, auf der obersten Terrasse seines Lieblingsschlosses Sanssouci beerdigt zu werden, findet ihre Bestätigung in seinem Testament vom 8. Januar 1769, in welchem es heißt:
„Ich habe als Philosoph gelebt und ich will als ein solcher begraben werden, ohne Gepränge, ohne Pomp; ich will weder geöffnet noch einbalsamirt werden. Man bestatte mich zu Sanssouci auf der Höhe der Terrasse in einem Grabe, das ich mir habe bereiten lassen. Auf dieselbe Weise ist der Prinz Moritz von Nassau in einem Walde bei Cleve beerdigt worden. Wenn ich im Kriege oder auf der Reise sterbe, so soll man meinen Leichnam im nächsten Orte beisetzen und ihn im Winter nach Sanssouci und an die Stelle bringen, die ich oben bezeichnet habe.“
Im Volke lebt der Glaube, Friedrich der Große habe die auf der Ostseite des Schlosses befindliche Stelle, wo sein Pferd und seine Hunde begraben liegen, als seine zukünftige Ruhestätte bezeichnet. Doch scheint es erwiesen zu sein, daß in späteren Jahren nie ernstlich eine besondere Stelle ausgewählt und bestimmt wurde.[1]
Wer indessen je in den späten Nachmittagstunden eines schönen Sommertages auf der obersten Terrasse vor dem Schloß Sanssouci weilte und seine Blicke schweifen ließ über die Stadt Potsdam und deren im üppigsten Schmuck prangende nähere und weitere Umgebung, die in der eigenthümlichen Beleuchtung der scheidenden Sonne mit einem duftigen, an die nächtliche Ruhe mahnenden Hauch überzogen waren, der vermag sich gewiß zu erklären, daß der alternde König, durch die Ruhe der Natur an den Abend des eigenen Lebens erinnert, den Wunsch aussprach, gerade da sein müdes Haupt niederzulegen, von wo aus er, fern vom Getümmel der Welt, sich so oft der vollen Aussicht auf den friedlichen Theil seiner Schöpfungen erfreute; wo nichts ihn mahnte an die schweren blutigen Aufgaben, die er als Mann und Held während eines langen ruhmreichen Lebens löste; wo statt kaltherziger Höflinge und Schranzen sorgfältig gepflegte Blumen, diese lieblichsten Kinder der Natur, ihm ihre duftenden Häupter entgegen neigten; wo die süßen Lieder der Nachtigallen ihm seine geliebte Flöte ersetzten, und er gewiß gern vergaß den harten, nur zu oft gerechtfertigten Ausspruch: „Ich bin es müde über Sclaven zu herrschen.“ –
Die Beisetzung Friedrich's des Großen erfolgte am 18. August 1786 in den Abendstunden, also schon am ersten Tage nach seinem Hinscheiden. Sie geschah mit den gebührenden königlichen Ehren, auf Befehl seines Nachfolgers, Friedrich Wilhelm II., der seine ausdrücklichen Anordnungen über die zu beobachtenden Formen mit folgenden Worten begleitete: „Weniger darf ich nicht thun, als mein seliger Onkel an Friedrich Wilhelm I. gethan, aber ein Mehreres zu thun steht in meiner Gewalt.“
Friedrich’s des Großen Wünsche betreffs seiner letzten Ruhestätte waren nicht bestimmt genug gewesen, daß seinem königlichen Nachfolger dadurch Verpflichtungen erwachsen wären. Das Gewölbe in der Garnisonkirche schien diesem würdiger des Heldenkönigs.
[172] Das eigentliche feierliche Leichenbegängniß fand erst am 9. September 1786 unter Entfaltung aller zu damaliger Zeit erdenklichen Pracht statt. Die umfangreichsten und großartigsten Vorbereitungen waren zu diesem Zweck getroffen worden. Eine zweitausend Fuß lange, zwanzig Fuß breite und einen Fuß hohe Brücke verband das Stadtschloß mit der Garnisonkirche, und auf dieser bewegte sich der Leichenzug mit dem Paradesarge nach dem im reichsten Trauerschmuck prangenden Gotteshause. Unter den Decorationen im Innern der Kirche verdienen besonders hervorgehoben zu werden die an den sechs vordersten Pfeilern in großer Medaillonform angebrachten und vom Director der königlichen Kunstakademie Rohde gemalten Sinnbilder, welche sich auf sechs Hauptpunkte im Leben und Charakter Friedrich’s des Großen bezogen:
Das erste darstellend die der Erweiterung und Verschönerung der Städte, wie auch dem Ackerbau gewidmete Fürsorge des Königs; das zweite den siebenjähr. Krieg; das dritte die Eroberung Schlesiens; das vierte den Schutz, welchen er den Künsten und den Wissenschaften angedeihen ließ; das fünfte verbildlichend den von ihm gegründeten deutschen Fürstenverein, zur Wahrung der Freiheit und Rechte des deutschen Reichs; und endlich das sechste die Vereinigung Ostpreußens mit Westpreußen.
Unter den zahllosen Besuchen, welche der Gruft des großen Preußenkönigs abgestattet wurden, sind es zwei, die eine historische Bedeutung erhalten haben, und die, obgleich schon vielfach beschrieben, hier erwähnt zu werden verdienen, und zwar in der Weise, in welcher der Hofküster Geim als Augenzeuge, namentlich über den Besuch Napoleon’s, an Ostmann berichtete.
„In der Nacht vom 4. zum 5. November des Jahres 1805, um 1 Uhr, betraten der Kaiser Alexander I. von Rußland, Friedrich Wilhelm III. und die Königin Louise die mit Wachskerzen erleuchtete Kirche. Am Grabe Friedrich’s II. küßte Alexander, von seinen Empfindungen überwältigt, den Sarg des ruhmreichen Todten, und der Königin die Hand zum Unterpfand unverbrüchlicher Freundschaft, während er die rechte Hand des Königs zum Zeichen unwandelbarer Treue ergriff.“
Aus Geim’s nachfolgender Erzählung geht hervor, daß Napoleon’s Aeußerung: „wenn dieser König noch lebte, würden wir uns nicht hier befinden,“ nicht, wie allgemein geglaubt wird, am Sarge Friedrich’s des Großen gethan wurde. In Uebereinstimmung mit dieser Aussage behauptet ein Kammerdiener Friedrich Wilhelm’s III. (in einem auf der königlichen Bibliothek zu Berlin befindlichen Manuscript, in welchem selbiger als Augenzeuge seine Erlebnisse während Napoleon’s Anwesenheit in Berlin und Potsdam niederschrieb), daß der Kaiser diese denkwürdigen Worte beim Besichtigen der Zimmer Friedrich’s des Großen in dem Schloß, und zwar beim Auffinden seines Degens gesprochen habe. Demgemäß soll Napoleon gesagt haben: „Wenn der König noch lebte, der diesen Degen getragen, so würden wir uns nicht hier befinden.“
Ostmann theilt die Erzählungen Geim’s, der damals bereits als Küster der Garnisonkirche fungirte, in folgender Weise mit:
Der Kaiser kam am 24. October[WS 1] 1806 mit dem Prinzen Jerôme, den Marschällen Murat, Duroc und Berthier, sowie dem General René, welcher zum Commandanten von Potsdam ernannt worden war, nicht vom Exerciren, wie es in dem eben erwähnten Manuscript heißt, sondern von Sanssouci her, um das Grab Friedrich’s des Großen zu besehen, in die Garnisonkirche. Er war, wie sein zahlreiches militärisches Gefolge, zu Pferde, und der Stallmeister Müller ritt vor ihm her, den Weg durch die Stadt zu zeigen. Die Benachrichtigung, daß der französische Kaiser in die Garnisonkirche kommen wolle, war vom Schlosse her zwar an den stellvertretenden Prediger Derége gekommen, hatte ihn aber nicht zu Hause angetroffen, so daß nur die Kirchendienerschaft in der Eile zusammengerufen werden konnte. Stallmeister Müller hatte den Kaiser vor die ebenfalls geöffnete Thurmthür geführt, während der Küster Geim am Eingange dem Waisenhause gegenüber wartete und erst durch die Kirche zum Thurm-Eingange eilen mußte, als das Pferdegetrappel die Ankunft des Kaisers verkündete. Da man den Eintritt des Kaisers durch die Thurmthür nicht erwartet hatte, so war die innere, aus der Thurmhalle in die Kirche führende [173] Thür noch verschlossen. Der Marschall Duroc und Küster Geim bemühten sich, die seit vielen Jahren nicht geöffnet gewesene Thür aufzuriegeln, und als es gelungen war, stand plötzlich der Kaiser hinter Geim und sagte: „Laissez donc!“ Während der Kaiser in der Thurmhalle wartete, hatte sich das durch die andere Thür eingetretene Gefolge an dem Altar, der damals noch nicht an seiner jetzigen Stelle, sondern in der Mitte des Raumes zwischen der Kanzel und der königlichen Loge stand, ehrerbietig in einem Halbkreise geordnet. Geim führte nun den Kaiser durch den schmalen Gang zwischen dem Grabgewölbe und dem breiten Tragepfeiler bis vor den schon geöffneten Eingang zur Gruft, an welchen sich zwei Gensd’armes d’élite mit aufgepflanztem Bajonnet gestellt hatten. Der Leibmameluk Rustan folgte dem Kaiser unmittelbar und hinter diesem noch zwei Gensd’armes d’élite. Bei dem Hervortreten des Kaisers aus der schmalen Passage in den freien Raum nahmen alle versammelten Generäle und Militärpersonen eine ehrfurchtsvolle Haltung an, und der Kaiser schritt nun mit seinem Bruder Jerôme unmittelbar hinter Geim her in die Gruft, stand einige Zeit in tiefer Betrachtung an dem Sarge des großen Königs, auf welchen Geim zeigte, und sagte dann: „Sic transit gloria mundi,“ worauf er einen Wink gab, ihn allein zu lassen.
Prinz Jerôme trat ebenfalls in den Vorraum, und der Kaiser verweilte wohl zehn Minuten allein an dem Sarge, Allen sichtbar, da die Thüren offen blieben.
Als er wieder herausgetreten war, zeigte er auf den Altartisch und fragte den Küster, was der Tisch da bedeute, worauf Geim erwiderte: „Er wird zu Taufen und bei der Abendmahlsfeier gebraucht.“
„Wo sind die Gefäße für den Gottesdienst?“ fragte Napoleon weiter.
„Sie werden in der Sacristei bis zu dem jedesmaligen Gebrauch verschlossen aufbewahrt.“
„Was bedeuten die Figuren?“ Dabei zeigte der Kaiser auf die beiden Statuen des Mars und der Minerva, welche damals rechts und links von der Kanzel auf Postamenten standen und später auf Veranlassung des Dr. Eylert in das königliche Stadtschloß in den Treppenraum gebracht wurden, welcher vom Hofe aus durch das Mittel-Risalit in den Kurfürstensaal führt, wo dieselben noch jetzt stehen.
„Es sind allegorische Figuren, welche König Friedrich I. hier aufstellen ließ, um die Kirche als eine Garnisonkirche zu bezeichnen.“
„Bah!“
Indem sich der Kaiser nach diesem Ausruf, der theils seine Verwunderung, theils seine Mißbilligung ausdrückte, zum Weggehen wandte, befahl er dem Marschall Duroc, daß die Garnisonkirche nicht, wie die andern Kirchen der Stadt, zu militärischen Zwecken (als Magazin, Lazareth, Stall etc.) gebraucht werden sollte, da sie unter seinem unmittelbaren kaiserlichen Schutz stände.
Vor dem Verlassen der Kirche sagte der Kaiser noch: „Où est le pasteur?“ Der Prediger war aber noch nicht da, sondern kam erst, als Alles vorüber war. Der Kaiser wartete auch die Antwort gar nicht ab, sondern verließ die Kirche ohne eine weitere Aeußerung.“
Seltsamer Wechsel des Schicksals! „Die Kirche mit der Gruft Friedrich’s des Großen stehen unter meinem persönlichen Schutz,“ sagte damals der französische Kaiser; jetzt sind es die kaiserlichen Adler, die der welterschütternde Eroberer so oft siegreich in’s Feld führte, welche zu beiden Seiten des Eingangs in die Gruft, in malerische Gruppen geordnet, den hehren Todten gleichsam bewachen und Zeugniß ablegen von der noch ungebrochenen Kraft des einst von ihm beherrschten Volkes.
Ueber die Kuppeln seines Lieblingsschlosses Sanssouci aber ragt hinaus, als Denkmal seiner Gerechtigkeit, der er mit Freuden die eigenen Neigungen opferte, die von seinen Nachfolgern in hohen Ehren gehaltene historische Windmühle.
- ↑ Manger, ein von Friedrich dem Großen vielfach beschäftigter Baumeister, spricht sich darüber folgendermaßen aus (Manger’s Baugeschichte von Potsdam II. pag. 504): „König Friedrich II. hatte wohl anfänglich die Meinung nicht gehabt, nach seinem Tode in der Garnisonkirche aufbewahrt zu werden; denn Er hatte sich bereits bei der Anlage des Gartens Sanssouci 1744 auf der obern Terrasse neben dem Lustschlosse eine Ruhestätte von Klinkern (nicht von Marmor) wölben lassen, über welche die marmorne Flora von Adam 1749 gesetzt wurde, neben der seine Lieblingswindspiele, das letzte aber gar in diese Gruft begraben wurden. Jedoch es kann sein, daß er mit der Zeit seinen Entschluß änderte, oder daß man ihn zu befolgen nicht für nothwendig gehalten hat.“
Anmerkungen (Wikisource)
[Bearbeiten]- ↑ Vorlage: Octber