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Die Gemäldeausstellung im Louvre zu Paris im Jahre 1827

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Titel: Die Gemäldeausstellung im Louvre zu Paris im Jahre 1827
Untertitel:
aus: Das Ausland, Nr. 60, 64-66, S. 241-243, 255, 257-259, 263-264.
Herausgeber: Eberhard L. Schuhkrafft
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1828
Verlag: Cotta
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Erscheinungsort: München
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Quelle: Scans bei Commons
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[241]

Die Gemäldeausstellung im Louvre zu Paris im Jahre 1827. [1]


Die alte französische Malerschule nahm ihren Ursprung unter der Regierung Ludwigs des XIV; beinahe von ihrem ersten Beginn an in eine Akademie vereinigt, zeigte sie sich bald – wie jede Corporation - handwerksmäßig und feindselig gegen überlegene Talente; Männer von Genie, wie Poussin und le Sueur, die in ihren Werken andere Eigenschaften suchten, als eben nur Leichtigkeit in der Handhabung des Pinsels und geschickte Ausführung, stieß sie von sich zurück, und so entfernte sie sich immer mehr von der historischen Wahrheit und von der Nachahmung der Natur, und erreichte endlich gegen das Ende der Regierung Ludwigs des XV den höchsten Grad des Verfalls.

Damals fing die große Bewegung an, welche wir die Französische Revolution nennen; die Künste konnten nicht ermangeln, daran Theil zu nehmen. Das Publikum, das sich mit Widerwillen von den Gemälden abwandte, in denen der schlechte Geschmack sich nicht weniger in der Wahl des Gegenstandes, als in der Art, wie derselbe dargestellt wurde, offenbarte, verlangte zuvörderst mehr Ernst und Würde in den Compositionen. Vien, Greuze und Vincent waren die ersten Reformatoren. Da die Reaction gegen eine Schule gerichtet war, deren Hauptfehler die Affektation einer gewissen Grazie und der gänzliche Mangel an Wahrheit waren, so mußte man vor allem suchen, sich der Natur zu nähern und mehr Simplicität in den Ausdruck zu legen. Die Gemälde Greuze’s bezeugen, daß dieses Streben keinesweges erfolglos war. Seine Werke haben noch etwas von der Unkorrektheit seiner Vorgänger; aber an Natürlichkeit und Naivetät sind sie nicht übertroffen worden.

Wie bei jeder Reaction schritt auch hier der Neuerungsgeist unaufhaltsam vorwärts, bis er die Grenze des entgegengesetzten Extrems erreicht hatte. Nachdem die französische Schule die Wahrheit der Natur gewonnen hatte, verlangte sie die äußere Vollendung und bald die Schönheit des Ideals. David, welcher in den Versuchen, mit denen er aus der Schule Vien’s hervortrat, sich nicht von der Linie entfernt hatte, die allen seinen Zeitgenossen zur Richtschnur diente, entfaltete zum erstenmale die wahre Tendenz seines Genies in seinem Belisar. Nach einem zweiten Aufenthalte in Rom, wo er sich mit glühendem Eifer dem Studium der Antike hingab, componierte er seinen Schwur der Horatier Eine große Correctheit der Zeichnung, in welcher die Natur noch nicht der Nachahmung der Antike aufgeopfert ist, eine Composition von der edelsten Simplizität, worin die Begeisterung des Künstler sich indessen bereits mit der Anordnung des antiken Basreliefs in Einklang gesetzt hat, charakterisieren dieses schöne Werk. Wir finden jedoch in der fortschreitenden Entwicklung der Ideen des Künstlers einen nicht geringen Abstand dieses Gemäldes von der Auffassung der Sabinerinnen, die eine reine Wiedergeburt der Formen der griechischen Sculptur und der wahre Typus des sogenannten classischen Styles sind.

Diese Revolution in der Kunst ging in dem Schoße einer politischen Revolution vor sich, die gleich jener die die Ansichten, Ideen und Institutionen von Griechenland und Rom zu ihrem Vorbilde genommen hatte. Der Republicanismus der Alten war an der Tagesordnung; man mischte ihn in alles, man wollte ihn auf alles anwenden. Alle Gemälde waren griechisch oder römisch, entweder durch den Stoff, oder doch wenigstens durch das Costüm. Bei den antiken Formen der Malerei, wie der Gesetzgebung, sah man ausschließlich die Idee der antiken Freiheit herrschen. David, dessen Talent vorzüglich das der Reflexion war, arbeitete unter diesem doppelten Einfluß. - In dem Schwure vom Ballhause, in dem Tode von Barras, in den Gemäldem die Marat und Lepelletier darstellen, hat er den Ideen seiner Zeit die Formen der antiken Zeichnung geliehen; wie er in seinem Schwure der Horatier, in seinem Brutus und in den meisten Compositionen, die nach seinem Tode ausgestellt worden sind, antiken Gegenständen das Gepräge derselben Ideen gegeben hatte. David war kein Colorist und im Allgemeinen fehlt es seinen großen Compositionen an Leben; aber solange er unter dem Einflusse jener politischen Leidenschaften stand, die sein Talent entwickelt und sein ganzes Leben bewegt hatten, trugen alle seine Gemälde den Stempel einer seltenen Kraft. Wenn man die unermeßlichen Schwierigkeiten bedenkt, welche das Talent dieses großen Künstlers in wenigen Jahren überwunden hatte, wenn man die so edle und wahre Zeichnung der Horatier mit den unförmlichen Versuchen seiner Vorgänger vergleicht, und sieht, wie fast alle gleichzeitigen Maler seine Bahn verfolgen und weit hinter ihm zurückbleiben, so kann man nicht umhin, schon deshalb David als einen seines großen Namens vollkommen würdigen Mann anzuerkennen, weil er beinahe ein halbes Jahrhundert hindurch allen Erzeugnissen der Kunst sein Siegel aufgedrückt hat. [242] Nicht bloß die Maler, welche mit ihm Frankreich verherrlichten, haben sich, mit Ausnahme von zweien, sämmtlich nach seiner Schule gebildet, auch die ausgezeichnetsten Bildhauer und Kupferstecher Frankreichs haben ihre Richtung und die Ausbildung ihres Talents seinen Lehren zu verdanken.

In dem Augenblick, wo David’s Ruhm seinen Culminationspunkt erreichte, fingen mehrere neue Talente sich zu zeigen an. Gros, Gerard und Girodet, in dem Atelier von David gebildet, Guerin, ein Schüler Regnault´s, und Prudhon, der selbstständig sich entwickelt hatte, zogen zugleich die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich - Girodet und Guerin, indem sie die Richtung der Schule verfolgten, Gerard, Gros und Prudhon, indem sie sich unabhängig neue Bahnen brachen. Aber auch Girodet und Guerin, obgleich sie David´s systematischen Gang annahmen, beschlossen doch jeder mit eigenthümlichem Zweck und mit verschiedenen Mitteln über die Grenze hinauszugehen, an welcher der Stifter ihrer Schule stehen geblieben war. Der erste suchte das Ideal der Schönheit in der Form, der zweite im Ausdruck. Der schlummernde Endymion ist dasjenige unter Girodet’s großen Werken, in welchem er dem Ziele, das er sich vorsteckte, am nächsten gekommen ist. Formen von einer bewunderungswürdigen Schönheit, denen aber zuweilen die Biegsamkeit (souplesse) fehlt, Köpfe‚ in denen der griechische Ausdruck nicht selten übertrieben ist, die aber dennoch einen großen Charakter behalten, zeichnen seine ersten Arbeiten aus. In seinen spätern Produkten sieht man zu sehr das Studium und selbst die Affectation.

Guerin, sein Nebenbuhler, trat zuerst mit dem Gemälde Der Rückkehr des Marcus Sextus auf. Unter einer andern politischen Ordnung der Dinge hatte er, wie einst der Schöpfer des Brutus, die Ideen der Zeit unter antiken Formen dargestellt. Dieses Gemälde erhielt einen unermeßlichen Beifall; und obgleich die Wahl des Gegenstandes einen bedeutenden Antheil an diesem Triumphe hatte, so war derselbe doch gewiß durch den wahren und tiefen Ausdruck der Köpfe und durch eine der großartigsten Compositionen wohl verdient. Das tiefe Gefühl und das Gemüth Guerin’s finden wir in allen seinen Werken wieder. Seine Phädra, seine Andromache, seine Dido, sein Aufstand von Cairo tragen sämmtlich dieß edle Gepräge. Aber da er es sich allzustreng zum Gesetz machte, sich nie von der Zeichnung der Antike zu entfernen, so hat er sich ungeachtet seiner Vollendung, um die Mannigfaltigkeit der Natur zu ersetzen, die ihm abgeht, genöthigt gesehen, den Ausdruck seiner Figuren zu übertreiben und zu Ansichten seine Zuflucht zu nehmen, die mehr geistreich als wahr sind.

Zu der Zeit, als Gros zuerst im Gebiete der historischen Malerei auftrat, hatte die abstrakte Idee der Freiheit, welche in den ersten Zeiten der Revolution herrschte, bereits der Trunkenheit des militärischen Ruhmes Platz gemacht. Gros theilte diesen Enthusiasmus; er malte die Schlachten der Republik, und die Energie der Scenen, welche seine Gemälde wiedergaben, scheint seinen Geist durchdrungen zu haben. Er glaubte nur der Schule David’s zu folgen, als er bereits das originellste und freiste Talent entwickelte. Ein bewunderungswürdiges Colorit, ein Leben in der Composition, dem nur Rubens Meisterwerke gleich kommen, und eine Freiheit in der Ausführung, die sich über alle Theile seiner ungeheuren Arbeiten gleichmäßig verbreitet, dieß sind die Eigenschaften, welche seine Schlachten von Abukir und von Nazareth und die Pestkranken von Jaffa an die Seite der schönsten Produktionen der Kunst stellen.

Als das Kaiserthum auf das Consulat folgte, wurde David zum ersten Maler des Kaisers ernannt; aber sein Talent konnte in bloßen Prunkgemälden sich nicht entfalten; er blieb unter seinem Namen. Auch das schöne Talent von Gros fand sich hier eben so wenig in seiner Sphäre. Er hatte mit energischer Wahrheit die Soldaten der Republik dargestellt; die Höflinge des Kaiserreiches behielten unter seinem Pinsel zu oft die Haltung von Emporkömmlingen. Um diesen Hof zu malen bedurfte es den ganzen Geist, den ganzen Geschmack eines Gerard.

Auch Gerard war zuerst während der Revolution hervorgetreten, unter dem doppelten Einfluß der classischen Schule und des politischen Enthusiasmus dieser Epoche. Sein Belisar und eine Reihe von Gemälden, welche Volksaufstände darstellten, hatten den Umfang seines Talents gezeigt; begabt indessen mit dem feinsten und gewandtesten Geiste, wußte er sich in alle Formen zu schmiegen. Alles kündigt in seinen Werken einen Mann an, der sich ausgezeichnet hätte, welche Bahn er auch verfolgt haben möchte. Andere Maler haben Gemälde von glänzenderem Colorit und größerer Wirkung hervorgebracht; aber niemals ist der Schöpfer der Schlacht von Austerlitz und des Einzuges Heinrich’s IV in der Kunst übertroffen worden, eine große Scene zu combiniren und ein großes Ereigniß mit Würde darzustellen. Alle Schwierigkeiten mit bewunderungswürdigem Takt vermeidend, nie die Grenzen überschreitend, welche die Kunst anerkennen muß, zeigt Gerard sich durchaus als den Maler der Gebildeten in der feinen Welt. Man sieht ihn in seinen zahlreichen Porträts seine eigene Anmuth, seine eigene Würde Personen leihen, die nicht selten beider ermangelten, ohne die Individualität jener Personen zu verwischen. Eine Sammlung seiner Porträts würde eines der kostbarsten und wichtigsten Denkmäler der Geschichte seiner Zeit seyn.

Prudhon's Talent wurde während seines Lebens wenig anerkannt. In entschiedenem Gegensatze gegen die classische Schule zog er sich den Vorwurf zu, noch zu sehr der alten Schule Boucher’s anzuhängen. Vielleicht war ihm von dieser Schule jenes gesuchte Graziöse geblieben, das an Affektation grenzt; aber die lieblichste Empfindung, eine stets poetische Composition, stets neue und originelle Ideen haben ihm nach seinem Tode einen Ruhm gebracht, den Neid und Vorurtheil ihm bis dahin bestritten hatten.

So haben von den fünf berühmtesten Malern nach David nur zwei die Bahn verfolgt, die er vorgezeichnet hatte; und da auch sie ihren Arbeiten einen eigenthümlichen Character gaben, waren sie die Fortsetzer und nicht die Copisten seiner Schule, deren fortschreitende Entwicklung mit ihnen endete, obwohl auch noch andere Maler [243] sich auszeichneten. Zu diesen gehören Drolling, Langlois, Abel de Pujol, Couder und Picot. Ihren Gemälden, die durch schöne Ausführung, korrecte Zeichnung und historische Treue empfohlen werden, fehlt die Originalität. Bald kam - mit ihnen oder in ihrem Gefolge - jene Menge frostiger Copisten, die das ausbildeten, was man einen Styl nennt. In allen ihren Gemälden findet man übereinstimmend eine steife und gedehnte Zeichnung, widersinnige Nacktheiten und Draperieen nach dem Muster der Orgelpfeifen; außerdem weder historische Wahrheit, noch individueller Character. Die alte Fabel, das Mittelalter, moderne Gegenstände - Alles ist nach demselben Leisten zugeschnitten. Indem sie den vollkommenen Gegensatz zu den Produktionen bildeten, die man Gemälde aus der Schule von Boucher und Vanloo zu nennen pflegte, machten sie eine Reaction eben so unvermeidlich als sie es vor vierzig Jahren aus den entgegengesetzten Motiven gewesen war.

In der Gemäldeausstellung von 1812 zeigten sich die ersten Symptome dieser Reaction. Ein Gemälde von Paulin Guerin zog die Aufmerksamkeit auf sich durch eine wahre Composition, schöne nach der Natur copirte Formen, ein glänzendes Colorit und malerischen Effect. Auch das erste Auftreten Gericault’s fällt in dasselbe Jahr; es stellte einen Chasseur zu Pferde dar, eine Skizze die bereits alle Eigenschaften seines Genies im Keime enthielt. Bei der Ausstellung von 1816 waren die Säle des Louvre mit Gelegenheitsgemälden angefüllt, die größtentheils ursprünglich für die Regierung des Kaisers berechnet, nur retouchirt und den veränderten Umständen angepaßt waren, was die bizarresten Ungereimtheiten in Figuren, Stellungen und Costümen hervorbrachte. Man stellte außerdem eine Reihe von Gemälden aus, welche die Schule seit ihrer Gründung ausgezeichnet hatten. Das Publikum, bereits durch die schlechten Nachahmungen, die es davon gesehen, ermüdet, blieb kalt und bewies so, daß die classischen Erinnerungen viel von ihrem Interesse verloren hatten.

Und gewiß, Erinnerungen ganz anderer Art beschäftigten damals die Gemüther; eine ganze gleichzeitige Epoche, voll der wunderbarsten Ereignisse, war durch eine große Katastrophe dem Gebiete der Geschichte anheim gefallen; die Ereignisse dieser Epoche waren es, deren Darstellung man jetzt von den Künsten forderte. Dieß war der Quell, in dem Horace Vernet seine Begeisterung schöpfte, hier fand er die Elemente seines so fruchtbaren und mannigfaltigen Talents. Die Gegenstände seiner Gemälde waren alle in unserer Nähe; die Localfarbe mußte ihr unterscheidender Character werden. Ein Schüler Vincent’s, hatte sich Horace Vernet mehr als irgend ein anderer Maler seiner Zeit frei erhalten von dem Einfluß und der Herrschaft, welche die classische Schule übte. Er war mit jener Leichtigkeit der Ausführung begabt, die alles, was sich dem Geiste darstellt, ohne Mühe wiedergibt; er hatte ausserdem den großen Vortheil selbst die Wirkungen eines Schlachtfeldes an Ort und Stelle gefühlt zu haben, alles vereinigte sich daher, um das Talent zu unterstützten, welches vor allen andern geeignet war, die großen Erinnerungen des französischen Nationalruhms wieder zu erwecken. Man sah den bedeutenden Unterschied des Interesses, das ein lebendiges und treues Bild des kriegerischen Lebens haben müsse, von dem jener Studienschlachten, die zur Zeit des Kaiserthums gemalt wurden und in denen griechische Statuen, mit französischen Uniformen bekleidet, französische Armeen darstellen. Man kann sagen, daß Horace Vernet in seiner Kunst das ist, was Berenger in der Poesie: der Maler des Nationalschmerzes und eines dahingesunkenen Ruhmes. Vielleicht würde unter der Regierung des Kaisers sein schönes Talent ihn nicht weiter geführt haben‚ als ein Maler der Macht zu werden: der Fall des Kaiserthums machte ihn zu dem populärsten Maler, der je existirt hat. [255] Im Jahr 1819 in der zweiten Ausstellung seit der Restauration zeigte sich das Talent Gericault’s in seinem ganzen Glanze. Eine großartige Composition ohne die geringste Uebertreibung, eine eben so große und ganz aus der Natur geschöpfte Zeichnung, eine unübertreffliche Energie der Ausführung und endlich ein Colorit, welches, obwohl dunkel und eintönig, doch in vollkommener Harmonie mit dem Gegenstande ist, – diese Eigenschaften stellen seine „Medusa“ den schönsten Produktionen der modernen Malerei an die Seite. Gericault ist das Haupt jener neuen Schule, welche sich die treue Darstellung kräftiger und ergreifender Leidenschaften zum Zweck gesetzt hat, und die man mit Recht oder Unrecht die romantische Schule nennt. Wenn ein vorzeitiger Tod ihn nicht in einem Alter von zwei und dreißig Jahren der Welt entrissen hätte, so wäre diese Schule, die jetzt noch gegen alte Namen, alte Gewohnheiten und die academische Routine kämpfen muß, ihrem Triumphe nahe. Der Medusa wäre der Sclavenhandel gefolgt, ein Gemälde, welches einen Sclavenmarkt auf der Küste des Senegal darstellt. Endlich wäre die Idee einer unermeßlichen Composition, die Auslieferung von Parga und der Flucht seiner Bewohner, in der von edler Begeisterung erfüllten Seele Gericault’s allen jenen Gefühlen vorangegangen, welche seitdem die Sache und das Unglück der Griechen erregt hat. Außer seinem (erwähnten) großen Gemälde hat Gericault nichts hinterlassen, als die Studien, mit denen er zuerst auftrat, Gemälde von Pferden, mit der überraschendsten Wahrheit gemalt, Cartons, in denen der kleinste Zug das Gepräge eines bewunderungswürdigen Talentes trägt. Einige Versuche in der Bildhauerkunst beweisen, daß wenn ihm eine längere Laufbahn vergönnt gewesen wäre, er vielleicht den doppelten Ruhm erreicht haben würde, der dem Genies Michel-Angelo’s zu Theil ward.

Unter den merkwürdigsten der Werke, die im Jahre 1819 ausgestellt wurden, war ein Gemälde von Hersent, die Thronentsagung von Gustav Wasa. Dieß war das erstemal, seit der Existenz der französischen Schule, daß ein Stoff aus dem Mittelalter mit so vieler Localfarbe wiedergegeben war. Außer dem neuen Interesse der historischen Wahrheit verdankte dieß Kunstwerk den Ruf, welchen es bald erhielt, dem edlen Character und dem mannigfaltigen Ausdruck der Köpfe, einem guten Colorit und einer sorgfältigen Ausführung. In derselben Ausstellung sah man die classische Schule gewissermaßen ihre letzten Strahlen werfen. Picot, Drolling, Guillemont, Heim, Steube, Couder und Abel de Pujol traten darin mit allen den bereits bekannten Eigenschaften der guten Schüler David’s auf. Aber ihre Gemälde, in denen weder Kenntniß noch Geschmack fehlten, erschienen kalt neben denen von Gericault, charakterlos neben denen von Hersent.

In der Ausstellung von 1822 zeigte sich gewissermaßen ein Stillstand in dem fortschreitenden Gang der neuen Reform; man bemerkte nichts Ueberraschendes in derselben als den ersten Auftritt von Delacroix, in einem Gemälde, welches Dante und Virgil darstellte, wie sie durch den Phlegias gehen. Schon in diesem ersten Werke, in welchem er Gericault’s Manier nachahmte, kündigte Delacroix ein wahres Talent an, aber nicht jene Originalität, die ihn gegenwärtig auszeichnet. Außer diesem Gemälde, außer Ruth und Booz von Hersent, und zwei Altarblättern von Scheffer und Gassies, schien alles, was von historischen Gemälden vorhanden war, in die alte Bahn zurückzufallen: das Publikum zeigte wenig Aufmerksamkeit für jene großen Stücke Leinwand, die von allem Interesse entblößt waren, und schien sich nur mit Genre-Bildern, die durch die Wahl des Gegenstandes oder die Ausführung sich auszeichneten, zu beschäftigen.

[257] Zur Zeit ihrer ausschließlichen Herrschaft hatte die Schule David’s, welche die Darstellung von Scenen aus dem gewöhnlichen Leben mit Verachtung, als etwas, das unter ihrer Würde sey, betrachtete, die Staffeleimalerei entmuthigt und gewissermaßen völlig aufgehoben; alles, was in dieser Gattung noch geduldet wurde, waren mythologische Gegenstände oder aus der griechischen Poesie entlehnte Hirtenscenen, die mit einer Geistlosigkeit ausgeführt wurden, der nur die Trockenheit gleichkam, welche man auf die Vorstellung von Begebenheiten der alten Geschichte übertrug. Die Wichtigkeit, welche mit der Rückkehr des Friedens den gesellschaftlichen Verhältnissen, dem häuslichen Leben und dem Innern der Familien wiederkehrte, machte plötzlich Vorfälle und Ereignisse der Kunst würdig, in welcher die handelnden Personen sich nicht über den Privatstand erhoben und keinen berühmten Namen besaßen. Die Darstellung der Leiden des Volks, alltäglicher Begegnisse, menschlicher Schwächen wurde interessant, wenn sie nur wahr und nicht niedrig war. Ein Gemälde von Prudhon, die arme Familie, war in dieser neuen Gattung eines von denjenigen, welche das meiste Glück machten. Die Ausführung war darin weniger vollkommen, als die der holländischen Schule; aber das Interesse der rührenden Scene, der tiefe Ausdruck der Charactere entschädigte reichlich für die materielle Unvollkommenheit. Auch die Soldatenwittwe von Scheffer, das Duell von Vigneron erhielten den allgemeinen Beifall des Publikums. Eine Menge anderer Staffeleigemälde, fast alle ausgezeichnet durch die Einfachheit des Gegenstandes und die Schärfe oder Feinheit der Idee, bildeten in der Ausstellung von 1822 eine neue Aera für diese Gattung der Malerei, und etwas voreilige Kunstrichter standen nicht an, sie für die einzige der neuen Richtung der Sitten und des Nationalgeistes entsprechende zu erklären.

Mit Ausnahme des Fortschrittes, welcher durch diese Art von Revolution in der Genremalerei bezeichnet wurde, blieb die neue Schule während der Zeit, die zwischen den Ausstellungen von 1816 und von 1824 lag, auf demselben Standpunkte stehen. Diese Leere wäre ohne Zweifel durch die beiden großen Schöpfungen Gericault’s ausgefüllt worden, wenn der Tod diesen großen Künstler nicht im Anfange seiner schönsten Laufbahn hingerafft hätte. Der Ausstellung von 1827 war es vorbehalten, den Gang und die Richtung des neuen Geistes auf freie und entschiedene Weise auszusprechen; Freunde von Gericault, gleich ihm aus der Schule Guerin’s hervorgegangen, traten mit großen Compositionen auf, in welchen sie, obwohl die von ihrem Vorgänger vorgezeichnete Bahn verfolgend, das Glück hatten, jeder in seiner Art, einen originellen Charakter und ihnen eigenthümliche Eigenschaften zu entwickeln. - In der Reaction, von der gegen das Jahr 1778 die classische Schule ausging, hatten die Neuerer einen festen und bestimmten Zweck, nämlich die äußersten Grenzen der Vollendung in der Zeichnung zu erreichen; ihre Entwicklung konnte nicht anders, als regelmäßig und systematisch seyn; sie mußten nach und nach alle jene Eigenschaften vernachläßigen, die nicht zu dem einzigen Ziele ihrer Anstrengungen und ihres Wetteifers führten. Sie mußten sich ferner streng auf die Nachahmung des Meisters beschränken, der zuerst an diesem Ziele angekommen war, und sich nur durch den größeren oder kleineren Abstand, der sich zwischen ihm und ihnen selbst befand, unterscheiden.

Ganz anders aber mußte es sich mit der romantischen Reformation verhalten; denn dieß ist der Name, welchen man ihr gibt. Diese Reform hatte nichts weniger als einen speziellen und bestimmten Zweck vor Augen; sie hatte ein Streben von viel weiterem Umfange - die Befreiung der Malerei von einem Systeme willkürlicher Gesetze und Beschränkungen. Daher fand der Führer der Schule, Gericault, unter seinen Nachfolgern zwar leidenschaftliche Bewunderer, aber keine sclavische Copisten. So erschienen in der Ausstellung von 1824 Delacroix, Sigalon, Scheffer und Saint-Evre. Ein merkwürdiger Umstand war, daß neben diesen jungen und bisher in der Schule wenig bekannten Malern, andere Künstler auftraten, die sich bereits in der classischen Richtung ausgezeichnet hatten und jetzt diese mit ihren conventionellen Schönheiten verließen und ihre Ideen unter einer neuen und originellen Form darstellten. Diese Ueberläufer von der Schule Davids waren Ingres, Schnetz und Delaroche.

Das Gemälde von Delacroix, welches das Blutbad von Scio darstellte, stand mehr als irgend ein anderes im Gegensatze zu dem alten traditionellen Geiste; ein Colorit, kaum weniger glänzend, als das der venetianischen Schule, eine Zeichnung, vielleicht ohne Eleganz, aber kräftig characterisirt, Ausdruck neben einem gänzlichen Mangel an Schönheit, eine Composition, in welcher der Vorsatz, die [258] Scene auf keine Weise zu arrangiren, ebenso sichtbar ist, als der des Gegentheils bei den Schülern David’s; dieß waren die Eigenschaften und die Fehler, welche jenes Gemälde zu einem der merkwürdigsten der Ausstellung machten. Die Ausführung war bei weitem weniger frei, als die des Gemäldes von Gericault, aber für diesen Fehler entschädigte eine große Energie des Tons. In dem Gemälde Sigalon’s, die Giftmischerin Locusta, vergaß man über der kräftigen Färbung und der energischen Manier die schlechte Wahl des Gegenstandes. Das Gemälde von der Schlacht bei Ravenna von Scheffer zeigte die Absicht des Künstlers, der historischen Wahrheit treu zu bleiben; die Composition bot nichts von theatralischen Zurüstungen dar, die man in den meisten großen historischen Gemälden zu sehen gewohnt war; und obwohl es eine Hauptperson darin gab, so nahm ihre Gegenwart doch nicht die ausschließliche Aufmerksamkeit des Zuschauers in Anspruch. Die Köpfe hatten Wahrheit und waren nicht ohne Ausdruck; der Ton des Ganzen war glänzend, doch schadete eine zu flüchtige Ausführung dem Gesammteindruck. Obwohl sorgfältiger und correcter, erinnert Saint-Evre in seinen Gemälden uns doch etwas zu sehr an die Manier von Delacroix. Dasjenige von seinen Werken, welches besonders die Aufmerksamkeit erregte, war eine Frau in einem Kirchhofe; der Ausdruck dieser Figur war von der überraschendsten Wahrheit.

Unter den Malern, welche, nachdem sie eine Zeitlang die Bahn der classischen Schule verfolgt hatten, sich jetzt eine weniger betretene suchten, müssen wir zuerst Ingres nennen. Er hatte sich in seinen ersten Werken durch Uebertreibung des alten Styles bemerklich gemacht; aber der Monotonie, welche diese Manier begleitete, überdrüssig und zugleich - wie es scheint - von der Idee getroffen, daß die Malerei herabgewürdigt würde, wenn man ihr gewaltsam den Typus der Bildhauerkunst aufdrängte, beschloß er die Muster auszusuchen, welche die Malerei selbst in ihrer Jugend und Originalität darböte. Man wird wenigstens versucht, diesen Gedanken Ingres zu leihen, wenn man sieht, daß er nach einem Zwischenraume, der auf neue Studien hindeutete, plötzlich seine Manier nach der der Jugendjahre Raphaels ummodelte. Nach einem langen Aufenthalt in Italien sandte er, bei seiner Rückkehr nach Frankreich, eine große Composition, das Gelübde Ludwig XIII voraus. Das Gemälde erregte große Ueberraschung, es war eben so weit von der Schule David’s, als von der neuen eines Delacroix, Sigalon und Scheffer verschieden. Die Gruppe der Jungfrau rief die Anmuth der Madonnen Raphaels zurück; die Gestalt Ludwigs XIII schien nach einem Miniaturbilde des Mittelalters gearbeitet; der Hintergrund war mit ängstlicher Genauigkeit ausgeführt, wie in der deutschen Schule. Ungeachtet dieser Reminiscenzen überraschte und gefiel das Ganze des Gemäldes durch seine Originalität. Das große Gemälde, das von Schnetz aus Rom gesandt wurde, und die heilige Genovefa, wie sie Almosen unter die Bewohner von Paris vertheilt, darstellte, zeichnete sich durch schöne Zeichnung, sichere Haltung, Köpfe, den schönsten römischen Typen nachgebildet, aber auch durch einen gänzlichen Mangel von localer Wahrheit und historischer Treue aus. Ein anderes Gemälde desselben Künstlers, ein Zug aus der Jugend Sixtus V, war eine der vollendetsten Productionen in der Ausstellung von 1824.

Eine Scene aus der Plünderung von Jerusalem, von Heim, erinnerte an die schöne Zeit von Raphael; er sagte sich gleichfalls von den hergebrachten Ansichten los, welche seine ersten Arbeiten geleitet hatten. Coignett behandelte in einer Gruppe aus dem Morde der unschuldigen Kinder diesen so oft wiederholten Gegenstand auf eine neue und großartige Weise, und gab dadurch selbst die schärfste Kritik des Marius, den er ein Jahr zuvor in Rom unter dem Einflusse der classischen Schule componirt hatte. Neben diesen Produktionen bemerkte das Publikum die Gemälde von Steube und Delaroche. Der erstere hatte mit eben so viel Simplicität als Größe den Schwur der drei Schweizer auf dem Rütli, der zweite mit treffender Wahrheit eine Predigt des heiligen Vincenz von Paula dargestellt. Unter den Genregemälden, deren diese Auestellung eine große Anzahl der ausgezeichnetsten enthielt, zogen vorzüglich die von Robert die Aufmerksamkeit durch schöne Behandlung und außerordentliche Kraft auf sich.

Drei Jahre sind vergangen von der Ausstellung des Jahres 1824 bis zu der gegenwärtigen. Wenn man die Säle des Leuvre betritt, wird man zuerst durch die Mannigfaltigkeit unter den Gemälden überrascht, mit denen sie geschmückt sind. Zur Zeit des Glanzes der classischen Schule war der Anblick der Ausstellungen sehr einförmig; im Jahr 1824 war diese Einförmigkeit bereits auf eine gewisse Anzahl von Gemälden herabgebracht; gegenwärtig aber bieten fast alle Bilder Verschiedenheiten dar, welche von der größten Unabhängigkeit in den Ansichten über den Zweck der Kunst, wie in der Behandlung ihrer Hülfsmittel zeugen. Obgleich die Ausstellung bereits sehr zahlreich war, als wir sie besuchten, so war sie doch noch keinesweges vollständig, indem die wichtigsten Arbeiten von Delacroix, Scheffer, Steube, Delaroche, Robert und Champmartin bis auf den letzten Monat ihrer Dauer auf sich warten ließen. Es war uns also nicht möglich, die gesammten Fortschritte dieses Jahres und die Lage der Schule in einem Ueberblick zu umfassen; wir beschränken und deshalb darauf, zu sagen, daß die historische Malerei, um dieses Wort in seiner weitesten Bedeutung zu nehmen, ihrer vollkommenen Entwicklung entgegen geht und einen immer höheren Grad von Bestimmtheit und Kraft erreicht. Neue Namen, wie die von Deveria, Boulanger und Court haben die Zahl der Reformatoren und Unabhängigen vermehrt.

Von den drei Gemälden, mit denen diese jungen Künstler auf so glänzende Weise ihre Laufbahn eröffnet haben, vereinigt das von Deveria im höchsten Grade alle Eigenschaften, welche der dargestellte Gegenstand forderte. Der Maler hat den Augenblick gewählt, wo der alte Henri d’Albert dem Volke von Bearn seinen Enkel, den eben gebornen Heinrich IV, zeigt. Wenn ein junger Künstler, von dem Alter Deveria’s, einen Stoff dieser Art im Jahr [259] 1812 oder selbst 1820 hätte behandeln wollen, so wäre man im Stande gewesen, mit der größten Gewißheit, den Character des ganzen Gemäldes und die Disposition seiner Figuren vorauszusagen. Im Vordergrunde würde eine Gruppe von Rittern figuriren, die in der Stellung der Horatier, die Arme und Beine ausgestreckt, dem königl. Kinde Treue schwörten; die übrige Composition aber würde einer so neuen und rührenden Episode nicht unwürdig seyn. Was wir hier sagen, ist keine willkürliche Voraussetzung; die zahlreichen Gemälde, welche die Geburt des Königs von Rom, oder die des Herzogs von Bordeaux darstellen, geben den Beweis davon. Hier dagegen scheint alles mit der größten Gutmüthigkeit vor sich zu gehen: das Volk, welches sich zu den Thüren des Gemaches drängt, ist furchtsam, verlegen und befangen in seinen Freudenbezeugungen, die Weiber, welche die Wöchnerin umgeben, beschäftigen sich mit nichts als den Dienstleistungen, welche ihr Zustand verlangt, und die Personen, deren Rolle eine passive seyn muß, zeigen sich völlig auf dieselbe beschränkt. Alles ist wahr und an seinem Platze; nirgends bemerkt man das Bestreben, Effect zu machen, noch die Bemühung, Geist zu zeigen. In technischer Hinsicht zeichnet sich dieß Gemälde durch brillantes Colorit, durch Köpfe, die oft schön, nicht selten vom treusten Ausdruck sind, durch sorgfältig gezeichnete und gut gemalte Hände aus; aber zugleich wird dasselbe durch grobe Fehler in der Proportion und Zeichnung der Figuren und durch eine Manier, die zu sehr an die der venetianischen Schule erinnert, entstellt: Fehler, die Deveria in der Folge zu vermeiden suchen sollte.

Boulanger ist der Freund und Studiengefährte Deveria’s; aber durch nichts in seiner Manier wird dieß verrathen: sein Colorit, weniger brillant, aber gehaltener, seine Composition, lebendiger und nicht weniger wahr, seine kräftigere und kühnere Manier – besonders diese letzte Eigenschaft ist es, wodurch sich sein „Mazeppa“ auszeichnet. Daneben zeigen schülerhafte Ungenauigkeiten, Uebertreibungen und Ungeschicklichkeiten in den Stellungen, daß es ein erstes Gemälde ist; aber es ist das erste Gemälde eines Mannes, der – wenn er sich nicht verirrt – eines Tages mit Auszeichnung in den Reihen der französischen Schule gesehen werden wird.

Ueber das ungeheure Gemälde von Court ist bereits bei seinem ersten Erscheinen in den Sälen der Akademie so viel gesagt worden, daß wir hier weder das Lob wiederholen wollen, noch den Tadel, mit denen dasselbe überhäuft worden ist. Wir bemerken nur, daß der junge Künstler wohl daran gethan hat, jede Affectation classischer Erinnerungen, zu denen die Wahl seines Gegenstandes ihn so leicht führen konnte, zu vermeiden. Wir fügen hinzu, daß er sich bemühen muß, seinem Talent einen entschiedenen Charakter zu geben. Es ist gut, Niemanden nachzuahmen; dieß ist aber nicht hinreichend; man muß seine Individualität auf tiefe und originelle Weise zeigen. Um in der Kunst die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen und zu fesseln, muß man seinen Werken das Gepräge der Neuheit und schöpferischer Kraft geben; sonst wird man eben so schnell vergessen, als der Nachahmer, der sich sclavisch auf dem allgemein betretenen Wege hält.

[263] Sigalon hat dieses Jahr sich sowohl in der Wahl des Gegenstandes, als in der Art, wie er denselben dargestellt hat, vergriffen. Seine Enkel der Athalia bieten nur den allgemeinen Anblick eines Gemetzels dar; weder in Hinsicht der Localität noch der Geschichte ist die geringste Treue bewährt; aber Züge einer bewundernswürdigen Zeichnung und Ausführung, Köpfe von dem schönsten und schrecklichsten Ausdruck befestigen uns in der Ueberzeugung, daß der Maler des schönen Bildes der Locusta auch jetzt seinen Zweck auf das glücklichste erreicht haben würde, wenn er tiefer in seinen Stoff eingedrungen wäre, und die Begebenheit, welche er darstellen wollte, sich nicht nach einigen Versen Racine’s, sondern nach der Geschichte vorgestellt hätte.

Delaroche, der den Auftrag erhalten hatte, die Einnahme des Trocadero zu malen, hat sich mit großer Gewandtheit aus den Schwierigkeiten gezogen, welche dieser Gegenstand der Kunst darbieten mußte. Durch die Mannigfaltigkeit der Stellungen und den natürlichen Ausdruck der Köpfe hat er ein Mittel gefunden, die Wiederholung jener Gruppen des Generalstabs zu vermeiden, die man schon so oft gesehen hat. Doch ist dieß Gemälde in einer zu gleichförmigen Manier gehalten, und der Gegensatz der beiden Beleuchtungseffecte übertrieben.

In seinem heiligen Stephan verfolgte Coignet die schon in seinem Kindermord eingeschlagene Richtung. Wenn auch in den Werken dieses Malers nicht eine einzige besonders hervortretende Eigenschaft sich zeigt, wenn seiner Zeichnung ein bestimmter Character fehlt, und seine Compositionen wenig Originalität verrathen, so kann man doch nicht in Abrede ziehen, daß eine geschickte Verbindung der Linien, eine sorgfältige Ausführung und ein wohlverstandener Effect seinen Bildern einen großen Reiz leihen.

Außer den im Louvre ausgestellten Gemälden wurden in diesem Jahre auch die zur Ausschmückung des Musée Charles X und der Säle des Staatsraths ausgeführten Arbeiten dem Publikum geöffnet. In dieser langen Reihe von Decken- und Seitengemälden ist die bestimmt verschiedene Richtung der beiden Schulen sehr in die Augen fallend. In den Werken Heim’s, Drolling’s und Picot’s zeigt sich noch überall jenes Bestreben, die griechischen Formen und die Anordnung der antiken Basreliefs wiederzugeben; durch correcte Zeichnung, geschmackvolle Anordnung und verständige Ausführung erinnern ihre Plafonds, sehr zu ihrem Vortheil, an die Hauptvorzüge der David’schen Schule. Aber wie viel andere Bilder, ebenfalls in der Absicht ausgeführt, jene Schule gleichmäßig fortzusetzen, beweisen durch ihre traurige Mittelmäßigkeit den gänzlichen Verfall jener Schule!

Unter den Künstlern der neuen Schule, von denen man in den Sälen des Staatsraths Bilder findet, müssen hauptsächlich Delaroche, Schnetz, Delacroix, Scheffer und Gassies genannt werden. Besonders ist das Bild des ersten, sowohl durch die kräftige Ausführung, als durch die Wahrheit und Bewegung der Scene ausgezeichnet. Einige der andern Bilder sind durch Farbe, Effect und eigenthümliche Auffassung bemerkenswerth; überigens findet man auch in ihnen wieder die schon in den früheren Compositionen dieser Künstler bemerkten starken Fehler.

Der zweite Saal des Musée Charles X verdankt dem Pinsel Horace Vernet’s einen schönen Plafond, und der erste Saal des Staatsraths ein ungeheures Bild von blendender Farbenpracht. So sehr dieses Werk mit Lob überhäuft wurde, so hat doch die Kritik sehr bedeutende Fehler daran nachgewiesen, namentlich den Mangel an Charakter in den Köpfen, so wie an Einfachheit und Würde in der Composition; diese Fehler fallen aber vielleicht weniger der Geschicklichkeit des Künstlers, als vielmehr der unglücklichen Wahl des Gegenstandes zur Last. Vernet wollte uns Philipp August darstellen, wie er vor der Schlacht von Bovines seine Krone auf dem Altar niederlegt. Die Thatsache selbst wird gegenwärtig nur noch auf der Leinwand unserer Künstler und in den eleganten Schriften der Salons als historisch wahr angenommen. Der Ausdruck eines solchen Zuges konnte weder natürlich noch lebendig seyn, und die Wahl selbst steht einem Historienmaler schlecht, zu einer Zeit, wo der Wunsch nach historischer Wahrheit immer entschiedener hervortritt und besonders in der Kunst eine unverläßliche Bedingung des Erfolgs wird.

Noch müssen wir einige Worte über Ingres Deckengemälde, Homer’s Apotheose, beifügen. Der erste Blick auf dasselbe erinnert, namentlich in der Anordnung der drei Hauptfiguren, an Raphael’s Parnaß; da aber der Maler in allen seinen Figuren – von den idealen Gestalten des Alterthums bis auf die wirklichen Porträts der großen Männer neuerer Zeit – den bestimmten Charakter sowohl ihrer Persönlichkeit als der Zeit, in der sie lebten, auszudrücken wußte, so ist das Ganze voll Wahrheit und Adel. Diese große und schöne Composition erfuhr viele bittere Kritiken, von Seiten jener hartnäckigen Freunde der Routine, die in Ingres Gestalten jene sclavische und mechanische Wiederholung der griechischen Formen suchten, so wie sie sie ausschließlich zu bewundern und zu kopiren gelernt haben. Desto entschiedener war in den Reihen der Gegner das Lob dieses Bildes. Ungeachtet Ingres im allgemeinen sowohl in Richtung als Ansicht von den Malern der romantischen Schule bedeutend abweicht, ja oft sehr ungerecht gegen sie war, so zollten die letztern doch diesem neuen Erfolge des Künstlers entschiedenen Beifall, in der innigen Ueberzeugung, daß eine so schöne und manchfaltige Zeichnung, so viel Feinheit [264] der Auffassung, so viel Wahrheit und Originalität einem Künstler eine eigene Stelle in den Reihen des ersten Ranges gewähren, zu welchem System er sich auch bekennen, und welches Panier er auch wählen mag.

Diese einfache Auseinandersetzung des Ganges, den die Malerei in Frankreich in den letzten fünfzig Jahren, von 1778 bis 1828, verfolgte, dient vielleicht dazu, die Anklage des Verfalls, die man gegen die jetzige Schule erhoben hat, zurückzuweisen. Diese Periode von fünfzig Jahren umfaßt in gewisser Art das ganze Leben der klassischen Schule, von ihrer Entstehung im Schoose einer Reaction gegen Geschmacklosigkeit, Leerheit, Incorrectheit und Indecenz, bis zu ihrem allmäligen Absterben. Diese Schule wich während der Zeit ihrer Männlichkeit (man erlaube uns diesen Ausdruck) vor keiner andern zurück; mit bewunderungswürdiger Festigkeit schritt sie dem ausschließlichen Ziele entgegen, das durch ihre Tendenz ihr vorgezeichnet war, sie erreichte dieses Ziel so vollkommen, daß sie auf einen Augenblick alles, was hinter ihr lag, in falsches Licht stellte, und durch die Macht des Talents und den Reiz der Neuheit eine ganze Generation dahin brachte, in der Malerei nichts mehr zu lieben, als die Richtigkeit der Contouren, und rücksichtlich der Schönheit für nichts mehr Sinn zu haben, als für den Typus der antiken Statuen und Basreliefs. Alles dieses konnte nur eine Zeitlang dauern, um so mehr als die Malerei, statt durch einen gewissen Typus der Zeichnung begrenzt zu seyn, überhaupt nicht blos auf Zeichnung allein beschränkt ist, sondern auch Colorit, Effekt und Ausdruck durch die treue Darstellung der Leidenschaften, der Zeit und des Orts unter sich begreift, und nicht blos einzelne Jahrhunderte, sondern das ganze Gebiet der Geschichte als der Herrschaft ihres Geistes unterworfen betrachtet. Nachdem man bis zum Ueberdrusse nichts als griechische und römische Figuren gesehen hatte, mußte man zuletzt nothwendig auch nach andern Gestalten sich sehnen. Ob diese Aenderung für die Kunst selbst ein Vortheil oder ein Nachtheil war, wollen wir hier nicht untersuchen; genug daß sie unvermeidlich war.

Uebrigens haben die, welche sich über die Ausartung des Geschmacks beklagen, unrecht, wenn sie diese Ausartung dem Publikum oder den Künstlern der neuen Generation vorwerfen. Ist es die Schuld der Letztern, wenn der Schöpfer des Schwurs der Horatier und des Tods Sokrates seine lange Laufbahn mit dem Bilde des Mars, der Venus und der Grazien beschloß? wenn die Meister der Atala und des Marcus Sextus, ohne zu fühlen, daß sie in das Jahrhundert leerer Ziererei zurückschritten, Pygmalion, und Aurora und Cephalus hervorbrachten? Konnte man, aufrichtig gesprochen, wirklich einer Schule sich anschließen, um sie fortzusetzen, die durch die Werke ihrer Gründer selbst solche Beweise ihrer Hinfälligkeit lieferte? Wenn es David und Girodet unmöglich war, sich auf die Zeit von 1790 oder 1800 zurückzustellen, so mußte dieß den Schülern ihrer Schüler noch weit unmöglicher seyn. In der Kunst kann man leichter auf mehrere Jahrhunderte zurückgehen, als auf dreißig oder vierzig Jahre. Sobald eine Schule einmal in sich selbst zerfallen ist, so ist derjenigen, welche auf sie folgt, nicht gegeben, die schönen Tage der ersten wieder ins Leben zurückzurufen. Eine neue Zeit beginnt, ein neues Geschlecht erhebt sich, um dieselbe Bahn wie die frühere zu durchlaufen, denselben Wechselmomenten ihres innern Lebens, der Jugend, der männlichen Kraft und des langsamen Alters unterworfen.

Keine menschliche Macht konnte verhindern was geschah, folglich auch nicht die Macht der Journale und Flugschriften. Auch die Schule David’s fand einst ihre Verketzerer, die über Neuerung schrieen. Die Kritiken verstummten, und die Schule verfolgte ihre Bahn; auch die Feinde der gegenwärtigen Reaction werden verstummen, und die Reaction wird vollständig werden. Dazu aber ist nöthig, daß die jungen Maler, welche diese Richtung mit so ehrenwerthem Eifer und so mannigfaltigem Talent verfolgen, sich von den Schwierigkeiten nicht abschrecken lassen, die man ihnen in Weg stellt, noch sich um die Diatriben und Gemeinplätze der Salons bekümmern. Unmöglich konnte man erwarten, daß die Verehrer der alten Schule ihre Hände ruhig in den Schoos legen würden, beim ersten Hervortreten einer Reform, die allen ihren Glaubensartikeln rücksichtlich der schönen Künste widersprach, und die überdieß, wie alle Neuerungsversuche, mit Vertrauen beurtheilt seyn will, da ihre wahren Meisterwerke erst mit der Zeit sich entwickeln können. Die jungen Republikaner von 1793, die ein freudiger Schauer durchdrang, als sie den todt dahingesunkenen Barras erblickten, ohne andere Bekleidung als die dreifarbige Cocarde auf seinem Herzen; die jungen Reactionärs von 1796, deren ideale Gestalten des Marcus Sextus und seiner Tochter den Haß gegen die Urheber der Proscriptionen in helle Flammen setzten, können sie, in ihren alten Tagen noch durch Bilder bewegt werden, in denen die Geschichte einfach und treu, ohne Uebertreibung und Parteisucht, mit dem ganzen Gerüste der eigenthümlichen Costume jeder Zeit dargestellt ist? Jene Masse von Liebhabern aber, in deren Enthusiasmus ihrer Jugend sich keine politische Leidenschaft mischte, bedauern den Untergang der Schule David’s blos deswegen, weil sie während der schönen Zeit jener Schule selbst noch jung waren. Die Bilder von Gericault, Horace Vernet, Delacroix, Scheffer, Deveria etc. sind für sie das, was Rossini für denjenigen ist, der, seit zwanzig Jahren für Mehul’s und Berton’s Töne eingenommen, diese etwas trockene Musik mit allen Ideen und Gefühlen seiner Zeit umkleidete. Diejenigen Männer reiferen Alters, deren Geist biegsam und frei genug ist von allen Banden der Gewohnheit, um mit freudigem Blick den sich verjüngenden Wechsel der Zeit zu betrachten und dem Gange des Jahrhunderts zu folgen, bilden immer die Minderzahl. Gestützt aber auf diese kleine Zahl wird die romantische Schule gegen die todte Erinnerung kämpfen, bis das mit dem Jahrhundert geborne Geschlecht seinen überwiegenden Einfluß auf die Nationalmeinung erlangt hat. In dieser Jugend der Gegenwart wird sie ihre unparteiischen Richter wie ihre leidenschaftlichen Bewunderer finden, und, wenn auch für sie die Zeit des Verfalls gekommen ist - ihre übertriebenen Lobpreiser und ihre fanatischen Vertheidiger.

  1. Aus dem ersten Hefte des neuen, unter vielversprechenden Auspizien erscheinenden Journals: Rèvue française.