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Die Geschichte vom verlornen Spiegelbilde

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Autor: E. T. A. Hoffmann
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Titel: Die Abentheuer der Sylvester-Nacht – 4. Die Geschichte vom verlornen Spiegelbilde
Untertitel:
aus: Fantasiestücke in Callot’s Manier, Zweiter Theil, S. 257-284
Herausgeber:
Auflage: Zweite, durchgesehene Auflage in zwei Theilen (= Ausgabe letzter Hand)
Entstehungsdatum: 1814-15, revidiert 1819
Erscheinungsdatum: 2. Auflage: 1819
Verlag: Kunz
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Erscheinungsort: Bamberg
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Quelle: pdf bei commons: Bd.2
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4.
Die Geschichte vom verlornen Spiegelbilde.


Endlich war es doch so weit gekommen, daß Erasmus Spikher den Wunsch, den er sein Leben lang im Herzen genährt, erfüllen konnte. Mit frohem Herzen und wohlgefülltem Beutel setzte er sich in den Wagen, um die nördliche Heimath zu verlassen und nach dem schönen warmen Welschland zu reisen. Die liebe fromme Hausfrau vergoß tausend Thränen, sie hob den kleinen Rasmus, nachdem sie ihm Nase und Mund sorgfältig geputzt, in den Wagen hinein, damit der Vater zum Abschiede ihn noch sehr küsse. „Lebe wohl, mein lieber Erasmus Spikher,“ sprach die Frau schluchzend, „das Haus will ich Dir gut bewahren, denke fein fleißig an mich, bleibe mir treu und verliere nicht die schöne Reisemütze, wenn Du, wie Du wol pflegst, schlafend zum Wagen herausnickst.“ – Spikher versprach das. –

In dem schönen Florenz fand Erasmus einige Landsleute, die voll Lebenslust und jugendlichen Muths in den üppigen Genüssen, wie sie das herrliche Land reichlich darbot, schwelgten. Er bewies sich ihnen als ein wackrer Kumpan und es wurden allerlei ergötzliche Gelage veranstaltet, denen Spikhers besonders muntrer Geist und das Talent, dem tollen Ausgelassenen das Sinnige beizufügen, einen eignen Schwung gaben. So kam es denn, daß die jungen Leute (Erasmus erst sieben und zwanzig Jahr alt, war wol dazu zu rechnen) einmal zur Nachtzeit in eines herrlichen, duftenden Gartens erleuchtetem Boskett ein gar fröhliches Fest begingen. Jeder, nur nicht Erasmus, hatte eine liebliche Donna mitgebracht. Die Männer gingen in zierlicher altteutscher Tracht, die Frauen waren in bunten leuchtenden Gewändern, jede auf andere Art, ganz fantastisch gekleidet, so daß sie erschienen wie liebliche wandelnde Blumen. Hatte Diese oder Jene zu dem Saitengelispel der Mandolinen ein italienisches Liebeslied gesungen, so stimmten die Männer unter dem lustigen Geklingel der mit Syrakuser gefüllten Gläser einen kräftigen deutschen Rundgesang an. – Ist ja doch Italien das Land der Liebe. Der Abendwind säuselte wie in sehnsüchtigen Seufzern, wie Liebeslaute durchwallten die Orange- und Jasmindüfte das Boskett, sich mischend in das lose neckhafte Spiel, das die holden Frauenbilder, all’ die kleinen zarten Buffonerien, wie sie nur den italienischen Weibern eigen, aufbietend, begonnen hatten. Immer reger und lauter wurde die Lust. Friedrich, der Glühendste vor Allen, stand auf mit einem Arm hatte er seine Donna umschlungen, und das mit perlendem Syrakuser gefüllte Glas mit der andern Hand hoch schwingend, rief er: „Wo ist denn Himmelslust und Seligkeit zu finden als bei Euch, Ihr holden, herrlichen, italienischen Frauen, Ihr seyd ja die Liebe selbst. – Aber Du, Erasmus,“ fuhr er fort, sich zu Spikher wendend, „scheinst das nicht sonderlich zu fühlen, denn nicht allein, daß Du, aller Verabredung, Ordnung und Sitte entgegen, keine Donna zu unserm Feste geladen hast, so bist Du auch heute so trübe und in Dich gekehrt, daß, hättest Du nicht wenigstens tapfer getrunken und gesungen, ich glauben würde, Du seyst mit einem Mal ein langweiliger Melancholikus geworden.“ – „Ich muß Dir gestehen, Friedrich,“ erwiederte Erasmus, „daß ich mich auf die Weise nun einmal nicht freuen kann. Du weißt ja, daß ich eine liebe, fromme Hausfrau zurückgelassen habe, die ich recht aus tiefer Seele liebe, und an der ich ja offenbar einen Verrath beginge, wenn ich im losen Spiel auch nur für einen Abend mir eine Donna wählte. Mit Euch unbeweibten Jünglingen ist das ein Andres, aber ich, als Familienvater“ – Die Jünglinge lachten hell auf, da Erasmus bei dem Worte „Familienvater“ sich bemühte, das jugendliche gemüthliche Gesicht in ernste Falten zu ziehen, welches denn eben sehr possierlich herauskam. Friedrichs Donna ließ sich das, was Erasmus teutsch gesprochen, in das Italienische übersetzen, dann wandte sie sich ernsten Blickes zum Erasmus und sprach, mit aufgehobenem Finger leise drohend: „Du kalter, kalter Teutscher! – verwahre Dich wohl, noch hast Du Giulietta nicht gesehen!“

In dem Augenblick rauschte es beim Eingange des Bosketts, und aus dunkler Nacht trat in den lichten Kerzenschimmer hinein ein wunderherrliches Frauenbild. Das weiße, Busen, Schultern und Nacken nur halb verhüllende Gewand, mit bauschigen bis an die Ellbogen streifenden Aermeln, floß in reichen breiten Falten herab, die Haare vorn an der Stirn gescheitelt, hinten in vielen Flechten heraufgenestelt. – Goldene Ketten um den Hals, reiche Armbänder um die Handgelenke geschlungen, vollendeten den alterthümlichen Putz der Jungfrau, die anzusehen war, als wandle ein Frauenbild von Rubens oder dem zierlichen Mieris daher. „Giulietta!“ riefen die Mädchen voll Erstaunen. Giulietta, deren Engelsschönheit Alle überstrahlte, sprach mit süßer lieblicher Stimme: „Laßt mich doch Theil nehmen an Euerm schönen Fest, ihr wackern teutschen Jünglinge. Ich will hin zu Jenem dort, der unter Euch ist so ohne Lust und ohne Liebe.“ Damit wandelte sie in hoher Anmuth zum Erasmus und setzte sich auf den Sessel, der neben ihm leer geblieben, da man vorausgesetzt hatte, daß auch er eine Donna mitbringen werde. Die Mädchen lispelten unter einander: „Seht, o seht, wie Giulietta heute wieder so schön ist!“ und die Jünglinge sprachen: „Was ist denn das mit dem Erasmus, er hat ja die Schönste gewonnen und uns nur wol verhöhnt?“

Dem Erasmus war bei dem ersten Blick, den er auf Giulietta warf, so ganz besonders zu Muthe geworden, daß er selbst nicht wußte, was sich denn so gewaltsam in seinem Innern rege. Als sie sich ihm näherte, faßte ihn eine fremde Gewalt und drückte seine Brust zusammen, daß sein Athem stockte. Das Auge fest geheftet auf Giulietta mit erstarrten Lippen saß er da und konnte kein Wort hervorbringen, als die Jünglinge laut Giulietta’s Anmuth und Schönheit priesen. Giulietta nahm einen vollgeschenkten Pokal und stand auf, ihn dem Erasmus freundlich darreichend; der ergriff den Pokal, Giulietta’s zarte Finger leise berührend. Er trank, Gluth strömte durch seine Adern. Da fragte Giulietta scherzend: „Soll ich denn Eure Donna seyn?“ Aber Erasmus warf sich wie im Wahnsinn vor Giulietta nieder, drückte ihre beiden Hände an seine Brust und rief: „Ja, Du bist es, Dich habe ich geliebt immerdar, Dich, Du Engelsbild! – Dich habe ich geschaut in meinen Träumen, Du bist mein Glück, meine Seligkeit, mein höheres Leben!“ – Alle glaubten, der Wein sey dem Erasmus zu Kopf gestiegen, denn so hatten sie ihn nie gesehen, er schien ein Anderer worden. „Ja, Du – Du bist mein Leben, Du flammst in mir mit verzehrender Gluth. Laß mich untergehen – untergehen, nur in Dir, nur Du will ich seyn,“ – so schrie Erasmus, aber Giulietta nahm ihn sanft in die Arme; ruhiger geworden, setzte er sich an ihre Seite, und bald begann wieder das heitre Liebesspiel in munteren Scherzen und Liedern, das durch Giulietta und Erasmus unterbrochen worden. Wenn Giulietta sang, war es, als gingen aus tiefster Brust Himmelstöne hervor, nie gekannte, nur geahnte Lust in Allen entzündend. Ihre volle wunderbare Kristallstimme trug eine geheimnißvolle Gluth in sich, die jedes Gemüth ganz und gar befing. Fester hielt jeder Jüngling seine Donna umschlungen, und feuriger strahlte Aug’ in Auge. Schon verkündete ein rother Schimmer den Anbruch der Morgenröthe, da rieth Giulietta das Fest zu enden. Es geschah. Erasmus schickte sich an, Giulietta zu begleiten, sie schlug das ab und bezeichnete ihm das Haus, wo er sie künftig finden könne. Während des teutschen Rundgesanges, den die Jünglinge noch zum Beschluß des Festes anstimmten, war Giulietta aus dem Boskett verschwunden; man sah sie hinter zwei Bedienten, die mit Fackeln voranschritten, durch einen fernen Laubgang wandeln. Erasmus wagte nicht, ihr zu folgen. Die Jünglinge nahmen nun jeder seine Donna unter den Arm und schritten in voller heller Lust von dannen. Ganz verstört und im Innern zerrissen von Sehnsucht und Liebesqual folgte ihnen endlich Erasmus, dem sein kleiner Diener mit der Fackel vorleuchtete. So ging er, da die Freunde ihn verlassen, durch eine entlegene Straße, die nach seiner Wohnung führte. Die Morgenröthe war hoch heraufgestiegen, der Diener stieß die Fackel auf dem Steinpflaster aus, aber in den aufsprühenden Funken stand plötzlich eine seltsame Figur vor Erasmus, ein langer dürrer Mann mit spitzer Habichtsnase, funkelnden Augen, hämisch verzogenem Munde, im feuerrothen Rock mit strahlenden Stahlknöpfen. Der lachte und rief mit unangenehm gellender Stimme: „Ho, ho! – Ihr seyd wol aus einem alten Bilderbuch herausgestiegen mit Euerm Mantel, Euerm geschlitzten Wamms und Euerm Federnbarett. – Ihr seht recht schnakisch aus, Hr. Erasmus, aber wollt Ihr denn auf der Straße der Leute Spott werden? Kehrt doch nur ruhig zurück in Euern Pergamentband.“ – „Was geht Euch meine Kleidung an,“ sprach Erasmus verdrießlich und wollte, den rothen Kerl bei Seite schiebend, vorübergehen, der schrie ihm nach: „Nun, nun – eilt nur nicht so, zur Giulietta könnt Ihr doch jetzt gleich nicht hin.“ Erasmus drehte sich rasch um. „Was sprecht Ihr von Giulietta,“ rief er mit wilder Stimme, den rothen Kerl bei der Brust packend. Der wandte sich aber pfeilschnell und war, ehe sich’s Erasmus versah, verschwunden. Erasmus blieb ganz verblüfft stehen, mit dem Stahlknopf in der Hand, den er dem Rothen abgerissen. „Das war der Wunderdoktor, Signor Dapertutto; was der nur von Euch wollte?“ sprach der Diener, aber dem Erasmus wandelte ein Grauen an, er eilte sein Haus zu erreichen. –

Giulietta empfing den Erasmus mit all’ der wunderbaren Anmuth und Freundlichkeit, die ihr eigen. Der wahnsinnigen Leidenschaft, die den Erasmus entflammt, setzte sie ein mildes, gleichmüthiges Betragen entgegen. Nur dann und wann funkelten ihre Augen höher auf, und Erasmus fühlte, wie leise Schauer aus dem Innersten heraus ihn durchbebten, wenn sie manchmal ihn mit einem recht seltsamen Blicke traf. Nie sagte sie ihm, daß sie ihn liebe, aber ihre ganze Art und Weise mit ihm umzugehen, ließ es ihn deutlich ahnen, und so kam es, daß immer festere und festere Bande ihn umstrickten. Ein wahres Sonnenleben ging ihm auf; die Freunde sah er selten, da Giulietta ihn in andere fremde Gesellschaft eingeführt. –

Einst begegnete ihm Friedrich, der ließ ihn nicht los, und als der Erasmus durch manche Erinnerung an sein Vaterland und an sein Haus recht mild und weich geworden, da sagte Friedrich: „Weißt Du wol, Spikher, daß Du in recht gefährliche Bekanntschaft gerathen bist? Du mußt es doch wol schon gemerkt haben, daß die schöne Giulietta eine der schlauesten Courtisanen ist, die es je gab. Man trägt sich dabei mit allerlei geheimnißvollen, seltsamen Geschichten, die sie in gar besonderm Lichte erscheinen lassen. Daß sie über die Menschen, wenn sie will, eine unwiderstehliche Macht übt und sie in unauflösliche Bande verstrickt, seh’ ich an Dir, Du bist ganz und gar verändert, Du bist ganz der verführerischen Giulietta hingegeben, Du denkst nicht mehr an Deine liebe fromme Hausfrau.“ – Da hielt Erasmus beide Hände vors Gesicht, er schluchzte laut, er rief den Namen seiner Frau. Friedrich merkte wol, wie ein innerer harter Kampf begonnen. „Spikher,“ fuhr er fort, „laß uns schnell abreisen.“ „Ja, Friedrich,“ rief Spikher heftig, „Du hast Recht. Ich weiß nicht, wie mich so finstre gräßliche Ahnungen plötzlich ergreifen, – ich muß fort, noch heute fort.“ Beide Freunde eilten über die Straße, quer vorüber schritt Signor Dapertutto, der lachte dem Erasmus ins Gesicht und rief: „Ach, eilt doch, eilt doch nur schnell, Giulietta wartet schon, das Herz voll Sehnsucht, die Augen voll Thränen. – Ach, eilt doch, eilt doch!“ Erasmus wurde wie vom Blitz getroffen. „Dieser Kerl,“ sprach Friedrich, „dieser Ciarlatano ist mir im Grunde der Seele zuwider, und daß der bei Giulietta aus- und eingeht und ihr seine Wunderessenzen verkauft“ – „Was!“ rief Erasmus, „dieser abscheuliche Kerl bei Giulietta – bei Giulietta?“ – „Wo bleibt Ihr aber auch so lange, Alles wartet auf Euch, habt Ihr denn gar nicht an mich gedacht?“ so rief eine sanfte Stimme vom Balkon herab. Es war Giulietta, vor deren Hause die Freunde, ohne es bemerkt zu haben, standen. Mit einem Sprunge war Erasmus im Hause. „Der ist nun einmal hin und nicht mehr zu retten,“ sprach Friedrich leise und schlich über die Straße fort. –

Nie war Giulietta liebenswürdiger gewesen, sie trug dieselbe Kleidung als damals in dem Garten, sie strahlte in voller Schönheit und jugendlicher Anmuth. Erasmus hatte Alles vergessen, was er mit Friedrich gesprochen, mehr als je riß ihn die höchste Wonne, das höchste Entzücken unwiderstehlich hin, aber auch noch niemals hatte Giulietta so ohne allen Rückhalt ihm ihre innigste Liebe merken lassen. Nur ihn schien sie zu beachten, nur für ihn zu seyn. – Auf einer Villa, die Giulietta für den Sommer gemiethet, sollte ein Fest gefeiert werden. Man begab sich dahin. In der Gesellschaft befand sich ein junger Italiener von recht häßlicher Gestalt und noch häßlicheren Sitten, der bemühte sich viel um Giulietta und erregte die Eifersucht des Erasmus, der voll Ingrimm sich von den Andern entfernte und einsam in einer Seiten-Allee des Gartens auf- und abschlich. Giulietta suchte ihn auf. „Was ist Dir? – bist Du denn nicht ganz mein?“ Damit umfing sie ihn mit den zarten Armen und drückte einen Kuß auf seine Lippen. Feuerstrahlen durchblitzten ihn, in rasender Liebeswuth drückte er die Geliebte an sich und rief: „Nein, ich lasse Dich nicht, und sollte ich untergehen im schmachvollsten Verderben!“ Giulietta lächelte seltsam bei diesen Worten, und ihn traf jener sonderbare Blick, der ihm jederzeit innern Schauer erregte. Sie gingen wieder zur Gesellschaft. Der widrige junge Italiener trat jetzt in die Rolle des Erasmus; von Eifersucht getrieben, stieß er allerlei spitze beleidigende Reden gegen Teutsche und insbesondere gegen Spikher aus. Der konnte es endlich nicht länger ertragen; rasch schritt er auf den Italiener los. „Haltet ein,“ sprach er, „mit Euern nichtswürdigen Sticheleien auf Teutsche und auf mich, sonst werfe ich Euch in jenen Teich, und Ihr könnt Euch im Schwimmen versuchen.“ In dem Augenblick blitzte ein Dolch in des Italieners Hand, da packte Erasmus ihn wüthend bei der Kehle und warf ihn nieder, ein kräftiger Fußtritt ins Genick, und der Italiener gab röchelnd seinen Geist auf. – Alles stürzte auf den Erasmus los, er war ohne Besinnung – er fühlte sich ergriffen, fortgerissen. Als er wie aus tiefer Betäubung erwachte, lag er in einem kleinen Cabinet zu Giulietta’s Füßen, die, das Haupt über ihn herabgebeugt, ihn mit beiden Armen umfaßt hielt. „Du böser, böser Teutscher,“ sprach sie unendlich sanft und mild, „welche Angst hast Du mir verursacht! Aus der nächsten Gefahr habe ich Dich errettet, aber nicht sicher bist Du mehr in Florenz, in Italien. Du mußt fort, Du mußt mich, die Dich so sehr liebt, verlassen.“ Der Gedanke der Trennung zerriß den Erasmus in namenlosem Schmerz und Jammer. „Laß mich bleiben,“ schrie er, „ich will ja gern den Tod leiden, heißt denn sterben mehr als leben ohne Dich?“ Da war es ihm, als rufe eine leise ferne Stimme schmerzlich seinen Namen. Ach! es war die Stimme der frommen teutschen Hausfrau. Erasmus verstummte, und auf ganz seltsame Weise fragte Giulietta: „Du denkst wol an Dein Weib? – Ach, Erasmus, Du wirst mich nur zu bald vergessen.“ – „Könnte ich nur ewig und immerdar ganz Dein seyn,“ sprach Erasmus. Sie standen gerade vor dem schönen breiten Spiegel, der in der Wand des Cabinets angebracht war und an dessen beiden Seiten helle Kerzen brannten. Fester, inniger drückte Giulietta den Erasmus an sich, indem sie leise lispelte: „Laß mir Dein Spiegelbild, Du innig Geliebter, es soll mein und bei mir bleiben immerdar.“ – „Giulietta,“ rief Erasmus ganz verwundert, „was meinst Du denn? – mein Spiegelbild?“ – Er sah dabei in den Spiegel, der ihn und Giulietta in süßer Liebesumarmung zurückwarf. „Wie kannst Du denn mein Spiegelbild behalten,“ fuhr er fort, „das mit mir wandelt überall, und aus jedem klaren Wasser, aus jeder hellgeschliffnen Fläche mir entgegentritt?“ – „Nicht einmal,“ sprach Giulietta, „nicht einmal diesen Traum Deines Ichs, wie er aus dem Spiegel hervorschimmert, gönnst Du mir, der Du sonst mein mit Leib und Leben seyn wolltest? Nicht einmal Dein unstetes Bild soll bei mir bleiben und mit mir wandeln durch das arme Leben, das nun wol, da Du fliehst, ohne Lust und Liebe bleiben wird?“ Die heißen Thränen stürzten der Giulietta aus den schönen dunklen Augen. Da rief Erasmus, wahnsinnig vor tödtendem Liebesschmerz: „Muß ich denn fort von Dir? – muß ich fort, so soll mein Spiegelbild Dein bleiben auf ewig und immerdar. Keine Macht – der Teufel soll es Dir nicht entreißen, bis Du mich selbst hast mit Seele und Leib.“ – Giulietta’s Küsse brannten wie Feuer auf seinem Munde, als er dies gesprochen, dann ließ sie ihn los und streckte sehnsuchtsvoll die Arme aus nach dem Spiegel. Erasmus sah, wie sein Bild unabhängig von seinen Bewegungen hervortrat, wie es in Giulietta’s Arme glitt, wie es mit ihr im seltsamen Duft verschwand. Allerlei häßliche Stimmen meckerten und lachten in teuflischem Hohn; erfaßt von dem Todeskrampf des tiefsten Entsetzens sank er bewußtlos zu Boden, aber die fürchterliche Angst – das Grausen riß ihn auf aus der Betäubung, in dicker dichter Finsterniß taumelte er zur Thür hinaus, die Treppe hinab. Vor dem Hause ergriff man ihn und hob ihn in einen Wagen, der schnell fortrollte. „Dieselben haben sich etwas alterirt, wie es scheint,“ sprach der Mann, der sich neben ihn gesetzt hatte, in teutscher Sprache, „Dieselben haben sich etwas alterirt, indessen wird jetzt Alles ganz vortrefflich gehen, wenn Sie sich nur mir ganz überlassen wollen. Giuliettchen hat schon das Ihrige gethan und mir Sie empfohlen. Sie sind auch ein recht lieber junger Mann und inkliniren erstaunlich zu angenehmen Späßen, wie sie uns, mir und Giuliettchen, sehr behagen. Das war mir ein recht tüchtiger teutscher Tritt in den Nacken. Wie dem Amoroso die Zunge kirschblau zum Halse heraushing – es sah recht possierlich aus, und wie er so krächzte und ächzte und nicht gleich abfahren konnte – ha – ha – ha –“ Die Stimme des Mannes war so widrig höhnend, sein Schnickschnack so gräßlich, daß die Worte Dolchstichen gleich in des Erasmus Brust fuhren. „Wer Ihr auch seyn mögt,“ sprach Erasmus, „schweigt, schweigt von der entsetzlichen That, die ich bereue!“ – „Bereuen, bereuen!“ erwiederte der Mann, „so bereut Ihr auch wol, daß Ihr Giulietta kennen gelernt und ihre süße Liebe erworben habt?“ – „Ach, Giulietta, Giulietta!“ seufzte Erasmus. „Nun ja,“ fuhr der Mann fort, „so seyd Ihr nun kindisch, Ihr wünscht und wollt, aber Alles soll auf gleichem glatten Wege bleiben. Fatal ist es zwar, daß Ihr Giulietta habt verlassen müssen, aber doch könnte ich wol, bliebet Ihr hier, Euch allen Dolchen Eurer Verfolger und auch der lieben Justiz entziehen.“ Der Gedanke bei Giulietta bleiben zu können, ergriff den Erasmus gar mächtig. „Wie wäre das möglich?“ fragte er. – „Ich kenne,“ fuhr der Mann fort, „ein sympathetisches Mittel, das Eure Verfolger mit Blindheit schlägt, kurz, welches bewirkt, daß Ihr ihnen immer mit einem andern Gesichte erscheint und sie Euch niemals wieder erkennen. So wie es Tag ist, werdet Ihr so gut seyn recht lange und aufmerksam in irgend einen Spiegel zu schauen, mit Euerm Spiegelbilde nehme ich dann, ohne es im mindesten zu versehren, gewisse Operationen vor und Ihr seyd geborgen, Ihr könnt dann leben mit Giulietta ohne alle Gefahr in aller Lust und Freudigkeit.“ – „Fürchterlich, fürchterlich!“ schrie Erasmus auf. „Was ist denn fürchterlich, mein Werthester?“ fragte der Mann höhnisch. „Ach, ich – habe, ich – habe,“ fing Erasmus an – „Euer Spiegelbild sitzen lassen,“ fiel der Mann schnell ein, „sitzen lassen bei Giulietta? – ha, ha, ha! Bravissimo, mein Bester! Nun könnt Ihr durch Fluren und Wälder, Städte und Dörfer laufen, bis Ihr Euer Weib gefunden nebst dem kleinen Rasmus und wieder ein Familienvater seyd, wiewol ohne Spiegelbild, worauf es Eurer Frau auch weiter wol nicht ankommen wird, da sie Euch leiblich hat, Giulietta aber nur Euer schimmerndes Traum-Ich.“ – „Schweige, Du entsetzlicher Mensch,“ schrie Erasmus. In dem Augenblick nahte sich ein fröhlich singender Zug mit Fackeln, die ihren Glanz in den Wagen warfen. Erasmus sah seinem Begleiter ins Gesicht und erkannte den häßlichen Doktor Dapertutto. Mit einem Satz sprang er aus dem Wagen und lief dem Zuge entgegen, da er schon in der Ferne Friedrichs wohltönenden Baß erkannt hatte. Die Freunde kehrten von einem ländlichen Mahle zurück. Schnell unterrichtete Erasmus Friedrichen von Allem was geschehen, und verschwieg nur den Verlust seines Spiegelbildes. Friedrich eilte mit ihm voran nach der Stadt, und so schnell wurde alles Nöthige veranstaltet, daß, als die Morgenröthe aufgegangen, Erasmus auf einem raschen Pferde sich schon weit von Florenz entfernt hatte. – Spikher hat manches Abentheuer aufgeschrieben, das ihm auf seiner Reise begegnete. Am merkwürdigsten ist der Vorfall, welcher zuerst den Verlust seines Spiegelbildes ihm recht seltsam fühlen ließ. Er war nämlich gerade, weil sein müdes Pferd Erholung bedurfte, in einer großen Stadt geblieben, und setzte sich ohne Arg an die stark besetzte Wirthstafel, nicht achtend, daß ihm gegenüber ein schöner klarer Spiegel hing. Ein Satan von Kellner, der hinter seinem Stuhle stand, wurde gewahr, daß drüben im Spiegel der Stuhl leer geblieben und sich nichts von der darauf sitzenden Person reflektire. Er theilte seine Bemerkung dem Nachbar des Erasmus mit, der seinem Nebenmann, es lief durch die ganze Tischreihe ein Gemurmel und Geflüster, man sah den Erasmus an, dann in den Spiegel. Noch hatte Erasmus gar nicht bemerkt, daß ihm das Alles galt, als ein ernsthafter Mann vom Tische aufstand, ihn vor den Spiegel führte, hineinsah und dann sich zur Gesellschaft wendend laut rief: Wahrhaftig, er hat kein Spiegelbild! „Er hat kein Spiegelbild – er hat kein Spiegelbild!“ schrie Alles durch einander; „ein mauvais sujet, ein homo nefas, werft ihn zur Thür hinaus!“ – Voll Wuth und Schaam flüchtete Erasmus auf sein Zimmer; aber kaum war er dort, als ihm von Polizei wegen angekündigt wurde, daß er binnen einer Stunde mit seinem vollständigen, völlig ähnlichen Spiegelbilde vor der Obrigkeit erscheinen oder die Stadt verlassen müsse. Er eilte von dannen, vom müssigen Pöbel, von den Straßenjungen verfolgt, die ihm nachschrieen: „da reitet er hin, der dem Teufel sein Spiegelbild verkauft hat, da reitet er hin!“ – Endlich war er im Freien. Nun ließ er überall wo er hinkam, unter dem Vorwande eines natürlichen Abscheu’s gegen jede Abspiegelung, alle Spiegel schnell verhängen, und man nannte ihn daher spottweise den General Suwarow, der ein Gleiches that. –

Freudig empfing ihn, als er seine Vaterstadt und sein Haus erreicht, die liebe Frau mit dem kleinen Rasmus, und bald schien es ihm, als sey in ruhiger, friedlicher Häuslichkeit der Verlust des Spiegelbildes wol zu verschmerzen. Es begab sich eines Tages, daß Spikher, der die schöne Giulietta ganz aus Sinn und Gedanken verloren, mit dem kleinen Rasmus spielte; der hatte die Händchen voll Ofenruß und fuhr damit dem Papa ins Angesicht. „Ach, Vater, Vater, wie hab’ ich Dich schwarz gemacht, schau mal her!“ So rief der Kleine und holte, ehe Spikher es hindern konnte, einen Spiegel herbei, den er, ebenfalls hineinschauend, dem Vater vorhielt. – Aber gleich ließ er den Spiegel weinend fallen und lief schnell zum Zimmer hinaus. Bald darauf trat die Frau herein, Staunen und Schreck in den Mienen. „Was hat mir der Rasmus von Dir erzählt,“ sprach sie. „Daß ich kein Spiegelbild hätte, nicht wahr, mein Liebchen?“ fiel Spikher mit erzwungenem Lächeln ein, und bemühte sich zu beweisen, daß es zwar unsinnig sey zu glauben, man könne überhaupt sein Spiegelbild verlieren, im Ganzen sey aber nicht viel daran verloren, da jedes Spiegelbild doch nur eine Illusion sey, Selbstbetrachtung zur Eitelkeit führe, und noch dazu ein solches Bild, das eigne Ich, spalte in Wahrheit und Traum. Indem er so sprach, hatte die Frau von einem verhängten Spiegel, der sich in dem Wohnzimmer befand, schnell das Tuch herabgezogen. Sie schaute hinein, und als träfe sie ein Blitzstrahl sank sie zu Boden. Spikher hob sie auf, aber kaum hatte die Frau das Bewußtseyn wieder, als sie ihn mit Abscheu von sich stieß. „Verlasse mich,“ schrie sie, „verlasse mich, fürchterlicher Mensch! Du bist es nicht, Du bist nicht mein Mann, nein – ein höllischer Geist bist Du, der mich um meine Seligkeit bringen, der mich verderben will. – Fort, verlasse mich, Du hast keine Macht über mich, Verdammter!“ Ihre Stimme gellte durch das Zimmer, durch den Saal, die Hausleute liefen entsetzt herbei, in voller Wuth und Verzweiflung stürzte Erasmus zum Hause hinaus. Wie von wilder Raserei getrieben rannte er durch die einsamen Gänge des Parks, der sich bei der Stadt befand. Giulietta’s Gestalt stieg vor ihm auf in Engelsschönheit, da rief er laut: „Rächst Du Dich so, Giulietta, dafür, daß ich Dich verließ und Dir statt meines Selbst nur mein Spiegelbild gab? Ha, Giulietta, ich will ja Dein seyn mit Leib und Seele, Sie hat mich verstoßen, Sie, der ich Dich opferte. Giulietta, Giulietta, ich will ja Dein seyn mit Leib und Leben und Seele.“ – „Das können Sie ganz füglich, mein Werthester,“ sprach Signor Dapertutto, der auf einmal in seinem scharlachrothen Rocke mit den blitzenden Stahlknöpfen dicht neben ihm stand. Es waren Trostesworte für den unglücklichen Erasmus, deshalb achtete er nicht Dapertutto’s hämisches, häßliches Gesicht, er blieb stehen und fragte mit recht kläglichem Ton: „Wie soll ich Sie denn wieder finden, Sie, die wol auf immer für mich verloren ist!“ – „Mit nichten,“ erwiederte Dapertutto, „Sie ist gar nicht weit von hier und sehnt sich erstaunlich nach Ihrem werthen Selbst, Verehrter, da doch, wie Sie einsehen, ein Spiegelbild nur eine schnöde Illusion ist. Uebrigens giebt sie Ihnen, sobald sie sich Ihrer werthen Person, nämlich mit Leib, Leben und Seele sicher weiß, Ihr angenehmes Spiegelbild glatt und unversehrt dankbarlichst zurück.“ „Führe mich zu ihr – zu ihr hin!“ rief Erasmus, „wo ist sie?“ „Noch einer Kleinigkeit bedarf es,“ fiel Dapertutto ein, „bevor Sie Giulietta sehen und sich ihr gegen Erstattung des Spiegelbildes ganz ergeben können. Dieselben vermögen nicht so ganz über Dero werthe Person zu disponiren, da Sie noch durch gewisse Bande gefesselt sind, die erst gelöset werden müssen. – Dero liebe Frau nebst dem hoffnungsvollen Söhnlein“ – „Was soll das?“ – fuhr Erasmus wild auf. „Eine unmaßgebliche Trennung dieser Bande,“ fuhr Dapertutto fort, „könnte auf ganz leicht menschliche Weise bewirkt werden. Sie wissen ja von Florenz aus, daß ich wundersame Medikamente geschickt zu bereiten weiß, da hab’ ich denn hier so ein Hausmittelchen in der Hand. Nur ein paar Tropfen dürfen die genießen, welche Ihnen und der lieben Giulietta im Wege sind, und sie sinken ohne schmerzliche Gebehrde lautlos zusammen. Man nennt das zwar sterben, und der Tod soll bitter seyn; aber ist denn der Geschmack bittrer Mandeln nicht lieblich, und nur diese Bitterkeit hat der Tod, den dieses Fläschchen verschließt. Sogleich nach dem fröhlichen Hinsinken wird die werthe Familie einen angenehmen Geruch von bittern Mandeln verbreiten. – Nehmen Sie, Geehrtester.“ – Er reichte dem Erasmus eine kleine Phiole hin.[1] „Entsetzlicher Mensch,“ schrie dieser, „vergiften soll ich Weib und Kind?“ „Wer spricht denn von Gift,“ fiel der Rothe ein, „nur ein wohlschmeckendes Hausmittel ist in der Phiole enthalten. Mir stünden andere Mittel, Ihnen Freiheit zu schaffen, zu Gebote, aber durch Sie selbst möcht’ ich so ganz natürlich, so ganz menschlich wirken, das ist nun einmal meine Liebhaberei. Nehmen Sie getrost, mein Bester!“ – Erasmus hatte die Phiole in der Hand, er wußte selbst nicht wie. Gedankenlos rannte er nach Hause in sein Zimmer. Die ganze Nacht hatte die Frau unter tausend Aengsten und Qualen zugebracht, sie behauptete fortwährend, der Zurückgekommene sey nicht ihr Mann, sondern ein höllischer Geist, der ihres Mannes Gestalt angenommen. So wie Spikher ins Haus trat, floh Alles scheu zurück, nur der kleine Rasmus wagte es, ihm nahe zu treten und kindisch zu fragen, warum er denn sein Spiegelbild nicht mitgebracht habe, die Mutter würde sich darüber zu Tode grämen. Erasmus starrte den Kleinen wild an, er hatte noch Dapertutto’s Phiole in der Hand. Der Kleine trug seine Lieblingstaube auf dem Arm, und so kam es, daß diese mit dem Schnabel sich der Phiole näherte und an dem Pfropfe pickte; sogleich ließ sie den Kopf sinken, sie war todt. Entsetzt sprang Erasmus auf. „Verräther,“ schrie er, „Du sollst mich nicht verführen zur Höllenthat!“ – Er schleuderte die Phiole durch das offene Fenster, daß sie auf dem Steinpflaster des Hofes in tausend Stücke zersprang. Ein lieblicher Mandelgeruch stieg auf und verbreitete sich bis ins Zimmer. Der kleine Rasmus war erschrocken davon gelaufen. Spikher brachte den ganzen Tag von tausend Qualen gefoltert zu, bis die Mitternacht eingebrochen. Da wurde immer reger und reger in seinem Innern Giulietta’s Bild. Einst zersprang ihr in seiner Gegenwart eine Halsschnur, von jenen kleinen rothen Beeren aufgezogen, die die Frauen wie Perlen tragen. Die Beeren auflesend verbarg er schnell eine, weil sie an Giulietta’s Halse gelegen, und bewahrte sie treulich. Die zog er jetzt hervor, und sie anstarrend, richtete er Sinn und Gedanken auf die verlorne Geliebte. Da war es, als ginge aus der Perle der magische Duft hervor, der ihn sonst umfloß in Giulietta’s Nähe. „Ach, Giulietta, Dich nur noch ein einziges Mal sehen und dann untergehen in Verderben und Schmach.“ – Kaum hatte er diese Worte gesprochen, als es auf dem Gange vor der Thür leise zu rischeln und zu rascheln begann. Er vernahm Fußtritte – es klopfte an die Thür des Zimmers. Der Athem stockte dem Erasmus vor ahnender Angst und Hoffnung. Er öffnete. Giulietta trat herein, in hoher Schönheit und Anmuth. Wahnsinnig vor Liebe und Lust schloß er sie in seine Arme. „Nun bin ich da, mein Geliebter,“ sprach sie leise und sanft, „aber sieh, wie getreu ich Dein Spiegelbild bewahrt!“ Sie zog das Tuch vom Spiegel herab, Erasmus sah mit Entzücken sein Bild der Giulietta sich anschmiegend; unabhängig von ihm selbst warf es aber keine seiner Bewegungen zurück. Schauer durchbebten den Erasmus. „Giulietta,“ rief er, „soll ich denn rasend werden in der Liebe zu Dir? – Gieb mir das Spiegelbild, nimm mich selbst mit Leib, Leben und Seele.“ – „Es ist noch etwas zwischen uns, lieber Erasmus,“ sprach Giulietta, „Du weißt es – hat Dapertutto Dir nicht gesagt – Um Gott, Giulietta,“ fiel Erasmus ein, „kann ich nur auf diese Weise Dein werden, so will ich lieber sterben.“ – „Auch soll Dich,“ fuhr Giulietta fort, „Dapertutto keineswegs verleiten zu solcher That. Schlimm ist es freilich, daß ein Gelübde und ein Priestersegen nun einmal so viel vermag, aber lösen mußt Du das Band, was Dich bindet, denn sonst wirst Du niemals gänzlich mein, und dazu giebt es ein anderes besseres Mittel, als Dapertutto vorgeschlagen.“ – „Worin besteht das?“ fragte Erasmus heftig. Da schlang Giulietta den Arm um seinen Nacken, und den Kopf an seine Brust gelehnt lispelte sie leise: „Du schreibst auf ein kleines Blättchen Deinen Namen Erasmus Spikher unter die wenigen Worte: Ich gebe meinem guten Freunde Dapertutto Macht über meine Frau und über mein Kind, daß er mit ihnen schalte und walte nach Willkühr und löse das Band, das mich bindet, weil ich fortan mit meinem Leibe und mit meiner unsterblichen Seele angehören will der Giulietta, die ich mir zum Weibe erkohren, und der ich mich noch durch ein besonderes Gelübde auf immerdar verbinden werde.“ Es rieselte und zuckte dem Erasmus durch alle Nerven. Feuerküsse brannten auf seinen Lippen, er hatte das Blättchen, das ihm Giulietta gegeben, in der Hand. Riesengroß stand plötzlich Dapertutto hinter Giulietta und reichte ihm eine metallene Feder. In dem Augenblick sprang dem Erasmus ein Aederchen an der linken Hand und das Blut spritzte heraus. „Tunke ein, tunke ein – schreib’, schreib’,“ krächzte der Rothe. – „Schreib’, schreib’, mein ewig, einzig Geliebter,“ lispelte Giulietta. Schon hatte er die Feder mit Blut gefüllt, er setzte zum Schreiben an – da ging die Thür auf, eine weiße Gestalt trat herein, die gespenstisch starren Augen auf Erasmus gerichtet, rief sie schmerzvoll und dumpf: „Erasmus, Erasmus, was beginnst Du – um des Heilandes willen, laß ab von gräßlicher That!“ – Erasmus in der warnenden Gestalt sein Weib erkennend, warf Blatt und Feder weit von sich. – Funkelnde Blitze schossen aus Giulietta’s Augen, gräßlich verzerrt war das Gesicht, brennende Gluth ihr Körper. „Laß ab von mir, Höllengesindel, Du sollst keinen Theil haben an meiner Seele. In des Heilandes Namen, hebe Dich von mir hinweg, Schlange – die Hölle glüht aus Dir.“ – So schrie Erasmus und stieß mit kräftiger Faust Giulietta, die ihn noch immer umschlungen hielt, zurück. Da gellte und heulte es in schneidenden Mißtönen, und es rauschte wie mit schwarzen Rabenfittigen im Zimmer umher. – Giulietta – Dapertutto verschwanden im dicken stinkenden Dampf, der wie aus den Wänden quoll, die Lichter verlöschend. Endlich brachen die Strahlen des Morgenroths durch die Fenster. Erasmus begab sich gleich zu seiner Frau. Er fand sie ganz milde und sanftmüthig. Der kleine Rasmus saß schon ganz munter auf ihrem Bette; sie reichte dem erschöpften Mann die Hand, sprechend: „Ich weiß nun Alles, was Dir in Italien Schlimmes begegnet, und bedaure Dich von ganzem Herzen. Die Gewalt des Feindes ist sehr groß, und wie er denn nun allen möglichen Lastern ergeben ist, so stiehlt er auch sehr, und hat dem Gelüst nicht widerstehen können, Dir Dein schönes, vollkommen ähnliches Spiegelbild auf recht hämische Weise zu entwenden. – Sieh doch einmal in jenen Spiegel dort, lieber, guter Mann!“ – Spikher that es, am ganzen Leibe zitternd, mit recht kläglicher Miene. Blank und klar blieb der Spiegel, kein Erasmus Spikher schaute heraus. „Diesmal,“ fuhr die Frau fort: „ist es recht gut, daß der Spiegel Dein Bild nicht zurückwirft, denn Du siehst sehr albern aus, lieber Erasmus. Begreifen wirst Du aber übrigens wol selbst, daß Du ohne Spiegelbild ein Spott der Leute bist und kein ordentlicher, vollständiger Familienvater seyn kannst, der Respekt einflößt der Frau und den Kindern. Rasmuschen lacht Dich auch schon aus, und will Dir nächstens einen Schnauzbart mahlen mit Kohle, weil Du das nicht bemerken kannst. Wandre also nur noch ein bischen in der Welt herum und suche gelegentlich dem Teufel Dein Spiegelbild abzujagen. Hast Du’s wieder, so sollst Du mir recht herzlich willkommen seyn. Küsse mich, (Spikher that es) und nun – glückliche Reise! Schicke dem Rasmus dann und wann ein Paar neue Höschen, denn er rutscht sehr auf den Knieen und braucht dergleichen viel. Kommst Du aber nach Nürnberg, so füge einen bunten Husaren hinzu und einen Pfefferkuchen, als liebender Vater. Lebe recht wohl, lieber Erasmus!“ – Die Frau drehte sich auf die andere Seite und schlief ein. Spikher hob den kleinen Rasmus in die Höhe und drückte ihn an’s Herz; der schrie aber sehr, da setzte Spikher ihn wieder auf die Erde und ging in die weite Welt. Er traf einmal auf einen gewissen Peter Schlemihl, der hatte seinen Schlagschatten verkauft; Beide wollten Compagnie gehen, so daß Erasmus Spikher den nöthigen Schlagschatten werfen, Peter Schlemihl dagegen das gehörige Spiegelbild reflektiren sollte; es wurde aber nichts daraus.

Ende der Geschichte vom verlornen Spiegelbilde.




Postskript des reisenden Enthusiasten.


– Was schaut denn dort aus jenem Spiegel heraus? – Bin ich es auch wirklich? – O Julie – Giulietta – Himmelsbild – Höllengeist – Entzücken und Qual – Sehnsucht und Verzweiflung. – Du siehst, mein lieber Theodor Amadäus Hoffmann! daß nur zu oft eine fremde dunkle Macht sichtbarlich in mein Leben tritt, und den Schlaf um die besten Träume betrügend, mir gar seltsame Gestalten in den Weg schiebt. Ganz erfüllt von den Erscheinungen der Sylvesternacht, glaube ich beinahe, daß jener Justizrath wirklich von Dragant, sein Thee eine Weihnachts- oder Neujahrsausstellung, die holde Julie aber jenes verführerische Frauenbild von Rembrandt oder Callot war, das den unglücklichen Erasmus Spikher um sein schönes ähnliches Spiegelbild betrog. Vergieb mir das!





Anmerkungen

  1. Dapertutto’s Phiole enthielt gewiß rektifizirtes Kirschlorbeerwasser, sogenannte Blausäure. Der Genuß einer sehr geringen [278] Quantität dieses Wassers (weniger als eine Unze) bringt die beschriebenen Wirkungen hervor. Horns Archiv für mediz. Erfahr. 1813. Mai bis Dez. Seite 510.