Die Geschichte vom kleinen Ei
(Märkisches.)
Die Gräfin und ihr fünfzehnjähriger Sohn,
Auch zwei Comtessen halb erwachsen schon,
Sie sollen fort, bis Capri, bis Sorrent,
Und wenn zu heiß es dann vom Himmel brennt,
Denn mit poor Alfred hat es einen Haken:
Er hustet, – und so viel hängt an dem Jungen,
Und wenn’s das Herz nicht ist, so sind’s die Lungen.
Anfährt die Kutsche. Vor dem Erdgeschoß
Und was von Hausgesind’ das Schloß umfängt,
Es hat voll Eifer sich herangedrängt.
Ein alter Diener (Erbstück) in Gamaschen
Bringt immer neue Plaids und Reisetaschen;
Gibt für Verona seinen Reiserath,
Und mahnt ein wenig schelmisch die Comtessen
Das „Grab der Julia“ ja nicht zu vergessen;
Ernst aber steht am Schlag der alte Graf, –
Er hält nicht viel von Bahn- und Gasthofstreiben,
Ich glaube fast, ihm paßt’s zu Haus zu bleiben;
Daneben aber thut er, was er muß:
Er spart nicht Händedruck, nicht Abschiedskuß,
„A rivederci!“ ruft er ihnen nach –
Er hatte sich sprachlustig mitbeschäftigt,
Als sich die Damen für Sorrent gekräftigt.
Nun sind sie fort. Im Vorflur ist es warm,
„Ja, lieber Porst, nun kommen schlimme Zeiten,
Der Doktor hat von Ende Herbst gesprochen,
Das giebt für Sie sehr lange Ferienwochen,
Dann sitzen Sie hier mutterwind allein;
Ich weiß nicht, ob Stillsitzen Ihnen paßt,
Dreivierteljahr, die Länge hat die Last;
Ich für mein Theil, ich hätte nichts dagegen,
Vielleicht zu Haus, in Vaters Försterei
Mit Stadt- und Kloster Lindow dicht dabei.“
„Verzeihn, Herr Graf, indessen steht’s bei mir,
Trotz Elternhaus, ich bleib’ am liebsten hier;
Will, wenn es sein kann, meinen Doktor machen;
Hab’ auch Verkehr hier, alt’ und junge Leute,
Den Pastor morgen und den Lehrer heute,
Kann mit dem Gärtner pflanzen und begießen,
Und kommt’s zum Schlimmsten, geh’ ich in den Krug,
Bestell’ ein Seidel mir und rede klug,
Wie man’s so thut, von Rüben und von Raps,
– Der Krüger freilich ist halb Taps, halb Flaps,
Ist jedenfalls die Klügre von den Beiden,
Ein bischen nach sich, sparsam und genau,
Doch immerhin ’ne nette märksche Frau.“
„Nun, lieber Porst, mir recht. Und ’s wird schon gehn –
Und wenn im Reichstag mal ein Ruhtag ist,
So komm’ ich, und wir haben unsern Whist;
Man muß sich schließlich auch einmal was gönnen,
Und unser Dritter, – nu, der wird schon können.“
Porst ging spazieren oder saß im Krug,
Meist plaudernd mit des Krügers muntrer Frau
Von Margarine, Butter, Mastviehschau,
Von Wollmarkt und wie gut der Roggen stünde, –
„‚Das find’ ich auch und sag’ es jeden Morgen;
Die Wirthschaft, ach, ich hab’ ganz andre Sorgen,
Die Jungen wachsen ’ran, die richt’gen Rangen,
Mit unserm Willem is’ nichts anzufangen:
Ganz wie sein Vater dröhmt er bloß so hin, –
Und’s Rechnen wird ihm alle Tage schwerer, –
Ich habe schon gedacht … vielleicht der Lehrer?‘“
„Wohl möglich, Frau; doch wie’s damit auch sei,
Latein, Geschichte werd’ ich mit ihm treiben,
– Kann er denn schon ’nen deutschen Aufsatz schreiben?
Und wenn auch nicht, so viel versprech ich Ihnen,
Er soll, zum mind’sten, nicht drei Jahre dienen.“
Tritt Porst ins Zimmer, mit dem Glockenschlag;
Und weiter so, – nie läßt er lange warten, –
Er kommt mit Zumpt, mit Lexikon und Karten,
Und was das Best’ (im Busen wird es helle),
Lernt „Tabakspfeife“, „Bürgschaft“, Gellerts Fabeln,
Unregelmäß’ge Verben und Vokabeln,
Lernt piper und papaver und auf is,
Was masculini generis.
(… „‚er bleibt zu lange, gibt sich zu viel Müh‘“)
Erscheint beim Unterricht die Krügerin
’nen Eierbecher, drin ein kleines Ei,
Porst lächelt, nimmt’s und ißt’s in guter Ruh;
Die Krüg’rin lächelt auch, und sieht ihm zu.
* * *
Vergangen sind an zweiundzwanzig Jahr
Der Kandidat Konsistorialrath war,
Ein großer Stern am preuß’schen Firmament.
Und heut’ vom Königsschloß her, klar und munter
Kommt er den breiten Opernplatz herunter
Und an der neuen Wache, glau und schlau,
Die Schritte hemmt er. „Ei, Frau Krüg’rin, ei,
Hübsch stillgestanden, nicht so stolz vorbei!
Was macht der Mann? Was ist im Schlosse los?
Der Graf, ich weiß, war letzthin in Davos;
Der ist nun wohl schon lange Reservist?“
„Gott, Gott! mir zittern ordentlich die Knie,
Herr Kandidat, jetzt erst erkenn’ ich Sie,
Sonst war Ihr Rock so weit und so bequem,
Und was mein Mann, mit dem wird’s immer schlimmer,
Er sitzt so rum und raucht und schläft noch immer;
Uns’ Willem aber, dem geht’s gut genug,
Wir sind im Altentheil, er hat den Krug;
Und hat auch wirklich nur ein Jahr gedient.
Gott, manchmal denk ich noch an all’ die Sachen,
’s mußt’ Ihnen doch ’ne rechte Freude machen;
Und gab ein bißchen doch für Sie zu thun,
Statt so den ganzen Tag sich auszuruhn.
Und einmal als die Stunde schon vorbei …
Sie nicken … ach, Sie wissen schon … das Ei.‘“