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Die Großmutter deutscher Kronenträger

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Textdaten
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Autor: Georg Horn
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Titel: Die Großmutter deutscher Kronenträger
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aus: Die Gartenlaube, Heft 17, S. 277–281
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1874
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Die Großmutter deutscher Kronenträger.


Schmähe mir die kleinen deutschen Residenzen nicht, du modern-politisches Geschlecht, das mit Recht so stolz und selbstbewußt von seiner hohen deutschen Warte hinaus in die Welt schaut! Bedenke stets, daß auch das politische Großwerden seine innere organische Entwickelung hat, und daß diese kleinen Fürstensitze, an denen du natürlich in Drang und Hast des modernen Lebens auf Flügeln des Dampfes vorübersausest, die Stätten waren, an denen die Apostel der Offenbarungen eines neuen Geistes und einer neuen Zeit Schutz, Gehör und Pflege fanden. Das deutsche Bürgerthum that das nicht; das hatte sich bei ihrem Auftreten abwehrend – sogar feindlich gegen sie verhalten; es war zu eifrig mit der Aufbesserung der materiellen und ökonomischen Verheerungen beschäftigt, die der dreißigjährige Krieg hinterlassen hatte. Und die auf dem großen deutschen Throne als Herrscher und Gebieter saßen, ihnen schwebten andere politisch-dynastische Zwecke und Ziele vor. Aber die kleinen Höfe der gegenwärtig mit so vornehmer Ueberhebung behandelten Duodezstaaten, diese setzten in der Pflege der geistigen und künstlerischen Interessen den ersten Hebel an, um das Vaterland wieder in die Höhe zu bringen, indem sie die zerstreuten oder brachliegenden geistigen Kräfte sammelten und pflegten. Ob philosophirt oder gemalt, gedichtet oder musicirt wurde, gleichviel, der Idealismus war die Atzung, mit welcher der deutsche Adler groß gezogen werden mußte, daß er mit seinen Schwingen so stolz und hehr durch die Gegenwart rauschen konnte. Ehe Juno den Mars, das heißt die schlagfertige That, gebären konnte, mußte sie zuerst an einer Blume riechen – darum, du junges Geschlecht, vergiß nicht, wenn du an Dessau, Gotha oder Weimar – an Eutin, Bückeburg oder Braunschweig vorüberfährst, daß dort die Keime des stolzen nationalen Bewußtseins liegen, mit dem du auf diese stillen Orte hinüberschaust.

Auch Darmstadt ist so ein Ort. Jenes hohe Kuppeldach, welches der Passagier vom Bahnhofe aus erblickt, birgt eine der größten und kostbarsten Bibliotheken Deutschlands, ein naturhistorisches Cabinet, über das Goethe viel geschrieben, und wo er nach dieser wissenschaftlichen Richtung hin seine ersten Eindrücke empfangen hat. Aber nicht genug – unter jenem Kuppeldache hat eine der herrlichsten Frauen Deutschlands einen großen Theil ihres Lebens verbracht, und unter den hohen Bäumen, die dort über den flachen Dächern der Häuser aufragen, ihre letzte Ruhestatt gefunden unter Tannen- und Cypressengrün und dem Blau des Himmels – unter dem Wehen und Wirken der Elemente, aus denen sie ihr körperliches Dasein erhalten hatte, und denen sie es durch ihre Auflösung wieder anheim gab.

Dies war die Landgräfin Caroline von Hessen-Darmstadt, in der Geschichte des achtzehnten Jahrhunderts als „die große Landgräfin“ bekannt und gefeiert. Was sie gethan hat, um sich diesen Beinamen zu verdienen? wird mancher Leser fragen. Sie hat keine Kriege geführt und keine Schlachten gewonnen oder auch verloren, sie hat auch nicht durch große organisatorische Gesetze in den Entwickelungsgang eines großen Staates eingreifen können, wie ihre Zeitgenossinnen Maria Theresia oder Katharina von Rußland – sie war keine Heldin unter den Fürstinnen jener Zeit, auch keine Aspasia, keine Sappho – sie war aus dem nach außen beschränkt weiblichen Kreise nicht herausgetreten, nichts mehr und nichts weniger als eine Frau, aber diese in dem höchsten Begriffe der vollsten, edelsten und erhabensten Weiblichkeit. Ein solches Wesen zeichnet sich im Grunde lediglich durch das, was es nicht thut, aus, namentlich in einem Zeitalter, wie das der Landgräfin, wo die Unnatur, die Frivolität, die Herzlosigkeit und geistige Stumpfheit auf den Thronen saßen. Verwandeln wir diese Eigenschaften in ihr höchstes Gegentheil, dann gewinnen wir einige annähernde Begriffe für den edlen, lauteren Kern ihres Wesens, für den hohen, sittlichen und geistigen Adel ihrer Persönlichkeit.

Abgesehen von individuellen Aeußerungen in ihrem reichhaltigen Briefwechsel tritt diese der Gegenwart eigentlich nur aus dem Reflexe auf Andere, aber dann klar und voll entgegen, und immer gewinnt man daraus die Ueberzeugung, daß sie den mächtigen Eindruck, den sie auf die größten ihrer Zeitgenossen hervorgebracht hat, der echten Weiblichkeit angemessen, weniger durch das, was sie that, als das, was sie war, übte. Das Jahrhundert blickte zu ihr als zu einer neuen Offenbarung idealer deutscher Weiblichkeit empor. Das Schicksal schien sie mit Absicht auf eine so hervorragende Stelle socialer Verhältnisse gestellt zu haben, damit sie als Frau und Fürstin der Zeit weithin eine Leuchte sei. Für eine Ehe hätte man nicht zwei verschiedenartigere Naturen zusammen bringen können, als die zwanzigjährige Prinzessin Caroline von Pfalz-Birkenfeld und den zweiundzwanzigjährigen Erbprinzen Ludwig von Hessen-Darmstadt. Jene wohnte mit ihrer Mutter in dem reizenden Bergzabern; dort machte der Erbe von Darmstadt, der für eine arme apanagirte Prinzessin eine glänzende Partie war, öfters Besuche, und vielleicht war es bei einer so edel und groß denkenden Natur gar nicht die Rücksicht auf die äußeren Vortheile, welche Caroline bestimmte, ihm die Hand zu reichen; jedenfalls sprachen zu ihrem Herzen die persönlichen Eigenschaften des Erbprinzen, seine äußere vortheilhafte Erscheinung, die er mit allen Mitgliedern seines Hauses gemeinsam hatte, weiter sein frisches soldatisches Wesen, das freilich später mehr die Dressur des Zopfes, als die Ausbildung soldatischen Geistes zum Ausgangspunkte nahm. Als junge Erbprinzessin wohnte Caroline in Buchsweiler, einer jener kleinen Residenzen von Fürsten, die gern groß sein wollten. Goethe hat uns aus seiner Straßburger Zeit eine begeisterte Schilderung des Ortes hinterlassen. Er war von der Hauptstadt des Elsasses oft nach der kleinen Residenz gekommen, aber damals war er der Erbprinzessin noch nicht näher getreten.

Buchsweiler blieb Aufenthaltsort der Erbprinzessin, auch

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Landgräfin Caroline von Hessen-Darmstadt.
Originalzeichnung von Adolf Neumann.

nachdem ihr Gemahl an die Spitze eines Regiments getreten war, das in Straßburg in Garnison lag. Später schied der Erbprinz Ludwig aus dem französischen Dienste aus, und die Vermuthung liegt nahe, daß Caroline es war, die ihn hierzu und zu dem Entschlusse veranlaßte, Friedrich dem Großen seinen Degen anzubieten. Der junge Preußenkönig, der seine Fahne bereits gegen Maria Theresia entfaltet hatte, hieß den Erbprinzen von Hessen-Darmstadt in seiner Armee willkommen. In welchen Zeitpunkt die erste persönliche Bekanntschaft des jungen Ehepaares um Friedrich dem Zweiten fallen mag, ist historisch nicht festgestellt, selbst ein so gewissenhafter Forscher, wie der Oberbibliothekar Dr. Walther in Darmstadt, der Verfasser eines in hohem Grade anziehenden Lebensbildes der „großen Landgräfin“, giebt darüber keine bestimmten Data, aber jedenfalls traf das Ehepaar im Jahre 1744 mit dem jugendlichen Preußenkönig zuerst zusammen. Der Erbprinz begab sich damals zum ersten Male nach Potsdam; hier bekam er das Regiment von Selchow, das in Prenzlau in der Uckermark in Garnison lag. Auch die Erbprinzessin war dabei, und bei diesem Aufenthalte knüpften sich zwischen Ludwig und Caroline einerseits und dem Könige und seiner Schwester Amalie andererseits die innigen Beziehungen, welche fast ein ganzes Menschenalter hindurch ihre Lauterkeit und Festigkeit bewährten und bei dem großen Friedrich über das Grab hinaus dauerten.

[279] Beide Ehegatten theilten sich gewissermaßen in das Wesen des Königs; die Erbprinzessin erfaßte die ideale Seite desselben, den Dichter, den Denker, den Menschen; der Erbprinz verstand nur den König, der die besten und schönsten Soldaten mit den steifsten Seitenlocken und Zöpfen hatte, und der anerkannt der erste Exercirmeister Europas war. Wenn schon zwischen den blühenden Gefilden des Elsasses und den Haiden der Uckermark sich für die naturgestimmte Erbprinzessin einiger Unterschied ergeben mochte, so schien sie mit den reichen Gaben ihres Geistes und dem Schatze ihrer Bildung doch den einen Ausgleich gefunden zu haben. Und dann erkannte sie in jeder Bewegung der Bataillone, die der Erbprinz mit Eifer exercirte, in jeder Maßregel der Regentenfürsorge des Königs seinen Geist – war sie doch hier in dem reizlosen Städtchen der Mark den Aeußerungen

Denkmal der Landgräfin Caroline von Hessen-Darmstadt.
Nach der Natur aufgenommen von Nestel.

seiner gewaltigen Persönlichkeit näher als daheim im Elsasser Land. Und wenn es am Ende gar nicht mehr länger gehen wollte, dann war Potsdam ja wohl nur eine Tagereise von Prenzlau entfernt.

Dem alten Nimrod von Darmstadt, Landgrafen Ludwig dem Achten, dem Vater des Erbprinzen, der von seinem Jagdschlosse Kranichstein mit einem Gespann von Hirschen in seine Residenz zu fahren pflegte, ihm war der Eintritt seines Sohnes in preußische Dienste eine Quelle großen Kummers. Von jeher war die darmstädtische Linie des Hauses Hessen gut kaiserlich gesinnt gewesen; zudem hatte er in seiner Jugend in der österreichischen Armee gedient und war von der jugendlichen Maria Theresia ob seiner herrlichen Erscheinung stets sehr wohlgefällig bemerkt worden. Ja, eine Zeit lang wurde in den Kreisen des Wiener Hofes die Möglichkeit einer Verbindung der Tochter Karl’s des Sechsten mit ihm ganz ernsthaft in Erwägung gezogen, bis diese dann zuletzt, wohl mehr aus religiösen Rücksichten, den Lothringer Franz dem schönen Hessenprinzen vorzog.

Aber in dem alt gewordenen Liebhaber war der Kaiserin darob kein Gegner erwachsen – im Gegentheile blieb er durch sein ganzes Leben ihr in ritterlicher Treue zugethan, und nun mußte er den Sohn in den Reihen ihres Feindes sehen! Das ließ er bis zum Beginn des siebenjährigen Krieges gewähren, aber dann setzte er Alles in Bewegung, um den Erbprinzen aus der preußischen Armee zur Rückkehr nach seinem Erblande zu vermögen. Er erreichte es, gewiß nicht ohne Einfluß der Erbprinzessin. Sie war dem alten Landgrafen mit kindlicher Liebe zugethan, und jedenfalls ging es nicht ohne Kämpfe ab, wobei sie ihren Gemahl wohl an die Pflichten eines Sohnes gegen den Vater erinnert haben mag. Im Uebrigen kannte sie den erhabenen Sinn ihres königlichen Freundes zu gut, als daß sie aus diesem Schritte, den Pietät und vielleicht auch politische Nothwendigkeit vorschrieben, ein Erkalten ihrer durch persönliche Begegnung noch erhöhten freundschaftlichen Gefühle hätte besorgen müssen. Aber mit wie schwerem Herzen mag sie im Jahre 1756 von Potsdam, vom Könige geschieden sein! Dann saß sie wieder in dem stillen Buchsweiler, während der Erbprinz in dem pfälzischen Pirmasenz, auf seinem eigenen Grund und Boden seiner Soldatenliebhaberei [280] mehr als je nachhing. Pirmasenz wurde in dieser Beziehung das pfälzer Potsdam (siehe Gartenlaube 1871, Nr. 31 und 32) – dort hielt er ein Regiment der schönsten geworbenen Leute; exerciren lassen war seine Lust, und er selbst rühmte sich, der beste Trommelschläger Europas zu sein. Ja, bei Gelegenheiten großer Schaustellungen, zu denen Zuschauer aus aller Herren Länder kamen, verschmähte er es nicht, den Soldaten selbst die Bärte zu wichsen und die Zöpfe zu drehen, damit nur Alles recht stramm und proper sich ansah. Daß bei einem so gearteten Charakter kein tieferes, seelisches und geistiges Verhältniß möglich war – braucht wohl nicht erst besonders betont zu werden. Und doch war die erbprinzliche Ehe keine unglückliche, und daß sie das nicht war, mag wohl allein das Verdienst der Erbprinzessin gewesen sein. Die ihr eigene tiefe Charakteranlage bekundet sich wohl darin am deutlichsten, daß sie das Achtungswerthe und Treffliche in dem Wesen des Erbprinzen, sein klares, praktisches Denken, sein höfliches Wesen, seine Rechtlichkeit und Einfachheit und seine Willenskraft herauszufinden wußte. Indem sie so den inneren sittlichen Kern aller seiner Handlungen loslöste, schuf sie sich dadurch eine praktische Lebensbasis, die sie wenigstens vor innerem Unbefriedigtsein bewahrte. So reich und vielseitig ihr geistiges Wesen war, so bestimmt und praktisch war es in seinen Zwecken und Zielen. Das war etwas ganz Außerordentliches in jenem Jahrhundert, das so viel Geist zeigte, und diesen so wenig bewährte.

Aber auch zur Vermeidung dieses Fehlers mag ihr der Weise von Sanssouci Form und Richtung gewesen sein. Er war ihr Held, und die Begeisterung für ihn trug ihre reichen Früchte, namentlich als der alte Verehrer Maria Theresia’s zu seinen Vätern eingegangen war und der Erbprinz als Landgraf Ludwig der Neunte die Regierung des Landes angetreten hatte. Hier zeigte es sich, was die geistige Kraft einer Frau im Verein mit feinem Tacte, mit graziöser Anmuth und einer unversiechbaren Güte des Herzens zu schaffen vermag.

Die Landgräfin verstand es, den guten wie den schlimmen Eigenschaften ihres Gemahles eine Richtung zu geben, die zum Segen des Landes und der Unterthanen wurde. Auf ihre Veranlassung geschah es, daß der Minister von Moser in das Land gezogen wurde; mit ihm begann eine Reihe von Reformen, die den Wohlstand in Städten und Dörfern durch Einführung rationeller, von den Banden des Feudalstaates befreiter Landwirthschaft und Industrie hoben, Reformen, welche auch die Hebung der Finanzkraft des Landes, in erster Linie Tilgung und Verminderung der Landesschulden, bezweckten und sich namentlich auf Schulen und Unterricht erstreckten, hauptsächlich aber die Uebung und Aufrechthaltung religiöser Toleranz zur Folge hatten, welche den Frieden in die Herzen und in die Hütten trug. Aber auch dem Schmucke, dem Reize und der Schönheit des Lebens wurde bei der so allseitigen Begabung der Landgräfin ihr Theil.

Sie hielt im Schlosse von Darmstadt Hof – nicht für Höflinge, sondern für die Geister der Nation, für die Barden und Weisen, die dem Volke der Lieder Kunst enthüllten und hohe Lehren vortrugen.

Da kam der graciöse Wieland und der feurige junge Goethe und hatte jenes Abenteuer, von dem einst den Lesern dieses Blattes Levin Schücking in seiner Novelle „Der gefangene Dichter“ (Gartenlaube, Jahrgang 1858 Nr. 6 und folg.) erzählt hat; da verkehrte Herder und holte sich seine Braut, Karoline Flachsland, vom Darmstädter Hofe hinweg; da drückte der geniale Merck dem dortigen Kreise seine geistige Signatur auf; da erschienen Georg Schlosser, der phantastische Leuchsenring, Herr von Grimm, und so viele Andere, und Jeder ging beglückt und begeistert von dannen, und Jeder trug von dem Walten der Persönlichkeit der Landgräfin eine innere Befruchtung davon, und wie der Vogel auf seinen Flügeln den Samen in weit entlegene Gegenden trägt, so wurde jeder Mund zum Verkündiger ihres Ruhmes, der ihr schon von ihren Zeitgenossen den Beinamen „Die große Landgräfin“ eintrug.

Entsprechen nicht die leiblichen Züge des beifolgenden Portraits, welches nach einem Originalölbilde im Darmstädter Schlosse angefertigt und durch die Güte der Frau Prinzessin Ludwig von Hessen der Gartenlaube zugänglich gemacht worden ist, entsprechen sie nicht dem geistigen Bade, welches wir soeben von ihr entworfen haben? Jedenfalls stammt das Bildniß aus den späteren Zeiten ihres Lebens, und während aus allen Portraits fürstlicher Personen dieser Zeit nur die Coquetterie spricht, sieht uns hier ein charaktervolles Gesicht an, das in jedem Zuge den Stempel der Wahrheit trägt. Schön war die Landgräfin wohl auch in ihrer Jugend nicht gewesen, dazu ist das Gesicht zu lang gezogen; aber wie edel ist die Stirn geformt, wie eigenthümlich und stark entwickelt ist der untere Theil des Gesichtes, die Partien des Kinns! Hier sind die Eigenschaften des Charakters ausgedrückt, während an der Stirn und aus den klugen, hellen Denkeraugen die Strahlen geistiger Freiheit leuchten, in deren Cultus sie ihr Leben gegeben hatte. Auch die lautere Güte und die Wärme des Herzens sprechen zu uns aus diesen Blicken; aber das vereinte Wesen der Frau, die volle schöne Natur liegt in ihrem Munde, in der Form, dem Zuge der Lippen, in die ein unnachahmlicher Liebreiz gelegt ist, von dem Maler, der ein ganz bedeutender Künstler gewesen sein muß, von der Natur, welche gerade diesen Theil des Gesichtes der Landgräfin, diesen Theil, in dem sich Geist und Herz äußern, zum Sitze der Schönheit gemacht hat. Dieser Mund scheint eben ein menschenbeglückendes Wort gesprochen zu haben.

Man muß wissen, wie die Fürstenkinder des vorigen Jahrhunderts erzogen wurden, wie alle dahin ausgehenden Bestrebungen auf äußerliche Dressur gerichtet waren, wie Herz, Charakter, Geist und Leib dabei verkümmerten, um die hohe, ihre Zeit weit überragende Stellung beurtheilen zu können, welche die Landgräfin als Erzieherin ihrer Kinder einnahm. Sie hatte deren neun, drei Söhne und sechs Töchter. Namentlich beschäftigte sie die Sorge um Heranbildung des Erbprinzen Ludwig, des spätern ersten Großherzogs zu einem tüchtigen Menschen und guten Regenten. Von welcher Anschauung sie dabei geleitet ward, möchte aus folgender kurzen Briefstelle hervorgehen:

„Ich will nicht, daß ein Kind von mir sich einbildet, es sei mehr werth als die übrigen Menschen, und daß es darum Alles, was Andere für dasselbe thun, nur als eine Pflicht derselben ansehe. Bitten wir den lieben Gott für Louis, daß er einst sein Land glücklich mache. Das ist Alles, was ich wünsche.“

Ueber die körperliche Ausbildung der Kinder dachte sie in einer Weise, die den Professor Bock in Leipzig zu ihrem begeisterten Freunde gemacht hätte.

„Lasse Karl zu Fuß gehen,“ so schreibt sie einmal an ihre Schwägerin von Baden, „ich befehle es Dir an, und wenn er nicht daran gewöhnt ist, dann gewöhne ihn eben nach und nach. Spaziergänge zu Fuß härten die Kinder ab und geben ihnen ein frisches Aussehen.

Eine Stelle eines Prenzlauer Briefes an die Prinzessin Amalie in Preußen lautet:

„Sie würden sich über mich moquiren, sähen Sie mich ist meinem Wagen, von meinen zwei Kindern begleitet, ausfahren. Ich lasse sie dann laufen, sich tummeln, wenn wir draußen im Freien sind. Man könnte sagen, das sei zu spießbürgerlich; Sie, theuerste Prinzessin, denken das nicht.“

Selbst als die Töchter schon verheirathet waren, glaubte sie ihr Erziehungswerk damit noch nicht vollendet. Sie setzte es brieflich fort. Sie suchte ebenso sehr auf Gemüth und Charakter einzuwirken, wie sie ihnen Rathschläge für ihre äußere Erscheinung, ihr Auftreten vor der Welt gab. „Daß man nicht die Frisur zum Schrecken des Mr. Snieder (damals ein berühmter Friseur in Berlin, wahrscheinlich Herr Schneider deutschen Namens) betaste und daß die Finger nichts im Gesicht und an der Nase zu thun haben – daß man gleich beim Aufstehen sich frisiren oder wenigstens die Haare in Ordnung bringen lasse; man muß besonders schön sein, wenn die Unordnung nicht auffallen soll,“ schreibt sie einmal an die Tochter in Preußen, der sie dabei eine besondere Sorgfalt im Morgenanzuge empfiehlt. „Wenn dasselbe selbst etwas raffinirt erscheint, schadet das nichts; denn es ist eine Pflicht für eine junge Frau, sich in den Augen ihres Gemahles so anziehend wie möglich zu machen.“

Wie sie hier ihre Welterfahrung zeigt, so gewinnt man aus einem anderen Briefe an dieselbe Tochter einen Einblick in ihr Inneres: „Ich bitte Dich inständigst, Jedermann in seiner Art glücklich zu machen, und wenn Du Anwandlungen von übler Laune und Heftigkeit hast, Dich dem einen und dem andern gegenüber zu prüfen. Bemühe Dich nicht, Deine Heftigkeit zu zügeln, sondern sie auszurotten; denn sie verletzt die Menschen. – Hüte Dein Herz, damit es niemals lernt, Jemandem zu [281] schaden, damit man es nur kenne an der Wohlthätigkeit und an den Wünschen, die Welt einig zu sehen.“

Durch die Heirathen, welche ihre Töchter machten, wurde sie die Großmutter Deutschlands. Es giebt heutzutage keinen deutschen Thron, auf dem nicht ein Urenkel oder eine Urenkelin von ihr säße. – Ja zu ihrer Nachkommenschaft gehört auch noch die russische und schwedische Dynastie.

Die älteste Tochter heirathete ihren Vetter von Homburg. Prinzessin Friederike wurde Gemahlin Friedrich Wilhelm’s des Zweiten, des Neffen Friedrich’s des Großen, und als Mutter Friedrich Wilhelm’s des Dritten die Stammmutter der heutigen königlichen Hohenzollern; die dritte Prinzessin Louise flößte als Gemahlin Karl August’s von Sachsen-Weimar selbst einem Napoleon Respect ein, und die Jüngste ward Erbprinzessin von Baden und Großmutter der Kinder König Max des Ersten von Bayern. Wohl auch nur allein die hohen und außergewöhnlichen Vorzüge der Mutter waren es, welche die Aufmerksamkeit der nordischen Semiramis, Katharina’s der Zweiten von Rußland, auf die Darmstädtischen Töchter lenkte. Eine derselben sollte ihr Sohn, der Großfürst-Thronfolger Paul als Gemahlin wählen. Es bedurfte langer Unterhandlungen und der kräftigen Fürsprache des königlichen Freundes von Sanssouci, um die Landgräfin zu bewegen, mit drei Prinzessinnen zur Auswahl die Reise nach Rußland anzutreten.

Das Heirathsproject wurde zwischen den Eingeweihten unter dem Titel einer „Subscription zur Herausgabe eines Werkes“ verhandelt; die Kaiserin figurirte als „Buchhändler“, Friedrich der Große als „Associé des Buchhändlers“ und die drei Prinzessinnen waren die einzelnen Bände des Buches. Die spätere Großherzogin Louise von Sachsen war unter der Dreizahl und erzählte noch in späten Jahren, wie sie sich alle erdenkliche Mühe gegeben habe, recht unliebenswürdig zu erscheinen, damit die Wahl des Großfürsten-Thronfolgers nur nicht auf sie fiele. Es geschah auch nicht, Paul oder vielmehr seine Mutter wählte die Prinzessin Wilhelmine, die als Großfürstin Natalie Alexejewna ihm angetraut wurde. Diese Reise dauerte vom Mai bis December. Die Strapazen derselben, die Anstrengungen, die der Aufenthalt in Petersburg von der ohnehin nicht sehr starken Gesundheit der Landgräfin forderte, hatten ihre Kräfte tief erschöpft. Auf der Hin- und auf der Rückreise hatte sie ihren großen Freund in Potsdam gesehen und in dankbarer Erinnerung an die Hochgenüsse, welche das Beisammensein mit ihm ihr bereitete, schrieb sie ihm bei ihrer Abreise und Rückkehr nach Darmstadt: „Ich verlasse mit schmerzlichem Bedauern Euer Majestät Staaten, durchdrungen von Respect und Verehrung für den Helden und großen Menschen. Der Himmel schütze immerdar Ihre Tage. Sie sind seine vollkommenste Schöpfung.“ – Liegt es in diesen Worten nicht wie eine Thräne des Abschiedes von der Hoffnung „den ersten Mann des Weltalls“ je wiederzusehn – des Abschiedes vom Leben? Diese Ahnung, welche die Landgräfin beim Schreiben und den König beim Empfang des Briefes beschleichen mochte – leider hatte sie nicht getrogen! Am 30. März 1774 endete ein schneller Tod dieses durch seine reiche und tiefe Innerlichkeit so große, durch seine sittlichen und geistigen Bestrebungen nach allen Seiten hin so ausgiebige, so harmonische und segensreiche Leben „der besten Fürstin“, wie Wieland’s Grabschrift sagt, „erhaben durch Geburt und Verbindungen, erhabener durch ihren Geist und ihre Tugenden, geprüft in beiderlei Glück und in Beiden gleich groß.“ – Wenige Stunden vor ihrem Tode und wohl im Vorgefühle desselben hatte sie an ihren Gemahl folgenden Brief geschrieben.

„Theuerster und liebster Gemahl! Die entscheidende Stunde meines Todes kommt und eilt heran, und ich danke Gott, daß er mich nach so vielem Glücke in der Welt noch des Glücks werth hält, sie mir so laut anzukünden. Auf Erden setzt mich nichts mehr in große Unruhe. Meine Seele genießt schon den Vorgeschmack der Freuden jener Welt.

Ich wünsche Ihnen und meinen lieben Kindern ein frohes Leben, das größte Glück, das sich nur denken läßt, ein ruhiges, seliges Ende! –

Meine Schatulle wird Ihnen Baron von Riedesel einhändigen. Ich weiß, daß sie in Hände kommt, die sich ebenso sehr gerne wie die meinigen für die Dürftigen öffnen. – Aber noch einen Wunsch habe ich, und dieser ist der letzte, den ich in die Welt schicke. Lassen Sie mich in dem großen Bosquet im englischen Garten begraben! Man wird daselbst eine Grotte finden, die außer mir bisher Niemand als Ihrem Werkmeister bekannt war. Hierin ist mein Grab mit einigen Steinen bezeichnet, und ich habe den größten Theil mit eigenen Händen vollendet. Hier an dem Orte, wo ich dem Geräusche des Hofes mich entzogen und meine Seele mit Gott unterhalten habe, dem ich bald für ein Leben Rechenschaft geben werde, das ich mit Ihnen, mein Gemahl, getheilt; hier an dem Orte, wo ich oft Sie und meine Kinder dem Herrn empfohlen habe; hier, wo Gott alle meine Wünsche gnädigst erhört hat; hier will ich ausruhen! Sie, mein theuerster Gemahl und Herr, erwartet jenseits des Grabes, in einer besseren Welt, Ihre gute Gemahlin, die noch den letzten Laut mit Ihnen theilt.“

Sie wollte in keiner Kirche beigesetzt sein – sie hatte sich ihre Grabstätte bei Lebzeiten selbst bereitet in dem von ihr angelegten und mit fremden Baumarten bepflanzten Garten. Nicht ohne Mühe fand man einen unterirdischen Gang, der zu einer Felsengrotte führte; durch eine Oeffnung von sechs Zoll Umfang fiel in dieselbe so viel Licht, wie zum Lesen nothwendig war; die Oeffnung konnte man durch einen Stein von innen verschließen. Hier fand man ein Ruhebett, mehrere Andachtsbücher und das mit Steinen bezeichnete Grab. Nach dieser Stelle bewegte sich in der Nacht des dritten April 1774 vom Schlosse zu Darmstadt aus ein stiller Trauerzug, der „die Zierde und Bewunderung des Jahrhunderts“, wie Friedrich der Große die Dahingeschiedene nannte, zur Grabesruhe brachte.

Wenn der Lebende der Gegenwart, vielleicht angeregt durch diese im Hinblicke auf die Bedeutung seines Gegenstandes so unvollkommene Skizze, dem Andenken Carolinens von Darmstadt einen Gang der Pietät weihen will, der Weg nach dem stillen Orte ist leicht zu finden. Unter alten mächtigen Bäumen des Herrengartens von Darmstadt führt ein schmaler Pfad rechts abseits. Die tieferen Laubfärbungen bereiten die Stimmung vor – allmählich wird es stiller und dunkler. Ein runder Platz, von einem Eisengitter umgeben, überragt von Fichten und Cypressen, die sich kuppelförmig über demselben wölben; inmitten desselben ein sanftgewölbter Hügel mit Epheu bewachsen und auf dessen Spitze eine Urne von Marmor, der früher weiß war, den aber ein Jahrhundert dunkel gefärbt hat – eine Urne, auf der zwei Genien lagern und welche die Aufschrift trägt: „Femina sexu – ingenio vir.“ (Von Geschlecht ein Weib – von Geist ein Mann.) Unsere Illustration ist eine getreue Abbildung. Friedrich der Große hatte den Marmor auf den Grabeshügel gesandt, um künftigen Jahrhunderten, wie er schrieb, seine Gefühle der Verehrung für die großen Geistesgaben und reichen Tugenden der Dahingeschiedenen zu verkünden und, möchte man hinzufügen, um die Gegenwart daran zu mahnen, welch erhabener Gegenstand nationalen Gedankens dieser Grabhügel mit dem von Thränen der Liebe und Freundschaft benetzten Staube einer deutschen Frau und Fürstin ist.

Georg Horn.